Burnout

Wenn dein Körper nicht mehr kann

von | 29. Januar 2021

Das Erschöpfungssyndrom - Was steckt dahinter, wer kann es kriegen und wie bemerkt man es?

„An einem Abend, das weiß ich noch genau, bin ich aus der Arbeit raus und in mein Auto gestiegen. Ich stand komplett neben mir und bin wie ferngesteuert heimgefahren. Als ich daheim ankam, blieb ich erst mal im Auto sitzen und bin plötzlich einfach nur in Tränen ausgebrochen. Ich habe eine totale innere Leere verspürt, konnte einfach nichts machen und war total aufgelöst. Irgendwann kam mein Freund und holte mich in die Wohnung. Ich habe drei Stunden lang nichts gesagt. Irgendwann meinte er schließlich, dass ich mir Hilfe suchen sollte.“ Jessi ist 25 Jahre alt und leidet unter dem Burnout-Syndrom. Im Interview mit medienMITTWEIDA erzählt sie von ihren persönlichen Erfahrungen.

Ausgebrannt sein – das ist die deutsche Übersetzung des Wortes Burnout. Es beschreibt einen Zustand der totalen Erschöpfung, der sich sowohl psychisch als auch physisch zeigen kann. 2018 zählte die AOK durchschnittlich 5,7 Arbeitsunfähigkeitsfälle pro 1000 Mitglieder aufgrund einer Burnout Erkrankung. Die Diagnosehäufigkeit hat sich somit im letzten Jahrzehnt beinahe verdreifacht. Treffen kann es alle Menschen, in allen Lebenslagen. Besonders bei der jüngeren Generation wurde jedoch festgestellt, dass deren Stresslevel um einiges höher ist als früher. Das zeigt eine Studie der Mental Health Foundation. Dabei geben 41 Prozent der 25- bis 34-Jährigen an, aufgrund des steigenden Erfolgsdrucks mehr Stress zu empfinden.

Jung und überfordert

Besonders die sogenannte Generation Y ist von dem Burnout-Syndrom immer stärker betroffen. Doch wer genau zählt zu dieser Gruppe? Es handelt sich hierbei um die Menschen, die im Zeitraum von 1980 bis 1999 geboren wurden. Personen dieser Generation zeichenen sich, im Gegensatz  zu ihren Vorgängergenerationen, durch ein hohes Bildungsniveau aus. Viele verfügen über das Abitur oder sogar einen Hochschulabschluss. Ihnen stehen also alle Türen offen und sie sind gewillt, durch jede zu spazieren. Sie streben nach Selbstbestimmung, suchen den Sinn in ihrer Arbeit und wollen sich stets selbst optimieren. Gleichzeitig sind sie geprägt von Unsicherheit und gesellschaftlichem Druck. Ihnen ist eine Vielzahl an Möglichkeiten geboten, die es gleichzeitig kaum ermöglicht, eine Entscheidung zu treffen. Manche haben Angst, sich für das Falsche zu entscheiden oder etwas zu verpassen.

Einige dieser Faktoren können ein Erschöpfungssyndrom begünstigen. Doch worum handelt es sich bei einem Burnout eigentlich genau?

Influencerin Lisa-Sophie Laurent litt selbst am Burnout-Syndrom und erzählt hier über ihren Krankheitsverlauf und ihre Erfahrungen. Quelle: YouTube

Eine Erkrankung, viele Symptome

„Ich habe schon gemerkt, dass ich mich etwas gestresst fühlte, doch ich dachte nicht, dass da mehr dahinter steckt“, erinnert sich Jessi. Mit der Zeit wurde es aber schlimmer. „Ich wurde in manchen Situationen oft wegen Kleinigkeiten sehr schnell sauer, zum Teil auch richtig aggressiv und beleidigend.“ Ihr Freund meinte, sie solle sich doch mal ein paar Tage frei nehmen, aber das stand für Jessi nicht zur Debatte. „Alles gut. Außerdem brauchen die mich dort, ich kann sie doch nicht im Stich lassen“, war ihre Antwort darauf.

