Verschwörungserzählungen

„Meinungsfreiheit“ als Gefahr für unsere Demokratie?

von | 13. Januar 2023

In Krisenzeiten gewinnen „alternative” Medien Zulauf. Das kann für unsere Gesellschaft zur Bedrohung werden.

Patriotisch, ehrlich, kritisch, mutig und souverän so das Versprechen des Senders. Bei der Einblendung des letzten Adjektivs ist im Hintergrund der rechtsextreme Publizist und Chefredakteur Jürgen Elsässer zu sehen. Der Stil des Einspielers ist ganz in Schwarz, Weiß und Rot gehalten. Das Studio wirkt professionell, wie bei jeder journalistischen Nachrichtensendung. Schließlich begrüßt Moderatorin Helena Sommer ihre Zuschauer zu „Compact: Der Tag” am 16. November 2022. Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen verliest sie die Themen des Tages. Ihre Gesichtszüge werden plötzlich strenger, als sie mit ernster Stimme fragt: „Wollte Polen gestern Abend einen Weltkrieg provozieren oder waren es wieder einmal US-Geheimdienstkreise?”

Angespielt wird hier auf den Raketeneinschlag einen Tag zuvor im polnischen Przewodów, bei dem zuerst vermutet wurde, dass Russland die Flugkörper abfeuerte. Elsässer bezeichnet daraufhin die BILD-Zeitung, die über den Vorfall berichtete, als „Drecksbande” und unterstellt ihnen gemeinsam mit „bestimmten Schurken der US-Geheimdienste“, am dritten Weltkrieg zu „basteln”.

In den YouTube-Kommentaren unter dem Video hagelt es Lob für Compact und viel Kritik für die angeblich „pro-westliche” BILD. Auch der Chefredakteur höchst persönlich kommentiert mit den Worten: „COMPACT – die einzige Stimme gegen den Chor der NATO-Kriegstreibermedien. Unterstützt unsere Arbeit bitte.”

In Zeiten von Pandemie und Ukraine-Krieg steigt die Zahl der Alternativmedien. Besonders rechtspopulistische Angebote boomen, weil sie es schaffen, die Proteststimmung zu nutzen und aktuelle Krisen auf bestimmte Feindbilder zuzuspitzen. Dabei arbeiten sie gezielt mit Desinformation und stellen ihre Vermutungen als Fakten dar, ohne diese mit Quellen zu belegen. 

Mit der Anzahl steigt auch der Einfluss: In Österreich zum Beispiel finden sich Vernetzungen zwischen Medienschaffenden von unzensuriert.at und der FPÖ, sowie deren Regierungskabinetten. 

Zulauf bekommen die Alternativen besonders durch Social Media. Die Herstellung von Content für digitale Medien ist mit keinem großen Aufwand verbunden. Durch virale Effekte können sich die Botschaften rasant verbreiten, wenn sie zum Beispiel vielfach geteilt werden und ihre Reichweite dadurch exponentiell wächst. Das birgt auch Gefahren für unsere Demokratie.

Desinformation

Fehlinformation: Eine falsche Information, die versehentlich in Umlauf gebracht wurde.

Desinformation: Eine falsche Information, die gezielt verbreitet wurde, um Menschen  vorsätzlich zu täuschen und zu beeinflussen.



„Wir drucken, was andere nicht schreiben dürfen”

So Alternativmedien, die sich selbst als Gegenangebot zu den sogenannten „Mainstream-Medien” sehen. An diesen kritisieren die Alternativen, dass sie zentral gesteuert und gleichgeschaltet seien. In einem Interview mit medienMITTWEIDA erklärt Dr. Jan-Hinrik Schmidt vom Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut in Hamburg: „Alternative Medien positionieren sich als Outlet für Informationen, die der Journalismus unterdrücken würde.” Die aufgegriffenen Themen seien meist regierungs- und medienkritisch, reichen aber auch hin bis zu Weltverschwörungserzählungen. Dabei gibt es bezüglich der Finanzierung sowie der politischen Ausrichtung teilweise große Unterschiede zwischen den Angeboten.

Eine Gemeinsamkeit der meisten Alternativmedien ist, dass sie aktuelle Krisen und Problematiken mit klaren Feindbildern erklären. Dazu gehören zum Beispiel demokratische Institutionen, die Wissenschaft oder die etablierten Medien, für die der abwertende Begriff „Mainstream-Medien” ins Leben gerufen wurde.

