Corona und Depression

Gefangen und verzweifelt

von | 21. Mai 2021

Zwischen PCR Test und Selbstmordgedanken, wie Depressive eine Quarantäne wahrnehmen.

Es ist ein Freitag als Katjas* Freund mit schlechten Nachrichten nach Hause kommt. Er hatte einen Schnelltest gemacht, weil er sich nicht gut fühlte. Eine halbe Stunde später kommt dann der Anruf: Das Ergebnis ist positiv. Die beiden steigen schnell ins Auto und fahren zum Testzentrum, um einen PCR-Test zu machen. Während der ganzen Fahrt hofft Katja inständig, dass wenigstens dieser negativ ausfällt. „Bitte, bitte lieber Gott, lass uns kein Corona haben”, denkt sie. „Zwei Wochen Quarantäne schaffe ich psychisch nicht.” Ähnlich wie Katja geht es auch vielen anderen Deutschen. Laut der Stiftung der Deutschen Depressionshilfe leiden 11,3 Prozent der Frauen und 5,1 Prozent der Männer in Deutschland an einer Depression. Die Pandemie stellt für Betroffene eine neue Herausforderung dar. Wie diese die Corona-Zeit und insbesondere die häusliche Isolation erleben, geht dabei im öffentlichen Diskurs häufig unter. Katja leidet seit ihrem 17. Lebensjahr an Depressionen und musste das  durchmachen, wovor sie sich seit März 2020 fürchtete – eine zweiwöchige Quarantäne.

Studie der Deutschen Depressionshilfe
Die hier aufgeführte Studie ist das vierte „Deutschland-Barometer Depression“ der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Die repräsentative Befragung untersuchte Einstellungen und Erfahrungen zur Depression in der Bevölkerung. Befragt wurden 5.178 Personen im Alter zwischen 18 und 69 Jahren aus einem repräsentativen Online-Panel im Juni/Juli 2020.

Wenn die Befürchtung wahr wird

Als klar war, dass beide Corona haben, fing Katja an zu weinen. Sehr zugesetzt hat ihr die Erkenntnis, dass sie auf Hilfe anderer angewiesen ist, um Nahrung oder die verschriebene Medizin zu bekommen – Erledigungen, die eigentlich alltäglich sind. „Dazu kommt, dass der Planungsaspekt länger ist, als bei einer schnellen Hilfe im Alltag. Fragen wie: ‚Wer würde dir helfen?ˋ,Wann hat wer wie Zeit?`, ‚Wer hat Zeit, wenn deine erste Wahl nicht kannˋ oder ‚Was kannst du den Leuten zumuten?ˋ müssen im Vorhinein akribisch geklärt werden und gegebenenfalls auch nochmals überdacht werden”, erzählt Katja. Schon der bloße Gedanke an diese Situationen weckt in ihr den Wunsch, sich im Bett zu verkriechen und es die restlichen zwei Wochen nicht mehr zu verlassen.

Katja zeigt für einen depressiven Menschen typische Verhaltensmuster, denn von der Krankheit Betroffene nehmen negative Aspekte des Lebens häufig stärker wahr und rücken diese ins Zentrum ihrer Gedanken. Das trifft  auch auf die Corona-Pandemie zu. Denn für jemanden der ungewisse Entwicklungen als massives Problem auffasst, ist eine weltweite Pandemie noch schwerer zu verkraften als für psychisch gesunde Menschen. Laut einer Studie der Stiftung der Deutschen Depressionshilfe empfanden 74 % der Menschen mit Depression den ersten Lockdown als belastend, während es in der Gesamtbevölkerung nur 59 % waren. „Corona hat die Tagesstruktur auch ohne Quarantäne verändert. Muss ein Betroffener zusätzlich noch in häusliche Isolation, fallen Tätigkeiten weg, die zu einem kleinen Erfolgsgefühl beitragen. Das können ganz banale Sachen sein, wie spazieren oder einkaufen gehen”, erklärte Herr Vinzenz vom Chemnitzer Verein ViP, welcher sich für die Integration psychisch Erkrankter einsetzt. Das Entziehen solcher kleinen Tageserfolge könne zur Folge haben, dass sich depressive Episoden verschlechtern oder dass neue Symptome dazu kämen.”

