Der bisher einzigartige Fall des Anders Behring Breivik ist eine Herausforderung für die Betroffenen wie auch für die Medien. Schließlich gibt Breivik offen zu, die Medien gezielt manipulieren zu wollen. Die tagesaktuelle Berichterstattung über den Prozess und das Thematisieren der ideologischen Motive des mutmaßlichen Mörders regen auch die Diskussionen über journalistische Verantwortung an. „Wir erleben eine neue Qualität von Indienststellung aller Eigenschaften eines Menschen für einen Kreuzzug und eine gigantische Medieninszenierung“, so Wolf-Michael Catenhusen, stellvertretender Vorsitzender des deutschen Ethikrates.
Presserat empfindet Berichterstattung als erfolgreich
Der deutsche Presserat hat nach eigenen Angaben nur wenig Beschwerden, Anfragen oder Rückmeldungen zu dem Fall Breivik bekommen. Da die bisherigen Beschwerden jedoch noch laufen, kann Edda Kremer, Journalistin und Referentin für Beschwerdeausschüsse beim deutschen Presserat, bisher keinen Verstoß gegen den Pressekodex bekanntgeben. In dessen Richtlinie 11.2 steht, die Presse müsse das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen sorgsam abwägen. Da die Menge der eingegangen Beschwerden eher gering ausfalle, sei laut Kremer bisher kein Grund zur Annahme größerer enstandener Konflikte. Die Presse stehe vor der Aufgabe, auf der einen Seite Hintergründe und Motive der Tat zu vermitteln, auf der anderen Seite dürfe dem Täter keine zu große Plattform gegeben werden. „Die Journalisten tragen daher eine hohe Verantwortung bei der Berichterstattung über den Fall Breivik. Bislang haben wir jedoch von keinen besonders diskussionswürdigen Ausreißern Kenntnis erhalten“, versichert Kremer.
Deutschland: Rechte Szene lehnt Gewaltinszenierung ab
„Eine seriöse Berichterstattung, auf Fakten beruhend und Widersprüche aufzeigend, ist ein wichtiger Pfeiler im aufreibenden Kampf gegen rechtsextremistisches Gedankengut“, sagt Marc Brandstetter vom Informationsportal „Endstation Rechts“. Nach den ersten Prozesstagen in Oslo sei ein Anstieg der Zustimmung zu menschenverachtendem Gedankengut nicht feststellbar: „Teile der hiesigen Szene sehen die Vorfälle sogar kritisch, da Gewalt immer zur Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft führt. Deshalb wird jedwede Gewaltanwendung aus taktischen Gründen abgelehnt, da sie dem eigenen Erfolg im Wege steht.“ Die norwegische Gesellschaft scheine sich verändert zu haben, sei noch offener geworden. „Ein Ergebnis, dass sich Breivik sicherlich nicht gewünscht hat“, so Brandstetter.
Kritik an zu viel Raum für Inszenierung Breviks
Ethikratsvorsitzender Wolf-Michael Catenhusen kritisiert jedoch die Berichterstattung einiger Medien. Der Prozess diene Breivik dazu, die Öffentlichkeit auszunutzen und seine Ideologien zu verbreiten. „Einige Medien haben Grund zur Selbstkritik, da von ihnen ungewollt eine Plattform für diese brutale Medienstrategie geboten wurde“, berichtet Catenhusen. Vor allem bei den Show-Effekten, wie Breiviks erhobenem Arm, sei dem mutmaßlichen Terroristen zu viel Raum gegeben worden. Solch eine brutale Medieninszenierung sei für die Betroffenen unannehmbar.
Dennoch sei der Versuch wichtig, die Motive Breiviks nachzuvollziehen. Schließlich fördere, so Catenhusen, die Berichterstattung die Meinungsbildung über die Person. Nach den öffentlichkeitswirksamen Aussagen des Angeklagten hätten sich einige Sympathisanten zu seinen Ideologien bekannt, allen voran extreme Islamkritiker. Durch diese Bekenntnisse könne die Öffentlichkeit außerdem besser einschätzen, ob eine solche Meinung von vielen ausginge „oder nur ein Produkt unserer Mediengesellschaft ist“, so Catenhusen. Die Frage, ob die Medieninszenierung gegenüber der Propaganda eher enthemme oder abschrecke, lässt er offen: „Das wird man erst nach Abschluss des Prozesses sagen können.“
„DJV“ fordert zurückhaltende Berichterstattung
Im Vorfeld der Verhandlung hat der deutsche Journalisten-Verband „DJV“ zu zurückhaltender Berichterstattung gemahnt. „DJV“-Bundesvorsitzender Michael Konken sagte, „Journalisten dürfen sich nicht zu Breiviks unfreiwilligen Helfern machen lassen.“ Nach Ansicht des Verbandes hätten sich die deutschen Medien jedoch „in ihrer Berichterstattung verantwortungsvoll verhalten.“
Der norwegische Rechtsextreme Breivik hatte im Juli vergangenen Jahres zwei Attentate in Oslo und Utøya verübt und dabei 77 Menschen getötet. Über die aktuellen Verhandlungen wird unter anderem von „bild.de“ mit einem Live-Ticker minutengenau berichtet. Bereits zu Beginn des Prozesses bekannte sich der Angeklagte zu seiner Tat.