Solche Aussagen sind typisch für Menschen, die am Erschöpfungssyndrom leiden. Aufkommende Anzeichen werden einfach ignoriert und es wird weitergemacht wie bisher. Erschwerend kommt hinzu, dass das Burnout meist schleichend kommt und es somit nicht  so einfach zu erkennen ist. Es hat viele Facetten und zeigt sich bei jedem Menschen auf eine andere Weise. Insgesamt gibt es über 130 Symptome, die ein Anzeichen für die Erkrankung sein können. Zudem ist die Diagnose in keinem medizinischen Klassifikationssystem aufgeführt. Meist tritt das Burnout-Syndrom in drei Phasen auf. Diese sind gekennzeichnet durch anfängliche Überaktivität, gefolgt von Rückzug und Flucht bis hin zur Passivität. Letztere ist dabei geprägt von Teilnahmslosigkeit und allgemeinem Desinteresse. 

Zu Beginn merken Betroffene oft gar nichts davon. Meist zeigen sie ein sehr hohes Engagement für beispielsweise berufliche oder akademische Ziele und stecken ihre gesamte Kraft in dieses Projekt. Sieht man erste Fortschritte, so geht damit meist ein überwiegend positives Gefühl einher. Dieses verleitet jedoch dazu, sich noch mehr in die Arbeit zu hängen. Nach und nach wird es sowohl dem Körper, als auch der Psyche zu viel. Schleichend breitet sich der Erschöpfungszustand aus und bringt häufig verminderte Belastbarkeit, wachsende Stimmungslabilität und chronische Müdigkeit mit sich. Im sogenannten Endzustand” wird das Leben betroffener Personen oftmals von Niedergeschlagenheit und Entmutigung geprägt. Man ist innerlich komplett ausgelaugt und sieht aus dem Zustand, wie er aktuell ist, keinen Ausweg mehr. Oftmals ist die Person, wie sie früher war, nicht mehr wiederzuerkennen.

Neben den psychischen Symptomen können sich häufig auch körperliche, sogenannte psychosomatische Beschwerden entwickeln. So kann sich dieser Erschöpfungszustand auf das Immunsystem der Betroffenen auswirken, wodurch sie leichter anfällig für Infekte werden. Auch Schlafstörungen und Albträume sowie Atemprobleme und Schwindel können auftreten. Zudem steigt die Gefahr für Suchterkrankungen, da Betroffene dazu neigen, sich mit Alkohol oder anderen Rauschmitteln zu betäuben.

Ein gefährlicher Cocktail aus Stress, Hormonen und Perfektionismus

Einen einzigen Auslöser für ein Burnout-Syndrom gibt es nicht. Oft sind es mehrere Faktoren, die zur Entstehung beitragen. Zum einen können äußere Belastungen, beispielsweise die Arbeitsumwelt, ein Burnout begünstigen, zum anderen kommt es auch auf die psychische Beschaffenheit der einzelnen Person an. Ebenso spielt der Faktor Stress an dieser Stelle eine große Rolle. Durch ihn wird der Hormonhaushalt verändert, was schwere Folgeschäden mit sich bringen kann. In den meisten Fällen ist es jedoch das Zusammenspiel aller Aspekte, das zur Entstehung eines Burnouts führt. Laut Diplom-Psychologin Julia Farwer gehören zu den häufigen Auslösern besonders der gesellschaftliche Leistungsdruck sowie Perfektionismus.

Bei Jessi war es ähnlich. Sie ist ein sehr motivierter und zielgerichteter Mensch und hat sich sehr stark bei der Arbeit engagiert. „Anfangs war es ein total gutes Gefühl, man sieht die Erfolge und dass man etwas schafft.“ Mit der Zeit änderte sich das jedoch und Jessi wurde immer ausgelaugter. Dazu kam noch das Corona-Virus und der erste Lockdown Anfang 2020. Ihr Betrieb musste in dieser Zeit schließen und die Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit geschickt. Der geringere Verdienst stellte eine zusätzliche Belastung dar. „Als wir dann wieder geöffnet haben, kam ein sehr großer Andrang an Kunden, die zum Teil auch selbst gestresst und nicht immer gut drauf waren. Das haben sie dann mitunter an mir ausgelassen.“ Diese Situation, ihr Perfektionismus und der Druck, den sie sich selbst machte, vergifteten letztendlich ihren Körper und Geist. Mit einem traurigen Resultat – totale Erschöpfung. 

