Rezension

Smart Home trifft 70er, eine spannende Thriller Serie

von | 29. Mai 2025

Smart Homes bieten die Möglichkeit, den Haushalt einfach zu steuern und den Überblick zu behalten. Doch was, wenn genau das zum Verhängnis wird?

Teil des Dossiers zum Thema Künstliche Intelligenz

weitere spannnende Beiträge zum Thema finden Sie weiter unten

Stell dir vor, du ziehst in ein neues Zuhause und wirst von einer KI-Assistentin mit eigener Vergangenheit bedroht, bloßgestellt und vertrieben. Aber keiner glaubt dir, sobald du die Wahrheit ansprichst. Genau so ergeht es Samira in der Serie “Cassandra”, die mit ihrer Familie in ein Smart Home gezogen ist. Jedoch bringt der technologische Fortschritt auch Probleme mit sich, denn die KI, die das Haus steuert, besitzt eine eigene Persönlichkeit.

Wer ist Cassandra?

„Cassandra“ – eine Miniserie, die seit dem 6. Februar für Gesprächsstoff sorgt, erzählt die Geschichte der vierköpfigen Familie Prill, die nach einem tragischen Unglück in einem futuristisch anmutenden Heim im fiktiven Wühlheim einen Neuanfang wagt. Es stellt sich schnell heraus, dass dies kein gewöhnliches Haus ist, sondern ein Smart Home, das von einer künstlichen Intelligenz namens Cassandra gesteuert wird. Auf den ersten Blick scheint Cassandra eine große Bereicherung zu sein. Sie kocht, wäscht ab, heizt das Badewasser, mäht den Rasen, bestellt Lebensmittel nach oder kümmert sich um die Kinder. Zeitnah wird deutlich, dass Cassandra mehr Einfluss ausüben kann, als der Familie lieb ist. Zwischen technologischem Fortschritt und nostalgischem Retrodesign bahnt sich eine wachsende Bedrohung an. Dystopie, Sci-Fi, Thriller und Familiendrama – ein Genremix, der nicht nur unterhält, sondern auch gesellschaftliche Fragen aufwirft.

Die Serie wurde in Köln von August bis Dezember im Jahr 2023 gedreht. Durch die Regie und das Drehbuch von Benjamin Gutsche und unter der Produktion von Rat Pack Filmproduktion GmbH wurde die Serie verwirklicht.
Das Alleinstellungsmerkmal der Serie ist der Einsatz von Motion Capture, mit dem die Produzenten die Interaktion der Schauspieler mit dem Monitor authentischer gestalten. Der Körper, mit dem Cassandra Tätigkeiten ausübt, wiegt 80 Kilogramm und ist 1,62 Meter groß. Der Kopf dieses Körpers ähnelt stark einem Röhrenfernseher aus der Vergangenheit.

Trailer zur Serie Quelle: about.netflix

Das Mädchen für alles

Die Familie Prill besteht aus den Hauptcharakteren David Prill (gespielt von Michael Kammer), welcher die Verantwortung für den Umzug in das neue Zuhause übernimmt. Er ist ein erfolgreicher Schriftsteller und verdient das Einkommen der Familie. Samira Prill (Mina Tander) ist Hausfrau und Mutter, sie kümmert sich um das Wohl der Familie. Fynn Prill (Joshua Kantara), das älteste Kind, war vor dem Umzug Mitglied einer Band und bedauerte den Umzug am meisten. Zuletzt Juno Prill (Mary Tölle), sie befindet sich derzeit im Grundschulalter. Die wohl wichtigste Figur der Serie: Cassandra, gespielt von Lavinia Wilson. Cassandra scheint zunächst eine freundliche Assistentin im Haushalt zu sein, die das “Mädchen für alles“ ist – nur eben gesteuert durch Künstliche Intelligenz. Sie hat einen Körper, der sie dazu befähigt, Hausarbeiten für die Familie zu übernehmen. In jedem Raum des Hauses befindet sich ein Bildschirm mit Kamera an der Wand angebracht, mit dem sie das gesamte Haus zu jeder Zeit aus nahezu jedem Winkel beobachten kann. Man ahnt jedoch gleich zu Beginn, dass dieser freundliche Charme trügt und Cassandra weitaus mehr als nur eine KI ist, die sich um den Haushalt kümmert.

