Arbeiter der Textilindustrie
Die Würde des Menschen ist antastbar
Von Sweatshops (dt. Ausbeuterbetrieben) ist in der Textilindustrie häufig die Rede. Foto: Lena von Heydebreck
In den Zentren großer Städte reihen sich Unternehmen, die Bekleidung für jeden Ansässigen zu günstigsten Preisen anbieten. Die Arbeiter, die diese Stücke herstellen, könnten sich jedoch meist mit ihrem gesamten Monatslohn nicht eines dieser Produkte leisten.
„Etwa 90 Prozent der in Deutschland verkauften Bekleidung stammt aus dem Import“, so Brigitte Zietlow vom Umweltbundesamt in einem Interview mit der Welt. Somit ist Deutschland das zweitwichtigste Importland nach den Vereinigten Staaten von Amerika.
Mehr als zwei Drittel der Importware kommt aus Asien. Bangladesch, China, Indien und Vietnam zählen dort zu den stärksten Exportnationen. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen zeigt im Index der menschlichen Entwicklung von 2018 auf, dass in diesen Ländern oftmals hohe Armut herrscht. Sobald eine Person zu einem Lohn von umgerechnet weniger als 2,70 Euro pro Tag arbeitet, trifft dieses Kriterium zu. In Bangladesch sind davon 67 Prozent aller Arbeiter und in Indien rund 43 Prozent betroffen.
Das ist jedoch nicht das einzige Problem der Textil- und Bekleidungsindustrie, die weltweit rund 60 Millionen Menschen einen Arbeitsplatz bietet. Laut einem, im Oktober 2018, veröffentlichten Bericht des Business & Human Rights Resource Center gibt es weltweite Verstöße gegen das Arbeitsrecht. Diese reichen von Kinder- und Zwangsarbeit bis zu Vorwürfen bezüglich Gesundheit, Gewalt und Sicherheit am Arbeitsplatz.
Ein Beispiel dafür ist der Einsturz einer Fabrik in Bangladesch. Am 24. April 2013 stürzte in Dhaka das achtgeschossige Gebäude am Rana Plaza ein. Bei dem Unglück starben laut Europaparlament 1138 Menschen und weitere 2500 wurden verletzt. Weltweit agierende Bekleidungsunternehmen ließen dort ihre Produkte anfertigen. Mitarbeiter hätten bereits Tage zuvor Risse im Gebäude angezeigt. Daraufhin wurden Geschäfte und eine Bank im Erdgeschoss des Hauses geschlossen. Die Fabrikeigentümer zwangen die Arbeiter dennoch, ihre Arbeit weiterzuführen.
Wo liegen die Gründe für solche Zustände?
Aggressive Einkaufspraktiken des internationalem und auch deutschem Groß- und Einzelhandel üben Druck auf Textilfabriken in Asien aus. Der Handel sucht seine Zulieferer nach den günstigsten Preisen und den kürzesten Produktionszyklen aus. Die Regierungen der Bekleidung produzierenden Länder setzen deshalb den Mindestlohn zu niedrig an, um wettbewerbsfähig zu sein und ausländische Investoren anzulocken. Auch bei Last-Minute Bestellungen der großen Konzerne müssen die Zulieferer produzieren, da sonst die Gefahr besteht, dass der Auftrag zur Konkurrenz wechselt. Der Druck der Industrie lastet also auf den Schultern der Arbeiter, die zu einem Lohn unter dem Existenzminimum arbeiten.
„Da Material und Transport nicht billiger werden, ist das einzige Glied in dieser Kette, bei dem man die Kosten auf ein Minimum drücken kann, der Arbeitsfaktor.“
Andrew Morgan
Regisseur von The True Cost im Interview mit der FAZ
Der höchste Mindestlohn in den vier stärksten Exportnationen beträgt 59 Cent pro Stunde, laut einer Veröffentlichung von Oxfam Australia 2017. Im Vergleich dazu kostete eine Arbeitsstunde 2016 in der Bekleidungsindustrie in Deutschland 32 Euro nach Angaben des Gesamtverbandes der Textil- und Modeindustrie. Oftmals werden Arbeiter aber auch nach produzierten Stückzahlen bezahlt. Bei einem durchschnittlichen Produkt springen zwischen 0,5 und drei Prozent der Kosten dafür ab. Bei einem T-Shirt für acht Euro Verkaufspreis wären dies also maximal 24 Cent.
