Dürren, Flutwellen, aussterbende Artenvielfalt in der Flora und Fauna. Eine Aufzählung, welche nicht mehr nur eine fiktionale Lebensumwelt in den Gesellschaftsromanen von Maja Lunde und anderen Bestsellerautoren darstellt. Längst sind diese ökologischen und ökonomischen Negativtrends zur Realität geworden. Ein Umstand, den Klimaschutzorganisationen wie Fridays For Future und weitere Bürger aus Deutschland, Bangladesch und Nepal zum Anlass nahmen, vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu ziehen. Dort klagten sie gegen das bestehende Klimaschutzgesetz, das seit 2019 in Deutschland gilt. Da sie ihre Zukunft und Existenzen bedroht sehen, fordern sie in ihrer Klage, dass Deutschland mehr für das Klima tun muss. Das Klimaschutzgesetz reiche in den bisher gesetzten Punkten nicht aus, da die Maßnahmen nur bis 2030 gelten und die Verantwortung auf spätere Generationen abgewälzt werden würde. Das Bundesverfassungsgericht gab den Klägern in einigen Punkten Recht. Ein historisches Urteil, wie es in zahlreichen Medien betitelt wird.
Zur Erinnerung – das Bundesklimaschutzgesetz bezieht sich auf das Pariser Abkommen, welches im Dezember 2015 bei der internationalen Klimakonferenz beschlossen wurde. Nach jahrelangen Verhandlungen verpflichteten sich 159 Staaten, die Weltwirtschaft auf klimafreundliche Weise zu verändern und Emissionen zu senken, sodass die Erderwärmung gebremst wird. Zudem sollen Entwicklungsländer finanziell und technologisch unterstützt werden. Mit der Ratifizierung, also der Anerkennung des zuvor unterzeichneten Abkommens, verpflichteten sich die Staaten Maßnahmen zur Erreichung der Ziele zu ergreifen. Die jeweiligen nationalen Klimaschutzziele wurden von den einzelnen Staaten selbst bestimmt. So auch im Bundesklimaschutzgesetz in Deutschland, gegen welches geklagt wurde. „Das Klimaschutzgesetz verletzt die Freiheitsrechte von Menschen, weil es nicht dazu geeignet ist Klimaschäden für kommende Generationen abzuwenden“, erklärte Franziska Heß, eine der Anwälte, welche bereits 2018 eine der Klimaklagen beim Bundesverfassungsgericht einreichte, gegenüber der Zeit. Damit spricht sie den Diskurs der Generationengerechtigkeit an. Doch was verbirgt sich überhaupt hinter diesem Begriff?
Der Elefant im Porzellanladen
Generationengerechtigkeit. Ein Begriff, der sich mit den ungleichen Lebensbedingungen verschiedener Akteure auseinandersetzt. Oftmals werden damit die Unterschiede in den jungen und älteren Generationen gemeint, aber eben nicht nur. Sie zieht die Schneise der Gerechtigkeit auch zwischen ärmeren und reicheren Gesellschaftsschichten innerhalb einer Generation. Außerdem wird zwischen den Geschlechtern oder der Herkunft unterschieden, zwischen Ländern, die den Klimawandel befördert haben und denen, die bereits mit den Folgen zu kämpfen haben.
Häufig wird der Begriff der Generationengerechtigkeit auf drei Ebenen betrachtet. Die erste Ebene meint die Gerechtigkeit zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Generationen, die zweite zielt auf die gerechte Verteilung der Lebenschancen und Lebensqualität ab und die dritte Ebene umfasst schließlich die Zukunftsfähigkeit des sozialen Sicherungssystems.
