Denkt man an Marketing, hat man sofort Medienstandorte wie Hamburg, Berlin, München oder Düsseldorf im Kopf. Doch auch in Chemnitz bieten sich viel mehr Chancen als gedacht. Mehrere kleine und große, mehr oder weniger spezialisierte Agenturen bieten Studierenden Einstiegschancen. medienMITTWEIDA hat Marcus Lehmann, den Gesellschafter des Vorlauten Netzwerks und Vorstandsmitglied des Marketing Clubs Chemnitz, zur Medienlandschaft in Chemnitz und Umgebung befragt.
Marcus Lehmann, Gesellschafter des Vorlauten Netzwerks und Vorstandsmitglied des Marketing Club Chemnitz e.V.; Quelle: Tobias Phieler, lichtzelt fotografie
medienMITTWEIDA: Bitte stelle dich unseren Lesern vor.
Marcus Lehmann: Mein Name ist Marcus Lehmann. Ich bin Gesellschafter des Vorlauten Netzwerks, einer Agentur für digitales Storytelling hier in Chemnitz. Wir haben uns 2017 gegründet und haben seitdem einige tolle Projekte machen können. Für ganz unterschiedliche Partner aus der öffentlichen Hand, aus der Wirtschaft, aus der Politik. Wir sind ein kleines Team aus einem harten Kern von vier Leuten. Dazu haben wir noch jede Menge Netzwerke und ganz viele tolle Partner aus den verschiedensten Bereichen über Text, Video und Audio. Zudem machen wir auch ganz viel mit anderen Agenturen zusammen, um große und kleine Projekte gemeinsam bestmöglich umzusetzen.
Könntest du deinen eigenen Werdegang beschreiben?
Marcus Lehmann: Geboren wurde ich 1988 noch in Karl-Marx-Stadt. Abitur habe ich dann 2007 gemacht. Von 2008 bis 2011 Buchhändler gelernt. Danach habe ich von 2011 bis 2014 in Mittweida Medienmanagement studiert und war dort auch unter anderem CVD von medienMITTWEIDA.
Da habe ich parallel angefangen, in einer PR-Agentur in Chemnitz zu arbeiten. Dort habe ich dann das Handwerk der Öffentlichkeitsarbeit und der Pressearbeit gelernt. Danach bin ich noch mal zurück an die Hochschule als Projektkoordinator und habe dort ein sehr spannendes Projekt zur Bürgerkommunikation und Bürgerbeteiligung mittels crossmedialer Medien betreut. Anschließend habe ich anderthalb Jahre in der Werbeagentur Kopfsatz gearbeitet. Ich war dort als Texter und Projektmanager. Leider musste ich die Agentur dann verlassen. Aber um Christian Lindner zu zitieren, „Krisen sind dornige Chancen“. Ich habe das quasi als Chance gesehen und mit Ben Franke, meinem Co-Gesellschafter und Mitgründer, das Vorlaute Netzwerk gegründet. Ein halbes Jahr lang haben wir ungefähr in die Planung gesteckt und sind dann mit etwas Startförderung des Jobcenters und tollen Unterstützern gleich sehr gut gestartet.
Was macht ihr in eurer Agentur?
Marcus Lehmann: Unser Thema ist digitales oder crossmediales Storytelling. Wir versuchen eine Aufgabenstellung natürlich erst mal zu analysieren. Was ist das Ziel des Kunden? Was ist der strategische Hintergrund, den er verfolgt? Und dann versuchen wir uns wie gesagt der Problemstellung von der Geschichte her zu nähern. Also was ist eine gute Geschichte, eine spannende Sache, die es sich zu erzählen lohnt. Die wir vielleicht auch inszenieren können, damit wir nicht nur was haben, was wir präsentieren können, sondern was sich im besten Fall über den Moment hinaus weitererzählt. Als Beispiel hatten wir gerade erst die Festivalbahn, die nach Mittweida gefahren ist. Die hat unser Kunde, die Citybahn Chemnitz, betrieben. Das Campusfestival in Mittweida hat den DJ gestellt und war ja auch der Ort, wo man hinfahren wollte. Das ging sozusagen auf den Anstupser von uns zurück, zwischen Citybahn und Campusfestival.
