Tolle Körper, schöne, leicht bekleidete Frauen, eine Menge Männlichkeit und Testosteron, durch welche die Welt gerettet wird. Das ist der Inbegriff des Male Gaze und prägt die filmische Popkultur. Die Gründe dahinter sind unterschiedlich und unter anderem auf die Geschlechterverteilung vor und hinter der Kamera zurückzuführen. Oft sind Frauen in den Filmen die sexy Accessoires mit weniger Redeanteil. Die Frage ist: Dient ersteres essenziell der Handlung oder der Begierde?
Patriarchat vs. individuelle Selbstverwirklichung
Die westliche Darstellung der Frau in Filmen wird seit den 70er Jahren mit dem Begriff Male Gaze (dt. der männliche Blick) beschrieben. Er wurde durch den Essay der Filmtheoretikerin Laura Mulvey „Visuelle Lust und Narratives Kino” geprägt und steht seither für die Beschreibung von sexualisierten Darstellungen des weiblichen Körpers in Filmen. Grund für ihre Theorie sind, die aus ihrer Sicht beliebten Hollywood-Filme, welche durch den immer wiederkehrenden Ausgangspunkt eines männlichen Zuschauers Patriarchat und Sexismus implizieren. Männer nehmen dementsprechend zumeist die aktiv-dominante Position ein, während weibliche Rollen die passiv-unterwürfige übernehmen. Zum Beispiel wurden in den Top 100 Filmen aus 2019 knapp 60 Prozent der Hauptrollen von Männern gespielt, während Frauen die Nebenrolle mit geringerem Redeanteil einnahmen.
In ihrem Essay greift Mulvey die Theorie der Skopophilie (Freude am Schauen) von Freud auf. Diese sagt grundlegend aus, dass wir beim Anschauen einer anderen Person, die aktive neugierige Rolle übernehmen, während wir unser Gegenüber als Objekt betrachten. Der männliche und weibliche Blick unterscheiden sich jedoch. Mulvey beschreibt, dass die Fantasien des bestimmenden männlichen Blickes auf die Frau projiziert werden. Sie sagt: „Ihre Erscheinung ist auf starke visuelle und erotische Ausstrahlung zugeschnitten, man könnte sagen, sie konnotieren ‚Angesehen-werden-Wollen‘.” Weiterhin differenziert die Filmtheoretikerin den Male Gaze in drei verschiedene Rollen. Zunächst die des Mannes hinter der Kamera, gefolgt vom männlichen Darsteller bis zum männlichen Zuschauer vor dem Bildschirm oder der Leinwand.
medienMITTWEIDA hat mit Dr. Sascha Löschner, Dramaturg und Leiter der Studiobühne an der Universität Paderborn, gesprochen. Er beschreibt, dass die sexualisierende Darstellung von menschlichen Körpern bereits Zehntausende Jahre zurückliegt, ob in der Kunst der griechischen Antike oder der Wahrnehmung von Frauen durch das frühe Christentum, die sie als Verführerin darstellen, sie als Heilige aber auch Hure ansehen. Dementsprechend ist der westliche Unterhaltungsfilm laut Dr. Löschner eine Fortsetzung eines alten Bildprogrammes, das nur technisch neu aufgenommen wird.
Kurz gesagt, Mainstream-Filme erlauben es dem Zuschauer oder der Zuschauerin, weibliche Körper durch den Akt des Sehens zu objektifizieren und sexualisieren. Da dieses Phänomen überwiegend männlichen Personen zugeschrieben wird, nennt es sich “Male Gaze”.
Der Female Gaze hingegen beschäftigt sich mit der gleichgestellten und realitätsnahen Wahrnehmung von Menschen. Jedem Geschlecht stehen hier Gefühle, Bedürfnisse, Ängste und Wünsche zu. Der non-binäre Joey Soloway verwirklicht als gutes Beispiel die Serie „Transparent” und definiert den Female Gaze auf dem Toronto Film Festival wie folgt: „Den Körper zurückzugewinnen, ihn mit der Absicht zu nutzen, das Gefühl des Sehens zu kommunizieren.” Schlussendlich gibt es hierzu noch keine einheitliche Definition. Sicher ist jedoch, dass er nicht das genaue Gegenteil zum Male Gaze ist.
