Kriegsjournalismus

„Ich vergesse nie, wie die Kinder geschrien haben“

von | 29. November 2019

Der stellvertretende BILD-Chefredakteur über Ängste und Ziele eines Kriegsreporters.

Paul Ronzheimer ist stellvertretender Chefredakteur der BILD und hat als Kriegsreporter schon aus Syrien, Afghanistan und dem Irak berichtet. Im exklusiven Interview mit medienMITTWEIDA spricht er über Risiken, Ängste und den Alltag eines Krisenreporters.

Herr Ronzheimer, muss man für Ihren Job lebensmüde sein?

Paul Ronzheimer: Nein, lebensmüde bin ich ganz sicher nicht. Man ist als Reporter immer darauf bedacht, Risiken einzuschätzen und zu minimieren. Nichtsdestotrotz ist ein gewisses Risiko sicher immer vorhanden, wenn man sich in ein Krisengebiet begibt. Die Arbeit hat sehr viel mit guter Vorbereitung und verlässlichen, lokalen Kontakten zu tun.

Würden Sie für jede Story Ihr Leben riskieren oder gibt es Grenzen?

Ronzheimer: Natürlich gibt es Grenzen. Für mich war eine Grenze erreicht, als die Terrororganisation IS gerade ihre Hochphase hatte. Das Risiko, in das besetzte Gebiet vorzudringen und mit den IS-Terroristen zu sprechen, wäre einfach zu hoch gewesen. Das ist eine andere Situation als bei Jürgen Todenhöfer, der sich als freier Journalist eine Woche lang in Mossul aufgehalten und von dort berichtet hatte. Für mich wäre das Risiko, als Reporter einer bekannten Marke wie der „BILD“, von den IS-Kämpfern getötet zu werden, deutlich zu hoch. 

Was war Ihr schlimmster Moment bisher?

Ronzheimer: Sicherlich werde ich nie vergessen, wie ich in einem Schlauchboot mit Flüchtlingen war und die Kinder geschrien haben, als das Boot voll Wasser lief. Auch im Ukraine-Krieg gab es viele Situationen, die durchaus brenzlig waren. Am Ende war es für mich aber wichtig, eine Geschichte zu transportierten. So anstrengend und nervenaufreibend die Recherche auch war, am Ende ist es befriedigend, über Missstände zu berichten und den Leuten so Gehör zu verschaffen.

Ist das Aufrütteln also die Hauptintention hinter Ihren Geschichten?

Ronzheimer: Absolut. Nehmen wir die Flüchtlingskrise als Beispiel. Mit den Geschichten wollen wir die Leute aufwecken, zeigen, was Menschen auf sich nehmen und was der Krieg für Konsequenzen nach sich zieht. Für die Menschen dort, aber auch für Europa. Etwa, dass im Syrienkrieg von unseren Regierungen lange Zeit nichts unternommen wurde und man so in Kauf genommen hat, dass die Flüchtlinge massenweise nach Europa kamen.

Als Kriegsreporter ist man ständigen Gefahren ausgesetzt.  Bild: Jonathan Alpeyrie/BILD-Zeitung

Ich will dort sein, wo gerade Geschichte geschrieben wird.

Paul Ronzheimer
Stellvertretender Chefredakteur BILD-Zeitung

Der Krisenreporter Carsten Stormer hat vor einem Jahr zugegeben, aufgrund seines Jobs als Kriegsreporter an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt zu sein. Denken Sie, dass das eine Art einkalkuliertes Berufsrisiko ist?

Ronzheimer: Sicherlich gibt es diese Problematik in meinem Berufsfeld häufiger als bei anderen Berufen. Dennoch muss man hier differenzieren. Es gibt einerseits Reporter oder Kameramänner, wie etwa Robert King, die jahrelang durchgängig in Krisengebieten gelebt und gearbeitet haben. Diese Kollegen sind natürlich einer enormen psychischen Belastung ausgesetzt. Ich selbst war, mit Ausnahme des Ukraine-Krieges, meist nur temporär in den Krisengebieten. Ich war der Belastung also nicht permanent ausgesetzt.

Aus welchem Holz muss man geschnitzt sein, um diesen Job ausüben zu können?

