Lobbyismus

Eingegossen und eingemischt

von | 19. Januar 2024

Wer steckt hinter der Alkohollobby und warum bleibt sie so stark?

In den undurchsichtigen Gewässern der politischen Einflussnahme mischt sich eine mächtige Akteurin ein, kaum beachtet und dennoch allgegenwärtig – die Alkohollobby. Ein genauer Blick auf die Hintergründe offenbart vielschichtige Strategien. Diese haben erhebliche Konsequenzen zur Folge, wenn der Einfluss des Alkohols nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch in politischen Entscheidungen präsent ist.

Zu tief ins Glas geschaut

Obwohl der Alkoholkonsum in Deutschland sinkt, bleibt es dennoch dabei: Deutschland ist ein Hochkonsumland. Laut Alkoholatlas konsumierte 2019 im Durchschnitt jede Person 128,5 Liter alkoholische Getränke. Diese trugen zu 17 Prozent des Getränkeverbrauchs bei, wobei 78 Prozent auf Bier entfielen. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Reinalkohol bei über 15-Jährigen betrug 10,6 Liter, wobei hier hauptsächlich von Bier die Rede ist. In den letzten 40 Jahren ist der Verbrauch nach einem Anstieg in den 1970ern zurückgegangen. Dennoch konsumieren etwa 7,9 Millionen Deutsche Alkohol in gesundheitlich riskanter Weise“.

Der Gesundheitsökonom Dr. Tobias Effertz beziffert die volkswirtschaftlichen Schäden mit 57 Milliarden Euro direkten und indirekten Kosten durch Alkohol. Direkte Kosten sind zum Beispiel Behandlungskosten beim Arzt, Krankenhausaufenthalte und Medikamente. Diese direkten Kosten für das Gesundheitssystem belaufen sich auf 16,59 Milliarden Euro. Indirekte Kosten sind zum Beispiel Produktionsausfall durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, Frühverrentung und vorzeitiger Tod. Die indirekten Kosten belaufen sich auf 40,44 Milliarden Euro. Außerdem führte 2016 bei 19.000 Frauen und 43.000 Männern in Deutschland ausschließlich Alkoholkonsum zum Tod.

Lobbyismus

Lobbyismus ist eine Form der Interessenvertretung, bei der Gruppen durch persönliche Verbindungen die Politik beeinflussen. Dies betrifft die Exekutive, Legislative und andere offizielle Stellen. Öffentlichkeitsarbeit, vor allem über Massenmedien, beeinflusst zudem die öffentliche Meinung.

Wo nicht nur das Bier fließt

Laut Martin Jähnert, Mitarbeiter bei LobbyControl, hat jede Alkoholart seine eigene Lobby. Im Interview mit medienMITTWEIDA erklärt er, dass es beim Bier vor allem der Deutsche Brauer-Bund ist. Der Verein wurde 1871 gegründet. Präsident des Deutschen Brauer-Bunds ist Christian Weber, CEO der Karlsberg Brauerei KG. Hauptgeschäftsführer ist Holger Eichele, ehemaliger Sprecher des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV). Der Deutsche Brauer-Bund wird demnach geleitet von ehemaligen Vertretern aus der Politik oder aus der Industrie.

Mitglieder im Deutschen Brauer-Bund sind unter anderem Brauereien wie: Radeberger Gruppe, AB InBev Deutschland, Bitburger Braugruppe, Krombacher Brauerei, Paulaner Brauerei und die Warsteiner Gruppe. Sie produzieren mehrere Millionen Hektoliter Bier. Zum Vergleich: Eine Million Hektoliter entspricht schätzungsweise 303 Millionen Bierflaschen à 0,33 Liter.

Die Weinbranche in Deutschland ist durch eine etwas speziellere Lobby-Konstellation geprägt, so Martin Jähnert von LobbyControl. Neben dem Deutschen Weinbauverband als klassichen Lobbyplayer, gibt es auch das Deutsche Weininstitut, das dem Ernährungsministerium unterstellt ist, aber hauptsächlich von den Weinherstellern finanziert wird. Dadurch entsteht eine spezielle Lobby-Situation, die die Weinbranche von der Bierbranche unterscheidet. Seit dem 1. Januar 2019 wird der Deutsche Weinbauverband von Christian Schwörer als Generalsekretär geleitet, während Monika Reule die Position der Geschäftsführerin des Deutschen Weininstituts innehat.