Häufig arbeiten sie mit Narrativen, also fiktionalen Erzählungen anstelle von Belegen und nutzen Falschdarstellungen oder Übertreibungen, um bei ihren Leser*innen eine Emotionalisierung hervorzurufen. Verhaltensvorschriften für die Erstellung von Inhalten gibt es nicht, weshalb auch oftmals auf seriöse Quellen verzichtet wird. 

„Sie konzentrieren sich nur auf bestimmte Themenkomplexe und vermischen dann oft die Darstellung von Fakten mit Bewertungen. Dabei folgen sie nicht den Regeln der Neutralität und Objektivität und das macht sie für viele ihrer Leserinnen und Leser auch so interessant. Es ist eben nochmal ein anderer Zugang zur Welt”, so Dr. Jan-Hinrik Schmidt.



Compact: „Magazin für Souveränität”

Compact ist ein alternatives Medium aus dem rechten Spektrum. Das Magazin erscheint seit 2010 und liegt laut eigenen Angaben bei einer monatlichen Auflage von 40.000 Exemplaren. Neben der Printausgabe verbreitet Compact seine Botschaften auch auf digitalen Kanälen, wie Telegram, Twitter oder YouTube. Seit 2021 wird das Magazin vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem” eingestuft, da Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung festgestellt wurden. Zudem gibt es Vernetzungen mit Bewegungen und Organisationen, die ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Ein Beispiel hierfür ist das Institut für Staatspolitik des neurechten Publizisten Götz Kubitschek.

Compact war eines der ersten Medien, die nach dem russischen Überfall auf die Ukraine Partei für Russland ergriffen. Chefredakteur Jürgen Elsässer, der Mann, der der BILD unterstellt am dritten Weltkrieg zu „basteln”, schrieb am 22. Februar 2022, dass Putins militärische Aktion defensiv sei. Im Gespräch mit dem alternativen Sender Auf1 sagt Elsässer weiterhin: „Ich freu mich, dass es mal einer gemacht hat.” Auch wäre er nicht traurig, wenn Putin in Deutschland einmarschieren würde. 

Generell ist das Magazin Russland gegenüber freundlich eingestellt und unterstützt dort schon lange reaktionäre Kräfte. Diese Haltung findet sich bei vielen Alternativmedien wieder. Das Narrativ ist einheitlich: „Eliten” und „Globalisten” hätten den Krieg ausgelöst, würden ihn befeuern und davon profitieren. Des Weiteren würde der Ukraine-Krieg direkt mit der Pandemie zusammenhängen, da er nur ein Ablenkmanöver sei, um eine Impfpflicht durchzusetzen. Rationale Beweise für einen Kausalzusammenhang zwischen Corona und dem Krieg gibt es allerdings nicht.

Montagsdemonstration in Chemnitz am 14. November 2022, Bild: Autor*in

Warum funktioniert das?

Laut einem kürzlich veröffentlichten Research-Paper des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie stimmen immer mehr Deutsche den pro-russischen Verschwörungsmythen zu. Fast jeder Fünfte sei der Meinung, dass Putins Angriff auf die Ukraine „eine alternativlose Reaktion Russlands auf die Provokation der NATO” wäre.

Auf den ersten Blick ähneln Alternativmedien, die zum Teil ungefilterte russische Propaganda verbreiten, in ihren Angeboten häufig etablierten Medienhäusern. Bei genauerem Hinsehen fällt allerdings auf, dass sich die Berichterstattung grundlegend unterscheidet. Scharfe Rhetorik, ständiges Wiederholen der Aussagen und hetzerische Inhalte führen zur Bildung einer schwer zu durchdringenden Meinungsbubble und schaffen damit eine regelrechte Parallelwelt in den sozialen Netzwerken. 

Den Leser*innen wird genau das geboten, was sie lesen wollen, ohne Gegenargumente aufzuzeigen, andere Standpunkte darzustellen oder seriöse Quellen anzugeben. Psychologisch gesehen ergibt diese Strategie durchaus Sinn. Wenn unsere eigenen Ansichten von anderen bestätigt werden, ist das für uns ein gutes Gefühl. „Das stabilisiert das eigene Weltbild und die eigene Identität und irgendwann bleibt man dann möglicherweise auf solchen Angeboten und schaut nicht mehr über den Tellerrand hinaus”, sagt Dr. Jan-Hinrik Schmidt.

