Newsroom im Werk

Wenn Unternehmen Medien machen

von | 6. Dezember 2019

Firmen außerhalb der Medienbranche bauen Newsrooms auf - und werden Medienunternehmen dabei immer ähnlicher.

Auch 2019 kann das Wort Newsroom noch Existenzängste bei Regionaljournalisten hervorrufen: Im Februar verkündeten die Medienhäuser Funke und DuMont, dass Stellen in Mantelredaktionen weiter abgebaut werden sollen. Einer der Gründe: Umstrukturierungsmaßnahmen, die nun auch den Kölner Stadtanzeiger, Express und die Hamburger Morgenpost betreffen. Das Newsroom-Konzept ereilt noch heute Verlagshäuser mit langer Tradition – und ist mittlerweile auch in Unternehmen fernab der Medienbranche angekommen.

Was sind Newsrooms?

Ein Newsroom zentralisiert die Arbeit von Redakteuren aller Bereiche und bringt sie „an einen Tisch”. Das löst die traditionellen Ressortgrenzen auf und führt dazu, dass bei ressortübergreifenden Themen „Reibungsverluste“ kleiner werden. In multimedialen Newsrooms produzieren die Redakteure neben Texten sowohl Bild- und Videomaterial als auch Infografiken. Journalisten- und Arbeitnehmerverbände kritisieren, dass durch die Umstrukturierung Personal abgebaut werde, um Kosten aus dem rückläufigen Werbe- und Anzeigengeschäft zu minimieren.

Auch wenn Newsrooms für Verlagsredakteure schlaflose Nächte bedeuten können, bergen sie für Kommunikation jeder Art viele Vorteile, die nicht nur Zeitungsunternehmen erkannt haben: „Das Konzept des Newsrooms steht wie kein Anderes für agile und effiziente Kommunikationsprozesse“, schreibt Sascha Böhr, CEO und Gründer der Social-Media-Agentur 247Grad, im Blog von diricio.io. Ein Newsroom bringe alle Bereiche von Unternehmenskommunikation und PR über Marketing, Customer Service bis hin zu Social Media zusammen. „So soll die kanal- und branchenübergreifende Zusammenarbeit zwischen den Teams verbessert werden.“

Von Siemens bis Verkehrsministerium

In seinem Blog benennt Sascha Böhr die, aus seiner Sicht, besten Newsrooms in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Auf der Liste sind zwar auch Player der Medienbranche zu finden, zum Beispiel das Redaktionsnetzwerk Deutschland, die Deutsche Presse-Agentur (dpa) oder die Rheinische Post. Den Großteil allerdings machen Unternehmen aus anderen Wirtschaftsbereichen aus, darunter die Deutsche Telekom, die Versicherung Debeka oder der Technologie-Konzern Siemens. Auch das Bundesverkehrsministerium hat es mit seinem 14-köpfigen Presse- und Social-Media-Team in Böhrs Blog geschafft. Die Aufgaben, die Unternehmensredakteure übernehmen, sind denen ihrer Journalistenkollegen sehr ähnlich, nur die Medien sind andere. Während im Axel-Springer-Newsroom Texte, Grafiken und Videos für Bild.de und Welt.de aus einer Hand produziert werden, entstehen im Porsche-Newsroom dieselben Elemente für Social-Media-Kanäle, Geschäftsberichte an Investoren und Pressemitteilungen.

Newsrooms sind, je nach Größe des Unternehmens, in verschiedenen Dimensionen anzutreffen. Die Siemens-Kommunikation wurde bereits 2017 von 70 Redakteuren bespielt. Besonders Transparenz sei damals ein Motiv gewesen, um einen Newsroom zu eröffnen, erläutert Oliver Santen, ehemaliger PR-Chef von Siemens und heute Sprecher des Bankenverbandes, vor zwei Jahren im Deutschlandfunk. „Wir überlegen: Wer arbeitet gerade an welchem Thema? Wie müssen wir darauf reagieren? Wo steht dieses Projekt? Und das ist natürlich in einem offenen Büroraum viel einfacher, als wenn jeder in einem Einzelbüro sitzt.“

Konkurrenten aus anderen Branchen?

