Aufgebracht von den österreichischen Studentenprotesten machen sich seit Wochen auch die deutschen Studenten für ein besseres Bildungssystem stark. medien-mittweida.de sprach mit Anja, die von Anfang an bei der Besetzung des Gerhart-Potthoff-Baus im Hörsaal „POT 81“ in Dresden mit dabei ist. Nachdem sie anderthalb Jahre Berufspädagogik auf Bachelor studierte, hat sie nun zum Diplomstudiengang Elektrotechnik gewechselt.
Kannst du eure Forderungen kurz zusammenfassen?
Wir haben viele Forderungen, die meisten sind noch nicht konkretisiert und ausgearbeitet, das braucht Zeit. Aber nur mit der Forderung: „Ich will das sich was ändert, weil mein Studium schlecht ist“ kann man ja auch nicht kommen. Da wäre zum Beispiel generell, dass die Bachelor-Studenten nicht mehr so überfordert sind. Dass man auch guckt, in welchen Studiengängen der Bachelor überhaupt angebracht ist. Zum Beispiel Lehramt: Da sehe ich nicht ein, dass es einen Bachelor gibt, wenn man damit später sowieso nicht arbeiten kann – man braucht also den Master. Der wiederum hat einen Numerus clausus. Damit „züchtet“ man sich die nächsten Leute, die beim Arbeitsamt auf der Wartebank sitzen. Einfach mehr Mitbestimmungsrechte seitens der Studenten ist auch ein wichtiger Punkt.
Dass auch die Hochschulrektorenkonferenz nicht mehr als „Stimme der Hochschulen“ anerkannt wird, wie das momentan fälschlicherweise der Fall ist. Ein weiterer Punkt ist die Finanzierung aus Drittmitteln, also Zuschüsse von Firmen zum Beispiel. Dadurch werden bestimmte Fakultäten, beispielsweise die Elektrotechnik gefördert. Die Geisteswissenschaften bekommen dagegen gar nichts, denn wer ist schon als Geisteswissenschaftler reich? Die sitzen in scheußlichen Baracken und haben eine total schlecht ausgestattete Buchfülle. Ich hab das ja selber bei der Fakultät Erziehungswissenschaften mitbekommen. Du hast da wirklich nur ein Regal, was einem zur Verfügung steht. Teilweise nur mit Zeitschriften und nicht richtig fundierte Literatur.
Sind die zusätzlichen Gelder, die durch Dritte investiert werden, nicht trotzdem gut für die Universitäten? Schließlich erweitern sie den finanziellen Spielraum, was auch den Studenten zu Gute kommt.
Ja, aber eben nur für bestimmte Fakultäten. Es wäre schöner, wenn die Drittmittel so verteilt werden, dass sie auch den anderen, für die Wirtschaft nicht so interessanten Fakultäten, zu Gute kommen. Die Ausfinanzierung der Hochschulen muss einfach besser werden. Wir bekommen derzeit 6.000 Euro pro Student (Sachsen), dass sind 500 Euro unter dem bundesweiten Schnitt. Studiengebühren sind auch keine Lösung, weil man davon zum Beispiel keine Planstellen wie Professoren bezahlen oder neue Hörsäle bauen kann, sondern nur so etwas wie Putzfrauen, neue Stühle oder fünflagiges Toilettenpapier.
Dann könnte die Universität aber das Geld, was sie bei den Stühlen spart, für Professoren ausgeben, oder?
Das Problem dabei ist, wenn man als Universität Studiengebühren verlangt, sagen die Länder: „Naja, jetzt habt ihr ja Studiengebühren, da kürzen wir euch die Mittel.“ Da beißt man sich ja in den eigenen Schwanz. Das ist ja auch eine Forderung, dass hier in Sachsen keine Studiengebühren eingeführt werden. Leider ist es ja schon Realität, dass es an einigen Universitäten so etwas gibt, zum Beispiel für das Zweitstudium.
Es soll also mehr in Bildung investiert werden. Gleichzeitig lehnt ihr Studiengebühren ab. Ist das denn realistisch?
