Binge-Watching

Eine schaff ich noch

von | 14. Januar 2022

Warum Serienmarathons positiven Einfluss auf das Serienerlebnis haben, erfahrt Ihr hier.

The Walking Dead und Stranger Things sind Serien die mit Nervenkitzel, aufwändig gestalteten Charakteren und dem Wechselspiel zwischen Hoffnung und Verlust, dazu animieren, bis spät in die Nacht Folge um Folge zu schauen. Bis man vor Müdigkeit das Bett nicht mehr findet. Aber wie wirkt sich Binge-Watching auf unsere Psyche und Gesundheit aus? Der wissenschaftliche Mitarbeiter an der Professur Medienpsychologie Dr. Georg Valtin von der TU Chemnitz gibt medienMITTWEIDA via Zoom-Meeting Antworten.

Was ist Binge-Watching und was nicht?

Valtin: Für den Begriff gibt es in der Wissenschaft keine einheitliche Definition. Am besten beschreibt man den Begriff, indem man sagt: „Binge-Watching ist das bewusste, aufmerksame Schauen mehrerer Episoden einer bestimmten Serie am Stück.“ Es gibt keine offiziellen Richtwerte, ab wie vielen Folgen oder Stunden man Binge-Watching betreibt. Sicher kann man allerdings sagen, dass es immer mehrere Folgen hintereinander sein müssen. Von Binge-Watching spricht man typischerweise nur im Bezug auf die Rezeption von Serien.

Gibt es Ihrer Meinung nach ein Rezept für die perfekte Binge-Watching-Serie? 

Valtin: Es ist schwer von einem perfekten Rezept zu sprechen. Es sind eher bestimmte Charakteristika und Schemata einer Serie, die verstärkt zum Binge-Watching animieren. Allen voran, narrative Strukturen, die einer bestimmten Dramaturgie folgen. Moderne, komplexe Serien erfordern oft kognitive Beteiligung der Rezipienten und regen zum Mitdenken und Grübeln an. Darüber hinaus muss es innerhalb einzelner Episoden auch Szenen geben, die ruhiger sind, da Zuschauerinnen und Zuschauer nicht ständig angespannt sein können. Im Einklang mit der Narration spielen auch die Charaktere eine wichtige Rolle. Vor allem ambivalente Figuren, die sich entwickeln oder bei denen sich erst im Verlauf der Serie herausstellt, welche Intentionen sie haben. Solche Inszenierungen sind wie die Kirsche auf der Sahne. Die Zuschauerinnen und Zuschauer bauen parasoziale Beziehungen zu den Charakteren ihrer Serie auf, fiebern und fühlen mit ihnen mit. Diese Art von Spannung hält den Rezipienten dabei und weckt das Interesse, immer wieder wissen zu wollen, wie es weitergeht.

Parasoziale Beziehungen

Unter parasozialen Beziehungen, versteht man eine einseitige zwischenmenschliche Beziehung, die von Rezipienten zu Medienpersonen aufgebaut wird. 

Viele Menschen sagen, dass ihnen Serienmarathons zur Entspannung dienen, aber ist das wirklich möglich oder redet man sich das nur ein? 

Valtin: Für die meisten Menschen trifft das zu. Es entspannt und tut vielen gut, dem Alltagsstress durch den Genuss einer schönen Story zu entfliehen. Binge-Watching ist so ähnlich wie das Lesen eines spannenden Buches, wo Leserinnen und Leser ebenfalls oft für mehrere Stunden mit voller Konzentration und Aufmerksamkeit in eine narrative Welt eintauchen. Allerdings sind je nach Genre Unterschiede möglich: Action- oder Horror-Serien sind möglicherweise weniger entspannend als leichte Komödien. 

Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür, dass viele Menschen Binge-Watching betreiben und weshalb fällt es den meisten Menschen so schwer, mit Binge-Watching aufzuhören?

Valtin: Das Verlangen nach Geschichten ist schon sehr lange in der Menschheit verankert und seit Lagerfeuergeschichten sehr popular. Binge-Watching ist eine moderne und vor allem bequeme Form, dieses Bedürfnis zu erfüllen, da man mehrere Folgen am Stück schauen kann und die Auswahl an Serien bei den Streaming-Diensten so groß ist, dass für jeden Geschmack etwas dabei ist. Daher nutzen bereits 59 Prozent der deutschen im Alter von 16-29 Jahren kostenpflichtige Videostreaming-Dienste. Wenn es ein Angebot gibt, das für Menschen einfach zu nutzen ist und ihrem Verlangen entspricht, ist es ganz logisch, dass es genutzt wird. Perspektivisch wird Binge-Watching für serielle Inhalte der Standard-Rezeptionsmodus. 

Unter dem Aspekt, dass die Corona-Pandemie uns jetzt schon zwei Jahre beherrscht, denken Sie das Binge-Watching ein Zufluchtsort oder ein Ausgleich des Alleinseins für manche ist? 