Chancenungleichheit als Ursache
Frauen vor und hinter der Kamera sind unterrepräsentiert. Die Gründe dessen gehen vorrangig auf die Dominanz von Männern in der Filmbranche zurück. Der Regie-Diversitätsbericht des Bundesverbandes Regie e.V. für 2018 gibt allein für Deutschland an, dass knapp 78 Prozent der deutschen Regisseure männlich ist. Auch Dr. Löschner erzählt: „Sicher ist der weibliche Blick im Kino noch stark unterrepräsentiert. Es gibt (noch) zu wenige Produzentinnen, Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen usw. Sicher ist auch: Nur das richtige Geschlecht garantiert nicht automatisch einen Film, der auf Male Gaze verzichtet.” Betrachtet man zusätzlich die Budgetierungen, fällt die Unterrepräsentanz von Frauen auf. In hohen Budgets über fünf Millionen und mittleren Budgets zwischen zwei und fünf Millionen Euro, sind unter einem Zehntel der weiblichen Regisseurinnen am Gesamtteil beteiligt. Sie sind eher bei Low-Budget Filmen vertreten, die keine Förderung vom Deutschen Filmförderfonds bekommen. Weiterhin wird in der Studie „GENDER UND FILM” der Filmförderungsanstalt aus 2017 analysiert, wie viele männliche und weibliche Alumnis an Filmhochschulen gelehrt werden und letztendlich in selbigem Beruf tätig sind. Betrachtet man den Fachbereich der Regie, kann man feststellen, dass der Anteil der studierenden Frauen bei 44 Prozent liegt. Aber nur die Hälfte führt diese Tätigkeit in der späteren Arbeit aus. Im Gegensatz dazu sind 56 Prozent der Männer für die Regie eingeschrieben, am Ende wirken allerdings über 70 Prozent in diesem Berufsfeld mit.
Ein weiterer Grund, der daraus resultiert, ist die Chancenungleichheit im Branchenumfeld. Die Studie zeigt, dass bei Frauen eher die Bereitschaft besteht, mit anderen Frauen zusammenzuarbeiten als bei Männern. Zusätzlich ergab dort eine anonyme Interviewbefragung von Branchenvertretern, dass 63 Prozent den Sektor als chancenungleich empfinden, davon 76 Prozent der Regisseure und Regisseurinnen. Dabei gibt es auch deutliche Unterschiede zwischen beiden Parteien hinsichtlich eines konservativen und weniger kollegialen Arbeitsumfeldes, welches weniger von Männern wahrgenommen wird. Die Interview-Ergebnisse der Studie bestätigen, dass die konservativen Strukturen zu einer Verstärkung der Stereotype und klaren Rollen- sowie Berufsbildern führen.
Weiterhin wird die Branche als risikoscheu beschrieben und hält lieber an konventionellen Dingen fest, die in der Vergangenheit gut funktioniert haben. Das unterdrückt nicht nur die Kreativität, sondern auch den gesellschaftlichen Wandel.
„Der Unterhaltungsfilm ist Ware. Als solche steht sie unter dem Diktat des Marktes. Männliche Produzenten produzieren für einen männlich dominierten (Blockbuster)-Markt. Wen wundert es, dass da der männliche Blick bedient wird?”
Das Geschlecht als Kompetenz-Maßstab
Die Chancenungleichheit zeigt sich ebenfalls in Stereotypisierungen, indem die erfolgversprechenden Charaktereigenschaften von Durchsetzungsstärke, Selbstdarstellung und Netzwerken eher Männern zugeschrieben werden. Daher bleiben Männer die risikoärmere Wahl. Vor allem jüngere Frauen berichten, spätestens am Drehort mit sexualisierender Wahrnehmung konfrontiert und auf ihr Äußeres reduziert zu werden. Eine Interviewte berichtet: „Ach, was ich mir da anhören musste manchmal. ‚Jetzt zeig‘ uns erst mal deine Titten, bevor du mit uns sprichst.‘ ”
Antje Ritter, Regie-Assistentin für Formate wie zum Beispiel “WIR” für ZDFneo, erzählt dazu im Gespräch mit medienMITTWEIDA, Frauen müssen neben dem Druck der Inszenierung eines gelungenen Films auch beweisen dieser Aufgabe gewachsen zu sein. Sie müssen umgänglich, freundlich und gelassen sein. Um es in ihren Worten zu zitieren: „Engagieren sie sich zu sehr, kämpfen zu lange oder zu forsch um bestimmte Bedingungen, ist der Begriff ”hysterisch“ immer noch sehr schnell bei der Hand. Das führt leider dazu, dass Frauen wirklich oft angestrengter sind in der Ausübung ihres Berufes.”