Verloren im Nichts

Der erste und einzige gute Tag folgte nach der Hiobsbotschaft. „Nachdem ich alles verarbeiten konnte, habe ich versucht das Positive an der Situation zu sehen”, sagt Katja. „Ich konnte meinen Tag nicht mit Unmengen an Terminen füllen, sondern war gezwungen, einen Gang zurückzuschalten und etwas herunterzukommen.” Das änderte sich jedoch schon einige Tage später. Der erste Tiefschlag kam, als sie nicht zu ihrer wöchentlichen Therapiesitzung gehen konnte. „Die Therapie hilft mir immer, Erlebtes richtig zu verarbeiten und zu filtern. Gerade in dieser neuen Situation hätte ich gerne meine Therapeutin zur Seite gehabt. Doch leider war es auch nicht möglich, den Termin digital wahrzunehmen.” So verlor sich die 25-Jährige immer mehr in einem schwarzen Loch, denn auch der nächste Termin musste entfallen. „Ich fühlte mich ausgebrannt. Mein Körper war schwach. Zu Hause hatte ich keinen Rückzugsort und mit meinen Gefühlen kam ich auch nicht mehr zurecht.” In der einen Sekunde sei sie wütend auf alles und jeden gewesen und in der nächsten habe sie bitterlich geweint. Sie sei an den Punkt gekommen, wo sie nichts dagegen gehabt hätte, tot umzufallen: „Ich war fertig. Mir war es auch egal, dass die Quarantäne in vier Tagen geschafft war. Ich war einfach fertig.” Wie bei Katja hat sich auch bei anderen psychisch erkrankten Menschen durch die Corona-Maßnahmen die notwendige therapeutische Betreuung verschlechtert. Laut der Stiftung der Deutschen Depressionshilfe berichten 48 Prozent der Betroffenen von Therapieausfällen. Auch geplante Klinikaufenthalte fielen bei jedem zehnten Betroffenen aus. Weitere 13 Prozent der Betroffenen berichten, dass sie ihre Termine aus Angst vor Ansteckung abgesagt haben.

Prof. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe schätzt diese Entwicklung wie folgt ein: „Depression ist eine schwere, oft lebensbedrohliche und dringend behandlungsbedürftige Erkrankung. Hochgerechnet auf die Bevölkerung in Deutschland haben mehr als zwei Millionen Erkrankte eine Einschränkung ihrer medizinischen Versorgung mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen durch die Corona-Maßnahmen erlebt.” Nur bei Beachtung dieser negativen Folgen könne die richtige Balance gefunden werden – eine Balance zwischen Leid und Tod, die durch die Corona-Maßnahmen einerseits möglicherweise verhindert und andererseits konkret verursacht würden

Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen

  • Anzahl der Patienten die von ausgefallenen Terminen bei Fachärzten oder Psychotherapeuten berichten 48% 48%
  • Anzahl der Patienten die berichten Termine aus Angst vor Ansteckung abgesagt zu haben 13% 13%
  • Anzahl der Patienten bei denen ein geplanter Klinikaufenthalt nicht stattfinden konnte 9% 9%

Die Versorgung von psychisch erkrankten Personen verschlechterte sich während der Pandemie –  https://www.deutsche-depressionshilfe.de/presse-und-pr/downloads

Die Regierung weiß um diese Problematik, weswegen sie versucht der Versorgungslücke entgegenzuwirken. Im Frühjahr 2020 wurde Ärzten und Psychotherapeuten die Möglichkeit eingeräumt, Videosprechstunden oder telefonische Behandlungen bei den Krankenkassen abzurechnen. Diese Angebote nahmen allerdings nur 14 Prozent der Betroffenen in Anspruch, jedoch mit einer hohen Zufriedenheitsquote. So waren 82 Prozent der Patienten mit der Telefonsprechstunde zufrieden und 85 Prozent mit der Videosprechstunde, erklärte die Stiftung Deutsche-Depressionshilfe.

Zufriedenheit bei Online-Programmen

  • Zufriedenheit mit der Videosprechstunde 85% 85%
  • Zufriedenheit mit der Telefonsprechstunde 82% 82%

Videosprechstunden und Telefonsprechstunden erfreuen sich einer hohen Zufriedenheitsquote. – https://www.deutsche-depressionshilfe.de/presse-und-pr/downloads

„Dass nicht jeder Patient dieses Angebot in Anspruch nimmt, kann daran liegen, dass nicht jeder die technischen Voraussetzungen hat, um an einer digitalen Sitzung teilzunehmen”, erläuterte Herr Vicenz vom ViP e.V. in Chemnitz. „Ein weiterer Grund kann sein, dass Betroffene durch die ganzen Einschränkungen nicht die Kraft haben, die Hilfe anzunehmen.”