Wie gestaltet sich hier im Raum Chemnitz die Auftragsgewinnung?
Marcus Lehmann: Wir haben Kunden aus Chemnitz, Sachsen, aber auch außerhalb von Sachsen. Wenn ich mit anderen Agenturen spreche, ist die Devise unterschiedlich. Ich habe das Gefühl, manchmal ist Chemnitz noch so ein blinder Fleck auf der Landkarte, außer man gehört zu den ganz großen. Ich sage mal, jemand, der in Düsseldorf sitzt, der muss schon irgendeinen Bezug zu Sachsen oder zu Chemnitz haben,um nicht die üblichen Verdächtigen in seiner Hood anzusprechen. Sondern mal zu sagen, ja, die in Chemnitz, die sind vielleicht günstiger und die haben auch gute Ideen. Das gibt es halt relativ selten. Und da machen Agenturen wie Zebra und Revolte vor allem durch ihre Arbeit in der Lobby oder Bekanntheits-Arbeit in der Werbebranche, in Werbenetzwerken auch schon ganz viel dafür, dass Chemnitz als Werbe-Standort bekannt wird. Auch Kopfsatz und Haus E machen tolle Arbeit. Wie in vielen anderen Bereichen muss man Netzwerke und Leute auf Events kennenlernen. Man muss aber natürlich auch im Netz ein bisschen für sich werben und an Ausschreibungen teilnehmen.
Ist die Auftragslage in Chemnitz konstant oder müssen sich die Agenturen um Aufträge “streiten”?
Marcus Lehmann: Es ist gerade keine schlechte Zeit, um eine Agentur zu haben. Eigentlich liegen die Aufträge ganz gut an, es gibt viel zu tun, und es gibt auch noch Investitionen in Marketing. Recruiting-Themen sind das, was viele Leute bewegt, weil viele Unternehmen nicht an gutes Personal kommen. Aber natürlich auch im klassischen Vertriebsbereich, Produkteinführungen begleiten, Verkäufe erhöhen. Bis hin zu Aufklärungs-Themen des Sozialministeriums. Und das trotz dessen, dass natürlich allerorts die Preise gestiegen sind, dass man auch manchmal wahrscheinlich genauer darauf aufpassen muss, was man ausgibt.
Welche Aspekte erscheinen dir positiv oder negativ an der Agenturarbeit in Chemnitz und Umgebung?
Marcus Lehmann: Es gibt natürlich Unterschiede zwischen Ost und West, zwischen Berlin und Chemnitz, das ist ja völlig klar, aber es gibt auch Unterschiede zwischen Dresden, Leipzig und Chemnitz. Das hat auch mit der Größe zu tun, mein Eindruck ist, den Agenturen in Chemnitz geht es derzeit gut. Ich würde also eher sagen: Ja, es gibt insofern Spezifika, als dass die neuen Bundesländer ein Wirtschaftsstruktur-Problem haben. In alten Bundesländern hast du oftmals größere Unternehmen, die es dort schon seit Jahren gibt. Das hast du aufgrund der DDR Geschichte hier kaum. Sodass aber Agenturen tendenziell eher mit Unternehmen arbeiten die keine Millionen-Budgets haben. Das verändert sich aber mit zunehmender Wirtschaftsstruktur und mit der Sichtbarkeit der Agenturen. Punkt zwei ist natürlich die Attraktivität des Standorts für die Fachkräfte. Das bedeutet, wie cool es ist, als Texter, Grafiker oder Konzepter hier in Chemnitz zu arbeiten und hier zu leben. Manchmal geht es auch ums Gehalt, wobei der Faktor aus meiner Sicht immer weniger relevant wird. Eigentlich kann man es hier mit einem mittlerweile guten Werbe-Gehalt auch ganz gut aushalten, denke ich. Dann kommt aus meiner Sicht tatsächlich noch Faktor drei dazu und das ist mir in diesem Zusammenhang besonders wichtig. Wir als Werbe-Branche in Chemnitz müssen noch viel mehr auf die Strukturen der Unis und Hochschulen zugehen. Es muss mehr dafür getan werden, dass Studierende vor allem aus Mittweida aber eben auch aus Chemnitz, die in den Medienstudiengängen sind, nicht nach Hamburg, Düsseldorf, Köln, München, Berlin gehen.
