Viele Lokalfernseh-Macher sehen ihre Branche noch immer in den Kinderschuhen – der Markt ist schnelllebig. Trotzdem ist die Skepsis vor neuen Angeboten wie „Volks-TV“ oft groß.
Ein schöner Sommermorgen. Ich stehe mit einem Redakteur an einer Kreuzung in Chemnitz und filme das Verkehrsgeschehen. Ab morgen soll eine Fahrspur gesperrt werden. Diese Information muss unbedingt noch in den Nachrichtenblock, damit die Autofahrer Bescheid wissen. Als wir gerade fertig sind, rasen an uns mehrere Feuerwehr- und Krankenwagen vorbei. Mein Kollege reagiert schnell, zieht sein Handy aus der Hosentasche. Am Telefon erfährt er: Ein Mann ist in den naheliegenden Fluss gefallen. Schnell sprinten wir zum Auto und fahren zur Unglücksstelle. Als wir ankommen fährt der Krankenwagen gerade davon, der Unfallort ist wieder verlassen. Vom Fußgängerweg aus grinst uns ein Mann an, er hat eine Kamera in der Hand. War ja klar, dass „die von der Lokalzeitung“ wieder schneller waren.
Eine heranwachsende Branche
Verglichen mit der lokalen Tageszeitung ist Lokal-TV jedoch ein junges Medium. Die Veranstalter hätten noch einiges zu tun, ihre Branche weiter zu professionalisieren, meint vor dem Hintergrund zum Beispiel auch Mike Bielagk. „Ich sage immer: Wir pubertieren noch und da kommt es vor, dass Fehler gemacht werden. Schließlich sind wir als Branche noch nicht erwachsen“, so der Geschäftsführer des erzgebirgischen Lokalfernsehsenders „Kabeljournal“.
„Volks-TV“ stößt auf Skepsis
Das 16- bis 18-stündige Programm von „Volks-TV“ könnte beim „Heranwachsen“ behilflich sein. Doch viele Lokalfernseh-Veranstalter sehen das Konzept von Medienmanager und Ex-„RTL“-Chef Helmut Thoma kritisch. Der will mit dem für Ende September geplanten bundesweiten Mantelprogramm vor allem Werbekunden ansprechen, die bisher nur national agieren.
„Sobald Sie ein Rahmenprogramm machen, was bundesweit ausgestrahlt wird, ist es ein nationales Programm“, argumentiert Bielagk vom Erzgebirgssender „Kabeljournal“. Er hat Angst, dass seine lokalen Nachrichten bei „Volks-TV“ immer mehr verschwinden könnten. „Die Frage ist ja: Was wird damit bezweckt? Soll es die Lokalfernsehsender stärken, so wie es postuliert wird oder will man, langfristig gesehen, den Lokalsendeplatz durch ein neues nationales Programm ersetzen?“ Zwar sollten auch Lokal-Programme nationale Werbebeiträge in ihre Sendungen einbauen können, ein gewisses Maß dürfe dabei aber nicht überschritten werden.
Carola Olbricht vom Chemnitzer Lokalfernsehsender „Sachsen Fernsehen“ ist von Thomas „Volks-TV“ genauso wenig überzeugt: „Das Lokalfernsehen lebt schließlich von Wiederholung“, so die Studioleiterin. Die einzelnen Sendungen werden mindestens viermal pro Tag ausgestrahlt, bei manchen Stationen sogar stündlich. „Dadurch wird eine Art Abrufprogramm geschaffen, denn kein Lokalfernsehprogramm hat so starke Inhalte, dass sich die Menschen die Uhr danach stellen“, erklärt „Kabeljournal“-Geschäftsführer Mike Bielagk.
