Erschöpfung, unzählige Überstunden und geringer Lohn – dass Mitarbeiter*innen in deutschen Krankenhäusern unter anstrengenden und teilweise unwürdigen Bedingungen ihren Arbeitsalltag meistern müssen, ist kein Geheimnis. Um die Zustände in den Krankenhäusern zu verbessern, beschloss der Bundestag am 17. Oktober 2024 die sogenannte „Krankenhausreform“. Diese soll drei zentrale Ziele verfolgen: die Sicherung und Steigerung der Behandlungsqualität, die Gewährleistung einer flächendeckenden medizinischen Versorgung für Patient*innen sowie die Entbürokratisierung. Eine medizinische Technologin für Radiologie (MTR) aus Chemnitz gewährt medienMITTWEIDA Einblicke darüber, wie die Situation in den Krankenhäusern aktuell tatsächlich ist, warum sie trotz dessen ihren Job liebt und was Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen von der neuen Reform halten.
Unsere Interviewpartnerin ist 53 Jahre alt und arbeitet seit 35 Jahren als MTR in Chemnitz. Sie möchte anonym bleiben. Als langjährige Angestellte im Gesundheitswesen hat sie bereits verschiedene Situationen meistern müssen und verfügt über umfassende Expertise.
Wie sind Sie zu Ihrem jetzigen Beruf gekommen?
Ich kam zufällig zu meinem Beruf. Ich wollte immer etwas mit Menschen machen und ihnen helfen. Zudem bin ich technisch interessiert und wollte dies ebenfalls in meinen Beruf integrieren. Da ich sehr aktiv bin, kam für mich ein „normaler Schreibtischjob“ nicht in Frage. Nach ein wenig Recherche stieß ich dann auf den Beruf der MTR. Er vereint alle meine gewünschten Kriterien, da ich mit technisch-medizinischen Großgeräten, wie dem CT oder MRT, arbeiten kann und zusätzlich Kontakt mit Menschen habe.
Ein weiterer Aspekt, der mir besonders an meinem Job gefällt, ist, dass ich durch meinen Beruf helfen kann, Diagnosen und Therapien für die Krankheiten und Leiden von Menschen zu finden. Hier kann ich mein Helfersyndrom voll und ganz ausleben. *lacht*
Außerdem bin ich Praxisanleiterin in meinem Bereich und kann somit dazu beitragen, neues Personal auszubilden und Menschen für meinen Job zu begeistern.
Wieso ausgerechnet ein Job im Gesundheitswesen, trotz dessen schlechten Ruf?
Ich wollte schon immer einen Beitrag zur Gesellschaft leisten und der größte Beitrag für mich ist, kranken Menschen zu helfen. Somit kam ein Job in einer anderen Branche nicht in Frage. Natürlich ist der Beruf physisch und psychisch herausfordernder als andere, allerdings bestätigt mich die positive Resonanz von Patient*innen in meiner Entscheidung.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag im Moment bei Ihnen aus?
Der Berufsalltag ist aktuell oft sehr überfordernd. Man hat keinen typischen Arbeitstag mehr, da jeder Tag sehr unterschiedlich und chaotisch abläuft. Das sorgt dafür, dass meine Arbeit leider äußerst anstrengend und stressig geworden ist. Man wird ständig in verschiedenen Tätigkeitsbereichen eingesetzt und muss jeden Tag lernen, mit neuen Situationen umzugehen. Das liegt auch daran, dass die Aufgaben, die wir erfüllen müssen, zur Zeit sehr vielfältig sind. Auch das Zeitpensum in dem wir Patient*innen untersucht haben müssen ist viel zu knapp und sorgt für Druck und Erschöpfung bei uns Mitarbeiter*innen.
Mit welchen Herausforderungen müssen Sie tagtäglich auf Arbeit kämpfen?
Der Job ist sehr anstrengend, da wir oft Patient*innen versorgen müssen, die schwer krank und nicht mehr mobil sind. Wir müssen die Patient*innen vom Bett zum Untersuchungstisch tragen, damit sie versorgt werden können. Oft ist dieser Vorgang körperlich sehr fordernd, insbesondere wenn man nur allein oder zu zweit ist.
Auch die psychischen Herausforderungen sind nicht zu unterschätzen. Durch Erkrankungen, wie Blutungen und Tumoren im Kopfbereich oder Demenz, sind Patient*innen teilweise stark in ihrer Persönlichkeit verändert und tendieren zu verbalen und körperlichen Konfrontationen. Patient*innen können außerdem alkoholisiert und unter Drogeneinfluss stehen, was sie äußerst aggressiv und gefährlich machen kann – damit muss man erst einmal lernen, umzugehen.
Auch die Schichtsysteme und unzähligen Überstunden verlangen viel von uns Mitarbeiter*innen ab. Insgesamt hat sich die Situation in Krankenhäusern im Vergleich zu den letzten Jahren nur noch weiter verschlechtert.
