Generation Z gilt als besonders gesundheitsbewusst. Nichtsdestotrotz leidet diese Generation so stark unter psychischen Problemen wie keine vor ihr. Kein Wunder, dass viele von ihnen sich besonders mit neuen Wegen und Möglichkeiten beschäftigen, die versprechen, durch ein neues “Mindset” ein “glücklicheres” Leben zu ermöglichen.
Bereits vor über 2000 Jahren studierten die Anhänger des Stoizismus, die menschliche Natur und die Kunst, Glück zu erlangen. Dabei unterscheiden sich die Annahmen des Stoizismus deutlich von anderen Philosophien. Aber was verbirgt sich überhaupt hinter dem Konstrukt des Glücks? Wie das Glück selbst, soll dieser Artikel etwas Licht ins Dunkel bringen.
Die Liebe zur Weisheit
First things first: Der Stoizismus ist eine alte griechische Philosophie, die von Zenon von Kition in der Stadt Athen gegründet wurde. Zenon lebte im 3. Jahrhundert v. Chr. und ist als Gründer der Stoa, der Schule des Stoizismus, bekannt. Die Lehren des Stoizismus entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte weiter und hatten Einfluss auf viele andere Philosophien und Denkschulen. So legten die stoischen Thesen und Strategien den Grundbaustein für heutige Konzepte der Psychotherapie und Ansätze der persönlichen Weiterentwicklung.
Übersetzt man den Begriff Philosophie wörtlich, so erhält man bereits einen großen Hinweis auf eine der bedeutendsten Kernthesen des Stoizismus: die Liebe zur Weisheit. Die Stoiker begreifen den Verstand als Mittel gegen die Leiden des Lebens. Der beste Weg, glücklich zu sein, bestehe darin, sich auf das zu konzentrieren, was man kontrollieren kann und alles andere loszulassen. Damit verbunden, betonten sie auch die Bedeutung der Rationalität und der Selbstbeherrschung. Weisheit ist hierbei nicht als eine reine Form der Intelligenz des Menschen zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um eine moralische oder auch praktische Weisheit, welche die Fähigkeit ausdrückt, gut und schlecht voneinander zu unterscheiden und danach zu handeln. Im Detail setzt sich dieses Konzept aus den vier Kardinaltugenden zusammen: der Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung.
Ein wichtiger Aspekt des Stoizismus ist die Vorstellung, dass alles, was passiert, letztendlich zum Besten ist, auch wenn es auf den ersten Blick schlecht erscheint. Auch Gesundheit, Krankheit, Armut, Reichtum oder verwandte Zustandsbeschreibungen gelten laut stoischer Denkweise nicht als gut oder schlecht. Um Gelassenheit zu erreichen, sollte man sich nicht um Dinge sorgen, die außerhalb der eigenen Kontrolle liegen, sondern auf das konzentrieren, was man kontrollieren kann. Das sind vor allem eigene Gedanken und Handlungen.
Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Meinung über die Dinge.
Eudaimonia – das stoische Konzept des Glücks
Erleuchtung, Vollendung oder Nirvana selbst. Auf diese Synonyme stößt man schnell, wenn man sich die Frage stellt: „Was bedeutet der Zustand absoluten Glücks?” Aber wie definiert sich denn überhaupt Glück? Und welche Rolle nimmt das Glücklichsein dabei ein?
Die bekannteste Definition des stoischen Lebensziels beschreibt das „Leben im Einklang mit der Natur”. Leben im Einklang mit der Natur bedeutet nicht, uns unseren Gefühlen und Emotionen gedankenlos hinzugeben – von Geburt an ist der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen. Durch das Anwenden von praktischer Weisheit können Menschen ihr naturgegebenes Potenzial ausschöpfen.
Der Duden definiert Glück zu allererst als eine Fügung des Schicksals. Die Stoa widerspricht dieser Definition stark, weshalb dieser Begriff eher vorsichtig mit dem Gedanken des Stoizismus in Verbindung gebracht wird. Entgegen dem, was der eine oder andere vielleicht vermuten wird, ist der Zustand eines glücklichen Lebens das übergreifende Versprechen des Stoizismus. Diesem Zustand, „eudaimonia” genannt, wird ein transzendenter Charakter zugesprochen. Damit ähnelt es stark dem verwandten buddhistischen Konzept „Nirvana”, welches wiederum das ultimative Ziel der spirituellen Praxis widerspiegelt. Im Gegensatz zu anderen Philosophien, die auch das äußere Glück betonen, lehrt der Stoizismus, dass Glück aus der inneren Zufriedenheit und dem Frieden mit dem, was wir haben und was wir sind, kommt.
Transzendenz
Transzendenz beschreibt etwas, das über die menschliche Erfahrung oder Vorstellungskraft hinausgeht und daher fast göttlich erscheint — also ein „gottähnlicher Zustand“.
Wenn du dir Gutes wünschst, dann suche es in dir selbst.
Leidenschaft, die Leiden schafft?
