Dramatische Bilder sind insbesondere durch das Fernsehen schon immer bekannt. Doch wo hört die Verdeutlichung des Schreckens auf? Und wo beginnt das bloße Ausstrahlen von Blut und Gewalt, um gegen den Mitstreiter im medialen Wettbewerb scheinbar zu punkten?
Die moralische und rechtliche Grundlage ist spätestens seit der Ausstrahlung der Bilder des Bombenanschlags in Boston im April 2013 wieder in der Diskussion, und erst vor Kurzem berührten die deutlichen Fotos und Videos der türkischen Aufstände viele Menschen auf der ganzen Welt. Leser, Zuschauer und User möchten Informationen und vor allem auch ein klares Bild über die Geschehnisse, die die Welt bewegen, so das allgemeine Verständnis vieler Journalisten und Redaktionen. Und gerade weil Social Media und Smartphones nun jeden zum Sender machen, stehen innerhalb kürzester Zeit Foto- und Videomaterialien zur Verfügung, die durch ihre Direktheit und Deutlichkeit ganz neue Perspektiven zulassen. So machten nach dem Anschlag in Boston zuerst die Handybilder und -aufnahmen von Beteiligten in den sozialen Netzwerken die Runde. Doch aus rechtlicher wie journalistisch-ethischer Sicht ist das Weiterverbreiten von solch brutalem Material zumindest als Medium zweifelhaft.
Die Menschenwürde verliert oft genug
Fotos von leidenden oder gar sterbenden Menschen, in Blutlachen auf der Straße liegend, geben durchaus die schreckliche Realität von Anschlägen wieder. Sie verletzen jedoch die gezeigten Personen in ihrer Würde. Dabei ist das verbreitende Medium durch den Pressekodex verpflichtet, die Würde jedes Einzelnen und dessen Persönlichkeitsrechte zu wahren. Sollte ein Betroffener versuchen, seine Rechte einzuklagen, werde er aber in den meisten Fällen verlieren, weiß der Rechtsanwalt Jens Ferner. „Es gibt hier eine Interessenabwägung mit dem allgemeinen Interesse an einer Berichterstattung, dass regelmäßig überwiegen wird“, erklärt der Medienanwalt. Es ist abzuschätzen, wie groß der Informationsgehalt der gezeigten Bilder ist. „Verwerflich sind die Bilder, die mehr Details präsentieren, als für den Bürger zu seiner berechtigten Information erforderlich sind“, beschreibt Professor Ludwig Issing vom Arbeitsbereich Medienforschung der Freien Universität Berlin das Verhältnis zwischen beiden Ansprüchen.
Resonanz für die Falschen
Manche Medienunternehmen begründen die Ausstrahlung blutiger Bilder wiederum selbst mit ihrer Verpflichtung gegenüber dem Pressekodex und argumentieren mit der Wahrheits- und Sorgfaltspflicht bei Informationsaufbereitung und Berichterstattung. Der vorgeschobene Anspruch, die Wahrheit als Ganzes darzustellen, steht dann über dem Anspruch des Opferschutzes.
Der britische Nachrichtensender ITV News stand in der Kritik, als er das Video des Attentäters Michael Adebolajo über seinen verübten Mordanschlag auf einen Soldaten in London ausstrahlte. Der Sender erhielt in nur wenigen Tagen mehr als 800 Rezipientenbeschwerden. Paradox, kommt doch die Kritik eben aus der breiten Masse, welcher der Sender die Wahrheit präsentieren wollte. Die Tageszeitung taz schrieb daraufhin, ein wichtiger Kritikpunkt sei die Aufmerksamkeit, die dem Täter so gegeben werde.
Besonders Eltern empfinden die Ausstrahlung blutiger Bilder zudem als unangebracht. „Kinder und Jugendliche sind dabei ungeschützt und anfälliger für negative Wirkungen als Erwachsene“, erklärt Medienpädagoge Issing. Insbesondere der Schutz der Jugend spricht klar gegen das Ausstrahlen der Bilder. „Dies wird von Sendern darüber gelöst, dass entsprechende Bilder erst zu bestimmten Uhrzeiten gezeigt werden, wenn sie ‚entwicklungsbeeinträchtigend‘ sein könnten“, so der Medienrecht-Experte Ferner. Die meisten jungen Menschen nutzen jedoch sowieso verstärkt das Netz, indem Altersfreigaben leicht zu umgehen sind.
Sensation als Schachzug im Wettbewerb der Medienunternehmen
Hinter der sensationellen Darstellung scheint sich der kommerzielle Hintergedanke der Medien-Unternehmen zu verstecken. „Solche Bilder dienen offensichtlich den Präsentatoren zur Publizitäts- und letztlich zur Gewinnsteigerung“, meint Issing. Die Medien stehen untereinander im Wettbewerb; durch schockierende und brutale Bilder von Opfern oder das Zurschaustellen eines Täters versuchen sich die Medienmarken am Markt voneinander abzuheben.
Gesetze für den Umgang mit blutigen Bildern?
Für die Zukunft des Bildjournalismus hält Issing vor allem Leitregeln zum Kinder- und Jugendschutz für wünschenswert. „Der Staat und der Gesetzgeber sind verpflichtet, zum psychischen Wohl ihrer Bürger und zum Schutz der Allgemeinheit vor Verrohung und Nachahmung möglichst klare ethische Rahmenbedingungen zu definieren und deren Durchsetzung zu überwachen“, begründet Issing.
Rechtsanwalt Jens Ferner sieht das Eingreifen des Staates per Gesetz auf die freie Presseberichterstattung hingegen problematisch. „Auch ‚allgemeine Leitregeln‘ empfinde ich als schwierige Frage, denn die Abgrenzung vom sachlichen Bericht zur reißerischen Darstellung ist keine klare Grenze, die sich an festen Regeln festmachen lässt“, erklärt er. Objektive Kriterien der Gesetze würden lediglich die journalistische Freiheit einschränken. Laut dem Rechtsanwalt werde die Thematik um die blutigen Bilder immer eine Wertungsfrage sein. Er rät daher von Leitlinien ab und empfiehlt, auf das Verantwortungsbewusstsein der Journalisten zu setzen. „Insgesamt muss gesehen werden, dass unsere Medien doch sehr verantwortungsvoll arbeiten, wenn es natürlich auch bekannte Ausreißer gibt“, resümiert Ferner.
Mehr zu den Terroranschlägen in Boston und über die Macht der Medien können Sie auch im Artikel von Sandra Winnik lesen. Sie untersuchte den Fall des jungen Studenten Sunil Tripathi, der nach den Explosionen in den sozialen Netzwerken als potenzieller Terrorist gesucht wurde.
Text: Michelle Mucha. Bild: Aaron „tango“ Tang. Bearbeitung: Nancy Matschke.