Es gibt immer noch viel Ungeklärtes zum Thema Erschöpfungssyndrom. Klar ist mittlerweile jedoch, dass der Stoffwechsel des Gehirns während eines Burnouts gestört ist. Ursache ist eine Störung des Kontrollsystems für Stresshormone. Dabei geraten die Nervenbotenstoffe Serotonin, Dopamin und Noradrenalin aus der Balance. Der Nervenzellstoffwechsel wird durch die dauerhafte Überaktivität des Stresshormonsystems so enorm gestört, dass Produktion und Abbau der Botenstoffe nicht mehr richtig funktionieren. Dies kann zu einer Störung bei der Übertragung zwischen den Nervenzellen führen, was sich wiederum auf die Gefühle und Gedanken des Betroffenen auswirkt. Folgen können Konzentrationsschwierigkeiten, fehlender Antrieb oder Schlafstörungen sein.

Hormone und ihre Wirkung

Diese Hormone werden auch als Glückshormone bezeichnet. Geraten sie jedoch aus dem Gleichgewicht, kann dies verheerende Folgen für Körper und Psyche haben.

Serotonin: Es ist an der Regulation unterschiedlicher Körpervorgänge beteiligt und gehört zu den Botenstoffen, die bei psychischen Erkrankungen und deren Behandlung eine große Rolle spielen. Da es stimmungsaufhellend wirkt und gleichzeitig auch die Stressantwort des Körpers abdämpfen kann, wird es auch häufig als “Wohlfühlhormon” bezeichnet. Dabei kann es entspannend, antidepressiv und motivationsfördernd wirken. Gerät es jedoch aus dem Gleichgewicht können Angst, depressive Stimmung sowie Aggression die Folge sein.

Dopamin: Dieses Hormon ist entscheidend für das menschliche Glücksempfinden. Es ist für eine vielzahl körperlicher Reaktionen verantwortlich, so etwa für den psychischen Antrieb, Lebensfreude, Wohlbefinden und Konzentration. Es steht in einer ständigen Wechselwirkung mit Serotonin. Kommt es jedoch zu einem Dopaminmangel, kann es zu Antriebslosigkeit, Müdigkeit und depressiven Verstimmungen kommen. Ursache für den Mangel können unter anderem ein Nährstoffdefizit oder chronischer Stress sein.

Die Dopaminausschüttung ist Teil des Belohnungssystems und kann somit durch Konditionierung verstärkt werden. Auch Essen oder Drogen können das Belohnungssystem aktivieren und Dopamin wird ausgeschüttet. Da der Körper dieses Glücksgefühl wieder erleben möchte, ist die gefahr groß, dadurch in eine Abhängigkeit zu geraten.

Noradrenalin: Dadurch wird die Reaktionskette der Stresshormone gesteuert. Bei psychischen oder physischen Belastungen wird der Körper durch das Hormon entsprechend aktiviert und kann die Körperfunktionen anpassen. Kommt es zu einem Mangel an Noradrenalin, können Gedächtnisstörungen und Motivationsabfall die Folge sein. Auch Depressionen können dadurch begünstigt werden. Bei dauerhafter Stresseinwirkung steigt der Wert anfangs stark an, kann jedoch bei anhaltender Belastung und fortschreitender Erschöpfung nicht gehalten werden und fällt daraufhin auf einen sehr niedrigen Wert ab. So ist es häufig bei einem Burnout-Syndrom zu beobachten.

Digitales Gift

Neben den oben genannten Faktoren können auch Social Media Plattformen wie Instagram ein Burnout begünstigen. Gerade junge Menschen verbringen bis zu 32 Minuten täglich in der App. Was dort zu sehen ist, sind überwiegend in Szene gesetzte Menschen, die Bilder meist bearbeitet oder mit einem Filter verschönert haben. Man bekommt ein unrealistisches Ideal von seinem Leben und den eigenen Körper vermittelt. Dieses ist oftmals unmöglich zu erreichen. Dazu kommt eine ständige Flut an Informationen und Impressionen sowie die Angst, etwas zu verpassen. Diese Faktoren können mitunter zu einem dauerhaft erhöhten Stresspegel führen, der als Folge unter anderem Schlafprobleme und ein schlechtes Immunsystem mit sich bringen kann. Untersuchungen zufolge kann dies die gleichen Symptome wie ein Erschöpfungssyndrom nach sich ziehen, weshalb in diesem Zusammenhang oft von einem sogenannten Social-Media-Burnout gesprochen wird.

