Der Arzt

„Natürlich fehlt es mehr an menschlicher Wärme”

von | 2. Juli 2019

Finanzieller Druck und weniger Vertrauen - kann ein Arzt so noch gesundheitsfördernd arbeiten?

Damals „Engel in weiß“ und heute nur noch gewinnorientiert? Hat sich die Stellung von Ärzten im Gesundheitssystem verändert? – Und so auch die Wahrnehmung durch die Patienten? Werner Seehars kann dank seiner zahlreichen Erfahrungen als leitender Arzt einer staatlichen Praxis, Teilnehmer am kassenärztlichen Bereitschaftsdienst und als Kassenarzt eine fundierte Meinung zu unseren thematischen Fragen im Interview mit medienMITTWEIDA abgeben.

Weshalb haben Sie sich dafür entschieden, einem Beruf im Gesundheitswesen nachzugehen, beziehungsweise Arzt zu werden?

Ich habe die Ärzte zwar immer bewundert, doch dass ich mitfliegender Fahne” gesagt hätte „das ist es!”, so war es nicht. Eigentlich wollte ich Förster werden, dies war jedoch in der DDR nicht möglich, wenn man sich nicht zum Staat bekannte und in die Partei eintrat. Was die DDR damals brauchte, waren viele Ärzte. Bis 1962 hatte die DDR zwar doppelt so viele Studenten im Medizinstudium, jedoch wanderten mehr als die Hälfte in den Westen ab. Das änderte sich erst mit dem Mauerbau 1961. So sprach mein Direktor zu mir und meinte, ob ich nicht Medizin studieren möchte. Die Arbeit als Förster sei aussichtslos und von einem Biologiestudium hatte ich anscheinend falsche Vorstellungen. Vor dem Studium arbeitete ich als Hilfskrankenpfleger im Krankenhaus Mittweida – da war man die unterste Stufe. Doch im Laufe des Studiums hat es mir viel Spaß gemacht und so bin ich in Freiberg in ein sehr schönes Arbeitsklima gekommen.

Was waren die Gründe dafür, dass Ihnen das Studium dann doch so viel Freude bereitet hat?

Es lag an der Arbeit mit den Menschen. Aber vor allem auch daran, dass ich den Wert und Sinn, Medizin zu studieren, in dem praktischen Jahr erkannt habe. Das hat mir unheimlich viel gegeben. In diesem Jahr konnte ich alle Facetten kennenlernen – vom schwerstkranken Patienten bis zum arroganten Chefarzt, von der strengen Stationsschwester bis hin zu ganz lieben anderen Mitarbeitern.

Was hat Sie an Ihrem Studium gestört?

Eines war nicht so schön und zwar, dass ich in meiner Heimatstadt arbeitete. Auf dem OP-Tisch lag dann zum Beispiel meine splitternackte Russischlehrerin vor mir. Deshalb nahm ich mir vor, niemals in den Ort meiner Eltern oder meiner Schwiegereltern zu gehen. Ein Abstand zum Patienten ist sehr wichtig und das ist auch heute noch so. Man muss oft schlimme Dinge besprechen. Ein gewisser Abstand ergibt sich automatisch.

Was haben Sie anfangs von Ihrer Arbeit als Arzt erwartet? Haben sich Ihre Vorstellungen bewahrheitet oder kam es dann im Beruf ganz anders, als Sie es sich eigentlich vorgestellt hatten?

Ja, wie das so ist – ein riesiger Unterschied zwischen Studium und Praxis. Das, was man im Studium gelernt hatte, hatte nicht mehr so viel mit der Praxis zu tun – da waren Welten dazwischen. Vor allem beim Umgang mit den Menschen. Im Studium sind wir in der Visite immer hinterher gelaufen und plötzlich musste man der Akteur sein. In den ersten Wochen war der Stationsarzt dabei, doch wenn er nicht da war, musste man die Anweisungen als Visite an die Schwestern geben. Das hatten wir so nicht gelernt. Die DDR hat das erkannt und wollte diesem Abhilfe schaffen und hat uns ein reformiertes Studium angeboten – dabei musste man das sechste Jahr praktisch im Krankenhaus verbringen, jeweils ein Vierteljahr in einem Bereich. Diese praxisnahe Ausbildung hat mir dann auch ein bisschen geholfen, doch war es trotzdem noch ein großer Abstand.

Wie könnte die Problematik, dass man vieles erst in der Arbeitspraxis erlernt, behoben werden?

Man müsste den Studenten freigestellte Assistenten beigeben. Das Problem wird aber wahrscheinlich immer so bleiben, doch wächst man ja auch an seinen Aufgaben, wenn man einmal drin ist. „Es wächst der Mensch mit seinen höheren Zwecken”, wie es schon Schiller sagte.

Ist das Personal in deutschen Krankenhäusern Ihrer Meinung nach genug geschult? Steht genug Geld und Zeit zur Verfügung, oder haben sie öfter Defizite in essentiellen Belangen feststellen können?

