Die großen Skandale von gestern sind heute kaum noch in den Medien zu finden. Ab und an veröffentlichen Zeitungen wieder einen Artikel, wenn es neue große Veränderungen gibt. Warum interessieren uns Themen kaum noch, wenn sie nicht mehr in den Nachrichten zu finden sind?
Vogel- und Schweinegrippe sind noch nicht von der Erde verschwunden und wie es um Pferdefleisch in unserer Nahrung steht, fragt auch kaum jemand mehr. Einst als große Aufmacher in den Nachrichten wurden Themen wie diese von neuen wichtigen Ereignissen abgelöst. Was wissen wir noch von diesen Ereignissen, die zwischen einem und fünf Jahren zurückliegen? Bei der Befragung von 20 zufällig ausgewählten Passanten erhielten wir folgende Antworten:
„An Fukushima kann ich mich noch erinnern. Ansonsten weiß ich jetzt auf die Schnelle auch nicht mehr.“
„In Ägypten, die Kämpfe dort unten oder Syrien, da war ja auch viel los.“
„Kim Jong Un hatte mit einem Atomkrieg gedroht.“
Auffällig war, dass den Leuten auf Nachfrage, trotz langer Denkpausen, meist nur zwei Themen in den Sinn kamen. Doch warum so wenig? Wir haben auch hier noch einmal nach dem „Warum“ gefragt:
„Es interessiert mich einfach nicht mehr. Wenn ich an den Flughafen denke. Das geht mir einfach nur noch auf die Nerven.“
„Ich merk mir das nicht alles. Man kann ja eh nichts ändern. Was nützt es mir denn, wenn man mir von einer Sache immer wieder erzählt. Soll ich dann auf die Straße gehen und demonstrieren? Dafür hab ich doch gar keine Zeit mehr. Versuch allein mal fünf Leute am Abend für eine Pokerrunde zusammenzukriegen. Das klappt doch schon kaum noch.“
„Es passieren nur noch Sensationen. Jeden Tag gibt es irgendeinen Skandal. Irgendwann blendet man das ganze Schlechte in der Welt einfach aus.“
Genau diesen Effekt, dass wir nicht mehr genau hinhören, hat der heutige Sensationsjournalismus. Wir sind so sehr an die täglichen großen Themen gewöhnt, dass wir sie langsam ausblenden. Das Psychologielexikon „Psychology48.com” definiert Gewöhnung so:
„Gewöhnung ist die allmähliche Anpassung an bestimmte Lebensverhältnisse, bis wir sie kaum noch wahrnehmen, oder die Einübung gewisser häufiger Verrichtungen, bis wir sie ohne bewusste Überlegung gleichsam automatisch vollziehen. Mit der Gewöhnung richten wir uns in der Umwelt »wohnlich« ein. Mit ihr können wir uns gegen ständige Leiden abstumpfen.“
Es geht bei Gewöhnung also um einen gewissen Selbsterhaltungstrieb, um nicht in Depressionen zu versinken. Die meisten überblättern aber auch normale Themen wie Sanierungsarbeiten, sofern sie nicht direkt betroffen sind. Wir lesen die großen Sensationen und behalten sie uns, bis das Gehirn sich wieder auf neue Fakten konzentrieren muss. Die Informationen gehen dabei zwar nicht verloren, werden aber laut der „Max Planck Gesellschaft” inaktiv, bis wir erneut an diese erinnert werden.
Wir haben Markus Heinker, Professor für digitale Medien und Recht an der Hochschule Mittweida, einige Fragen gestellt:
medienMITTWEIDA: Weshalb sind ehemalige „Top-Themen” nach einem gewissen Zeitraum nicht mehr in den Nachrichten zu finden, auch wenn das Ereignis längst nicht geklärt ist?
„Weil es an einem konkreten, den Nachrichten genügenden Anlass fehlt. Zuerst gibt es ein Ereignis, zu dem die Berichterstattung einsetzt. Danach existiert eine Kaskade, in der ein Thema relevant ist. Diese Kaskade reißt aber irgendwann ab, weil die Prozesse zu kompliziert werden. Es gibt kein Ereignis, das für ein erneutes Aufnehmen des Themas genügen würde. In der Regel werden Nachrichten immer so lange verwendet, bis es ein Thema gibt, das erneut für einen Zeitraum bearbeitet wird.”
Warum wird nach diesem Zeitraum nicht wieder ein Update gezeigt?
„Die Nachrichten haben keinen Hintergrund oder Magazincharakter. Nachrichten leben nach eigenen Regeln. Es fehlt die Sensation. Das hat aber durchaus seinen Platz in den Medien, die nicht die Aufmerksamkeit haben und keinen großen Wert auf Aktualität legen wie die Nachrichten.”
Also wer dennoch wissen will, was aus den ehemaligen Skandalen geworden ist, muss sich bei Alternativen zu den Leitmedien umschauen. Eine kurze Google-Suche führt zu guten Ergebnissen. Für Themen wie der „Schweinegrippe” werden teilweise akribische Tagebücher geführt. Ansonsten kann auch in diversen Foren nachgefragt werden. Das Internet lässt einen nicht ohne Antwort, auch wenn die Massenmedien kaum noch Interesse an einem Thema zeigen.
Text: Kevin Springer. Bild: Nadine Dietrich.