Alte neue Freiheit

Während des ersten Einkaufs nach der Quarantäne bemerkte Katja eine Veränderung an sich, die sie so vorher noch nie verspürt hatte: eine starke Abneigung gegen andere Einkäufer. Ihr wurde in diesem Moment erst so richtig klar, wie viele Personen sich nur halbherzig oder gar nicht an die Maskenpflicht halten. Sie sah einige Menschen ohne Maske im Geschäft, andere trugen sie nur unterhalb der Nase. „Ich war wütend. Nachdem ich selbst spüren musste, wie schwer und anstrengend eine solche Isolation ist und wie stark die Symptome ausfallen können, hatte ich noch weniger Verständnis für den Egoismus, den manche an den Tag legen”, schildert sie. Mittlerweile liegt Katjas Quarantäne einige Wochen zurück. Die ersten Termine und Verpflichtungen nahm sie wieder wie gewohnt wahr. Was Familie und Freunde angeht, hält sie sich jedoch noch zurück. „Während den Terminen trägt man ja eine Maske. Das heißt, das Risiko zu erkranken ist gering. Doch bei Freunden und Familie sitzt du nicht mit einer Maske da”, erklärt sie. Ihre Angst, jemanden anzustecken oder vielleicht selbst nochmal angesteckt zu werden, sei noch sehr stark: „Mir ist bewusst, dass Ich jetzt für ein paar Wochen immun bin, aber der Angst sind die Fakten egal. Ich will einfach weder mich noch andere in Gefahr bringen.” Die Unsicherheit, welche Katja empfindet, ist nichts Ungewöhnliches.  „Durch wochenlange Isolation können sich die Symptome einer Depression natürlich verschlimmert haben, was zur Überforderung führt, sobald die Betroffenen wieder raus dürfen”, erläutert Vincenz. „Um dem vorzubeugen, muss das bereits vorhandene Angebot verbessert werden. Zum Beispiel, indem man den Anlaufstellen für psychisch Erkrankte einige technische Leihgeräte zur Verfügung stellt.” Diese könnten an Patienten gegeben werden, welche sich solche privat nicht leisten können.

Zufriedenheit mit Online-Programmen im Jahr 2017

  • Akzeptanz von Online-Programmen 45% 45%
  • Bedenken aufgrund des Datenschutzes 70% 70%

Zufriedenheit mit Online-Programmen im Jahr 2020

  • Akzeptanz von Online-Programmen 55% 55%
  • Bedenken aufgrund des Datenschutzes 55% 55%

Seit 2017 stieg die Akzeptanz bei Betroffenen an digitalen Programmen teilzunehmen. – https://www.deutsche-depressionshilfe.de/presse-und-pr/downloads

Tatsächlich steigt die Akzeptanz digitaler Angebote. Beim ersten Deutschland-Barometer Depression im Jahr 2017 konnten sich 40 Prozent der depressiv Erkrankten Online-Programme als hilfreiche Unterstützung vorstellen. Mittlerweile können sich 55 Prozent der Betroffenen vorstellen, Online-Programme in Anspruch zu nehmen. Auch die Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes nahmen in den letzten Jahren ab. Die Zahl sank von 70 Prozent auf 55 Prozent. Auch Katja hätte sich gewünscht gehabt das digitale Angebot in Anspruch zu nehmen. Denn sie habe sich noch nicht ganz von der psychischen Belastung der Quarantäne erholt. „Jegliches digitales Angebot hätte mir geholfen, mit der neuen Situation irgendwie zurechtzukommen. So habe ich nun das Gefühl auf ewig gebrochen zu sein.” Katja gehe zwar wieder zur Therapie, wo sie versucht alles aufzuarbeiten, doch noch sei sie weiterhin an dem Punkt, wo sie bereit wäre tot umzufallen. Katja gibt jedoch nicht auf – für sich und auch für ihre Familie.

*Name wurde geändert

Text: Fatima Maged Titelbild: Fatima Maged
<h3>Fatima Maged</h3>

Fatima Maged

ist 25 Jahre alt und studiert im 4. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Seit dem Wintersemester 2020/21 ist sie Redakteurin bei medienMITTWEIDA.