Konzepte vernetzter, strategischer Kommunikation haben mittlerweile auch in kleineren mittelständischen Unternehmen Einzug gehalten. „Unser Redaktionsteam sitzt zweimal wöchentlich zusammen, plant die nächsten Tage und Wochen und tauscht sich über neue Themen aus“, berichtet Franziska Liewald, Team Managerin für Corporate Communications bei der Komsa AG, im Interview mit medienMITTWEIDA. Der IT- und Telekommunikationsdienstleister beschäftigt 1.450 Mitarbeiter und hat seinen Sitz im sächsischen Hartmannsdorf. „Neben der Unternehmenskommunikation sind auch Mitarbeiter der Personalabteilung, des Online-Teams und verschiedener anderer Fachbereiche Teil der Redaktion.“ Neben einer Mitarbeiter-App bespielt das Team die Unternehmenswebsite, Social-Media-Kanäle sowie Kundenzeitschriften und eine Mitarbeiterzeitung. Franziska Liewald sagt: „Neben einer starken Online-Präsenz und einer guten Verzahnung von On- und Offlinekommunikation ist auch eine nutzerorientierte Medienausspielung wichtig: Heute wählt der Nutzer, wie und wo er Informationen konsumieren will.“

Und das Angebot wird dabei immer größer. Abgesehen von den rund 1.600 in Deutschland existierenden Publikumszeitschriften posten rund acht Millionen Unternehmen durchschnittlich 4,9 Beiträge pro Woche auf Instagram. Die Frage drängt sich auf: Werden Unternehmen, die sich Newsrooms aufbauen, um im Content-Wettstreit zu bestehen, zur Konkurrenz für klassische Medienunternehmen?

Publikumszeitschriften vs. Kundenmagazine

Platz eins und zwei der aktuell reichweitenstärksten Zeitschriften und Zeitungen sind nach Zahlen des Allensbacher Instituts nicht die Bild oder der Spiegel, sondern die Apothekenumschau A und B mit insgesamt rund 26 Millionen Lesern. Und auch in Sachen Optik und Inhalt stehen Kundenzeitschriften, wie mobil der Deutschen Bahn, klassischen Publikumszeitschriften auf den ersten Blick in wenig nach: Interviews mit Prominenten neben Politik-, Gesellschafts- und Lifestylethemen. Für den Medienwissenschaftler Lutz Frühbrodt von der Universität Würzburg eine klare Strategie: „Letzten Endes geht es darum, das Unternehmen als offen, liberal und ökologisch hinstellen, was bei den Kunden gut ankommt“, erklärt er im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Das räumt auch Franziska Liewald ein: Eine, auch auf externe Leser bezogene, Mitarbeiterzeitung hätte den Effekt, dass wir als Unternehmensgruppe zeigen können, was Komsa-Mitarbeiter leisten. Außerdem lassen sich unsere Leistungen dann emotionalisierend verpacken, womit wir bei den Lesern ein Partnerschaftsgefühl erzeugen.“

Ein Problem, das Zeitschriftenverleger umtreibt, spielt den Newsroom-Unternehmen mit Kundenzeitschriften in die Hände. Zwar legen 94 Prozent der Deutschen nach Angaben des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger Wert auf qualitativ hochwertigen Journalismus, aber nur 49 Prozent sind laut Media Innovation Report der Initiative nextMedia.Hamburg dazu bereit, für ihn zu bezahlen. Da Kundenzeitschriften in der Regel kostenlos sind, ist der Griff nach diesen, vermeintlich nach Journalismus aussehenden Magazinen, eine nachvollziehbare Reaktion. Die Ironie des Schicksals: Kundenmagazine sind so professionell, weil sie von Profis gelernt haben. Zeitschriftenverlage wie Gruner+Jahr bieten Unternehmen Unterstützung beim Content Marketing an. Mobil wird beispielsweise vom Gruner+Jahr-Tochterunternehmen Gruner+Jahr Electronic Media Sales für die Deutsche Bahn in einer kostenlosen Auflage von etwa 490.000 Stück verlegt. Zwar stellen Verleger ihr Geschäftsmodell mit dieser Dienstleistung auf stabilere Füße, aber im Kampf um die Leserschaft hat sich Gruner+Jahr einen Konkurrenten ins Haus geholt, was an den Auflagen der eigenen Magazine zu sehen ist: Die verkaufte Auflage des Stern hat sich den vergangenen vier Jahren von etwa 750.000 auf 480.000 Stück verkleinert.