Absatz der führenden deutschen Brauereigruppen in 2021/2022, Quelle: Statista

Die Politik und der Alkohol

Seit 2002 wird jährlich in Deutschland der Botschafter des Bieres vom Deutschen Brauer- Bund verliehen. Laut dem Deutschen Brauer-Bund selbst wird der Preis Persönlichkeiten verliehen, die sich durch besonderes Engagement ausgezeichnet haben – sei es durch politische oder gesellschaftliche Aktivitäten, in Wirtschaft, Kultur oder Medien.” Bekannte Gesichter aus der Politik wie Cem Özdemir, Julia Klöckner oder Horst Seehofer wurden mit diesem Preis bereits ausgezeichnet. Alle genannten haben eins gemeinsam, was LobbyControl auf ihrer Website Lobbypedia auch kritisiert: Alle der genannten Politiker und Politikerinnen waren oder sind Bundesminister*innen für Landwirtschaft und Ernährung, womit sie politisch verantwortlich für die Regulation der Brauindustrie sind. Von eben jener haben sie jedoch vor oder während ihrer Amtszeit eine Auszeichnung für ,besonderes Engagement’ erhalten.” Martin Jähnert äußert sich gegenüber medienMITTWEIDA folgendermaßen dazu: Es schadet Politikerinnen auf keinen Fall, Botschafter oder Botschafterin des Bieres zu sein. Das kommt einfach gut an.” Außerdem bezeichnet er diese Auszeichnung als einen Lobbypreis, bei dem es um Netzwerkpflege geht. Cem Özdemir gibt selbst an, ein Netzwerk mit Zugang und Akzeptanz bei Ministerien, Politik, Behörden, Wissenschaftlern, Presse und Meinungsmultiplikatoren zu haben, was der Deutsche Brauer-Bund wisse. Des Weiteren wirkt er auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene auf die politischen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen ein.

Vor einigen Jahren setzte sich auch die ehemalige Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner für die andere Seite der Industrie, die Weinwirtschaft ein. In einer Rede vom 26.11.2020 im Bundestag sprach sie sich für das Marketing und die Absatzförderung in der Weinbranche aus. Sie gehe von einer halben Million Euro mehr Ausgaben in der Kommunikation aus, sprich zwei Millionen Euro statt 1,5 Millionen Euro. Zudem ergänzte sie, dass sie kein Verständnis dafür habe, dass Gelder, die Brüssel zur Verfügung stellt, nicht abgerufen werden. Welche EU Behörde Julia Klöckner aus Brüssel meint, erklärt sie nicht in der Rede.

In der aktuellen Politik unter Cem Özdemir ist die Situation jedoch anders. Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung steht: Wir verschärfen die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis.” Das Gegenteil von Julia Klöckners Politik in puncto Werbung, da sie für eine Erhöhung der Werbeausgaben in der Weinindustrie plädiert hatte und die jetzige Regierung laut dem Auszug aus dem Koalitionsvertrag dagegen arbeiten will. Der Tagesspiegel hat das zuständige Ministerium von Cem Özdemir, aktueller Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, befragt, was bereits in den Punkten getan wurde – das Ministerium äußerte sich nicht dazu. Özdemir war laut Tagesspiegel zudem Ehrengast bei einer Festveranstaltung zum „Deutschen Brauertag”, welcher vom Deutschen Brauer-Bund selbst organisiert wurde.

