Die neue Strategie von „Spiegel“ und „Spiegel online“ trennt beide Medien fast vollständig. In Zukunft sollen noch weniger Printartikel online erscheinen, bestätigt „Der Spiegel“.
Seit April setzen „Der Spiegel“ und „Spiegel online“ auf eine neue Veröffentlichungsstrategie. Auf die Onlineplattform des Nachrichtenmagazins sollen weniger Artikel aus der Printausgabe. Laut Hans-Ulrich Stoldt, Pressesprecher des „Spiegels“, gehen einige Redakteure sogar noch weiter: „Es gibt die Auffassung im Verlag, in Zukunft weniger vor Erscheinen des Magazins zu veröffentlichen, weil die Leser dann schon zu viel vom Inhalt wissen.“
Letztendlich könne die Auswirkung auf den potentiellen Käufer aber nicht sicher festgestellt werden: „Andere sagen, das macht die Leser neugierig und sie wollen dann mehr davon haben.“ Die alte Veröffentlichungsstrategie ließ bisher zu, dass drei bis vier mehrseitige Artikel auch auf „Spiegel online“ übernommen wurden. „Das kann in Ausnahmefällen noch immer geschehen. Das wird dann aber zwischen der Online-Redaktion und der Print-Redaktion abgestimmt“, erklärt Stoldt.
Statt Paywall getrennte Inhalte
Die „Spiegel Gruppe“ hält sich beinahe peinlich genau an ihre neue Strategie. Dass es tatsächlich kaum noch Übereinstimmungen gibt, zeigt ein Vergleich. Vom gedruckten „Spiegel“ fanden sich in den letzten Ausgaben nur etwa sieben Seiten beziehungsweise circa 20 bis 25 Texte online wieder. Diese werden als „Vorabmeldungen“ einem gedruckten „Spiegel“ zugeordnet, Werbung quasi. Dazu zählen die kompletten Meldungen aus dem Deutschland-Panorama, vereinzelt Meldungen aus den anderen Rubriken wie Wirtschaft, Medien und Kultur. Artikel zum Thema „Ausland“ wurden bislang kaum übernommen.
Auch wenn es im Normalfall keine längeren Auszüge aus dem Magazin mehr online geben soll: Was auffällt ist, dass in manchen Fällen auch die ersten Absätze der Online-Artikel mit ihren Print-Berichten identisch sind. Hinter den vermeintlich gleichen Beiträgen stecken dann aber komplett andere Berichte mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Außer bei Auslandskorrespondenten – die im Grunde für beide Medien arbeiten – unterscheiden sich meist sogar die Autoren.
Vorabmeldungen sollen Aufmerksamkeit steigern
Die neue Strategie bedeutet auch teilweise eine zeitverzögerte Veröffentlichung. „Niggemeiers Medienlexikon“ erscheint zunächst gedruckt und erst einen Monat später im Netz. Obwohl sich Niggemeier online immer wieder für Netzfreiheit engagiert, kann er als Journalist anscheinend gut mit dieser Verzögerungstaktik leben.
Dass trotz des neuen Trennungsgebots vereinzelt noch immer „Spiegel“-Artikel als Vorabmeldungen online aufrufbar sind, solle vor allem andere Medien zum Zitieren anregen. „Das ist schon ein Zeichen von Relevanz, wenn andere Medien unsere Geschichten so interessant finden, dass sie die weiterverbreiten“, erzählt Stoldt. „Ob die Leser von diesen Meldungen ihre Kaufentscheidung abhängig machen, weiß die Spiegel-Redaktion jedoch nicht“, gesteht er. Dabei wurde die Veröffentlichungszeit der Vorabmeldungen vor kurzem von Samstagvormittag auf Samstagabend verlegt: „Das Problem war vorher, dass viele Sonntagszeitungen auf unsere Themen aufgesprungen sind, ohne uns zu zitieren“, erinnert sich Stoldt.
Auflage sinkt, Online-Zahlen steigen
Ursache für die neue Strategie dürfte die Auflagenentwicklung sein. Die letzte Woche veröffentlichten „IVW“-Zahlen über die verkauften Auflagen deutscher Magazine und Zeitungen im ersten Quartal 2012 zeigen, dass sich „Der Spiegel“ nur noch rund 933.000 mal am Kiosk verkaufte. Das entspricht einem Minus von 3,5 Prozent seit dem Vorjahr. Die Visits von „Spiegel online“ hingegen steigen kontinuierlich. Seit Dezember 2011 sind die monatlichen Visits um neun Prozent gestiegen und liegen jetzt bei 170 Millionen Besuchen pro Monat. Zum Vergleich: Die Konkurrenz von „Stern“ schaffte es im März auf 21 Millionen.
Auch das 2004 gestartete E-Paper wird für die Verleger immer wichtiger: Laut Stoldt werden davon mittlerweile pro Woche 33.000 Exemplare verkauft. Als Mehrwert erhalten die User für den gleichen Preis wie die Printausgabe Videos und Fotos, die nur den E-Paper-Nutzern zugänglich sind. „Spiegel online“-User, die nur mit ihrem Werbekonsum bezahlen, bekommen auch von diesen Inhalten nichts zu sehen.
Text: Jan Dahms, Bild: medienMITTWEIDA, Spiegel Online, Fotograf: Nicole Schaum, Bearbeitung: Nicole Schaum