Entspannt am Handy sitzen, TikTok oder Instagram öffnen und ob man will oder nicht, vom Algorithmus seine Interessen angezeigt bekommen. Social Media verändert so ziemlich alles. Nun auch den Buchmarkt und unser Kaufverhalten. Aus früheren Zeiten weiß man, dass der Inhaltsbezug von größter Relevanz war, doch wo liegt der Fokus heutzutage?
Book…was?
Die Jugend liest nicht mehr? Ein Vorurteil, gegen das Tiktoker*innen und Instagrammer*innen aktuell ankämpfen. Auf TikTok und Instagram begegnen sich Buchliebhaber*innen, Autor*innen und Verlage, um sich untereinander auszutauschen und die Welt hinter den Buchstaben mit Leben, Inhalten und persönlichen Geschichten zu füllen. Unter den Hashtags #Booktok oder #Bookstagram hat sich eine junge Bücher-Community einen lesedidaktischen Kommunikationsraum geschaffen, indem sie Einblicke in ihr Leseverhalten und ihre Lieblingsbücher teilen. Aber auch Autor*innen erzählen mehr über ihre veröffentlichten Bücher. Dazu gehört z.B. was sie dazu bewegt hat, dieses Buch zu schreiben oder welcher ihr Lieblingscharakter ist. Die Hashtags wurden schon über 80 Milliarden Mal geklickt.
Immer mehr junge Kund*innen gehen in die Buchhandlungen und fragen nach Buchtiteln oder Autor*innen, die auf TikTok populär sind. Tiefgründige Buchanalysen lassen sich in 30 Sekunden Schnipseln natürlich nicht durchführen. Meist bleibt es dann nur bei oberflächlichen Buchbewertungen, die kurz an einigen Ecken auf sehr subjektive Bewertungen eingehen, aber eine richtige Buchrezension ersetzen die TikToks nicht. Instagram macht es den sogenannten Bookstagrammer*innen etwas leichter. Durch die Funktion der Bildunterschrift ermöglicht es vielen noch einige Sätze zum Buch dazu zu sagen, die sie im Video nicht mit erläutern konnten. Haken an der Sache ist, dass es auch hier eine Zeichenbegrenzung gibt. Also so richtig viel kann man auf diesen Plattformen nicht über die Bücher erfahren.
Buchmarktveränderung
Auch Buchhandlungen setzen nun auf TikToks, um Aufmerksamkeit zu generieren und so wirtschaftlich zu profitieren. Das sind meist Videos wie Buch-Challenges, mit hohem Unterhaltungswert aber geringem Tiefgang. Die Bestsellerlisten und Verkaufszahlen werden vermehrt durch die Instagrammer*innen und Tiktoker*innen beeinflusst, die für ihre Lieblingsbücher werben. Eine Chance für sogenannte Underdog-Bücher? Damit sind Bücher gemeint, die vor ein paar Jahren nicht genügend Anklang auf dem Buchmarkt gefunden haben. Sei es, weil es ein Herbstbuch ist, das kurz vor Weihnachten veröffentlicht wurde oder der Inhalt jetzt erst durch aktuelle Ereignisse an Relevanz gewonnen hat. Wenn ein paar Booktoker*innen dieses Buch in die Finger bekommen und es für gut empfinden, erfährt auch deren Community davon und das Buch erhält doch noch seinen Ruhm. Klingt eigentlich gar nicht schlecht.
Allerdings sind vor allem die Genres Young Adult, Fantasy und Romance vertreten, während andere großartige Bücher aus Genres wie Biographie oder Thriller im Hintergrund verschwinden. Bücher werden oft in Buchhandlungen als „Online-Empfehlungen” beworben. Das zieht auf jeden Fall an, wie Dr. Maximilian Hugendubel, Geschäftsführer der gleichnamigen Buchhandlung, gegenüber dem WDR bestätigt. Jetzt gibt es nicht nur die Internetempfehlungssticker, sondern auch Büchertische und Regale speziell für BookTok-Bestseller, auf die in den Filialen mit einem #BookTok-Schild aufmerksam gemacht wird. Für Leser*innen, die sich für diese Sorte Bücher interessieren, ist es leichter, diese auch in den Buchhandlungen zu finden. Das heißt dann aber auch, weniger Aufmerksamkeit für die anderen Bücher.
Aufschwung der Printmedien
Durch Social Media lassen sich neue Kundengruppen ansprechen, die erst durch die Plattformen von der Vielfalt der Bücher mitbekommen haben. Aber zahlt sich das wirklich für die Verlage aus? Denn auch Verlage wie dtv oder Oettinger sind bereits auf TikTok und Instagram vertreten. Aber Klicks allein bringen ihnen nicht viel. Die „Gesellschaft für Konsumforschung“ berichtet, dass die sehr junge Zielgruppe bis 29 Jahre nicht nur in der Leserschaft wächst, sondern auch zu Käufer*innen geworden sind. Das lässt sich darauf schließen, dass vor allem die Generation Z auf Instagram und TikTok unterwegs ist. Cover werden in die Kamera gehalten und damit ist eine ganz eigene Form der Literaturvermittlung entstanden: pastellig, fröhlich, spicy. Wie man auf TikTok beobachtet, ändert sich die Sichtweise, was bei Büchern wichtig ist.