Denken Sie, die neue Krankenhausreform könnte den Alltag von Mitarbeiter*innen in Krankenhäusern verbessern?
Ich persönlich sehe in der Reform den Versuch, den Personalmangel auf fragwürdige Weise zu lösen. Ich denke, man kann dadurch keine wirkliche Verbesserung erreichen – es benötigt andere politische Lösungen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Reform viele Nachteile mit sich bringt, beispielsweise aufgrund längerer Wegstrecken für die Patient*innen. Wenn Patient*innen schwer krank sind, können sie unmöglich eine deutlich längere Fahrtstrecke auf sich nehmen, nur um medizinisch versorgt zu werden. Das ist schlichtweg unzumutbar.
Dadurch, dass durch die Reform auch Rettungsstellen zum Teil geschlossen werden sollen und demzufolge Krankenhausbetten wegfallen, kommt es zu einer größeren Belastung der Mitarbeiter*innen an den zentralisierten Krankenhäusern. Diese müssen dann mit einer enorm großen Menge an Patient*innen klarkommen, wobei oft die Kapazitäten nicht ausreichen, um diese fachgerecht zu behandeln.
Was könnte man Ihrer Meinung nach verbessern?
Es müsste der ambulante Sektor des Gesundheitswesens gestärkt werden. Das heißt, es sollten mehr Ärzt*innen ausgebildet werden, insbesondere Fach- und Hausärzt*innen, sodass die Patient*innen nicht immer sofort ins Krankenhaus kommen müssen. Dadurch würden Krankenhäuser und deren Personal entlastet werden. Es würden weniger Patient*innen kommen, die keine wirklichen Notfälle sind und die ambulant versorgt werden könnten.
Zudem wünsche ich mir mehr Wertschätzung durch die Politik. Es sollte gerechte Löhne und Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen geben. Außerdem hoffe ich, dass Krankenhäuser nicht mehr aus politischer Sicht rentabel und nach Fallpauschale arbeiten müssen. Es kommt dadurch dazu, dass nicht benötigte Operationen, wie Hüft-OPs, an Patient*innen durchgeführt werden, da diese lukrativ für die Krankenhäuser sind und sie sich teilweise nicht anders finanzieren können. Es sollte allgemein eine patient*innenorientiertere Versorgung durch die Politik gewährleistet werden.
Infobox Fallpauschale
Unter Fallpauschalen versteht man in der Gesundheitsökonomie eine Bewertung bzw. die Vergütung komplexer medizinischer Leistungen durch sogenannte Fixbeträge. Komplexe medizinische Leistungen oder auch komplexer medizinischer Behandlungsbedarf liegt vor, wenn zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Verschlimmerung der Erkrankung pro Quartal der Einsatz von mindestens zwei Maßnahmen der Behandlung durch unterschiedliche Disziplinen nötig ist. Fallpauschalen können allgemein sowohl im stationären als auch im ambulanten Versorgungsbereich eingesetzt werden. Sie sind einer der Grundpfeiler des DRG-Systems.
Wie können wir als Patient*innen dabei helfen, den Alltag von Mitarbeiter*innen in Krankenhäusern angenehmer zu gestalten?
Besonders wichtig wäre es, wenn Personen nicht wegen Kleinigkeiten ins Krankenhaus kommen. Wir haben oft Patient*innen, die wegen Lappalien – wie Erkältungen oder einfachen Rückenschmerzen – zu uns kommen. Dadurch haben wir eine enorme Menge an Nicht-Notfall-Patient*innen zusätzlich zu den akuten Notfällen, was zu Überstunden und überlasteten Notaufnahmen führt.
Zudem sollten Menschen versuchen, das Internet als Ratgeber bei Krankheiten zu meiden, da das Googlen von Symptomen oft auf schlimme Krankheiten als Diagnose verweist. Dies wiederum führt dazu, dass Menschen unnötig aus Angst in Krankenhäuser kommen. Uns Mitarbeiter*innen wäre tatsächlich schon sehr geholfen, wenn Patient*innen nicht so fordernd sein würden und freundlicher wären. Manchmal hilft uns auch schon ein „Bitte“ und „Danke“ und ein freundliches Lächeln, um uns den Berufsalltag zu erleichtern.
Würden Sie Ihren Beruf wieder wählen, trotz all der Herausforderungen?
Ich liebe meinen Beruf nach wie vor, auch wenn es immer wieder Probleme gibt. Meine Arbeit wird nie langweilig und ist immer abwechslungsreich. Die Herausforderungen sind zwar teilweise schwierig, allerdings könnte ich mir trotzdem keinen anderen Job vorstellen. Es ist zudem immer schön, erfolgreich geheilte Patient*innen wiederzusehen und ihre Dankbarkeit zu spüren. Außerdem habe ich sehr nette Kolleg*innen, welche mir meinen Berufsalltag erleichtern.
Text: Susanne Kunze, Titelbild: Freepik