„Die Schwarzmarktware ist häufig verunreinigt und schafft zusätzliche Gesundheitsgefahren. Das können wir nicht länger hinnehmen. Deswegen wagen wir die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene in klaren Grenzen und drängen den Schwarzmarkt zurück, flankiert durch Präventionsmaßnahmen für Jugendliche.” Mit diesen Worten leitete Karl Lauterbach die Bundespressekonferenz am 12. April 2023 ein, in welcher das Zwei-Phasen-Modell zur Entkriminalisierung und Legalisierung von Cannabis vorgestellt wurde.
Warum soll Cannabis entkriminalisiert werden?
Trotz umfangreicher Strafen ist Cannabis beim Ranking der in Deutschland konsumierten Substanzen auf Platz drei. Der Anteil der 15-24 jährigen Jugendlichen und Erwachsenen, welche Cannabis mindestens einmal konsumiert haben, liegt in Deutschland bei knapp 40 Prozent. Für mehr als jede dritte Person über 15 Jahren ist der Konsum bereits Realität geworden. Ende April 2023 veröffentlichte Karl Lauterbach dann den von vielen deutschen Konsument:innen lang erwarteten Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung von Cannabis. Das sogenannte „Cannabisgesetz” soll den Anbau, die Abgabe und den Besitz von Cannabis regulieren und unter bestimmten Bedingungen straffrei machen. Jonas ist 27 und hat früher Cannabis konsumiert. Er hält eine Freigabe der Droge für lange hinfällig: „Viele in meinem Freundeskreis glauben immer noch nicht, dass es zur Entkriminalisierung kommt. Das Thema wurde in der Politik jahrelang vor sich hin geschoben und unter unsinnigen Vorwänden totgeschwiegen. Der Frust unter Konsument:innen ist enorm.”
Warum wurde Cannabis verboten?
Tatsächlich waren der Konsum und Besitz von Cannabis in Deutschland bis 1872 komplett legal und nicht reguliert. Eine durch den deutschen Kaiser Wilhelm I. erlassene Verordnung sorgte ab 1872 dafür, dass „Droguen und chemische Präparate“ fortan nur noch in Apotheken ausgegeben wurden. Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Pflanze, damals namentlich „indischer Hanf“, von Ärzten als Schmerzmittel verschrieben. Der Besitz und Konsum waren aber weiterhin straffrei.
Dies änderte sich erst 1912. Drei Jahre zuvor hatte sich eine internationale Opium-Kommission in Shanghai gebildet. Diese hatte anfänglich nur das Ziel, Opium zu verbieten. Bei der ersten internationalen Opium Kommission wurde das internationale Opiumabkommen verabschiedet. Cannabis wurde jedoch erst 17 Jahre später bei der zweiten Opiumkonferenz verboten. Dafür stimmte damals auch Deutschland, da es ein Abkommen mit Ägypten hatte. Demnach würde Ägypten den Import von deutschem Heroin nicht stoppen, sofern Deutschland einer Aufnahme von Cannabis in das Verbot zustimme. Vier Jahre später wurde das Gesetz implementiert. Der Besitz von Cannabis konnte nun mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft werden.
Wie sieht die aktuelle rechtliche Lage aus?
Heute ist Cannabis im Betäubungsmittelgesetz vermerkt. Demnach ist der Besitz einer Menge über dem durch die Bundesländer festgelegten Eigenbedarfs (für Sachsen sind das 6 Gramm) strafbar. Auch unter der Eigenbedarfsgrenze kann es zu Geldstrafen kommen. Ab einer beschlagnahmten Menge mit einem THC-Gehalt von 7,5 Gramm können Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren verhängt werden. Der THC-Richtwert für die Teilnahme am Straßenverkehr ist eine weitere Regelung, die viele Konsument:innen betrifft. Der Richtwert ist hier so niedrig angelegt, dass es durchaus möglich ist, ihn ein paar Tage oder sogar Wochen nach Konsum von Cannabis immer noch zu überschreiten, obwohl die minimalen Restbestände an THC lange keine psychoaktive Wirkung mehr zeigen. Immer wieder werden Konsument:innen aufgrund „zum Fahren unbedenklicher Werte” verurteilt. Die Strafen beinhalten hier immer Fahrverbote, Punkte in Flensburg sowie Bußgelder im dreistelligen Bereich. Auch Jonas hat viele Freunde, die das betrifft: „Die Richtwerte für Cannabis im Blut sind lächerlich und nicht ansatzweise an einer potenziellen Gefahr für den Straßenverkehr ausgerichtet. Ich kann gestern oder sogar vor Tagen gekifft haben, schon lange wieder nüchtern sein, und würde bei einer Kontrolle trotzdem mit einem zu hohen Blutwert auffallen.”
Welche Nebenwirkungen kann Cannabis haben?