Finanzierung noch immer ein Balance-Akt
Lokal-TV machen heißt aber auch, mit geringem Umsatz zu wirtschaften. Denn die regionalen Werbespots bringen oft zu wenig Erlöse. „Kunden verstehen oft nicht, warum Fernsehspots mit viel höheren Kosten verbunden sind als zum Beispiel eine Anzeige in Printmedien“, so „Kabeljournal“-Chef Bielagk. Olbricht vom „Sachsen Fernsehen“ betont, dass die finanzielle Situation gelöst werden müsse. Vielleicht auch, indem Aufgaben bundesweit zusammengelegt werden. „Obwohl ich am Beispiel ‚Volks-TV‘ trotzdem glaube, dass damit Kompetenzen verschenkt werden.“ Immerhin: „Sachsen Fernsehen“ hat wegen mauer Kassen bereits einiges verändert. So werden Nachrichten oft nicht mehr aus Chemnitz, sondern von den Mitarbeitern des Schwester-Senders aus Dresden moderiert.
In Bayern hingegen erhalten Lokalsender von der Landesmedienanstalt finanzielle Unterstützung. „Würden wir Fördergelder bekommen, könnten wir natürlich auch entspannter sein und unser Programm bunter gestalten”, so Carola Olbricht. Für einige Sender reicht das Geld aus der Werbung nämlich nicht – was bleibt, ist die Insolvenz. In Sachsen war dieses Jahr zwar kein Veranstalter zu diesem Schritt gezwungen, bundesweit mussten aber unter anderem „Gutenberg TV“ aus Mainz und „Center TV“ Bochum Insolvenz anmelden. „Ich hoffe, dass die sächsischen Landtagsabgeordneten begreifen, dass sie ohne lokales Fernsehen auch eine Medienpräsenz weniger hätten“, sagt Mike Bielagk, der öffentliche Unterstützung fordert. Denn so oder so: Der finanzielle Puffer sei mehr als knapp.
Hohe Bedeutung bei älteren Menschen
„Ich glaube, Lokalfernsehen wird immer eine große Rolle spielen. Dabei sollte Lokales immer im Mittelpunkt stehen, aber die Sender sollten auch nicht den Weitblick verlieren“, sagt Carola Olbricht. Und auch wenn es vorerst schwierig bleiben dürfte, als Lokal-TV-Unternehmer großen Gewinn zu erwirtschaften: Die letzte Funkanalyse der „Sächsischen Landesanstalt für Privaten Rundfunk und neue Medien“ zeigt, dass Lokalsender gerade bei Senioren eine hohe Bedeutung haben.
Auch in anderen Altersschichten ist Lokal-TV erfolgreich, hat die Studie ergeben. Insgesamt 88 Prozent der Befragten haben bereits Lokalfernsehen geschaut. Immerhin 41 Prozent davon sogar in den letzten sieben Tagen.
Auch bei Schulanfängen vor Ort
Allein in Sachsen gibt es rund 60 Lokalfernsehveranstalter, oft werden dort nur eine Handvoll Mitarbeiter beschäftigt. „Bei der ‚ARD‘ wurde einmal gesagt, Bad Schlema läge bei Eisenach. Diese Fehlinformation dürften wir uns als Lokalfernsehsender nie erlauben, weil es den Zuschauern sofort auffallen würde“, berichtet Mike Bielagk. Auch wenn er auf der anderen Seite zugibt, dass es durch die Nähe eines Lokal-TV-Reporters schon mal ungewollt eine Werbenachricht ins Programm schaffen könnte.
Jetzt ist es kurz nach 18 Uhr. Ich sitze in der Redaktion und schaue mir mit den Kollegen die aktuelle „Drehscheibe“ an, das Nachrichtenformat von „Sachsen Fernsehen“. Zugegeben: Einiges könnte besser gemacht werden. Als junge Medienmanagement-Studentin habe ich teilweise andere Vorstellungen, was zum Beispiel Ausleuchtung oder Animation angeht. Gleichzeitig erinnere ich mich an einen Satz, den vor kurzem jemand zu mir gesagt hat: „Wir sind erst 20 Jahre alt, wir pubertieren praktisch noch und da kommt es vor, dass Fehler gemacht werden.“ Aber aus Fehlern lernt man.
Text: Lisa Limbach. Bild: flickr, medienMITTWEIDA, Fotograf: fchmksfkcb, Nicole Schaum, Bearbeitung: Nicole Schaum