Zu viel Internetkonsum beeinflusst den Aufbau des Gehirns, fanden chinesische Forscher in einer Studie heraus, die Anfang Januar im Magazin „Plos one“ veröffentlicht wurde. „Die Ergebnisse deuten an, dass das Internet-Abhängigkeits-Syndrom psychologische und neurale Veranlagungen mit anderen Stoffabhängigkeiten und Impulskontrollstörungen teilen könnte“, erkannten die Wissenschaftler. Die Internetsucht ähnelt anderen Süchten wie Alkohol- und Spielsucht also mehr als bisher gedacht. Nicht nur das soziale Leben und das persönliche Umfeld können unter übermäßigem Internetkonsum leiden. Auch langfristige, kognitive Beeinträchtigungen können aus dem Internetgebrauch resultieren.
Internetsucht verändert Nervenfasern
Die Urheber der chinesischen Studie zur Internetsucht sind sieben Experten aus den Bereichen Radiologie, Magnetresonanz und Psychologie. Die Studie untersuchte 35 Jugendliche, 17 davon sind internetsüchtig. Mit Hilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) erkannten die Forscher eine Veränderung der weißen Substanz in den Gehirnen der Betroffenen. Diese Substanz besteht aus Nervenfasern und dient der Organisation des Gehirns. Eine derartige Störung kann exekutive Funktionen des Gehirns angreifen, darunter Aufmerksamkeitssteuerung, Entscheidungsfindung, Emotionen und Motorik.
Kaum Diagnosemöglichkeiten
Obwohl die Nachfrage nach der Behandlung von Internetsucht selbst laut der Drogenbeuftragten der Bundesregierung in den letzten Jahren stark anstieg, ist die Diagnose selbiger immer noch schwierig. Für Endrik Böhle, Diplom-Psychologe am Asklepios Fachklinikum in Wiesen, ist das Grund zur Kritik: „Internetsucht findet sich als Diagnose noch nicht in den einschlägigen Verzeichnissen, wie der internationale Klassifikation von Krankheiten wieder, sodass es derzeit keine verbindlichen Diagnosekriterien gibt.“ Die reine Nutzungszeit des Internets sei zumindest kein Kriterium, ob jemand süchtig ist. Bisher gelten nur zeitlicher Kontrollverlust und familiäre, schulische, berufliche und finanzielle Probleme als Indizien für die Krankheit. Doch diese können auch andere Ursachen haben. Dadurch bleiben keine klaren Identifikationsmerkmale.
Behandlungsmethoden unzureichend
Schwerwiegender als das Fehlen von effektiven Diagnosemöglichkeiten sind allerdings fehlende Behandlungsmethoden. In einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf zu dem Thema heißt es: „Eine evidenzbasierte Behandlung des pathologischen Internetgebrauchs ist derzeit nicht möglich, da die Studienlage nicht ausreichend ist.“ Die wichtigsten Ansätze seien zwar verhaltenstherapeutische Einzel- und Gruppentherapien, die angewandten Methoden befänden sich aber erst in der Erprobung.
Laut Diplom-Psychologe Böhle seien bei der Behandlung der Internetsucht aber auch Erfahrungen von anderen Süchten hilfreich: „Man kann bei der Therapie durchaus auf bewährte Methoden zur Behandlung anderer exzessiver Verhaltensweisen, insbesondere nicht substanzgebundene Süchte zurückgreifen.“ Während der Therapie würde außerdem ein individuelles Störungsmodell entwickelt, das an persönlichen, mit der Sucht verbundenen, Problemen ansetze. Dafür gäbe es bereits evaluierte Programme, so Böhle.
Wenige gute Behandlungsangebote
Bislang sei das Therapie-Angebot in Deutschland aber generell noch verbesserungswürdig: In der Studie der Klinik Hamburg-Eppendorf wurden etwa nur 22 Einrichtungen der Suchthilfe in Deutschland als „Good Practice“- Einrichtungen bezeichnet. „Good Practice“ umfasst neben der Qualität der Behandlungszentren ebenso ihre Vernetzung untereinander, sowie einen „verbindenden theoretischen Hintergrund“, also die Wissenschaftlichkeit der Methoden.
Die Standorte der empfohlenen Einrichtungen sind deutschlandweit auch noch sehr unregelmäßig verteilt: So befindet sich in sieben Bundesländern – Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Bremen – keine einzige dieser Behandlungszentren. Überhaupt würden nur elf Prozent der untersuchten ambulanten und stationären Einrichtungen spezielle Fragebögen für den pathologischen Internetgebrauch nutzen. Die Hamburger Studie fasst zusammen: „Es besteht dringender Forschungsbedarf.“