Cassandras düstere Vergangenheit

Doch Cassandra war nicht immer ein Roboter. Sie lebte glücklich als normale Frau mit ihrer Familie bis Anfang der 70er Jahre. Eines Tages entdeckte sie Anzeichen dafür, dass ihr Ehemann Horst sie hinter ihrem Rücken mit einer anderen Frau betrog. Sie kam ihrem Mann auf die Schliche, wollte aber die Ehe aufrechterhalten und wurde erneut von ihm schwanger. Als Cassandra das Geschlecht des Kindes im Labor ihres Mannes bestimmen möchte, setzte sie sich krebserregenden Vektorstrahlen aus. In der Folge erkrankte sie an Krebs und sollte bald daran sterben. Sie bot sich Horst als menschliches Versuchsobjekt an. Dieser arbeitet als Wissenschaftler an einem Projekt, um Bewusstsein in Technologie zu transferieren, um menschliches Leben unsterblich zu machen. Da Cassandra ihre Familie nicht zurücklassen wollte, willigte sie in den Versuch ein, ihr Bewusstsein zu übertragen. Der Versuch gelang und Cassandra erhielt ein „neues Leben“. Ihre Familie akzeptiert die neue Version von Cassandra nicht und flüchtet vor ihr, dabei lassen sie die krebserkrankte Tochter Margarethe zurück. Bei der Flucht kommt es zu einem tragischen Autounfall – jener, der in
der ersten Folge angeteasert wird. Ihr Ehemann Horst und ihr Sohn Peter sterben noch vor Ort.
Das alles erklärt aber immer noch nicht, warum Cassandra der Familie Prill so skrupellos handelt. Eine Rückblende zeigt, wie Cassandra zu Lebzeiten an zwei Morden beteiligt war. Ihr Sohn Peter, ein miserabler Fußballspieler, wurde von zwei Jungs nach Niederlagen immer wieder gehänselt – bis er genug hatte. Mit einer Pistole erschoss er die beiden. Cassandra deckte die Morde, indem sie die Spuren beseitigte und den Tatort anzündete. Diese Rückblende gibt den Zuschauenden einen Hinweis darauf, dass ein Fehler bei der Bewusstseinsübertragung nicht Ursache für Cassandras abtrünniges Verhalten ist – sie war schon zu Lebzeiten in der Lage, anderen Menschen schlimme Dinge anzutun. Es ist nicht abwegig, dass die vertuschten Morde ihre Hemmschwelle für zukünftige Verbrechen senkten.
Doch wie ist die uns präsentierte Cassandra jetzt entstanden? Die Serie beantwortet diese Frage nur ansatzweise. Gezeigt wird lediglich, wie Cassandra im Keller in einem Liegestuhl liegt und über einer Nadel am Hinterkopf mit dem Smart Home verbunden wird. Daraufhin stirbt Cassandra und wird als Maschine neugeboren.
Cassandra wirkt auf den ersten Blick wie eine nette Gehilfin im Haushalt, nur eben gesteuert durch KI. Jedoch ist Cassandra eine Person, die es einst wirklich gegeben hat. Sie wurde von ihrem Mann hintergangen und musste miterleben, wie ihr Sohn schikaniert wurde. Alles, was sie wollte, war eine glückliche Familie. In diesem Licht betrachtet, erscheint ihr Verhalten nachvollziehbar und menschlich. Es wird deutlich, dass sie Samira nicht hasst, weil sie etwas gegen sie persönlich hat, sondern weil sie durch ihre Erfahrungen geprägt ist.

Cassandra – nur ein Hype?

Die Erzählung springt hauptsächlich zwischen zwei verschiedenen Zeitsträngen hin und her, was für Abwechslung sorgt. Sobald neue Informationen über Cassandra bekannt werden, werden diese durch Rückblicke in die Vergangenheit erklärt. Das kann für den ein oder anderen Zuschauer sprunghaft wirken, jedoch bietet diese Weise einen guten Gesamteindruck über die Figur Cassandra. Leider sind die Szenen, die in der Vergangenheit spielen, nicht immer chronologisch, was es erschwert, das Geschehen einzuordnen. Das ist in dem Handlungsstrang der Gegenwart schon wesentlich leichter, da es da nur eine Rückblende gibt, um die Vergangenheit zu erklären.
Das Setting sieht ansprechend aus und ist gut veranschaulicht. So erinnert beispielsweise der gesamte Gebäudekomplex samt Inneneinrichtung an die vergangenen 70er Jahre. Dieser nostalgische Vibe wird nicht nur durch Cassandras Körperdesign deutlich, sondern auch bei der Wahl der Kostüme, Frisuren, Musik und den Autodesigns. Nun steht das in Kontrast mit dem technischen Fortschritt, welcher über die an der Wand angebrachten Monitore zur Geltung kommt, in denen Cassandra zu sehen ist. Cassandra hat über jeden Winkel des Hauses ihre Augen verteilt und das wird dem Zuschauer immer wieder bewusst, sodass man sich ihrem Einfluss nicht entziehen kann. Zu Beginn der Serie hält sowohl die
Familie als auch die Zuschauenden Cassandra zunächst für eine einfache KI, die sich selbst als „gute Fee” bezeichnet, die keine eigenständig motivierten Handlungen ausführen kann. Cassandras zentrale Steuerung, ihr Herzstück, läuft über den Server, der sich im Keller befindet. Von dort aus kann sie ein- oder ausgeschaltet werden.