Die Ebenen der Generationengerechtigkeit
- Gerechtigkeit zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Generationen:
- Zentraler Aspekt der Nachhaltigkeitsdebatte
- Umfasst die Gerechtigkeit zwischen Jung und Alt, heutiger und künftiger Generationen, aber auch Gerechtigkeit zwischen Akteuren einer gemeinsamen Generation
- Gerechte Verteilung der Lebenschancen und -qualität:
- Zwischen den Generationen sollten Chancen, materielle Ressourcen etc. fair verteilt werden
- Die Freiheit der einzelnen Generationen ist insoweit begrenzt, dass sie die Verantwortung für die Existenz nachfolgender Generationen tragen
- Zukunftsfähigkeit des sozialen Sicherungssystems:
- Hauptaugenmerk im sozialen Sektor
- Themenfelder, wie zum Beispiel die gesetzliche Rentenversicherung werden hier behandelt
Was bei der Betrachtung nicht außer Acht gelassen werden darf, ist die meist ungewollte Ungleichbehandlung der Personen. Generationengerechtigkeit ist ein Idealzustand. Im Jahr 2019 erzielte Deutschland mit einem Indexwert von 6,64 Punkten Platz zehn im Index für soziale Gerechtigkeit unter den Mitgliedsländern der Europäischen Union (EU) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Mit dem Social Justice Index untersucht die Bertelsmann Stiftung jährlich die soziale Gerechtigkeit in Industriestaaten anhand von 46 Kriterien in sechs Kategorien: Armutsvermeidung, Arbeitsmarkt, Bildung, Gesundheit, Nicht-Diskriminierung und Generationengerechtigkeit. Das Konzept der Generationengerechtigkeit findet sich immer öfter im Zusammenhang mit politisch relevanten Themen, insbesondere auch dem Klimawandel wieder. Schon jetzt wird der Begriff in einem Atemzug mit Nachhaltigkeit und Umweltschutz genannt. Ein Jahr ist es nun her, dass die Generationen-Stiftung mit der Kampagne „Generationen-Rettungsschirm“ Aufsehen erregte. Junge Umweltaktivisten spannten in Berlin vor dem Kanzleramt wortwörtlich zahlreiche orangefarbene Schirme auf, um ein Zeichen zu setzen. Durch die Corona-Pandemie und den damit einhergehenden milliardenschweren Konjunkturpaketen, Unternehmenshilfen und der Aufweichung von Klimazielen, fürchten sie eine Zukunft mit wachsenden Schuldenbergen und schmelzenden Eisbergen. „Wir leiden unter den Entscheidungen der älteren Generationen im Bundestag, sie entscheiden komplett gegen unser Leben“, sagt Rifka Lambrecht, eine der Rednerinnen an diesem Tag.
Die aktuellen Beschlüsse des Bundesverfassungsgericht, haben dem Thema abermals neuen Aufwind gegeben und vermehrt zu Debatten angeregt. So gaben die Richter den Klägern recht, dass das Bundesklimaschutzgesetz in einigen Teilen gegen das Grundgesetz verstößt. In der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgericht heißt es: „Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden sind durch die angegriffenen Bestimmungen aber in ihren Freiheitsrechten verletzt. Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030.“ In dem bisher vorliegenden Klimaschutzgesetz fehlten die Maßnahmen für den Zeitraum nach 2030. Um die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen, müssten die zukünftigen Generationen immer schärfere Maßnahmen treffen und dies würde Einschränkungen in jeglichen Lebensbereichen bedeuten. Das Gericht argumentiert mit dem Artikel 20a des Grundgesetzes. Darin heißt es: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ In ihrem Beschluss verpflichten die Richter nun den Gesetzgeber, bis Ende kommenden Jahres das Bundesklimaschutzgesetz insoweit anzupassen, dass Maßnahmen auch für die Zeit nach 2030 aufgestellt werden.
Politischer Diskurs, Wahlkampf und neue Regelungen
Bereits wenige Stunden nach Erscheinen der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts überschlugen sich die Medien. Politiker begrüßten den Beschluss, was eine gewisse Ironie nicht entbehrt. Neuerungen des Klimaschutzgesetzes und die geforderte Klimaneutralität werden zu Wahlkampfthemen. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) veröffentlichte bereits erste Entwürfe des neuen Klimaschutzgesetzes. „Die Bundesregierung will mit dem novellierten Klimaschutzgesetz nicht nur mehr Generationengerechtigkeit, sondern auch mehr Planungssicherheit schaffen“, heißt es auch auf der offiziellen Website der Bundesregierung.
Das neue Klimaschutzgesetz enthält ehrgeizige Klimaziele, verbindliche Emissionshöchstmengen und Treibhausgasneutralität. Bis 2030 sollen gegenüber 1990 mindestens 65 Prozent Treibhausgase eingespart werden, anstelle der früher festgelegten 55 Prozent. Im Jahr 2040 sollen bereits 88 Prozent erreicht werden. Zudem darf Deutschland 2045 nur noch so viele Treibhausgase emittieren, wie durch die Einbindung von Kohlenstoff zum Beispiel in Wäldern wieder abgebaut werden können, heißt es auf der Webseite des BMU. Nach dem Beschluss durch das Bundesverfassungsgericht, wird nun nach einem Konsens gesucht. In der Koalition gibt es verschiedene Auffassungen, mit welchen Instrumenten die Ziele umgesetzt werden sollten. Die Vorschläge reichen von einem beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien, über eine Preiserhöhung bei Heizöl. Sie machen jedoch Gesetzesänderungen notwendig, welche wohl Aufgabe der neuen Regierung ab Herbst werden wird. Inwieweit die Klimaziele erreicht werden können, wird vermutlich nur die Zukunft zeigen. Jedoch wurden die Weichen gestellt – auf dem Weg zur Klimaneutralität.