Spezial- Ausgaben mit beispielsweise Farbschnitten, Verzierungen des Buchschnitts eines Buchblocks sind ein Element, wie der Buchmarkt wieder neu belebt werden soll. Dass jedoch von manchen Büchern Neuauflagen erscheinen, bei denen nur das Cover durch eine Schutzhülle geändert wurde und das alte sich noch darunter befindet, ist für mich eine reine Marketingstrategie. Durch BookTok und Bookstagram wird man dazu verleitet, diese neuere Auslage auch zu kaufen, obwohl man vielleicht das fast identische Buch schon zu Hause liegen hat. Neuer ist ja anscheinend immer besser — oder auch nicht.
Trotzdem haben diese verschiedensten Faktoren, wie BookTok und Bookstagram und der dadurch aufkommende Hype um Bücher, dafür gesorgt, dass Bücher und Print zum weniger aussterbenden Medium werden.
Druck für die Gesellschaft
Wer als Bookfluencer*in keine farblich sortierten Bücherregale, sehr hübsche Annotationen und Farbschnitte in seinem Inventar hat, ist out. Ganz davon zu schweigen, dass man im letzten Monat unbedingt einen Bookventskalender, also einen Adventskalender, in dem sich jeden Tag ein Buch befindet, haben musste. Das kostet einen dann mal schnell rund 300 Euro. Aber nicht nur dadurch wird Druck ausgeübt, sondern auch auf die Schnelligkeit des eigenen Leseflusses wird Wert gelegt. Denn hier scheint zu gelten: Quantität vor Qualität. Eigentlich sollte jeder in seinem Tempo ein Buch genießen dürfen und auch selbst bestimmen, wieviel Zeit man in das Lesen investieren möchte. Aber nicht auf Social Media. Das sogenannte „Mein Lesemonat“- Video der Bookfluencer*innen muss mindestens zehn Bücher beinhalten.
Druck wird aber auch auf die Autor*innen ausgeübt. Die Bücher werden mit ihrem Cover, wie ein Pokal, in die Kamera gehalten. Das löst natürlich einen erheblichen Druck auf die Covergestaltung aus. Auf TikTok zeigt sich, dass Bücher mit Cover, die reale Personen darstellen, weniger beliebt sind als andere. Denn wer will auch schon gerne das Gesicht einer fremden Person in ihrem ästhetisch aufwändig gestalteten Bücherregal stehen haben?
Seitdem es Farbschnitte gibt, wird viel mehr auf das Aussehen eines Buches geachtet. Da stellt sich die Frage: Cover or Content? Bild: Karolin Nemitz
Cover vs. Content
Farbschnitte und Cover sind schön anzusehen. Ich kann verstehen, dass Leute sich diese gerne ins Regal stellen. Zu beachten ist auch die in Deutschland geltende Buchpreisbindung. So ärgerlich sie in mancher Hinsicht ist, in diesem Fall ist sie gar nicht mal so schlecht. Wenn ich die Wahl habe, ein Buch mit Farbschnitt oder ein Buch ohne Farbschnitt für den exakt gleichen Preis zu kaufen, nehme ich natürlich das mit Farbschnitt. Davon aber abhängig zu machen, ob man ein Buch überhaupt kauft, ist nochmal eine ganz andere Sache. Farbschnitte und Cover sind Marketing und haben nichts mit dem Inhalt des Buches zu tun. Das sollte nicht der Grund sein, um ein Buch zu lesen. Wir lesen Bücher wegen des Inhalts, der Charaktere und dessen Geschichten. Manchmal auch, um aus der Realität zu flüchten. Weil wir selbst zu Hexen und Zauberern oder Prinzen und Prinzessinnen werden können. Das sollten wir uns immer wieder vor Augen führen. Dann ist es egal, ob die Geschichten in einem wunderschönen Buch mit Farbschnitt stehen oder in einem E-Book, das so gar keinen Schnickschnack hat. Wir müssen nicht alle BookTok-Bücher lesen, nur um auf TikTok oder Instagram bekannt zu werden.
Der Social-Media-Hype hat es geschafft, Bücher auf eine neue Ebene zu heben – nämlich die der Dekoration und Innenausstattung. Sie sind zwar immer noch das, was sie mal waren, jetzt nur noch ein bisschen mehr aufgehübscht. Ein schönes Bücherregal kann man genauso wie ein neues Paar Schuhe behandeln.
Das Wichtigste ist die Balance. Wir dürfen Farbschnitte lieben und wertschätzen. Wir dürfen sie uns auch wünschen, aber wir sollten niemals vergessen: Never judge a book by it‘s cover.
Text, Titelbild: Karolin Nemitz