Eine Handvoll junger Bäckerinnen und Bäcker knetet schwungvoll den Teig, taucht Brezen-Rohlinge in die Lauge und formt Teiglinge in den unterschiedlichsten Formen und Sorten. Im ganzen Raum duftet es nach frisch gebackenem Brot. Es herrscht reges Treiben in der Backstube der Bäckerei Neulinger in München. Ein Blick in die Gesichter der jungen Mitarbeiter lässt den Anschein erwecken, dass diese Bäckerei vom Lehrlingsmangel nicht betroffen ist. Doch Bäckermeister Ludwig Neulinger wiederlegt dies aber schnell: Das bayernweite Problem macht auch vor seinem Betrieb nicht Halt.
Knapp ein Viertel aller Ausbildungsstellen des bayerischen Handwerks konnten 2018 nicht besetzt werden. Auch die Bäcker sind davon betroffen. Ein Ende des Azubimangels scheint nicht in Sicht zu sein, trotz der vielen Lösungswege, die das Handwerk in petto hat.
„Der Azubimarkt in Bayern ist ein Bewerbermarkt“
Im Jahr 2018 konnten schätzungsweise 7.400 Ausbildungsstellen im bayerischen Handwerk nicht besetzt werden. Das entspricht circa 22 Prozent der angebotenen Ausbildungsstellen. „Wir haben in Bayern schon seit längerer Zeit einen Bewerbermarkt. Die Bewerber können sich deshalb aussuchen wo sie hingehen“, erklärt Tobias Mandel von der Handwerkskammer (HWK) für München und Oberbayern.
Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze im Bäckerhandwerk steigt jährlich. Grafik: Nicolai Hackbart, mit Material des bayerischen Handwerkstages
Am stärksten betroffen von unbesetzten Ausbildungsstellen sind laut HWK die Berufsgruppen „Verkauf von Lebensmitteln“ mit 33,1 Prozent und an zweiter Stelle die „Lebensmittel- und Genussmittelherstellung“ mit 29,3 Prozent aller Berufsgruppen. Vor den eigentlichen „Machern“ der Produkte, fehlt es also noch dringender an denjenigen, die die Waren auch professionell verkaufen können.
Heiß begehrte Fachverkäufer
Bäckermeister Neulinger kann diese Statistik mit seinen eigenen Erfahrungen bestätigen: Während er bei den Azubi-Bewerbungen auf die Bäckerstellen sogar noch den Vorteil besäße, eine Auswahl treffen zu können, werde die Suche nach geeigneten Fachverkäufern zunehmend schwieriger. Dabei seien sie es, die das Image eines Lebensmittelbetriebs ausmachen. „Mit gut ausgebildeten Verkäufern kann ich mich am Markt behaupten.“ Neulinger schätzt die Ausbildung zum Fachverkäufer. Öfters jedoch fänden sich Quereinsteiger, die laut Neulinger zwar ihre Arbeit gut machten, denen aber manchmal die theoretische Perspektive fehle, wie sie in der Ausbildung gelehrt werde.
„Fachkräftemangel kann dann schnell zur Teufelsspirale werden“, betont Neulinger. Fänden sich nicht genug Arbeitskräfte, müsse die übrige Belegschaft diese Lücke auffangen. Überstunden, Mehrarbeit und damit einhergehende Demotivation seien die Folgen. So könne ein Betrieb schließlich auch weitere Angestellte durch den Personalmangel verlieren.
Das war nicht immer so
Noch in den 70er Jahren hätte es keinen Azubimangel gegeben, so Mandel von der HWK. „Damals gab es einen gewissen Automatismus, dass die Ausbildungssuchenden auf die Betriebe zugegangen sind.“ Die Handwerker hätten sich vergleichsweise wenig Mühe geben müssen, um an Nachwuchs zu gelangen.
Mandel rechnet vor: Rund die Hälfte der Azubis seien an Handwerksbetriebe gefallen und die andere Hälfte an Handelsbetriebe. Während die Studierendenzahlen noch vergleichsweise gering gewesen seien, boomten die Ausbildungsberufe. Statt von einem Auszubildendenmangel, sei sogar teilweise von einem Ausbildungsplatzmangel die Rede gewesen.
Unter anderem steigende Studierenden-Zahlen machen dem Handwerk zu schaffen. Grafik: Nicolai Hackbart, mit Material des bayerischen Landesamtes für Statistik
„Heute suchen sich die Bewerber ihren Betrieb aus“, sagt Mandel. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich. Während manche Betriebe die Azubi-Suche frustriert aufgegeben hätten, wenn sie mehrere Jahre in Folge keinen geeigneten Kandidaten gefunden haben, gebe es auch spitzfindige Handwerker, die mit besonderen Angeboten locken:
Kostenloses Brezen-Abonnement für geeignete Azubis
Seien es übertarifliche Löhne, die Finanzierung des Führerscheins oder günstige Lehrlingswohnungen – die Arbeitgeber sind kreativ geworden, um an geeignetes Personal zu kommen.