Welche Möglichkeiten haben interessierte Studierende in Chemnitz, um Erfahrungen zu sammeln?
Marcus Lehmann: Eine Variante sind auf jeden Fall Praktika. Auch oft Minijobs, mal so einen Tag die Woche, der vielleicht auch verteilt ist auf zwei, drei Abende.
Dann kann man einfach mal vorbeikommen und recherchieren. Es gibt leider keinen gemeinsamen Auftritt aller Werbeagenturen in Chemnitz, ich habe allerdings auch noch nie davon gehört, dass es das in anderen Städten gibt. Und natürlich auf Business-Events vorbeizukommen, ich bin ja auch Vorstandsmitglied vom Marketing Club.
Wir laden immer wieder verschiedene Agenturen aus der Gegend ein. Dort kann man immer wieder in Kontakt kommen mit vielen tollen, Marketing- und Werbeschaffenden. Ansonsten gibt es eigentlich mittlerweile auch jede Agentur aus Chemnitz, die etwas auf sich hält, auf den gängigsten Social-Media-Plattformen. Dann kann man einfach eine Bewerbung schicken, die aufgrund des Fachkräftemangel gerne gesehen wird. Wenn vielleicht das erste Praktikum, die erste Bewerbung nicht klappt, die zweite nicht klappt, einfach weiter probieren.
Es können halt auch nicht alle ihr Praktikum bei Zebra, Revolte, Haus E oder Kopfsatz machen. Es gibt noch viele andere coole Player, die vielleicht jetzt noch nicht so groß und nicht so renommiert sind. Aber zumindest bei uns wäre es mit viel Spaß und viel verrücktem Quatsch möglich.
Wo siehst du in der hier ansässigen Agenturlandschaft Entwicklungsmöglichkeiten sowohl für Akteure wie euch, als auch für Studierende?
Marcus Lehmann: Also auf jeden Fall kann man mit Social-Media-Expertise hier noch Punkte sammeln. Mit einem professionellen Auftreten, mit einer professionellen Art zu arbeiten, jemand der gute Selbst-Management Skills hat und auf Social-Media Lust hat. Die werden immer noch mit Kusshand genommen. Aber auch Leute, die eine junge Zielgruppe bedienen, die frischen Wind in Agenturen bringen.
Das wird weiterhin wichtig sein. Es geht um Ideen und Engagement, sich selbst auch als Person mit einzubringen. Werbeagenturen sind auf beides angewiesen. Leute, die auch einfach mal Zeug abarbeiten können, sind super wichtig. Aber jeder sollte auch bereit sein, etwas von seiner Identität, von seiner Leidenschaft für die eigenen Ideen mit einzubringen. Das andere ist natürlich, es entstehen derzeit so viele neue Fragestellungen. Jeder, der im Studium sagt KI und Marketing, da stürze ich mich jetzt drauf, lese mich rein. Gibt natürlich auch noch mehr außer KI auch Chat, Video oder die Marketing-Automatisierung. Dieses große, vernetzte Denken, alle Schnittmengen zwischen IT und Marketing bleiben ein großer Punkt. Natürlich wird Print jetzt nicht komplett bedeutungslos, aber die digitalen Fragestellungen sind die, die uns alle bewegen.
Was ich bei der Werbebranche selbst noch als Aufgabe sehe, ist auf jeden Fall, aktiver gemeinsam als Branchen-Standort aufzutreten, um für junge Menschen attraktiv zu sein.