Valtin: Sicher war es für manche teilweise ein Zufluchtsort oder ein Ausgleich zum Alleinsein, allerdings gibt es gerade gegen die Einsamkeit viele andere Kanäle, welche die Möglichkeit zu sozialen Kontakten bieten. In der Tat hat man während der Corona-Pandemie gesehen, dass die Nutzungshäufigkeit der Streaming-Dienste stark gestiegen ist. Die Pandemie brachte für die Menschen viele negative Situationen mit sich, was dazu führte, dass es ein erhöhtes Verlangen danach gab, in narrative Welten abzutauchen, in der dieses Thema keine Rolle spielt. Dieser sogenannte Eskapismus ist aber nicht neu, und schon vor Corona gab es diese Beobachtung, dass Menschen bei negativen Ereignissen gern über Serien oder auch andere Medien Ablenkung und Zerstreuung suchen. Darüber hinaus sollte man bei der Betrachtung der höheren Nutzung aber auch beachten, dass viele Menschen durch Lockdown, Quarantänen etc. ganz einfach mehr Freizeit hatten und angesichts mangelnder Alternativen einfach auch mehr Zeit für Binge-Watching hatten.

Hat Binge-Watching Ihrer Meinung nach seelisch oder körperlich negative Auswirkungen auf uns?

Valtin: Binge-Watching birgt oft eine negative Assoziation, da das Wort „Binge“ eine extreme Ausübung einer Tätigkeit beschreibt. Per se ist Binge-Watching nicht negativ, jedoch ist es schwer, hier eine absolute Aussage zu treffen. Unter bestimmten Umständen kann jeglicher extremer Medienkonsum dazu führen, seelisch oder körperlich negative Auswirkungen zu verspüren. Wenn man täglich zehn Stunden vor dem Fernseher verbringt und binge-watcht, ist das mit Sicherheit nicht gesund, dies gilt aber für jeglichen Medienkonsum. Binge-Watching ist nicht mehr oder weniger gefährlich als die intensive Nutzung von zum Beispiel Computerspielen oder Sozialen Medien. Die narrative Struktur einer Serie lädt vielleicht etwas mehr dazu ein, sitzen zu bleiben und weiter zu schauen. Allerdings sind wir Menschen natürlich keine willenlose Spielbälle unserer Umgebung: Unseren Medienkonsum können wir selbst aktiv bestimmen und kontrollieren. Zum großen Teil haben eher persönliche Faktoren Auswirkungen auf körperliche oder seelische Zustände als die Mediennutzung allein. In der Psychologie gibt es nur sehr wenige Stimmen, die beim Binge-Watching von einer Sucht sprechen. Insgesamt lässt sich bei Medienkonsum generell schwer unterscheiden, was noch als intensives Hobby gezählt werden kann und wo ein Suchtverhalten vorliegt.

Gibt es für Sie auch positive Auswirkungen?

Valtin: Ja, die gibt es, denn für die meisten Personen ist die Rezeption ihrer Serie ein positives und entspannendes Erlebnis. Bei Personen, die traumatische Ereignisse erleben mussten oder eine schlechte Lebensphase durchmachten, konnte man beobachten, dass sie sich mit Binge-Watching ablenken konnten. Regelmäßiger längerfristiger Kontakt zu einem Serien-Charakter weist Ähnlichkeiten zu realen sozialen Kontakten auf. Das kann sogar so weit gehen, dass, wenn ein Serien-Charakter eine Serie verlässt oder stirbt, ähnliche Emotionen bei den Rezipientinnen und Rezipienten ausgelöst werden, wie wenn eine reale Freundschaft zerbricht oder Beziehung endet.  Dieses Phänomen nennt man “Parasocial Breakups”.

 

Ebenfalls interessant ist die Parasoziale Kontakthypothese: Viele Menschen können Kontakte zu den unterschiedlichsten Charakteren eher über Medien knüpfen als im Alltag.  Als Trend in modernen Serien ist durchaus zu beobachten, dass es eine zunehmende Diversität bei Serienfiguren gibt. Forschungsergebnisse zeigen, dass hinreichende parasoziale Kontakte zu diesen Figuren das Potenzial zur Überwindung oder zumindest Reduzierung von Stereotypen haben.

Hat Binge-Watching Einfluss auf den Seriengenuss? 

Valtin: Auf jeden Fall, und zwar hauptsächlich einen positiven Einfluss. Die Serien sind so konzipiert, dass sie am besten Wirken, wenn man sie in mehreren Folgen am Stück schaut. Sicher kann es dem Genuss schaden, wenn man müde wird oder die Informationen nicht mehr verarbeiten kann, aber meist hört man dann von ganz allein auf.

Wie kann man Binge-Watching reduzieren? 

Valtin: Es gibt Persönlichkeiten, die haben mehr Probleme damit, Termine einzuhalten, ihre Aufgaben rechtzeitig zu erledigen oder insgesamt ihre Zeit vernünftig einzuteilen. Dann ist es hilfreich, auch Serienzeiten konkret einzuplanen und sich eine Binge-Watching-Session beispielsweise als Belohnung am Wochenende zu gönnen. Allerdings können die meisten Menschen ihren Medienkonsum ohne Probleme in den Alltag integrieren. Wer wenig Selbstkontrolle besitzt, sollte sich eine Organisationsstruktur erarbeiten und Freunde oder die Familie um Unterstützung bitten. Bisher sind nur sehr wenige Fälle von Personen bekannt, die nicht mehr vom Binge-Watching loskamen.

Insgesamt gilt: “Wie bei allen Dingen ist das Maß entscheidend!”

Text: Sophie Thurow, Titelbild: afra32 pixabay.com

<h3>Sophie Thurow</h3>

Sophie Thurow

ist 20 Jahre alt und studiert derzeit im vierten Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich seit dem Wintersemester 2021 und ist seit dem Sommersemester 2022 als Chefredakteurin tätig.