Über 600 000 Zuschauer sahen Mitte Oktober eine der umstrittensten Pressekonferenzen (PK) diesen Jahres live: Die „Stellungnahme zu Medienberichten“, wie das Video auf dem vereinseigenen YouTube-Kanal beschrieben wird, zog viele Trotzreaktionen der Sportjournalisten mit sich. Die emotionalen, viel zitierten Aussagen der Vereinsoberhäupter mal außen vor gelassen, wirft diese PK des Fußball-Bundesligisten FC Bayern München vor allem eine Frage auf: Wer hat die Meinungshoheit in der Sportberichterstattung?
Was die Vereinsleitung um Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge stört: „Es scheint, als würde man sich überhaupt keine Gedanken mehr machen über Werte wie Würde und Anstand. Das gilt für Medien, das gilt für Experten“, kritisiert er und nennt Beispiele, wie die „Altherrenfußballdebatte“, die er „respektlos, unverschämt und polemisch“ fände sowie die Berichterstattung um die deutsche Nationalmannschaft. Diverse Medien hatten den erfahrenen Bayern-Profis um Arjen Robben, Franck Ribery, Jerome Boateng und Mats Hummels vorgeworfen, wie alte Herren zu spielen. Schlussendlich stellt Rummenigge heraus, dass man die Schuld für die sportlichen Ergebnisse nicht bei den Medien suche. „Wir wollen eine Berichterstattung faktischer Natur.“
Längerer Kontakt immer seltener
Bei vielen Fußballspielern entstehe der Eindruck, dass Journalisten nur auf Schlagzeilen aus seien, sagte Nationalspieler Mats Hummels in einem Interview mit „Buschi TV”. „Es wird im Fußball viel dramatisiert, es wird viel auf die Spitze getrieben. Es gibt immer eine Millionen Gründe, wenn es schlecht läuft, warum es schlecht läuft. Dabei kann es auch manchmal einfach Glück oder Pech sein.“ Deshalb würden die Journalisten meist auch nur noch Standard-Antworten bekommen. Zudem lasse er seine Interviews fast immer Korrekturlesen – vom Verein.
Das YouTube–Format „Buschi TV“ von Sportkommentator und Moderator Frank Buschmann, das seit 2016 nicht mehr aktualisiert wurde, ist eines der wenigen Formate, in dem Spieler wie Toni Kroos, Thomas Müller und eben Mats Hummels 45 Minuten am Stück ohne Schnitt reden. Das findet Buschmann schade, genauso wie viele Sportfans, die sich mehr Fannähe wünschen. Auf seiner Facebook-Seite schrieb der Sky–Kommentator zur Bayern-PK unter anderem: „Es ist oft einfach lächerlich. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als es möglich war, mit Holger Stanislawski vor einem Spiel zusammenzusitzen und über Fußball zu quatschen. Oder mit Dieter Hecking, damals Wolfsburg, vor einem wichtigen Spiel in Lissabon, einfach über seine Aufstellung und Ideen zu reden.“ Buschmann appelliert an das Fingerspitzengefühl der Journalisten: „Und natürlich nix rauszuposaunen nach dem Motto: Ich weiß mehr als andere. Das ist noch gar nicht so lange her… Was ich sagen möchte: Fuß vom Gas täte uns allen gut!“
Heute sieht es anders aus: Der Fußballchef der SportBILD, Christian Falk, gibt in seinem Blog Einblicke in die Arbeit eines Sportjournalisten, indem er sein Programm rund um eine Champions-League-Partie in Athen veröffentlicht. Die Spieler säßen im vorderen Teil des Fliegers, er in der letzten Reihe bei der Nachwuchsmannschaft. Kontakt außerhalb der Termine ist somit quasi unmöglich. Neben Pressekonferenzen und weiteren Presseterminen sei er in der Stadt unterwegs und die Zeiten, in der er von Lukas Podolski in den Pool geschmissen wurde – vorbei.
Problem vereinsinterne Medien
Auch Günter Klein, Chefreporter Sport beim Münchner Merkur, stellt in einem Beitrag des Medienmagazins ZAPP klar: „Dadurch, dass die eigenen Medien des FC Bayern noch hinzugekommen sind, rutscht Print in der Hierarchie noch weiter nach hinten. Interviews mit Spielern – gut, das ist der Zug der Zeit – sind seltener geworden. Auch mit Trainern ist es mittlerweile die Ausnahme.“ Die Recherche wird nicht nur durch mangelnde Primärquellen schwierig, sondern durch die aufkommenden vereinseigenen Medien wie FC Bayern.tv oder BVB TV.
In der Bayern-PK nannte Vorstandschef Rummenigge FC Bayern.tv als Beispiel für guten Journalismus – seiner Meinung nach. Zirka 2,8 Millionen Follower hat die offizielle Seite auf Facebook, das Instagram-Profil über 14 Millionen. Die Macher von ZAPP anaylsieren das Angebot kritisch. „So sieht sie aus, die respektvolle Berichterstattung. Möglichst launig, möglichst kritiklos. Im hauseigenen Talkformat keine bösen Fragen.“ Journalisten wie Günter Klein sehen in FC Bayern.tv vor allem die Gefahr einer Konkurrenz, weil die Spieler natürlich lieber mit dem Haussender reden, als mit fremden Journalisten.