Ronzheimer: Ein Wort: Vollblutreporter. Man muss sich völlig mit diesem Beruf identifizieren und natürlich auch viel auf sich nehmen. Ich habe früher auch nie geglaubt, dass ich Reportagen aus Krisengebieten machen könnte. Ich bin auch nicht Reporter geworden, um unbedingt in Kriegsgebieten zu landen. Das hat sich irgendwie ergeben. Bei mir war es auch nie so, dass ich, wie vielleicht manch andere Kollegen, Adrenalin spürte, wenn ich mich gefährlichen Situationen aussetzte. Mein Bestreben ist immer, eine Geschichte zu erzählen. Für mich ist es das Spannendste, dort zu sein, wo gerade Geschichte geschrieben wird. Das kann die Flüchtlingskrise, der Kampf gegen den IS, in Afghanistan oder in der Ukraine sein. Einfach dort, wo gerade jeder hinschaut. Und dort Geschichten zu finden, die besonders, die anders sind, das ist die Herausforderung.

Wie sieht der redaktionelle Alltag eines Reporters in einem Krisengebiet aus?

Ronzheimer: Das ist sehr unterschiedlich. Unter anderem spielt dabei eine Rolle, ob eine Krise so akut ist, dass sie in den Live-Nachrichten eine Rolle spielt. Im Ukraine-Krieg gab es zum Beispiel jeden Morgen eine neue Entwicklung. Das bedeutet, dass man häufig schon ab morgens live berichtet. Dabei muss man aber auch immer bedenken: Was kann ich für die Online-Berichterstattung tun, was kann ich für Video-Inhalte aufbereiten und was kann die besondere Geschichte sein, die man hinter einer Paywall oder eben auch in der Zeitung anbietet. Je nachdem, wo man recherchiert, spielen auch Netz und Datenübertragung eine wichtige Rolle. Unumgänglich ist regelmäßige Kommunikation mit den Kollegen. Gerade in einer Live-Lage kann sich auch in Sekundenschnelle alles wieder ändern. Bei anderen Geschichten wiederum, bei denen es keinen Zeitdruck gibt, hat man mehr Zeit für Recherche. Man kann sich seinen Tag dann nach eigenem Ermessen selbst einteilen und auch inhaltlich mehr in die Tiefe gehen. Wir bei Axel Springer können uns überhaupt glücklich schätzen, den Luxus zu haben, Reporter rauszuschicken. Viele Verlage haben diese Möglichkeit aus finanziellen Gründen leider nicht mehr.

Sie haben gerade ja schon die Kommunikation mit Kollegen angesprochen. Wie steht es um den Zusammenhalt und findet ein regelmäßiger Austausch mit Kollegen von anderen Zeitungen statt?

Ronzheimer: Es findet definitiv ein regelmäßiger Austausch statt. Wir arbeiten in keinem Feld, bei dem man zuallererst an Konkurrenz denkt. Man gibt sich Tipps, Ratschläge und greift sich gegenseitig auch mal unter die Arme. Sowohl die Kommunikation mit deutschen als auch mit internationalen Kollegen spielt eine wichtige Rolle. Gerade über die sicherheitsrelevanten Situationen in den Gebieten wird sich regelmäßig ausgetauscht. Kollegialität ist bei unserem Job sehr wichtig.

Ich lasse mir nicht vorwerfen, nicht mit allen Seiten zu sprechen.

Paul Ronzheimer
Stellvertretender Chefredakteur der BILD-Zeitung

Sie sind auch so gut wie nie alleine unterwegs, oder?

Ronzheimer: Nein, wir sind meistens zu dritt unterwegs. Neben dem Journalisten noch ein Kameramann oder Fotograf und ein lokaler Übersetzer, der sich mit den Begebenheiten vor Ort auskennt. Manchmal sind wir auch noch mit einem extra Fahrer unterwegs.

Ihre Artikel polarisieren ja auch sehr. Was entgegnen Sie Leuten, die Ihnen Subjektivität in der Berichterstattung vorwerfen?