Red Bull regional

Lineares Fernsehen ist für Werbetreibende ebenfalls kein Zukunftsmarkt mehr, diese Erkenntnis ist in Zeiten von Streaming nicht mehr neu. Aktuell liegt der Anteil derjenigen Deutschen, die regelmäßig fernsehen, nach Untersuchungen der GfK bei etwa 70 Prozent. Das ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass sich deutsche Unternehmen kaum um eigene Fernsehsender bemühen. Im Nachbarland Österreich hingegen hat sich der Limonadenproduzent Red Bull im Jahr 2009 beim  Regionalsender Salzburg TV eingekauft und Servus TV daraus gemacht.

Neben eigen produzierten Talk-Shows und Naturdokumentationen hat sich der Sender vor allem auf Sportübertragungen und Extremsportevents, wie dem Rekord-Weltraumsprung von Felix Baumgartner 2012, spezialisiert. Dabei immer gut zu sehen: das Red BullLogo.

„Unser Hauptziel ist Qualität”, erklärt Programmchef Ferdinand Wegscheider im Interview mit dem Horizont. „Wir wollen zeigen, dass sich Quote und Qualität nicht ausschließen.” Auch wenn Servus TV auf dem österreichischen TV-Markt, der stark vom öffentlich-rechtlichen Sender ORF geprägt ist, nur 2,8 Prozent ausmacht, konnte der Regionalsender seine Marktanteile über die vergangenen Jahre stetig steigern.

„Wir wollen die wichtigen journalistischen Debatten prägen”

Auch online ist der unternehmensgetriebene Journalismus kaum zu stoppen. So zu sehen bei t-online. Die Newsplattform hat laut Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung (AGOF) die größte Nettoreichweite unter den Unique Usern. Im Oktober hatte das Portal etwa 28 Millionen einmalige Zugriffe. Die Plattform, die seit 2015 dem Werbeunternehmen Ströer Media gehört, versucht, journalistisch zu sein, und zwar mit Profi-Personal. T-online-Chefredakteur Florian Harms, vorher Chefredakteur von Spiegel online, hat bereits 2017 mehrere Redakteure des Spiegels an Board geholt und eine Journalismusoffensive gestartet.

„Wir wollen die wichtigen journalistischen Debatten prägen”, sagt Harms im Gespräch mit dem Medienmagazin journalist und verspricht gleichzeitig transparentes Trennen von Bericht und Meinung. Trotz guter Vorsätze in dieser Beziehung, gelingt eine andere Anforderung an unabhängigen Journalismus nicht: Die Trennung zwischen Journalismus und Werbung. Direkt über den Ressorts, wie Politik oder Wirtschaft, gelangt man als User mit nur einem Klick auf Angebote und Tarife der Deutschen Telekom.

Florian Harms’ Ziel ist klar: „T-online soll eine führende publizistische Stimme bekommen, an der kein Weg vorbeiführt.” Davor warnt der Medienwissenschaftler Lutz Frühbrodt im Interview mit ZAPP. Unternehmensjournalismus sei eben kein Journalismus, sondern Content Marketing: „Mit klassischen Anzeigen erreichen Unternehmen ihre Kunde nicht mehr, deshalb versuchen es Unternehmen auf eine andere Art und Weise.” Der Journalismus lebe von Unabhängigkeit, doch Nutzer beschäftigen sich nicht regelmäßig mit dem Unterschied zwischen PR und Journalismus, so Frühbrodt. „Diese Medien greifen wegen dieser verwässerten Grenze ebenfalls in den Meinungsbildungsprozess ein.“ Der durchschnittliche Leser nehme dann die Vermengung zwischen Content Marketing und Journalismus kaum wahr.

Text: Paul Haubold, Grafik: Verena Sack

<h3>Paul Haubold</h3>

Paul Haubold

ist 20 Jahre alt, studiert Medienmanagement und leitet seit Semesterstart das Ressort Media. Außerdem ist er Volontär an der Mitteldeutschen Journalistenschule und Redakteur des Journalismus-Startups light up! News. Neben seiner journalistischen Arbeit ist Paul Haubold als Werkstudent für Pressearbeit beim ITK-Dienstleister Komsa tätig.