Die Grundgedanken des Stoizismus sind vor allem von Logik und Rationalität geprägt. Mache dir keine Sorgen über Dinge, die nicht in deiner Macht liegen. Vor allem aber urteile nicht irrational über „gut” oder „schlecht”. Falsch gewählte Werte verleiten Menschen, sich nach einer Illusion des Glücks in Form von “ungesunden Leidenschaften” zu sehnen. Solche ungesunden Leidenschaften werden von der Stoa für das Fehlen des Seelenfriedens der Menschheit verantwortlich gemacht. Sie zeigen sich in Gestalt von Wünschen und Emotionen irrationaler und übermäßiger Art. Menschen neigen dazu, emotionale und leidenschaftliche Wesenszüge als „menschlich” zu bezeichnen und dies als Entschuldigung für ihr Verhalten in Interaktionen mit anderen zu verwenden. Der Stoizismus sieht Leidenschaften nicht als naturgegeben an, und schon gar nicht als Rechtfertigung für unmoralisches oder irrationales Handeln. Ungesunde Leidenschaften stehen daher entgegen dem stoischen Lebensziel – dem Ausschöpfen des natürlichen Potentials des Menschen.
Der Gründer Zenon selbst unterteilte diese Leidenschaften in vier Ausprägungen: Zum einen prägen sich diese in Schmerz aus, welcher sich aus einer irrationalen Beurteilung über vermeintlich „Gutes” oder „Schlechtes“ ergibt. Die Furcht wiederum ist die irrationale Erwartung von etwas Schlechtem. Auch Begierde und Vergnügen zählen zu den ungesunden Leidenschaften der stoischen Definition. Proto-Leidenschaften hingegen beschreiben eine „erste Regung des Geistes”. Sie gleichen dem Reflex, wenn sich ein Fremdkörper auf unser Auge zubewegt. Es handelt sich also um eine automatisch eintretende emotionale Reaktion und auch ein Weiser ist diesem „Reflex” unterlegen. Der weise Mensch lässt jedoch auf diese erste Reaktion kein Werturteil folgen und erhebt sich über die daraus resultierende Emotion.
Davon differenziert betrachtet werden „gesunde” Leidenschaften, welche ein weiser Mensch besitzt. Diese sind das Gegenteil der oben genannten negativen Emotionen. Vernünftige Freude steht der Lust entgegen. Das durch Vernunft resultierende Wollen bildet das stoische Spiegelbild der irrationalen Begierde. Und auch irrationale Angst wird durch begründete Vorsicht ersetzt. Ein weiser Mensch wird zwar nicht ängstlich sein, jedoch immer noch Gefahren meiden.
Nichts ist so unabhängig, wie ein weiser Mensch; er ist unabhängig von jedem Ereignis, denn er weiß, dass das, was unter den Menschen geschieht, nicht durch die Dinge selbst verursacht wird, sondern durch deren Meinungen darüber.
Stoisch – gelassen oder gefühlskalt?
Stoisch wird oft gleichgesetzt mit Beschreibungen wie gleichmütig und gefasst – ebenso wird es aber auch als Synonym für kaltblütig und gefühlskalt angesehen. Dieser Wortgebrauch entspringt dem Versuch angehender Stoiker, das eigene Glück nicht von äußeren Umständen abhängig zu machen. Solche Umstände entziehen sich unserer Kontrolle, weswegen der Stoizismus lehrt, ihnen mit Akzeptanz – nicht aber Gleichgültigkeit – zu begegnen. Einzig und allein unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen unterliegen unserer Kontrolle. Gilt es, unseren Fokus auf unser Inneres zu legen, ist es wichtig, rational und selbstbeherrscht zu sein und sich nicht von Emotionen leiten zu lassen. Dies bedeutet jedoch nicht, seine Gefühle zu ignorieren, sondern sie versuchen zu verstehen und unser Denken und Handeln zu reflektieren und zu verbessern.
Dass die stoische Idee alles andere als gefühlskalt ist, beweist ein weiterer bedeutender Grundsatz der Stoa. Sie glaubten an die „Gemeinschaft der Menschheit“ und die Verantwortung, sich um das Wohl der Gemeinschaft zu sorgen. Sie betonten im gleichen Atemzug die Bedeutung von Toleranz und Mitgefühl gegenüber anderen und lehrten, dass man sich um andere kümmern sollte, auch wenn man selbst Schwierigkeiten hat. Die frühen Stoiker betonten selbst, wie fern es ihnen lag, kaltherzig zu sein. Mark Aurel fasste das stoische Ideal als eine Person auf, die „frei von Leidenschaften und doch voller Liebe” oder „voller natürlicher Zuneigung” ist.
Es steckt keine Tugend darin, etwas zu ertragen, das man nicht fühlt.
