Street Food Festival in Dresden: Es brutzelt und zischt, als der junge Mann zwei große Heuschrecken mit der Zange aus der Pfanne in die Pappschale legt. Die herausstechenden Augen und Fühler sind noch deutlich zu sehen. Serviert werden die gebratenen Krabbeltiere mit Schokoladensoße. Nach leichtem Unbehagen folgt der erste Bissen. Die Heuschrecken schmecken zunächst ungewöhnlich und sind trocken — ähnlich wie knusprige Chips. Nach zwei weiteren Bissen stellt sich jedoch heraus: Die gebratenen Krabbeltiere schmecken besser als erwartet.
Ein Insekten-Snack wie dieser ist in Deutschland bisher noch eine Rarität. Doch in welchen Ländern ist das Essen von Insekten bereits Normalität und was steckt hinter dieser Ernährungsform?
Entomophagie: Speiseinsekten sind für Milliarden Menschen Alltag
Entomophagie beschreibt den Verzehr von Insekten durch Menschen. Für viele europäische Ohren mag sich diese Ernährungsform zunächst eher ungewöhnlich anhören. Mit dem Blick auf andere Länder wird jedoch deutlich, dass die Entomophagie weitverbreitet ist: Laut der Ernährung- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) dienen Insekten bereits für zwei Milliarden Menschen als Nahrungsquelle.
Ob als Insekten-Pasta, Riegel oder Mehl verarbeitet, die Vielfalt der Speiseinsekten ist groß. Auf dem Markt existieren rund 2000 essbare Insektenarten. Darunter zählen insbesondere Käfer, Bienen, Raupen, Ameisen, Heuschrecken, Wespen, Mehlwürmer und Grillen. So gelten in Südostasien, vor allem in China oder Thailand, frittierte Schaben, Zikaden und Wasserkäfer sowie Omeletts mit roten Ameisen längst als Delikatesse. In Mexiko hingegen sind Libellen mit Chilischoten und Zitrone, Grillen mit Schokolade und Tarantel-Tacos Teil der landestypischen Küche.
Zuchtinsekten als Proteinquelle für Mensch und Tier
Doch welche Vorteile bringt die Entomophagie überhaupt? Zum einen punkten die Krabbeltiere mit ihren Nährstoffen: Mehlwürmer, Heuschrecken und Co gelten aufgrund ihres hohen Proteingehalts als eine gute Alternative zu fleischhaltigen Produkten. So stecken in 100 Gramm Mehlwürmern beispielsweise 45,1 Gramm Eiweiß, bei Heimchen sind es sogar 65,5 Gramm. Zum Vergleich, ein gegrilltes mageres Rindersteak enthält pro 100 Gramm etwa 23 Gramm Eiweiß, bei Hühnerfleisch sind es rund 24 Gramm. Außerdem sind Speiseinsekten eine hervorragende Quelle von B-Vitaminen, Omega-3-Fettsäuren sowie wichtigen Mikronährstoffen wie Kupfer, Magnesium, Eisen und Zink.
Die Nachhaltigkeit essbarer Insekten
Im Gegensatz zu der Tierzucht hat die Insektenzucht kaum negative Auswirkungen auf die Umwelt. Laut der FAO werden für die Gewinnung des Insektenproteins vergleichsweise wenig Wasser und Futter benötigt sowie weniger Treibhausgase ausgestoßen. So sollen Schweine bis zu 100 Mal mehr Treibhausgas-Emissionen je Kilogramm produzieren als Mehlwürmer. Darüber hinaus werden der FAO zufolge Insekten auch in der Tierfütterung als nachhaltige Alternative zu Sojabohnen eingesetzt, um die Nutztiere mit Proteinen zu versorgen.
Auch als Maßnahme zur steigenden Weltbevölkerung können Speiseinsekten dienen. Schätzungen zufolge werden im Jahr 2030 bereits über acht Milliarden Menschen auf der Erde leben. Hier könnten Insekten dank ihrer schnellen Vermehrung und landunabhängigen Produktion ebenso neue Chancen eröffnen, um den steigenden Bedarf an eiweißreicher Nahrung zu decken.
Insekten auf dem deutschen Speiseplan?