Ja, denn vor Jahren wurde mehr Geld für Bildung ausgegeben. Damals hatte man 1.000 Leute, die 15.000 Studenten unterrichtet haben. Heute sind es 638 Lehrkräfte und 25.000 Studenten. Bildung wird einfach zu wenig als gesellschaftliches Gut anerkannt. Wenn einige sagen: „Ja, die Studenten, sollen sie ruhig zahlen.“ Dann sind es besonders die ärmeren Familie, die das dann selbst vor sich rechtfertigen müssen, dass ihre Kinder nicht studieren können, weil sie vom System einfach von Anfang an benachteiligt werden. Das ist leider traurige Realität.
Die vorläufigen Forderungen lesen sich wie ein langer Wunschzettel. Die Studenten möchten mehr Geld und bessere Betreuung. Was ist die Gegenleistung der Studenten?
Die Gegenleistung der Studenten ist, dass sie ihr Studium in der Regelstudienzeit packen und nicht Ewigkeiten auf Kosten anderer, seine Jahre wiederholen muss. Das nächste wäre: Wenn man die Studenten besser ausbildet, hat man eine leistungsfähigere Wirtschaft. Schließlich sind wir Wissenschaftsstandort und das bleibt mit Bachelor und Master einfach nicht so. Bachelor und Master, wie sie jetzt hier an der TU Dresden teilweise eingeführt wurden, können sich mit problembezogenen Aufgaben nicht auseinandersetzten. Die lernen stupide auswendig, ohne sich wirklich Gedanken zu machen. Bilden kann ich mich nebenbei noch.
Dazu ist man ein Leben lang verpflichtet. Wissen richtig anzuwenden, zu lernen, wie man es als Werkzeug gebraucht, Das bekommt man eigentlich an der Universität mitgegeben. Das ist momentan nicht so der Fall. Es ist auch eine Imagefrage, ob ich Bildung exportieren kann. Deutschland macht das jahrelang schon so. Zum Beispiel ausländische Mitstudenten. So etwas bereichert jeden selbst im alltäglichen Wissen. Daran merkt man auch wie gut oder schlecht es einem gehen kann. Auch Wissenschaft ist Exportware. Wenn Deutschland Innovationen hervorbringt, profitiert die gesamte Wirtschaft davon, das muss man auch sehen. Denn Wirtschaft kann es nicht ohne Wissenschaft geben.
Warum habt ihr den Weg der Besetzung gewählt? Wären Gespräche mit dem Rektor, Politkern oder ein Bürgerbegehren nicht hilfreicher gewesen?
Es ist mal wieder an der Zeit, dass man sich kritisch mit der Gesellschaft auseinandersetzen muss. Zahlreiche Dinge sind nur durch Studentenbewegungen entstanden und viele solcher Studentenbewegungen haben Deutschland wirklich nach vorne gebracht. Die Studenten sind in der Lage ihre eigenen Probleme zu erfassen und zu verbessern. Wenn wir der Politik jetzt einfach nur zu fünft einen Forderungskatalog vorlegen, dann wird uns keiner ernst nehmen. Wenn man dagegen mit 500 Leuten einen Hörsaal besetzt und inhaltliche Arbeit leistet, dann hört die Politik auch auf uns.
Dann fängt sie auch nicht wieder an, am Ende des Schwanzes irgendwo zu arbeiten, sondern an der Bildungspolitik. Letztendlich ging es darum, das man einen Mund hat, um zu sprechen, wovon kaum jemand mehr Gebrauch macht. Außerdem einen Kopf zum Denken, den auch in letzter Zeit viele nicht mehr dafür nutzen. Jetzt sind die Medien ja auch da, jetzt haben wir öffentliche Aufmerksamkeit. Ministerin Annette Schavan will ja sogar das BAföG erhöhen. Da kann sich jeder Student, der Bafög bekommt, darüber freuen. Ich bekomme keins.
Du sagtest gerade mit „500 Leuten einen Hörsaal besetzen“. Ich bin bei euch im Plenum gewesen. Dort saßen weniger als 500 Studenten.