Im öffentlichen Diskurs zu Cannabis ist es wichtig, die Nebenwirkungen der Droge zu betrachten. Kurzzeitige physische Nebenwirkungen des Konsums einer zu großen Menge Cannabis können Herzrasen, Schwindel und Übelkeit sein. Zusätzlich können psychische Nebenwirkungen wie Angstzustände, Orientierungslosigkeit, Erinnerungslücken und depressive Verstimmungen auftreten. Diese Nebenwirkungen werden vor allem von dem auf dem Schwarzmarkt erhältlichen Cannabis mit immer höherem Wirkstoffgehalt begünstigt. Der Gehalt des psychoaktiven Wirkstoffes von Cannabis (THC) hat sich in den zwölf Jahren von 2006 (durchschnittlich sieben Prozent THC) bis 2019 (durchschnittlich 17% THC) mehr als verdoppelt. Damit steigt nicht nur das Abhängigkeitspotenzial der Droge, sondern auch die Gefahr, insbesondere durch chronischen Konsum, Psychosen, bipolare Störungen, Depressionen oder Angstzustände zu entwickeln. Vor allem für jugendliche Konsument:innen ist eine Störung der Persönlichkeitsentwicklung zudem nicht auszuschließen. Außerdem kann chronischer Konsum zu einer chronischen Bronchitis oder einer chronischen obstruktiven Lungenerkrankung führen. Betroffene leiden oft unter Atemnot.
Cannabisabhängigkeit
Die Motive für den ersten Konsum sind häufig Gruppenzugehörigkeit und Neugierde. Die Verdrängung schlechter Gefühle wie Stress durch Konsum ist ein weiteres ernstzunehmendes Motiv, da hier die Entwicklung einer Abhängigkeit besonders häufig vorkommt. Diese zeigt sich bei jeder Person unterschiedlich. Häufige Symptome sind der Drang zum Konsum, das Vernachlässigen des Alltags zugunsten des Konsums, die Bildung einer Toleranz gegen die Substanz und die Entwicklung von Entzugserscheinungen. Entzugserscheinungen können von psychischen Symptomen wie Angstzuständen, Depressionen, Unruhe und Schlaflosigkeit sowie zu physischen Symptomen wie Schüttelfrost, Muskelzittern und Schwitzen reichen. Für Jonas sah ein Entzug so aus: „Ich war während meines ersten Entzugs einfach nur komplett antriebslos. Es war, als hätte mein Leben insgesamt an Farbe verloren: Essen hat kaum nach etwas geschmeckt und alles, was mir sonst bekifft Spaß gemacht hätte, war auf einmal recht trostlos. Ich glaube, es sind auch genau solche Umstände, durch die man rückfällig wird. Das ist echt nicht zu unterschätzen. Vor allem, wenn du länger regelmäßig konsumierst, wird der Entzug immer schwieriger.”
Suchthilfe
Solltest du oder Bekannte von dir von einer Abhängigkeit von Cannabis betroffen sein, könnt ihr euch hier über Suchtberatungs-und Hilfsangebote des DRK informieren oder euch unter (06062 / 607 67) an das bundesweite Sorgentelefon für Angehörige von Abhängigen wenden.
Gestrecktes Gras – eine ernstzunehmende Gefahr?
Doch neben der allgemeinen Gefahr, eine Abhängigkeit zu Cannabis zu entwickeln, macht sich über Jahre der Prohibition ein weiteres Problem bemerkbar. Auf dem deutschen Schwarzmarkt sind Streckmittel ein immer größeres Problem. Von herkömmlichen Streckmitteln wie Sand, Zucker oder Haarspray bis hin zu unberechenbaren und stark gesundheitsgefährdenden Streckmitteln wie Blei und synthetischen Cannabinoiden. Da der Erwerb von Cannabis für Konsument:innen auf dem Schwarzmarkt aber meist auf Vertrauen basiert, können sie sich selten komplett sicher darüber sein, ob das erworbene Gras tatsächlich sauber und frei von Streckmitteln oder anderen Verunreinigungen wie Düngerrückständen ist.
Besonders synthetische Streckmittel sind in den letzten Jahren zu einem immer größeren Problem geworden. Es gibt momentan 196 wissenschaftlich erfasste synthetische Cannabinoide. Die Wirkung und Dosierung des verunreinigten Cannabis sind unberechenbar. Jonas erinnert sich an seine erste Erfahrung mit synthetisch gestrecktem Cannabis: „Ich saß mit zwei Kollegen im Park, wir hatten uns auf einen Joint und eine Runde Tischtennis verabredet. Der Kollege, der das Gras mitgebracht hat, meinte schon vorher, dass es ziemlich stark ist. Aufgrund meiner damals noch recht geringen Toleranz hab ich erstmal nur paar Züge genommen. Das hat aber absolut gereicht. Nach ein paar Minuten ist mir schwindelig geworden, meine visuelle Wahrnehmung war auch komplett gestört. Erst musste ich mich hinsetzen, dann hinlegen. Mir war übel und ich war für eine halbe Stunde kaum ansprechbar. Für mich hat sich das ganze wie ein psychedelischer Kreislaufzusammenbruch angefühlt.”
Ist Cannabis eine Einstiegsdroge?