Wie sieht die Faktenlage derzeit in Deutschland aus? Haben es Insekten-Produkte in den deutschen Einzelhandel geschafft? Seit 2018 ist der Verkauf von Speiseinsekten in der Europäischen Union geregelt. Bisher haben sich die Speiseinsekten jedoch noch nicht in den deutschen Supermärkten und Restaurants durchsetzen können. Im Oktober 2020 veröffentlichte die Verbraucherzentrale ihren erstmaligen Marktcheck zum Thema „Insekten essen”, welcher zeigte, dass in deutschen Supermärkten kaum Insekten-Produkte angeboten werden. Insgesamt konnten die Verbraucherschützer nur 32 Produkte im stationären Handel ausfindig machen.
Können sich die Deutschen denn überhaupt vorstellen, Insekten zu essen? Laut einer Umfrage des britischen Meinung- und Forschungsinstituts YouGov von 2021 liegt die Konsumbereitschaft von Speiseinsekten in der deutschen Bevölkerung bei 13 Prozent. Die Studie zeigte ebenfalls, dass vorwiegend jüngere Menschen bereit sind, den Insektenverzehr zu akzeptieren. Während sich 18 Prozent der 18- bis 24-jährigen Befragten den Konsum vorstellen können, waren es bei den 55-jährigen lediglich zehn Prozent.
Ein Grund dafür ist der schlechte Ruf der Insekten: In Deutschland verbinden viele Menschen die Krabbeltiere mit Ekel statt Genuss. Verbraucherbefragungen wie die Umfrage des Bundesinstituts für Risikobewertung von 2019 ergaben, dass nur 14 Prozent der Deutschen schon einmal Insekten gegessen haben, vorrangig im Ausland. Als Grund für die Ablehnung gaben 46 Prozent der Befragten die individuelle Ekelbarriere an. Auch Bedenken bezüglich der Hygiene- und Verträglichkeit spielten für 15 Prozent der Teilnehmer eine Rolle. 13 Prozent der Befragten hingegen empfanden den Gedanken, Insekten zu essen, als zu ungewöhnlich.
Zukunftsfähigkeit in Deutschland
Sind Speiseinsekten angesichts dieser Faktenlage hierzulande zukunftsfähig? Trotz der vorherrschenden Skepsis ergab eine Studie des Forsa Ernährungsreportes 2019/2020, dass sich 50 Prozent der 14- bis 29-jährigen den Konsum als Maßnahme vorstellen können, um die Weltbevölkerung in der Zukunft zu versorgen. Auch hier wird wieder deutlich, dass insbesondere jüngere Menschen dem Thema aufgeschlossener gegenübertreten.
Die Vorteile der Speiseinsekten sprechen dafür, dass sie zukünftig in Deutschland eine größere Rolle spielen werden. Dennoch sind noch einige Aspekte ungeklärt, wie etwa das Thema Tierwohl. Bisher werden die Krabbeltiere aus anderen Ländern beispielsweise den Niederlanden, Frankreich, Kanada oder Thailand nach Deutschland importiert. Würden sich Speiseinsekten auch hierzulande etablieren, gelten sie nach der aktuellen Tierschutzverordnung als Nutztiere. In diesem Fall müsste sich an die Vorschriften zur Tierhaltung und -gesundheit gehalten werden. Die FAO weist hier auf weiteren Forschungs- und Entwicklungsbedarf hin, wie beispielsweise die Entwicklung von rechtlichen Rahmenbedingungen für die Insektenproduktion und den Handel.
Positive Geschmackserfahrungen können helfen, Ekelgefühl zu überwinden
Um die Abneigung gegenüber Speiseinsekten in der Bevölkerung zu mindern, rät das Bundeszentrum für Ernährung und Deutschland Folgendes: „Aufklärung und Bildung können solch einem Gefühl bekanntermaßen nur wenig entgegensetzen. Überwunden werden könnte der Ekel durch positive Geschmackserfahrungen, etwa bei einer Insekten-Verkostung.“
Vor allem sind verarbeitete Insekten beispielsweise in Form von Mehl oder Riegeln besser für den Einstieg geeignet als die toten Krabbeltiere in Lebensgröße. Wer sich einmal an Speiseinsekten herantrauen möchte, findet im Internet zahlreiche Rezeptideen sowie Online-Shops mit einer Vielfalt an Produkten aus Insekten. Aber auch auf Food-Festivals können neugierige Menschen die exotischen Delikatessen probieren.