Burnout=Depression?

Jessi selbst leidet schon seit ihrer Jugend unter psychischen Problemen wie Depressionen. Dazu kam nun auch das Burnout. Auf den ersten Blick gleichen sich beide Erkrankungen sehr, doch betrachtet man sie genauer, können einige Unterschiede festgestellt werden. Besonders Symptome wie Niedergeschlagenheit und Erschöpfung kommen in beiden Fällen vor. Doch geht es Burnout-Betroffenen meist schnell besser, sobald sie an dem Auslöser arbeiten und diesen versuchen zu verringern. „Burnout selbst wird häufig auf das Arbeitsleben beschränkt, wobei sich Depressionen eher auf alle Lebensbereiche beziehen können und tiefer sitzen“, sagt Julia Farwer. Ist der Betroffene also durch den Job oder das Studium gestresst, so kann er hier direkt am Ursprung der Stressquelle arbeiten und sich beispielsweise eine Auszeit nehmen oder das Arbeitspensum zurückschrauben. Bei einer Depression sind die Probleme meist tiefer verwurzelt und sollten anders therapiert werden.

„Meiner Meinung nach ist es eine Krankheit, die du dir zum Teil selbst schaffst, indem du dich zu sehr unter Druck setzt und nicht auf deinen Körper hörst. Würden wir mehr auf uns und unsere Bedürfnisse achten, könnte dieser Erkrankung sehr entgegengewirkt werden.“

- Jessi, Betroffene des Burnout-Syndroms

Ende gut, alles gut?

Laut Julia Farwer solle ein Burnout-Syndrom ausgehend von den Faktoren behandelt werden. Wie bereits erwähnt kommt es immer stark auf die einzelne Person an und in welcher Situation sie sich befindet. Oftmals ist jedoch die Hilfe einer Fachkraft, beispielsweise eines Psychologen, nötig. Soll dabei der mögliche Grund für das Verhalten ergründet werden, so bietet sich hier ein sogenanntes Tiefenpsychologisches Verfahren an. Doch auch eine Verhaltenstherapie wird gerne angewendet. Dabei werden gezielt krankheitsfördernde Verhaltensweisen verlernt und gesundheitsfördernde Techniken erlernt. „Es ist wichtig, auch mal Fehler zuzulassen und nicht so perfektionistisch zu sein. Auch seinen Hobbys nachzugehen oder Sport zu machen, kann in solchen Fällen schon helfen und einen Ausgleich schaffen“, meint Frau Farwer.

Als Jessi schließlich gemerkt hat, dass es so nicht weitergehen kann, ging sie zu ihrem Hausarzt. Aufgrund der von ihr geschilderten Symptome meinte dieser, dass es sich dabei um ein Burnout-Syndrom handeln könnte. Da sie sich nicht krankschreiben lassen wollte, verschrieb er ihr vorerst Antidepressiva und sie suchte sich einen Psychologen, bei dem sie nun in Therapie ist. „Wir sind dabei erst ganz am Anfang und haben wohl noch einen langen Weg vor uns“, meint Jessi. „Aber es hilft mir wirklich und meist fühle ich mich nach einer Sitzung immer sehr erleichtert und befreit.” Wie lange diese Erkrankung Jessi noch begleitet, kann man nicht sagen – sie ist jedoch auf dem besten Weg zurück in ein stressfreieres Leben.

Text: Carina Holl; Titelbild: Josy Schreier
<h3>Carina Holl</h3>

Carina Holl

ist 24 Jahre alt und kommt aus München. Sie studiert derzeit im vierten Semester Medienmanagement in der Vertiefung Economics und leitet das Lektorat für medienMITTWEIDA.