„Mein Name ist Jürgen Elsässer und meine Zielgruppe ist das Volk”

Mit diesen Worten beginnt der Compact-Chefredakteur seine Reden und macht damit deutlich, dass sein Magazin sich an die breite Masse richtet. Das Angebot ist leicht zu konsumieren und visuell ansprechend aufbereitet. Jedoch sind in einigen Artikeln besondere Codes versteckt, die ganz bestimmte Zielgruppen ansprechen sollen: Reichsbürger*innen, Neurechte, Verschwörungsideolog*innen. Beispiele für dieses sogenannte „Dog Whistling” sind geschichtsverändernde Inhalte und antisemitische Narrative.

Auch an Russland-Deutsche richtet sich das Angebot, was durch die Verbreitung pro-russicher Sichtweisen klar wird. Der Großteil der Leserschaft sei laut Verlagsangaben zudem älter als 40 Jahre.

Wie die meisten Alternativmedien macht sich Compact die Alltagsunzufriedenheit der Menschen zunutze. Die Zeit schreibt 2016 dazu: „Compact gelingt es, Wütende in Käufer zu verwandeln. Für sie ist das Magazin das letzte aufrichtige Medium, das mutig Skandale enthüllt, die von Regierung und etablierten Medien vermeintlich verschwiegen werden.”

Übrigens findet sich dieses Zitat in einer umgedichteten Form bis heute auf der Website von Compact. Dort wird die Zeit folgendermaßen falsch zitiert: „COMPACT ist das letzte aufrichtige Medium, das mutig Skandale enthüllt, die von Regierung und etablierten Medien vermeintlich verschwiegen werden.”

Unsere Gesellschaft wird bedroht

Den Medien kommen in einer Demokratie wichtige Aufgaben zu. Sie dienen als Kontrollinstanz über politisches Geschehen, sie sollen uns informieren und uns dabei helfen, die eigene Meinung zu bilden. Viele alternative Angebote stehen allerdings einem rationalen, faktenbasierten Diskurs entgegen und erfüllen damit nicht, die ihnen zugewiesenen Aufgaben. „Im Grunde fußt unser Verständnis von demokratischer Meinungsbildung darauf, dass wir den Anderen unterstellen, dass sie uns nicht belügen wollen. Desinformation erfüllt diese Anforderungen nicht, da es eine Täuschungsabsicht gibt”, sagt Dr. Jan-Hinrik Schmidt.

Alternative Medien machen demnach keinen Journalismus, sondern produzieren Desinformation mit dem Ziel eines Systemsturzes. Sie wollen ihre Nutzer zum Widerstand mobilisieren. Durch Filterblasen entsteht die Gefahr sozialer Entfremdung und einer anschließenden politischen Radikalisierung, die als demokratiegefährdend eingestuft werden kann. Das Ziel ihrer Kritik ist nicht die Verbesserung der „Mainstream-Medien”, sondern deren Vernichtung. Für Medienschaffende kann das durchaus gefährlich werden. Statistiken belegen, dass die Anzahl der Angriffe auf Journalisten steigt.

„Wenn Medien vermeintliche Ausgewogenheit zwischen Demokratinnen und Rassisten, zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftsleugnern herstellen, dann hat die Wahrheit schon verloren.“

Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter in Baden-Württemberg

Was können wir als Nutzer tun?

Der Journalist Markus Sulzbacher erklärte gegenüber der Gegneranalyse, dass Leserinnen und Leser ein besseres Gespür für Falschmeldungen bekommen müssten. Das bedeutet auch zu schauen, woher die Informationen, die man konsumiert, eigentlich stammen. 

Dr. Jan-Hinrik Schmidt erläutert weiterhin, dass es natürlich wichtig sei, Medienkompetenz zu fördern. Zumindest in Grundzügen solle man verstehen, in welchen Kommunikationsumgebungen man sich befindet und wie soziale Netzwerke funktionieren. Zudem empfiehlt er Fakten-Check-Angebote, wie zum Beispiel Correctiv zu nutzen.

Besonders vor dem Teilen einer fragwürdigen Information solle man diese zunächst prüfen. „Wir sind ja nicht nur in der Rolle des Publikums für Desinformationen, sondern unter Umständen sind wir auch selber Multiplikatoren, weil wir irgendeine Meldung zum Beispiel auf Facebook teilen. Das ist so, wie man im Auto eigentlich nicht sagen sollte ‘Ich stehe im Stau’, sondern ‘Ich bin ein Teil des Staus.’ So ähnlich ist es bei Desinformation auch.”

Text, Titelbild, Beitragsbild: Autor*in
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