Die Symbiose von Fußball und der Bierkultur

Die enge Verflechtung von Politik und Alkohol spiegelt sich nicht nur in der Vergabe des Botschafters des Bieres wider, sondern auch in der langjährigen Tradition von Alkohol im Fußball. Mittlerweile haben laut DFB Geschäftsführer Andreas Rettig alle 36 Fußballclubs aus der 1. und 2. Bundesliga einen eigenen Bierpartner. Schalke 04 habe sogar laut eigener Aussage die längste Zapfanlage der Welt im eigenen Stadion. Die ehemalige Drogenbeauftragte Sabine Bätzing äußerte sich öffentlich kritisch zur Bierwerbung in Deutschland. Die Medien befeuerten dieses Thema und der Druck stieg. Nachdem der DFB Bätzing einlud, änderte sie ihre Position zu der Thematik. Nach Anfrage des WDR, wollte Bätzing sich nicht zu den Gründen ihrer Meinungsänderungen äußern. Ein weiterer Kritikpunkt sei der Fakt, dass die Alkohollobby sich selbst reguliert. Werbeverbote müssten also gesetzlich bestimmt werden oder freiwillig von den jeweiligen Verbänden oder Vereinen umgesetzt werden.

Das alte Spiel

Dass die Alkohollobby bei wichtigen politischen Entscheidungen mitmischt, ist kein Geheimnis, denn es ist ihr Job. Der Einfluss der Alkohollobby auf die Öffentlichkeit und die Politik stellt laut Alkoholatlas ein Problem dar. Die Alkoholindustrie übt Druck auf Maßnahmen zur Alkoholprävention und -regulierung aus, indem sie intensives Lobbying betreibt und öffentliche Veranstaltungen sponsert.

Durch diese Bemühungen erschwert sie die Umsetzung von Gesetzen zum Gesundheitsschutz, wie Altersbeschränkungen und Werbeverbote. Darüber hinaus übt die Industrie Einfluss auf Forschungsergebnisse aus, indem sie Studien finanziert, die die negativen Auswirkungen von Alkoholkonsum herunterspielen. Angesichts dieser Situation wird nach Aussage im Alkoholatlas, die Regulierung der Einflussnahme der Alkoholindustrie auf Politik und Forschung als dringend notwendig erachtet.

Weniger Werben heißt weniger Geld

Eines der größten Instrumente der Alkoholindustrie, um den Absatz zu steigern, ist Werbung. 2022 wurden 601 Millionen Euro für Alkoholwerbung ausgegeben, fast 50 Prozent allein davon für Bier. Die Bedeutung von Alkoholwerbung für die Alkoholwirtschaft wird in mehreren Fällen deutlich. Die Bundesregierung hat laut einer WDR-Doku eine Arbeitsgruppe beauftragt, Maßnahmen zur Senkung des Alkoholkonsums zu entwickeln. Mitglied Ulrich John, ehemaliger Professor an der Universität Greifswald, ist auf die Einflussnahme der Alkohollobby gestoßen: Der Deutsche Brauer-Bund hätte Änderungen gefordert, bevor die Arbeitsgruppe ihre Maßnahmen festlegte. Es wäre bekannt geworden, dass Vertreter der Alkoholindustrie Entwurfstexte lasen und Kontakte mit dem Wirtschaftsministerium bestanden. Als Reaktion darauf hätte sich John zurückgezogen. Das Wirtschaftsministerium hat sich nicht dazu geäußert. Fünf Jahre nach dem letzten Treffen gab es keinen fertigen Bericht. Kritiker betonen, dass Fortschritte nur möglich wären, wenn man gegen die Interessen der Alkoholproduzenten vorgeht, da deren Gewinnmaximierung nicht mit der Gesundheit der Bevölkerung vereinbar wäre. Rolf Hüllinghorst, ehemaliger Geschäftsführer der deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, äußert sich im Interview mit medienMITTWEIDA zu dem Ereignis. Er behauptete, dass die Überschrift Alkohol reduzieren den Vertretern der Alkohollobby ein Dorn im Auge waren.

Und die Industrie wollte das nicht so haben, sondern sie wollte verantwortungsvollen Konsum haben.”