Hinzukommen die subjektiven Entscheidungen aller am Set beteiligten Personen, die notwendig, aber auch nachteilig sein können. Jeder möchte seine Ideen einbringen und so werden Charaktere abgeändert, stimmig gemacht. Eine Befragte der Studie berichtet, dass gerade bei Themen wie Sex, Geburt oder Liebe die weiblichen Rollen von Männern angepasst werden. Und das, obwohl sie diese Situationen nicht auf die gleiche Art authentisch verstehen können, weil sie rein biologisch unterschiedlich wahrgenommen werden. Darüber hinaus entscheiden Labeling-Effekte über Erfolgsbedingungen in der Filmbranche, die einerseits die Spezialisierung zum Ausdruck bringen, andererseits spricht man Frauen weniger angesehene Genres zu.
Von Transformers über Suicide Squad – Male Gaze in beliebten Filmen
Megan Fox als sexy Hobby-Mechanikerin in “Transformers”, Gisele in “Fast and the Furious Five”, die im Bikini alle bösen Männer rumkriegt oder die “wie ein Stück Fleisch behandelte” Heldin Black Widow in “Iron Man 2”. Sie alle haben Gemeinsamkeiten – sie zeigen Kritikpunkte des Male Gaze auf, wurden von männlichen Regisseuren inszeniert und spielen in Actionfilmne.
Davon kann auch die Rolle der Harley Quinn in Suicide Squad laut mitreden. Sie spielt die verrückte einzige Frau in der “Suizid-Gruppe” und wird auch dementsprechend dargestellt, ihre Abhängigkeit vom Joker deutlich gemacht. Der Regisseur James Gunn spiegelt sie als einzige der Gruppe, leicht bekleidet in Panties und Crop-Top wider. Aber so kann das Ganze noch nicht stehengelassen werden. Laut dem Youtube-Format „Brust raus” vom SWR ist die Kameraführung provozierend, filmt von ihren High Heels entlang der Beine bis zum Po. Dabei bleibt die Kamera stehen, um den Fokus auf ihrem Körper als veranschaulichtes Objekt zu belassen. Fraglich ist, ob es für die Hinführung zur darauffolgenden Kampfszene einen Mehrwert aufweist. Auch der Rest ihres Aussehens konnotiert eine Abhängigkeit von einem ganz gewissen Mann, dem Joker. Initiiert wird dies unter anderem durch die T-Shirt-Aufschrift “Daddy’s Lil Monster” oder ihr Tattoo namens “Puddin”, der Spitzname ihres Liebsten. Hinzukommend wird die Rolle von Margot Robbie schauspielerisch angewiesen dargestellt. Beispielsweise gibt es eine Club-Szene, in der Harley Quinn an einer Stange tanzt, in der sie wiederholt erotische Blicke zum Joker und dessen Sitznachbarn wirft. Sie tut es also nicht für sich selbst, sondern scheinbar um den männlichen Charakteren herum zu gefallen.
Im Gegensatz dazu durchläuft Harley Quinn eine riesige Verwandlung im darauffolgenden Film „Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn”. Hier wird die Regie von Cathy Yan geführt, einer sino-amerikanischen Regisseurin und Drehbuchautorin. Im Film schneidet sich die Schauspielerin selbst die langen blonden Zöpfe ab und ändert ihre Tattoos. Sie trägt zwar weiterhin Shorts und Crop-Top, dennoch wirkt die gewählte Kleidung aus Sicht des Zuschauers weniger nackt und sie erscheint mehr wie sie selbst. Auch in diesem Film wird eine Club-Szene integriert, in der sie im Gegensatz zum vorherigen Teil nur für sich selbst tanzt und merkt, wie wohl sie sich in ihrer Haut fühlt. Kameraperspektiven zeigen die Schauspielerin hier ebenfalls von hinten aufwärts filmend, allerdings ohne den Fokus allein auf den Körper der Frau zu legen. Dafür wird in Birds of Prey darauf gesetzt, mit der Figur zu gehen, denn man bestreitet die Handlung mit ihr.
Um den Vergleich der beiden Filme auch visuell miterleben zu können, gibt es in folgendem Videoausschnitt mehr zu sehen.
