Leipzig ist alljährlich Gastgeber des wichtigsten deutschen Festivals für Dokumentarfilm: das „DOK“. Inzwischen hat es sich zu einem Podium für internationale Themen entwickelt. Aber die faszinierende Filmwelt steht im starken Kontrast zum finanziellen Überlebenskampf der Produzenten.
Ausverkaufte Kinosäle, endlos lange Schlangen vor den Kassen, Vorfreude in allen Gesichtern: Was klingt wie der wahr gewordene Traum einer genesenen Filmlandschaft, ist in Leipzig für eine Woche im Jahr Realität. Umso interessanter, dass es gerade die kriselnde Branche des Dokumentarfilms ist, die hier so viele Besucher wieder in die Kinos lockt.
Unter dem Motto „Reclaim the Vision“ wurde das Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm, kurz „DOK“, zum 55. Mal präsentiert. Inzwischen ist es das zweitgrößte Festival dieser Art in Europa. Damit ist es nicht nur zu einem Podium und Branchentreff geworden, sondern auch zu einem Abbild für viele internationale Themen.
Arbeit als Dokumentarfilmer ist finanzieller Überlebenskampf
Das „DOK“ Leipzig wächst konstant. In diesem Jahr wurden knapp 3000 Filme eingereicht, 360 davon schafften es in das Programm und in die einzelnen Wettbewerbe – eine von vielen neuen Bestmarken. Doch trotz aller Superlative gibt es auch immer wieder einen pessimistischen Grundton, der bei den Veranstaltungen mitschwingt. Nach einer Studie der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm sehen 70 Prozent aller Dokumentarfilmer in Deutschland ihre Zukunft negativ.
Die Gründe dafür: Das Netto-Einkommen von Dokumentarfilmregisseuren liegt bei 1.380 Euro im Monat, 18 Prozent der Befragten gaben sogar an, unter 636 Euro zu bleiben. Damit liegen sie weit unter dem Durchschnitt aller Medienschaffenden. Lediglich 15 Prozent aller Autoren gaben an, von ihrer Arbeit an den Filmen leben zu können. Dokumentarfilm als brotlose Kunst?
„DOK Market“ unterstützt die Produzenten
Gerade die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender stehen deshalb immer mehr in der Kritik der „AG DOK“. Wichtige Sendeplätze im Abendprogramm wurden in den letzten Jahren zunehmend mit anderen Formaten besetzt und auch die Etats für Dokumentarfilme gingen stark zurück. So heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Regisseuren, dass „alle illegalen Downloads der deutschen Dokumentarfilmbranche materiell weniger geschadet haben, als die Vertragspraxis von ARD und ZDF an einem einzigen Tag“. Gemeint ist damit besonders die fehlende Vergütung bei Zweitausstrahlungen oder Mediathekenabruf.
Beim dem Festival versucht sich die Branche selbst zu helfen. Eine Initiative für eine Vermarktung vor Ort ist der „DOK Market“. Hier können Redakteure von Medienanstalten Filme aus einem großen Pool auswählen und ansehen. Bei Interesse wird direkt der Kontakt zu den Machern hergestellt. Diese Arten der Vermarktung könnten, ähnlich wie das Crowdfunding, eine Möglichkeit sein, dem Dokumentarfilm eine Zukunft zu garantieren.
TV bietet zu wenig Dokus
Vor einem der Kinos steht Festivalbesucherin Claudia Nowak, schaut in ihren Zeitplan. Sie hat sich eine Woche Urlaub genommen, um möglichst viele Filme zu sehen – „The End of Time“ wird der dritte am heutigen Tag sein. „Ich habe nirgendwo die Möglichkeit, so komprimiert so viele gute Dokumentarfilme zu sehen wie hier. Das Angebot im Fernsehen ist dürftig und so gehe ich jedes Mal voller Erwartung in die Festivalwoche und wurde auch diesmal nicht enttäuscht.“
Solange die Dokumentationen also immer wieder die Zuschauer wie Claudia Nowak überzeugen können, wird es sie auch weiterhin in so einer großen Vielfalt wie auf dem Leipziger „DOK“ geben. Fraglich bleibt, ob die Qualität der Filme auf einem hohen Niveau bleiben kann, wenn die Macher immer wieder gezwungen sind, die Arbeiten an den Filmen für Jobs zum Überleben zu unterbrechen. Aktuelle, durch Crowdfunding finanzierte Projekte zeigen jedoch, dass mit neuen Vermarktungs- und Produktionsarten fast alle Filmemacher die Möglichkeit haben, eine eigene Geschichte für die Ewigkeit zu erzählen.
Ein Artikel der Novum. Text: Tom Fröhlich. Bild: DOK Leipzig 2012, Bearbeitung: Natalie Kunze.