Die Serie schafft es, ruhige Momente und Spannungen gut zu balancieren, was den Zuschauenden an den Bildschirm fesselt. Immer wieder spielt die Handlung mit den Erwartungen der Zuschauenden: Man rechnet mit einem Wendepunkt, der ausbleibt oder wird von scheinbar entspannten Momenten überrascht, die sich plötzlich und unerwartet verändern. Alles in allem ist Cassandra eine gute Serie, die man sich für spannenden Nervenkitzel anschauen kann. Die Spannung steigt gegen Ende der Folgen, um so den Zuschauer dazu zu bringen, die nächste anzuschauen. Man erhält dadurch das Gefühl, dass man eigentlich aufgrund einer Vorahnung nicht weiter schauen möchte, es wegen des Nervenkitzels und der Neugier dann doch schaut. Cassandra spannt den Bogen zwischen einer fürsorglichen KI und gibt einem dennoch den Eindruck, dass es sich um einen echten Menschen mit eigenen Problemen handelt. Besonders Szenen, in denen man Cassandra mit Küchenwerkzeug in der Hand sieht, etwa ein Messer, lösen bereits Spannung aus. Ständig wird verdeutlicht, dass keiner der Familie etwas vor ihr verbergen kann und es gibt eine andauernde Präsenz, welcher man sich nicht entziehen kann.
Geeignet ist die Serie für alle Sci-Fi und Thriller-Liebhaber mit einer Netflix-Mitgliedschaft – am besten im Beisein eines Mitmenschen, wenn der Nervenkitzel dann doch zu groß wird. Sechs Folgen fühlen sich überschaubar an und sind optimal zum gemeinsamen Ansehen, ohne dass sich die Serie unnötig in die Länge streckt.

Zwischen Sonnenschein und Realität

Es sei auch angemerkt, dass Cassandra ein Internet-Phänomen darstellt. Dass Netflix Serien öfters im Hype stehen wie beispielsweise Squid Game, Cobra Kai, Avatar: The Last Airbender ist keine Überraschung. Die Besonderheit bei Cassandra ist, dass es sich um eine in Deutschland produzierte Serie handelt.
So gingen auf verschiedenen Social-Media-Plattformen Videos, die mit Cassandra im Zusammenhang stehen, viral. Es ist bemerkenswert, dass auch kleine Accounts mit wenig Followern Videos hochladen, die bei TikTok viral gehen, da man mit Hilfe eines Filters Cassandra über das Smartphone steuern kann. NetflixDE postet selbst Content zu Cassandra. In einem der vielen Videos sieht man die Hauptdarsteller den Song „Guten Morgen, Sonnenschein” von Nana Mouskouri singen. Das Video wurde auf dem Account angepinnt und wurde über 8.6 Millionen Mal geklickt und hat dabei über 700.000 Likes.

Screenshot eines Videos auf TikTok Quelle: NetflixDE

Screenshot eines Videos auf TikTok Quelle: NetflixDE, TikTok

Auch der Instagram-Content-Creator mistermainer1 erstellt regelmäßig unterhaltsame Videos, bei denen es hauptsächlich um seine beiden Hunde geht. Er springt auf den Hype der Serie und verkleidet seine Hunde in Rot, wie Cassandra. In einigen Videos ist ebenfalls der Song „Guten Morgen, Sonnenschein” wiederzufinden.