FC Bayern.tv TV plus und FC Bayern.tv live sind zwei getrennte, kostenpflichtige Sender beim Bundesligisten aus München, die damit werben, dass man nach einem Abo alle Spiele und Tore kurz nach dem Spiel abrufen und einen Blick hinter die Kulissen bekommen könne. Dass der Moderator in dem Talkformat in der „wir“-Form spricht, zeigt eine mangelnde Distanz zwischen Berichterstatter und Sportler. Ähnlich sieht die Lage beim BVB TV aus, dem hauseigenen Kanal des Konkurrenten Borussia Dortmund. Stadionsprecher „Nobby“ führt hier Talks mit den Spielern durch. Im Gegensatz zum bayerischen Angebot wird hier bei der Präsentation der Spieler vor allem auf Unterhaltung gesetzt. Wie bei der Münchner Konkurrenz muss der User für den Content via Monatsabo zahlen.
Vereine werden zu Meinungsmachern
Ein weiteres Angebot macht der FC Bayern: Er wird Mediendienstleister. Das FCB Digital & Media Lab wurde vor einem halben Jahr gegründet: Dort wird digitales Know-How des Vereins gebündelt und an Dritte weitergegeben – die PR des Vereins wird distribuiert, kritischer Journalismus darf nicht erwartet werden. Hier versucht der FC Bayern also, die Vereins-Meinung, seine Berichterstattung zu verkaufen. Das klappte in der Vergangenheit nicht immer.
Bei der Meisterfeier 2016, eines der Events, das der vereinseigene Sender live übertrug, musste eine geplante Live-Übertragung des Bayerischen Rundfunks (BR) wegen kurzfristiger Geldforderungen des Vereins abgesagt werden – laut Spiegel handelte es sich um eine Beteiligung von 300 000 Euro an den Sicherheitskosten. Das konnte der BR, der die langfristige Budgetplanung der ARD für Sportinhalte einhalten musste, nicht mehr abdecken. Von 2017 bis 2020 hat die ARD beispielsweise einen jährlichen Sportrechte-Gesamtetat von 256 Millionen Euro. Den kann sie aber nicht ausschließlich für Fußball ausgeben und er muss unter allen Sendern der Länder – wie NDR, WDR und BR – aufgeteilt werden. Zum Vergleich: Das ZDF, das nur einen Sender bedienen muss, lag im Zeitraum 2013 bis 2016 bei 243 Millionen Euro jährlich. Wenn vereinseigene Sender auf der einen Seite mit den privaten und öffentlich-rechtlichen Sender auf der anderen Seite konkurrieren, haben sie also einige Vorteile – was bei größerer Unabhängigkeit von Langzeit-Budgetplänen beginnt und damit endet, dass sie nach einem Spiel viel einfacher an mehr O-Töne ihrer Fußballer kommen.
Authentizität in Interviews schwierig
Von der ARD bezahlt werden logischerweise auch die Field-Reporter. Das sind diejenigen, die unmittelbar nach dem Spiel oder Wettkampf die Sportler interviewen – und meistens die immer gleichen Sätze zu den immer gleichen Fragen hören, weil die Spieler, gerade in höherklassigen Vereinen, eine Medienschulung hinter sich haben. Und wenn es dann doch emotionaler wird, wie im Fall Jan Löhmannsröben vom 1. FC Kaiserslautern, spricht der Deutsche Fußball Bund Geldstrafen aus. Sein Wutanfall im Field-Interview nach dem Remis gegen Zwickau über einen verwehrten und einen falsch gegebenen Elfmeter richtete sich gegen den Schiedsrichter: Er solle Cornflakes zählen und in der Kreisliga pfeifen gehen. Strafe für Löhmannsröben: 1200 Euro.
Zurück zur Pressekonferenz des FC Bayern. An der lassen die wenigsten Journalisten ein gutes Haar. In den Kommentaren beim #FCBPK findet sich der Begriff „Realsatire“ wieder. Thomas Nowag vom Sportinformationsdienst SID schreibt via Twitter: „Mich interessiert es sehr, woher die Idee zu so einer abstrusen PK kommt. Jetzt kommt noch mehr Kritik und Spott – zu dem man selbst einen skurrilen Anlass bietet. Komplettes Eigentor. Verrückt!“ Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, Frank Überall, verurteilt die Pressekonferenz aufs schärfste: „Mir ist kein Gesetz bekannt, das uns zum Katzbuckeln vor dem FC Bayern München verpflichtet.“ Der FC Bayern dürfte das auf die Journalisten bezogen genauso sehen, der Konkurrenzkampf um die Meinungsbildung der Zuschauer, Fans und Abonnenten geht in eine weitere Runde.