Rolf Hüllinghorst

Da diese Argumentation vom Landwirtschafts- und Wirtschaftsministerium unterstützt worden wäre, gäbe es keine einheitliche Politikmeinung. Die Arbeitsgruppe konnte nur aufgelöst werden, was verdeutlicht, dass finanzielle Macht und Einfluss auf Ministerien die Meinungsbildung beeinflussen können, betont Hüllinghorst. Zusätzlich wurde während der Verabschiedung eines Berichts im Europaparlament, bei dem unter anderem nicht übertragbare Krankheiten thematisiert wurden, der Abschnitt im Text zu Alkohol und Krebs passend für die Alkoholindustrie umformuliert.

Laut Emil Juslin, Referent für Europapolitik, wäre vor allem die Weinindustrie sehr aggressiv gewesen und hätte sich in den Prozess des Europäischen Parlaments eingemischt. Es wäre nicht oft vorgekommen, dass die Weinindustrie so aggressiv, derart explizit und offen mit ihren Fehlinformationen und Mythen umgegangen wäre. Es habe sich auch gezeigt, dass es keinen anderen Interessenvertreter gegeben hätte, der diese Änderungen zur Schwächung der Krebsprävention hätte durchsetzen wollen. Der Einfluss der Alkohollobby auf die Politik ist nicht zu übersehen. Martin Jähnert beschäftigt sich schon lange mit dieser Thematik und schlussfolgert: Die typischen Maßnahmen der Alkoholprävention sind Werbeeinschränkungen, Verkaufsbeschränkungen, höhere Steuern und dergleichen. Und sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene zeigt sich, dass das nicht durchsetzbar ist.” Grund dafür sei laut Jähnert der Fakt, dass die Alkohollobby die Politik seit mehreren Jahren erfolgreich davon überzeuge, dass solche Beschränkungen nicht nötig oder gar kontraproduktiv seien. Sie gehe soweit zu sagen, dass solche Präventionsmaßnahmen Schäden für die gesamtdeutsche Wirtschaft hätten. Der aktuelle Drogenbeauftragte Burkhard Blienert fordert scharfe Maßnahmen bei der Alkoholpolitik: Keine Werbung in Zeiten, in denen Kinder und Jugendliche Medien konsumieren. Und kein Verkauf mehr von Alkohol an Jugendliche, schon gar nicht an 14- oder 15-Jährige.“Es bleibt abzuwarten, ob er in der Lage sein wird, diese Maßnahmen umzusetzen, ohne in eine ähnliche Situation wie die ehemalige Drogenbeauftragte Sabine Bätzing zu geraten.

Kurzkommentar des Autors

ES MUSS SICH WAS ÄNDERN

Alkohol in Deutschland ist ein großes Thema. Die Industrie hat etwas dagegen, wenn sie etwas vom großen Kuchen abgeben soll. Dass Beschränkungen einer ganzen Nation helfen könnten, weniger Alkohol zu konsumieren, zeigt das Land Schweden. Dort wurde der Preis von alkoholischen Produkten erhöht, die Werbung gesenkt und hochprozentige alkoholische Produkte gibt es nur in bestimmten Spirituosenläden. Das Ergebnis: weniger Alkoholkonsum. Es kann nicht sein, dass bei wissenschaftlichen Befunden, die deutlich machen, wie stark Werbung wirkt, nichts dafür getan wird, auf die gesundheitlichen Risiken der beworbenen Produkte hinzuweisen. Die deutsche Brauwirtschaft profitiert von Alkoholkranken immens, was nicht hinnehmbar ist. Bei einem wirtschaftlichen Gesamtschaden durch Alkohol in Höhe von 57 Milliarden Euro stellen sich bei mir die Haare zu Berge. Bei einem Produkt, das jährlich Zehntausende von Menschen tötet, müssen schärfere externe Regulierungen her und keine Selbstregulierung der Lobbyverbände. Die Politik muss handeln und das nicht erst in zehn Jahren.

Text und Grafik: Max Dreier, Titelbild: via Midjourney AI

<h3>Max Dreier</h3>

Max Dreier

ist 25 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Seit dem Wintersemester 2023/2024 engagiert er sich als Mitarbeiter im Ressort Medien bei medienMITTWEIDA.