Ein weiteres Problem, welches der Schwarzmarkt für Konsument:innen darstellt, ist der Kontakt zu härteren Drogen. Die Annahme früher: Wer Cannabis konsumiert, konsumiert später auch automatisch härtere Drogen wie Kokain, Heroin oder Amphetamine. Diese Theorie wurde lange als Argument gegen eine Legalisierung genutzt, gilt jedoch seit einigen Jahren als widerlegt. 2019 haben sieben Prozent der Erwachsenen von 18 bis 64 Cannabis konsumiert, während nur 2,3 Prozent derselben Altersgruppe eine andere illegale Substanz zu sich genommen haben. Tatsächlich ist es umgekehrt: Der Kontakt mit härteren Drogen ist nicht auf den Kontakt mit weichen Drogen wie Cannabis zurückzuführen, sondern auf die Tatsache, dass Cannabis sich den Schwarzmarkt mit diesen härteren Drogen teilt. Wenn Konsument:innen sich ihr Cannabis illegal besorgen, laufen sie Gefahr, durch Handeltreibende mit anderen Drogen in Kontakt zu kommen. Jonas hat versucht, sich hiervon fernzuhalten: „Ich persönlich habe mir immer gesagt, dass ich eine klare Grenze bei chemischen Drogen ziehen will, und habe mich deshalb auch meist von Dealern ferngehalten, die mir irgendetwas anderes andrehen wollten. Da hatte ich auch immer direkt ein schlechtes Gefühl in Hinsicht auf Streckmittel.”
Wie sehen die Pläne zur Entkriminalisierung aus?
Das von Lauterbach vorgestellte Cannabis-Gesetz soll die momentane Gesetzeslage ändern und Konsument:innen schützen. Der nicht-kommerzielle Anbau von bis zu drei Pflanzen soll für Personen über 18 Jahren straffrei möglich sein. Wer mehr als 25 Gramm Cannabis mit sich führt, läuft Gefahr, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe verurteilt zu werden. Auch der gewerbliche Handel mit Cannabis sowie der Besitz von mehr als drei Pflanzen können bestraft werden. Dem Gericht wird hierbei jedoch ein rechtlicher Spielraum gegeben, von einem Urteil abzusehen. Dies fällt allerdings für das gewerbliche Handeltreiben sowie die Abgabe an Jugendliche weg.
Mit den Worten: „Der bisherige restriktive Umgang in Deutschland mit Cannabis ist gescheitert. Das Verbot von Cannabis kriminalisiert unzählige Menschen, drängt sie in kriminelle Strukturen und bindet immense Ressourcen bei den Strafverfolgungsbehörden“, ergänzte Bundesjustizminister Marco Buschmann einen wichtigen Aspekt des Gesetzes. Es kann insbesondere Konsument:innen, welche in der Vergangenheit für Cannabis-Delikte verurteilt wurden, helfen. Sofern der damalige Straftatbestand nach neuer Gesetzgebung irrelevant ist, werden die Einträge im Strafregister der Konsument:innen gelöscht. Jonas meint hierzu: „Die Löschung der alten Straftatbestände ist auf jeden Fall ein richtiger Schritt, um nicht die zu vergessen, die aufgrund jahrelanger Stigmatisierung und unnötiger Strafverfolgung zu Unrecht verurteilt wurden.”
Zusätzlich zum Anbau in den eigenen vier Wänden wird es auch sogenannte Social-Clubs geben. Diese sollen die Möglichkeit bekommen, unter staatlicher Regulierung und mit registrierten Mitgliedern Cannabis anzubauen und 25 Gramm pro Tag an Erwachsene abzugeben. Pro Monat kann hier eine Menge von bis zu 50 Gramm abgeholt werden. Auch der Konsum soll in diesen geteilten Clubs möglich sein. Untersagt ist der Konsum allgemein im Umkreis von 250 Metern rund um Kinder-und Jugendeinrichtungen, Sportplätzen und Kinderspielplätzen. In Fußgängerzonen darf nach Eintritt des Gesetzes nur vor 7 Uhr und nach 20 Uhr gekifft werden. Jugendliche sollen künftig besser präventiv über den Konsum und die Nebenwirkungen von Cannabis aufgeklärt werden.
Ist eine Entkriminalisierung der richtige Weg?
Die Nebenwirkungen und potenziellen Gefahren hinter Cannabis sind nicht zu verharmlosen. Allerdings haben Jahre der Prohibition gezeigt, dass die Strafverfolgung Konsument:innen nachhaltig schadet und einen Schwarzmarkt ermöglicht, auf welchem Streckmittel, überzüchtetes Gras und der Kontakt zu härteren Drogen eine bittere Realität sind. Das Cannabis-Gesetz soll nach der Sommerpause in seiner vollständigen Form vorgelegt und umgesetzt werden. Jonas meint abschließend: „Ich hoffe, dass wir mit diesem Gesetz an einen Punkt kommen, an dem Konsument:innen bedenkenfrei sauberes Cannabis erwerben, anbauen und konsumieren können. Einen Punkt, an dem die jahrelange Prohibition und Strafverfolgung einer Pflanze ein Ende findet. Außerdem ist wichtig, dass zukünftig offener über die Gefahren und Probleme im Zusammenhang mit Cannabis geredet werden kann, so dass Betroffene Hilfe bekommen und nicht stigmatisiert werden.”