Ronzheimer: Man transportiert ja immer seinen Blick oder den Blick des Reporters auf eine Situation. Da gibt es nochmal einen Unterschied, ob man das in einem Videoformat macht oder in einem Artikel. Natürlich ist eine Reportage immer subjektiv gefärbt. Was ich mir aber nicht vorwerfen lasse, ist, nicht zu versuchen, mit allen Seiten zu sprechen. Während des Konfliktes in der Ukraine habe ich Vitali Klitschko (Bürgermeister von Kiew, Anm. d. Red) sehr intensiv auf dem Maidan begleitet, mit Petro Poroschenko (ehemaliger Präsident der Ukraine, Anm. d. Red.) gesprochen. Aber auch in der Ostukraine habe ich den damaligen Anführer des Konflikts immer wieder interviewt und mich dafür in große Gefahr begeben, da mein Name pro-ukrainisch gefärbt war. Und das ist für mich das Entscheidende: Man muss alles in seiner Macht stehende tun, um jede Seite ihre Sicht der Dinge transportieren zu lassen. Das heißt aber nicht, dass ich als Journalist diese Sicht der Dinge zu übernehmen habe. Meine Aufgabe ist es auch, diese Sicht der Dinge einzuordnen und zu kommentieren. Im Ukraine-Krieg habe ich selbst gesehen, wie aus Russland Lügen verbreitet wurden. Es ging beispielsweise um vermeintliche Nazis auf dem Maidan, die es zu diesem Zeitpunkt dort aber nicht gab. Und meine Aufgabe ist es, dies aufzudecken und einzuordnen.

Die Bundeswehr bietet mittlerweile einen dreitägigen Crashkurs für angehende Kriegsreporter an. Was halten Sie davon?

Ronzheimer: Ich hab diesen Kurs vor vielen Jahren selbst absolviert. Ich würde jedem angehenden Kriegsreporter empfehlen, an diesem Kurs teilzunehmen. Es ist aber ein Irrglaube, dass man sich wirklich auf Ausnahmesituationen im Krieg vorbereiten kann. Man sollte jeden Vorbereitungskurs mitnehmen, aber dann ja nicht glauben, dass man tatsächlich vorbereitet ist.

Sollte es Ihrer Meinung nach mehr oder besser ausgebildete Krisenreporter geben?

Ronzheimer: Beides wäre wichtig. Freie Krisenreporter gibt es leider immer weniger, da neben dem Risikoaspektes auch die finanzielle Frage im Raum steht. Aufgrund des Smartphones gibt es heutzutage eine Schwemme von Material, weshalb auch der Fotomarkt sehr unter Druck geraten ist und es für Fotografen immer schwieriger wird, ihr Material an Redaktionen zu verkaufen. Auf der Welt gibt es viele Konflikte und Missstände, weshalb es wahnsinnig wichtig wäre, dass wir an Reportern dazugewinnen und keine verlieren. Außerdem wäre eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit lokalen Kollegen, die die Region kennen, sehr empfehlenswert. Diese sollten auch in etwaige internationale Berichterstattung eingebunden werden. Generell kann es nie genug gute Reporter geben. 

Zum Abschluss: Können Sie versprechen, dass Sie in zehn Jahren immer noch exakt dasselbe machen werden?

Ronzheimer: (überlegt lange) Ja, ich glaube, ich werde immer Reporter bleiben. Wobei sich meine Situation ja auch in diesem Jahr schon ein bisschen verändert hat, da ich gleichzeitig noch stellvertretender BILD-Chefredakteur geworden bin. Deshalb bin ich nun auch für andere Reporter und deren Berichterstattung zuständig. Aufgrund dessen kann sich an der Schlagzahl und Intensität meiner Berichterstattung immer mal etwas ändern. Ich werde aber definitiv nie aufhören, auch selbst zu berichten. 

Paul Ronzheimer war als Kriegsreporter unter anderem schon in Syrien, im Irak und in Afghanistan. Bildergalerie: Sergey Polezhaka, Claas Weinmann, M. Vadimsky, Andreas Thelen für BILD-Zeitung

Text: Niklas Niendorf, Titelbild: Paul Ronzheimer privat/BILD-Zeitung, Bild: Jonathan Alpeyrie/BILD-Zeitung, Bildergalerie: Sergey Polezhaka, Claas Weinmann, M. Vadimsky, Andreas Thelen für BILD-Zeitung

<h3>Niklas Niendorf</h3>

Niklas Niendorf

ist 21 Jahre alt, kommt aus Stuttgart und ist Chefredakteur von medienMITTWEIDA. Er begeistert sich für Sport und Politik und liebt es, zu reisen und neue Kulturen kennenzulernen.