Revolution im Netz – Kann ein Mausklick die Welt verändern?

von | 5. Juni 2014

Eine E-Petition gegen einen Moderator, digitale Unterschriften für den Tierschutz: Proteste finden mehr und mehr im Internet statt. Das ist gut, weil es einfacher wird, sich daran zu beteiligen. Aber es […]

Eine E-Petition gegen einen Moderator, digitale Unterschriften für den Tierschutz: Proteste finden mehr und mehr im Internet statt. Das ist gut, weil es einfacher wird, sich daran zu beteiligen. Aber es birgt auch Gefahren. 

Der Weltverbesserer unserer Zeit liegt auf der Couch, isst Nüsse und scrollt gelangweilt durch’s Netz. „Er braucht nicht mehr als ein Sofa und seinen Zeigefinger, um die Probleme der Welt einfach wegzuklicken“, sagt eine Stimme aus dem Off. Eine andere Aktivistin hat gerade den Syrien-Krieg gelöst – ganz einfach per Smartphone. „Geil! Ein Protest so effektiv wie gemütlich“, kommentiert die Stimme. Die Szenen stammen aus einem Clip der Sendung „NeoParadise“.

Die Komiker Joko und Klaas parodieren darin ein Phänomen, das seit einigen Jahren immer wieder die Netzgemeinde bewegt: Internetaktivisten, die per Like-Button, Facebook-Share oder digitaler Unterschriftenliste die Welt verbessern wollen.

Die Parodie stammt aus dem Jahr 2012, damals überschwemmte gerade ein Video mit dem Titel „Kony 2012“ die Timelines. In der Kampagne der Organisation „Invisible Children“ ging es um Kindersoldaten in Uganda und um den Warlord Joseph Kony, der sie befehligte. Mit genug Publicity, so die Idee, könne man dem Bösewicht das Handwerk legen. Joko und Klaas machen sich in ihrem Video über dieses Vorhaben lustig – was sie damit wohl sagen wollen: So einfach ist es nun auch wieder nicht.

Das sehen Millionen Internet-Nutzer offenbar anders: Das „Kony“-Video wurde innerhalb von fünf Tagen 70 Millionen Mal geteilt, laut Beobachtern ist es die bis dahin „am schnellsten verbreitete Social-Video-Kampagne“. Seitdem sorgen immer wieder Online-Kampagnen für Aufmerksamkeit, an denen sich Hunderttausende oder gar Millionen Menschen beteiligen: Vor einem Jahr dominierte ein rot-rosanes Emblem die Netzwerke – eine Aktion für die Homo-Ehe. „Peta“ macht mobil gegen Tierquälerei im Zirkus, „Facebook“-Nutzer attackieren immer wieder die Fan-Seite der Nazi-Partei „NPD“, tausende Amerikaner forderten die Abschiebung von Sänger Justin Bieber, Zehntausende den Bau eines Todessterns – im Internet mischen sich Aktivisten und Komiker. Zu Beginn dieses Jahres unterschrieben mehr als 200.000 Deutsche für den Rausschmiss von Markus Lanz. Der hört zwar auf mit „Wetten Dass…!“, wird aber aller Voraussicht nach weiterhin moderieren. Es bleibt also die Frage: Was bringen solche Online-Kampagnen?

Faule Aktivisten?

In einschlägigen Blogs haben sich für all die Unterschriftenlisten, Viralproteste und Profilbild-Aktionen zwei Überbegriffe etabliert:

Clicktivism und Slacktivism. In beiden Wörtern liefert „activism“ die Endung, der Anfang stammt von „click“ bzw. „slack“, was so viel bedeutet wie faul.

Und das ist auch der Hauptkritikpunkt: Ein Klick ist so wenig Aufwand, dass auch der Faulste noch dazu bereit ist. Und was ist das dann noch wert? „Clicktivism wird niemals eine soziale Revolution erzeugen“, schreibt der amerikanische Journalist Micah M. White in einem Manifest. Nur „mutige Handlungen in der echten Welt“ könnten Veränderung herbeiführen, so White. Und die folgten fast nie auf das digitale Lippenbekenntnis.

Direkte Auswirkungen haben tatsächlich nur ganz bestimmte Online-Petitionen: Die auf der offiziellen Plattform des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages. Seit 2005 gibt es die Möglichkeit, dort Petitionen auch online einzureichen und zu zeichnen. Wenn ein Anliegen innerhalb von drei Wochen mehr als 50.000 Unterstützer sammelt, wird der Initiator in den Petitionsausschuss eingeladen. Im Jahr 2012 war mit fast 100.000 Zeichnern eine Petition die erfolgreichste, die Steuerfreiheit für private Ballett-, Tanz- oder Musikschulen forderte. Auch Themen wie Altenpflege oder die Erhöhung der GEMA fanden Zuspruch.