Das war auch auf die anderen besetzten Universitäten mit angespielt, weil es dort auch viel Rückhalt gibt. Bei uns ist es auch so, dass wir unseren Rektor im Rücken haben, das ist nicht bei jeder Universität so. Wir haben den Studentenrat im Rücken – also nicht im Nacken, sondern wirklich im Rücken – die uns sehr gut unterstützen.
Euch wird oft der Vorwurf gemacht, ihr seid schlecht organisiert. Woran liegt das?
Weil alles basisdemokratisch ist. Das ist gut, es sieht bloß von außen immer ein bisschen chaotisch aus. Das wichtigste Instrument sind unsere AGs. Sie organisieren zum Beispiel die Infrastruktur, die hier drinnen ist: Essen, Trinken, Beschallung, WLAN – das haben wir nicht von der Universität. In die AGs kann einfach jeder reingehen und mitbestimmen, dann wird das dem Plenum vorgetragen und abgesegnet. Die AGs machen also die ganze inhaltliche Arbeit.
Die Grünen, die Linke und die Piraten haben sich mit euch solidarisiert. Auch die SPD hat sich wohlwollend geäußert. Habt ihr Angst von den Parteien für ihre Zwecke instrumentalisiert zu werden?
Wir sind ja eine außerparlamentarische Opposition. Da ist es nicht schlecht, mit der parlamentarischen Opposition Rücksprache zu halten. Denn auch aus der Opposition kann man sehr viel Blockieren und mitbestimmen. Es ist klar, das gerade die CDU und die FDP unseren „Groll“ abbekommen, weil die auch die Langzeitstudiengebühren einführen wollen. Wir wären auch froh, wenn mal jemand von der CDU oder der FDP hier vorbeikommen würde und was sagen könnte. Es ist schließlich ein Plenum, wir verbieten hier niemandem den Mund.
Schreckt es nicht viele ab, wenn Parteien hier mitwirken?
Ich glaube wir schrecken viele damit ab, dass es hier einfach um Politik geht. Viele interessieren sich nicht für Politik, das ist traurig. Dadurch verlieren die meisten auch den Blick fürs Wesentliche und wissen nicht, wo ihr Interesse liegt – was sie vielleicht verändert haben wollen. Ein bisschen mehr politische Bildung würde ich mir auch aus der Breite der Bevölkerung wünschen. Die Parteien wurden auch nicht gebeten sich hier zu beteiligen, sondern machen das aus eigenen Stücken.
Einige Studenten lehnen euren Protest ab. Wie steht ihr denen gegenüber?
Da gibt es diese, teilweise richtig dummen, Begründungen wie: „Ich bin doch zufrieden mit meinem Studium“, „Ich geh lieber studieren als blockieren“, „Ich mach mir doch keine Gedanken über Politik, sollen das doch die Politiker machen“ oder „Wir haben doch hier keine Studiengebühren, weswegen soll ich also dagegen protestieren?“ Ich kann verstehen wenn jemand was dagegen hat, weil er sein Bachelor nicht fertig machen kann. Das ist traurig, aber das ist eben ein Kollateralschaden. Gerade bei den Bachelor-Studenten habe ich Verständnis, weil sie einfach keine Zeit haben.
Deshalb sitzen wir hier als Ingenieure und mit Diplomen und setzen uns für sie ein. Da wäre es schon schön, wenn sie wenigstens in der Mittagspause mal hier vorbeikommen würden. Viele Bachelor-Studenten haben auch nichts gegen die Besetzung. Wirklich ärgerlich werde ich bei solchen Aussagen wie: „Ich habe ein Diplomstudium, was interessiert mich das?“ Ganz ehrlich, wenn ich mir das als Student mit Diplom anschaue und weiß genau, ich habe später einen Master-Student als Arbeitskollegen – das will ich mir nicht antun. Meinen Kindern will ich das System auch nicht zumuten. Es ist auch einfach Solidarität, mit denen den es eben nicht so gut geht.
Wir bedanken uns für das Gespräch.