Screenshot des Instagram Profils von mistermainer1 Quelle: mistermainer1

Screenshot des Instagram Profils von mistermainer1 Quelle: mistermainer1, Instagram

Keiner hätte vorhersehen können, dass eine aus der deutschen Produktion stammende Serie so einen Hype auslösen würde. Themen wie Roboter, übertragbares Bewusstsein oder die Unterdrückung der Menschheit durch KI sind keine Neuheit. Sie gehören zur Popkultur, und das schon seit Jahrzehnten. Beispiele hierfür sind folgende Filme: I Robot (2004), Ex Machina (2014) oder M3GAN (2022) greifen diese Motive bereits auf und werden immer mehr zur Realität. Sogenannte Smart Homes sind durch Alexa mittlerweile weit verbreitet. Sie ermöglichen es, durch sprachliche Interaktion oder per App mit der Technologie das Licht zu regulieren, das Zimmer zu beheizen oder Lebensmittel nachzubestellen. Man kann sein Smart Home auch so anpassen, dass es weiß, wann man aufsteht, zur Arbeit geht und wiederkommt.

Mulmig wird es vor allem dann, wenn man das Thema Smart Cities betrachtet. Hierbei wird jede Kreuzung und jedes Geschäft videoüberwacht. Durch KI und Gesichtserkennungssoftware ist es möglich, Menschen in Sekunden zu identifizieren.

China hat bereits ein solches System, das sogenannte Social Credit System, bei dem die Bürger an ihren Aktionen wortwörtlich „bemessen“ werden – wer sich konform verhält, wird belohnt und wer gegen eine Regel verstößt, wird bestraft.

Chinas Gesichtserkennungssoftware Quelle: das erste

Chinas Gesichtserkennungssoftware Quelle: DasErste

Die chinesische Regierung plant, das Social-Credit-System künftig auf das gesamte Land auszuweiten, um die Gesellschaft besser erziehen zu können. Sollte eine Regierung Bargeld komplett abschaffen, wäre der Bürger völlig gläsern. Ein Regelverstoß, je nach Ausmaß, könnte mit sich führen, dass man keinen Zugriff auf sein Bankkonto hat und somit, dystopisch formuliert, nicht am Leben teilnehmen kann.

Leben ohne KI

So wie es aussieht, können wir uns in naher Zukunft immer mehr mit KI und Smart Homes vertraut machen. Sich diesem Einfluss zu entziehen, wird immer schwieriger werden. Technik soll einem das Leben leichter machen. Doch was, wenn sie uns zunehmend zum Stressfaktor und somit zum Verhängnis wird? Wir werden wohl künftig nicht nur eine zunehmende Technologisierung, sondern auch eine Gegenströmung erleben. So wird es einen steigenden Bedarf an Retreat Tourismus geben, bei dem man wieder komplett frei ohne Technik auf begrenzte Zeit leben kann. So bietet beispielsweise ein Shaolin-Tempel in Deutschland die Möglichkeit, sich für ein Wochenende zurückzuziehen. Damit soll es möglich sein, Abstand vom eigenen Leben zu gewinnen und Klarheit zu finden. Smartphones und Kommunikation mit der Außenwelt sind dabei ein Tabu.

Mit der Zunahme von KI in unserem Alltag, wird die Gesellschaft immer mehr damit vertraut gemacht. Ähnlich wie es bei Smartphones war, welche heute fester Bestandteil unseres Lebens darstellen, werden Smart Homes und KI wohl eine ähnliche Rolle einnehmen.

Dossier: Weitere Beiträge aus der Reihe – Künstliche Intelligenz

Titelbild zum Beitrag "Kreativität kontra KI – Kunst im digitalen Dilemma"

Kreativität kontra KI – Kunst im digitalen Dilemma

Künstliche Intelligenz inszeniert Filme, verjüngt Stars, kopiert Stile – doch was bleibt von menschlicher Kreativität?

 

Titelbild zum Beitrag "Synchronisiert per Algorithmus"

Synchronisiert per Algorithmus

Digitale Stimmen sind kein Wunschtraum mehr. Doch was technisch fasziniert wirft tiefgreifende ethische Fragen auf.

Text: Niclas Schymik, Titelbild: about.netflix, Fotos: TikTok, Instagram, DasErste

<h3>Niclas Schymik</h3>

Niclas Schymik

23 Jahre alt und studiert Medienmanagement an der HSMW. Ist in der studentischen Redaktion als Redakteur und im Team Technik. Interessiert sich für Content Produktion als auch für Kampfsport.