Den Ausschuss und das Mittel der Petition gab es schon vorher – und erlebte durch das Internet erstaunlicherweise nur ein kleines Revival: In den Jahren nach der Einführung stieg die Zahl der neuen Petitionen, ist jetzt mit 15.724 neuen Petitionen im Jahr 2012 aber wieder auf dem Niveau von 2001. Vielleicht liegt das auch daran, dass es viele private Anbieter gibt, die die Unterschriftensammlung im Netz einfacher machen. Ein Portal aus Deutschland, „campact“, hat im Januar gefeiert, dass es eine Million Mitglieder hat. Das Vorbild aus den USA heißt „Avaaz“ und zählt laut eigenen Angaben schon mehr als 35 Millionen Mitglieder. Weitere Namen sind „OpenPetition“, wo Markus Lanz jüngst Furore machte, oder „change.org“. Am Beispiel des Platzhirschen „Avaaz“ lässt sich zeigen, wie die Plattformen funktionieren und was ihre Macher antreibt.

Kritiker bezweifeln den Einfluss der Online-Petitionen

Die Websites haben keine rechtlich bindende Möglichkeit, etwas zu bewirken. Die Plattformen bieten vor allem ein Forum für Nutzer, die selbst eine Petition starten wollen. Einige wie „Avaaz“ betreiben zusätzlich selbst intensives Campaigning – mit E-Mails, aber auch mit Plakaten und Protestaktionen. Die Portale sehen sich als Lobbyisten für die gute Sache: „Avaaz gibt Millionen von Menschen aus allen Gesellschaftsschichten eine Stimme, mit der sie auf dringende internationale, regionale oder nationale Angelegenheiten Einfluss nehmen können“, heißt es in der Selbstbeschreibung des Netzwerks. Und weiter: „Avaaz nutzt das Internet, um Tausende von Menschen durch ihren persönlichen Einsatz miteinander zu verbinden und mit vereinten Kräften für das Gemeinwohl einzutreten.“ Themen sind vor allem Armut, Korruption, Krieg und Klima.

Die Verantwortlichen sind überzeugt, so die Welt ändern zu können:

„Petitionen können einen großen Einfluss haben, wenn man wirklich mit Entscheidungsträgern im Dialog steht“

Das meint Christoph Schott von Avaaz in einem Interview. Oft gehe es weniger darum, rechtlich bindende Petitionen zu initiieren, sondern viel mehr darum, durch Druck aus der Bevölkerung Aufmerksamkeit auf Politiker und bestimmte Themen zu richten. „Das Avaaz-Modell ist unglaublich flexibel und reaktionsschnell und kann somit Entscheidungsträger in Schlüsselmomenten beeinflussen“, sagt Schott. Tatsächlich gibt es Petitionen, die viel Aufmerksamkeit erregen: „Avaaz“- Kampagnen, wie das zum umstrittenen EU-Gesetzpaket ACTA, unterschreiben Millionen Menschen. Die Petition wurde dem EU-Parlament übergeben, das Gesetz wurde abgelehnt. „Avaaz“ schreibt sich das als einen der größten Erfolge auf die Fahnen.

Doch Kritiker bezweifeln den Einfluss der Petitionen – zumindest in manchen Fällen. So behauptete „Avaaz“ im Jahr 2012, maßgeblich für die Befreiung eines irischen Journalisten in Syrien verantwortlich zu sein. Im Nachhinein sagte der Journalist, er habe noch nie von der Organisation gehört.

Ein guter Anfang

Außerdem wird kritisiert, dass reine Online-Kampagnen oft zwar viele Unterstützer haben, aber dann im digitalen Raum verpuffen: „Clicktivism verhält sich zu Aktivismus wie Fast-Food zu einer selbstgekochten Mahlzeit“, sagt Kritiker Micah M. White. „Es sieht aus wie Essen, aber es enthält keine Nährstoffe.“ Auch Malte Spitz, Netzpolitik-Experte bei Bündnis 90/Die Grünen sagte dem „Spiegel“: „Die Bindung an die Organisation ist bei solchen Netzwerken oft gering.“

Online-Petitionen können also, so der Tenor der Kritiker, nur der Anfang sein. Sie nutzen die Macht des Internets, um eine aggregierte Meinung zu einem Thema zu schaffen. Sie könne neue Strömungen in der Gesellschaft flexibel auffangen und binnen kürzester Zeit enorme Aufmerksamkeit kreieren – sicherlich einer der wichtigsten Einflussfaktoren einer politischen Kampagne. Aber sie dürfen nicht im Internet bleiben. Sie brauchen Unterstützung in der echten Welt.

Text: Peter Heinz. Grafik: Thomas Kraftschenko.

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Redakteur