Ein besonderes Medienecho erhielt dabei die Bäckerei Mareis aus Niederbayern. Mit ihrem Angebot „Sie empfehlen uns einen Bewerber. Wir versorgen Sie mit Brezen“, hat die Bäckerei ein Kopfgeld in Form eines dreimonatigen Brezen-Abonnements auf geeignete Fachkräfte und Auszubildende ausgeschrieben. Nach eigenen Angaben sei dieser Marketing-Schachzug ein voller Erfolg gewesen. Aber warum müssen Handwerksbetriebe heutzutage überhaupt solche Mühen auf sich nehmen? Bäcker Neulinger hat hierfür gleich zwei Erklärungen:
Das Handwerk hat in den letzten Jahrzehnten sein Image verloren. Zu Unrecht, wie Bäcker Neulinger findet: „Es gibt so viele geile Handwerksberufe. Als Akademiker verdient man möglicherweise mehr Geld, hat weniger Arbeitszeit und leidet nicht unter harter körperlicher Anstrengung – aber dafür ist der Job pfurzlangweilig! Ich stell es mir furchtbar vor, den ganzen Tag vor dem PC zu sitzen.“ Außerdem bedauere Neulinger, dass die handwerklichen Berufe keine Anerkennung mehr in der Gesellschaft fänden.
Gesellen werden noch belächelt und Bäckermeister können die gesellschaftliche Leiter etwas heraufklettern. Aber Zahnärzte oder Juristen seien sofort angesehene Menschen, findet Neulinger. Dabei sei doch Bäcker laut ihm einer der „wichtigsten Berufe auf der Welt.“ Schließlich gäbe es sonst kein frischen Brot auf den Tellern. Genauso wichtig seien Maurer, die Häuser bauen und Schreiner, die einen Schrank bauen können.
Mit Handwerk die Eltern stolz machen
Genau wegen dieses Imageproblems arbeiten Handwerkskammern in Bayern und Deutschland seit Jahren an mehreren Image-Kampagnen. Unter den Namen wie „Das Handwerk“, „Macher gesucht“ und „Elternstolz“, wollen die Initiatoren die traditionellen Handwerkerberufe wieder in ein besseres Licht rücken.
Letztendlich haben auch heute noch die Eltern einen großen Einfluss auf den Bildungsweg der Kinder. Darauf soll vor allem die Kampagne „Elternstolz“ abzielen, erklärt Tobias Mandel. Eltern schicken ihre Kinder lieber auf Gymnasien und Hochschulen, weil die Handwerker-Ausbildung wertlos erscheint.
Mit all diesen Kampagnen soll aber das Gegenteil bewiesen werden: Handwerksberufe können zukunftsträchtig sein, lohnten sich und können deshalb auch genauso gut die Eltern stolz machen. Also auch das Ansehen verdienen, dass Zahnärzte oder Juristen laut Bäckermeister Neulinger erhielten.
Der eigene Konsum bestimmt die Zukunft
Daneben spricht Neulinger ein sehr persönliches Thema an: „Als ich mit meiner Bäckerei vor 20 Jahren angefangen habe, gab es noch etwa 20.000 Betriebe in Deutschland. Heute sind nur noch knapp 11.000 übrig.“ Statistisch gesehen schließt jeden Tag ein Bäckereibetrieb. Schuld daran sei das moderne Konsumverhalten, so Neulinger. Lebensmittel würden einfach und günstig aus industrieller Massenproduktion eingekauft. Damit können kleine Bäckereien mit ihren Preisen nicht konkurrieren. Die scheinbar mit den vom Bäcker identischen Produkte aus dem Supermarkt könnten aber laut Neulinger in Sachen Qualität, Reinheit und Herkunft nicht mithalten.
Das jedoch scheine die wenigsten Käufer zu stören. Neulinger appelliert auch an den Verbraucherschutz, der mehr auf der Seite der billigen Produkte im Supermarkt stünde, als auf der Seite der handgefertigten Bäckereierzeugnisse. Es müsse sich also auch etwas in Sachen Verbraucherschutz und vor allem im eigenen Konsumverhalten ändern, damit die handwerklichen Erzeugnisse wieder höher angesehen werden. Denn auch das werfe wiederum ein schlechtes Licht auf traditionelles Bäckerhandwerk und mache es somit unattraktiv für potenzielle Lehrlinge, resümiert Neulinger.
Ob die Bemühungen um ein besseres Image und um mehr Azubis schon bald Erfolge zeigen können, lässt sich aufgrund vieler unterschiedlicher Faktoren nur schwer einschätzen. Viele Ausbildungsstellen werden wohl auch die nächsten Jahre unbesetzt bleiben. Ludwig Neulinger bleibt aber zuversichtlich: „Ich mache mir für meinen Betrieb keine Sorgen!“