Schwierige Frage – ich glaube, das differiert sehr stark. Oft ist zu wenig Zeit für den Patienten vorhanden, das ist ganz sicher so. Insgesamt glaube ich, dass die Schwestern hart an ihrem Limit arbeiten. Da kommt der direkte Kontakt ziemlich schlecht weg. Natürlich leidet darunter dann auch manchmal die Qualität der Behandlung.

Haben Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn Unterschiede in der Behandlung von privat und gesetzlich krankenversicherten Patienten feststellen können?

Die gibt es sicher, speziell Kassenpatienten merken dies oft. So erhalten privat versicherte Patienten zum Beispiel öfter Chefarztbehandlungen. Die direkte Behandlung sachlicher Art unterscheidet sich aber nicht. Was sich stark unterscheidet: Die Terminvergabe. Die Privatpatienten schnipsen mit dem Finger und es öffnen sich alle Türen. Das hat natürlich einen wirtschaftlichen Hintergrund, der ausgeräumt werden müsste. Darüber sollten sich die Politiker mal Gedanken machen.

Wie sehen Sie die Unterschiede im Bezug auf die Leistungen der Krankenkassen? Wirken sich diese auf den Genesungsverlauf aus?

Da gibt es meiner Meinung nach keine großen Unterschiede. Die größten Unterschiede sind in der Terminvergabe und den Freiheiten. Der Privatversicherte könnte jeden Tag einen anderen Arzt aufsuchen, der ihn freudig aufnimmt, der gesetzlich Versicherte muss erst zum Hausarzt, um eine weitere Behandlung bei einem spezielleren Arzt anzufragen und eventuell Monate lang auf einen Termin warten.

Im Bezug darauf: Können Sie es nachvollziehen, wenn von einem  „Zwei-Klassen-System”die Rede ist?

Diesen Begriff kann ich durchaus nachvollziehen. Sicher sind wir mit einer Sozialversicherungskasse in der DDR alle gleich versichert gewesen und ich habe daran nichts Schlimmes gefunden. Ich persönlich könnte mir solch eine Bürgerversicherung für alle auch gut vorstellen, dann wäre dieser Streit mit den Privatversicherten weg – wäre sicherlich auch gerecht. Aber da würden Wirtschaftsweise kommen und vorrechnen, dass dies und das dann nicht mehr so funktioniert.

Im ersten Interview unserer Serie haben wir von verschiedenen Missachtungen medizinischer und pflegerischer Maßnahmen erfahren, woraus eine vernachlässigende Behandlung und Versorgung des Patienten hervorging. Haben Sie selbst solche Beobachtungen machen müssen?

Was könnte die Ursache für das Problem sein? Ist es das System an sich oder sind es die Personen?

Also bei dem allgemeinen Mangel an medizinischem Personal ist es natürlich so, dass viele in den Bereich gehen, die vielleicht nicht so gut geeignet sind – wo die menschliche Größe fehlt. Es sind menschliche Probleme, aber es sind sicherlich auch Personalprobleme. Von der Ausbildung her haben mir Schwestern oft erzählt, bekommen sie eigentlich alles Wichtige vermittelt – da sind sie gut drauf! Somit kann es meiner Meinung nach nicht an Gründen der Ausbildung liegen.

Wenn Sie das Gesundheitssystem heute und das, in dem Sie angefangen haben, vergleichen: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede? Was hat sich essentiell geändert?

Die DDR war eine Mangelwirtschaft. Das war auch im Gesundheitswesen so – mit wenig musste man auskommen. Was da an Materiellem gefehlt hat, versuchten die Menschen mit Wärme auszugleichen. Heute ist an Technischem kein Mangel. Die Krankheiten heute sind ganz andere, als die, die wir in der DDR behandelten. Aufgrund der hochspezialisierten Medizin- und Untersuchungstechnik.

Was könnte Ihrer Meinung nach verbessert werden und was müsste sich dafür ändern?

Man müsste den wirtschaftlichen Druck aus den Krankenhäusern nehmen, denn heute werden ja reihenweise Krankenhäuser geschlossen, da sie angeblich nicht rentabel arbeiten. Das sind meist kleine Krankenhäuser, die von den Menschen sehr akzeptiert werden. Aber wenn sie nicht rentabel arbeiten, dann müssen sie halt gestützt und finanziell aufgefangen werden – zum Wohl der Bürger.

Text und Audio: Anton Baranenko, Philipp Funccius; Titelbild: Anton Baranenko

<h3>Anton Baranenko</h3>

Anton Baranenko

ist 22 Jahre alt, studiert Medienmanagement und liebt es, etwas tiefer in spannende Themen einzutauchen und zu recherchieren. Durch seine Leidenschaft zur Fotografie unterstützt er dazu die Bildredaktion von medienMITTWEIDA.