Vergleich Harley Quinn in “Suicide Squad” und “Birds of Prey: The Emanzipation of Harley Quinn”
Auswirkungen auf sich selbst und andere
Der ständige Kontakt mit den weiblichen Darstellungen in den Blockbustern hat erhebliche Auswirkungen auf die emotionale Wahrnehmung von Mädchen und Frauen auf sich selbst. Laut einer Studie der American Psychological Association (APA) zur Sexualisierung von Mädchen ging hervor, dass Selbst-Objektifizierung zu Konzentrationsschwächen führt und das Bewusstsein spaltet. Fühlt man sich aufgrund seiner äußerlichen Erscheinung unwohl, kann man sich weniger auf wesentliche Aspekte konzentrieren. Die Studie nennt als Beispiel den Schulsport, wo junge Mädchen sich eher Gedanken darum machen, wie ihr nun schon weiblicher Körper bei der Bewegung vor den anderen aussieht als auf den nötigen Ablauf der Bewegungen. Die emotionalen Konsequenzen sind Scham, Angst und sogar Abneigung zum eigenen Körper. Oft entstehen daraus Essstörungen, ein geringes Selbstwertgefühl als auch Depressionen. Zudem sind junge Frauen eher gefährdet, stark sexualisierte Stereotypen zu akzeptieren, wenn sie sich vorwiegend mit Mainstream-Inhalten auseinandersetzen.
Letztendlich bedeutet es folgendes: Mainstream-Film und -Medien lehren dem weiblichen Geschlecht durch die Objektifizierung, dass sie alles Mögliche für ihr physisches Auftreten erfordern müssen, da sie vorrangig einen Körper und Gesicht zu bieten haben. Älteren Frauen macht der Male Gaze weis, dass “Jung-Sein” das Elixier für Attraktivität ist.
Darüber hinaus hat die sexualisierende Darstellung eine Auswirkung auf rezipierende Männer. Laut derselben Studie fällt es befragten Jungs und Männern schwerer, eine akzeptable Partnerin zu finden, die in Wirklichkeit genau so schön ist wie die Schauspielerin im neuen Blockbuster. Sie empfinden demnach eine geringere Anziehung zu ihren Partnerinnen im wirklichen Leben. Weiterhin kann es zu einem zwischenmenschlichen Problem werden, indem sie keine empathische Beziehung mit Frauen eingehen können, weil sie ihr Gegenüber als Objekt sehen. Diese Wahrnehmung kann womöglich sogar das Empathie-Empfinden für die Partnerin ausschalten.
Allerdings betrachten sich auch Frauen dadurch auf eine andere Weise. Denn auch im Job gibt es Folgen für Frauen, die von beiden Geschlechtern ausgehen. Bewerberinnen, die sich für einen Job im Management interessieren und sexy gekleidet sind, wird weniger Kompetenz zugeschrieben als einer Frau, die gleich attraktiv und eher konservativ gekleidet ist. Diese Differenzen gab es bei der Bewerbung auf einen Job als Rezeptionistin nicht. Unterstützt wird dies durch eine Studie von Andrea Carnaghi, in welcher mittels Reaktionen im Gehirn die Wahrnehmung von sexuell objektifizierten Frauen untersucht wurde. Das Ergebnis: Wir empfinden weniger empathische Gefühle für diese Frauen, je mehr positive sexuelle Emotionen wir ihnen gegenüber haben.
Wie kann man dem Male Gaze und der unausgeglichenen Geschlechterverteilung entgegenwirken?
Weiterhin gibt es Ansätze, um die gleichmäßige Verteilung von Geschlechtern hinter der Kamera zu fördern. Die Filmförderungsanstalt empfiehlt in ihrer Studie „GENDER UND FILM”, Stereotypen bewusst zu machen und strukturelle Impulse zu geben. Ersteres kann durch Sensibilisierungstrainings von Entscheidungsträgern erreicht werden, sodass Fähigkeiten anstatt Äußerlichkeiten, Labeling o.Ä. in den Vordergrund treten – eine Bereicherung für beide Geschlechter. Auch ein Internetportal speziell zur Suche von Regisseurinnen sowie das regelmäßige Monitoring von Geschlechterverteilungen könnte helfen.
Zur strukturellen Reformation der Filmbranche wird empfohlen, Comeback-Stipendien für Regieführende einzuführen, die familiär- oder krankheitsbedingt für eine gewisse Zeit ausfallen müssen. Dadurch wären sie für sechs bis zwölf Monate abgesichert, um wieder den richtigen Einstieg zu finden. Zudem könnten Betreuungsangebote in Förderanträgen berücksichtigt werden. Dadurch wäre beispielsweise eine Kinderbetreuung am Set möglich. Demnach mehr Gründe, dass auch Frauen durch mögliche Familienplanung keine schlechtere Wahl sind.
Text: Laura Altenberg, Titelbild: catharinarytter, Bearbeitung: Laura Altenberg, Video: YouTube