Ein weiterer Grund für diese Zustände liegt darin, dass diese vier Nationen allesamt die Kernarbeitsnormen der International Labour Organisation nicht vollständig völkerrechtlich bindend ratifiziert haben. Diese Normen ergeben sich aus acht Übereinkommen, die zu vier Grundprinzipien zusammengefasst werden können. Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen, Beseitigung der Zwangsarbeit, Abschaffung der Kinderarbeit und das Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf.
Sklaverei der Neuzeit
In einem Briefing des Europaparlaments werden die Zustände, unter denen die Arbeiter in Asien ihren Job erfüllen müssen, als Sklavenarbeit eingestuft. Die Probleme fangen bei den Arbeitszeiten an und hören bei unterschlagenen Zahlungen auf.
„Ihre Alternativen sind meistens viel schlechter als die Fabrikjobs, die die Arbeiter haben.“
Benjamin Powell
Chef des Free Market Institute der Texas Tech University und Sweatshop-Befürworter in The True Cost
Laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung müssen die Arbeiter teilweise bis zu 16 Stunden pro Tag arbeiten. In Hochzeiten sieben Tage die Woche. Urlaubs- und Krankengeld gibt es nicht.
Die Möglichkeit, sich in Vereinigungen darüber zu beschweren, ist nur selten vorhanden. Oftmals werden diese unterdrückt, die Initiatoren eingeschüchtert oder gezwungen, zu kündigen. Das Briefing des Europaparlaments berichtet von Fällen, in denen Mitglieder von Vereinigungen am Arbeitsplatz oder auch Zuhause zusammengeschlagen wurden. Um zu verhindern, dass Arbeiter sich zusammenschließen, wird ein Großteil von ihnen mit Kurzzeitverträgen angestellt.
Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren machen 80 Prozent der weltweiten Arbeit in der Textil- und Bekleidungsindustrie aus. Sie stehen im Zentrum der Benachteiligungen. Oftmals sind Frauen Allein-Finanziers der Familie und somit abhängig von ihrer Arbeit. Da sie keine Zeit und kein Geld haben, ihre Kinder zu erziehen, geben sie diese zu Freunden oder Eltern ab, um Überstunden abarbeiten zu können. Beförderungen sind für Frauen in der Regel nicht vorgesehen, da Eigentümer der Fabriken davon ausgehen, dass sie kündigen, sobald sie heiraten. Dies bedeutet, dass im Großteil der Fabriken Männer in den Leitungsebenen und auch im Sicherheitspersonal tätig sind. Sexuelle Übergriffe stellen keine Seltenheit dar.
Existenzen in den Händen des Lohns
“Einige Menschen haben alle Möglichkeiten, weil andere Menschen gar keine haben.”
Andrew Morgan
Regisseur von The True Cost im Interview mit der FAZ
Der „Living Wage“ stellt den Existenzlohn dar. Dieser sollte in einer normalen Arbeitswoche mit höchstens 48 Stunden verdient werden. Die Arbeiter sollen in der Lage sein, sich und ihre Familie zu ernähren, Miete zu zahlen, Geld für medizinische Versorgung, Kleidung, Bildung und Transport zu haben und Rücklagen für Notfälle bilden zu können.
Dieser Existenzlohn wird in der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte in Artikel 23 beschrieben: „Jeder Mensch, der arbeitet, hat das Recht auf angemessene und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert und die, wenn nötig, durch andere soziale Schutzmaßnahmen zu ergänzen ist.“ Doch in vielen Ländern weichen noch heute Mindestlöhne weit von Existenzlöhnen ab, wie die Grafik verdeutlicht:
Daten aus dem Jahr 2016 zeigen massive Unterschiede zwischen Existenz- und Mindestlöhnen in Asien. Grafik: Alexander Grau
Text und Grafik: Alexander Grau; Foto: Lena von Heydebreck