Die Einzigartigkeit des stoischen Konzepts
Obwohl der Stoizismus auch Parallelen zu anderen Philosophien wie dem Epikureismus aufweist, unterscheidet er sich prinzipiell jedoch erheblich von anderen Denkweisen. Im Gegensatz zu anderen Philosophien, die Emotionen als wichtigen Teil des menschlichen Lebens betrachten, lehrt der Stoizismus, dass man sich von Emotionen nicht leiten lassen sollte und dass es wichtig ist, sie zu verstehen und zu kontrollieren. Andere Philosophen betrachteten das Schicksal meist als willkürlich, die Stoiker hingegen nahmen alles als Teil einer kosmischen Vernunft auf. Sie berufen sich auf den tieferen Sinn, der hinter allem steht. Außerdem betont der Stoizismus die Bedeutung der Gemeinschaft und des Mitgefühls. Im Gegensatz zu anderen Philosophien, die den Egoismus betonen, lehrt der Stoizismus, dass es wichtig ist, für das Wohl der Gemeinschaft zu sorgen und Mitgefühl für andere zu zeigen.
Verlange nicht, dass alles so geschieht, wie du es wünschest, sondern wolle, dass alles so geschieht, wie es geschieht, und es wird dir gut gehen.
Kurzkommentar
Der stoische Kompass im Alltag
Ist man von “Natur aus” ein sehr emotionaler Mensch, ist das Zügeln der Emotionen im Alltag eine sehr schwere Aufgabe. So könnte man hinterfragen, ob der Stoizismus die emotionalen Aspekte des Lebens vernachlässigt. Denn letztendlich stellen auch unsere Emotionen, welche sich unter anderem in Gestik, Mimik und Tonfall ausdrücken, einen Teil unserer Kommunikation dar. Besonders im beruflichen Umfeld ist es jedoch wichtig, diese Emotionen gezielt einzusetzen und sie zu kontrollieren.
Einige Aussagen des Stoizismus scheinen auf den ersten Blick etwas realitätsfern.
Je länger man sich jedoch mit den stoischen Gedanken beschäftigt und sich diese im eigenen Denkmuster verwurzeln, desto realistischer wirkt die Umsetzung dessen.
Eine Lehre wie die des Stoizismus stellt allerdings ein umfassendes Raster an verschiedenen Denkweisen dar. Es kann also eine ganze Weile dauern, bis man die stoischen Thesen intuitiv auf entsprechende Situationen anwenden kann. Das kann erstmal demotivierend wirken.
Auf unterstützende moderne Technik konnten die Schüler der Stoa, die 300 v. Chr. lebten, nicht bauen. Heute gibt es Apps wie stoic. oder stoic widgets, die bei der Integration der Lehre in den Alltag helfen sollen. Für nur 3,50 € pro Monat kann man sich mittlerweile den Weg zum Glück herunterladen. Mal abgesehen davon, dass der einfachste Weg zum Ziel nicht unbedingt dem stoischen Ideal entspricht, ist zu bezweifeln, ob die kleinen „Happen” an Informationen ähnlich ausreichend sind, wie die theoretische Grundlage, die ausführlich beschriebene Berichte und Bücher liefern. Um sich eigenständiger und intensiver mit den Übungen und Gedanken auseinanderzusetzen, ist es ratsam, sich selbst auf die Suche nach solchen täglichen Weisheiten zu machen. Eine fortgeschrittene Variante wäre, selbst aktiv die Spuren des alltäglichen Stoizismus zu verfolgen und eigene Erkenntnisse niederzuschreiben.
Der Stoizismus als Reaktion auf Notsituationen
Durch die Betonung der Logik und Rationalität kann der Stoizismus dazu beitragen, irrationale Ängste und Sorgen zu vermeiden. Besonders helfen kann das Mindset in Krisensituationen wie der Corona-Pandemie. Dies bedeutet, sich auf Schritte eigener Schutzmaßnahmen zu konzentrieren, anstatt sich über zukünftige, globale Auswirkungen der Pandemie zu sorgen, welche man nicht beeinflussen kann.
Allerdings ist dies natürlich nur die halbe Wahrheit, denn Maßnahmen hinterfragen und selbst über die Logik der Politik nachzudenken, bleibt genauso für jeden Einzelnen wichtig. Außerdem bemüht sich der rational denkende Stoiker, Informationen aus vertrauenswürdigen Quellen zu sammeln und diese sorgfältig zu prüfen. So kann die Angst vor Unbekanntem reduziert und eine realistische Einstellung zur Pandemie gebildet werden.
Individualismus des Glücks
Wenn das Geheimnis des Glücks schon so lange gelüftet sei, wieso sind wir dann nicht alle bereits zu jeder Zeit glücklich und zufrieden? Vermutlich da für jeden Einzelnen von uns Glück eine ganz individuelle Form annimmt.
Der Stoizismus zeigt einen Weg, wie man durch eine gewisse rationale Distanz eine stetige Gelassenheit gewinnen kann. In welchen Situationen es notwendig erscheint, Emotionen auszudrücken, sich in Vergangenheit oder Zukunft zu verlieren oder sich Leidenschaften hinzugeben, kann schlussendlich jeder für sich entscheiden.
Wie stark eigene Ansichten und Lebensweisen sich mit den einzelnen stoischen Thesen vereinen lassen, variiert von Mensch zu Mensch. So ist also eine allgemeingültige Formel, nach der jedes Individuum sein ganz persönliches Glück finden kann, nicht realistisch.
Text: Lena Grünert, Titelbild: Lena Grünert, Melissa Berthold