sexuelle Belästigung

„Geiler Arsch!”

von | 27. Januar 2023

Aktivist*innen wehren sich gegen Belästigung. Die Fälle, die sie ankreiden, sind nur die Spitze des Eisbergs.

Triggerwarnung: In dem Artikel geht es um sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt. Wenn du Probleme mit dem Thema hast, ließ ihn bitte nicht oder nicht allein. 

“Hey, ich wurde gecatcalled.” So beginnt eine der Nachrichten, die bei” Catcalls of Chemnitz” eingehen. Eine Person beschreibt, wie ein Mann im Vorbeigehen ihr ins Ohr flüsterte: “Du bist cute”. Er war so nah, dass sie seinen Atem spürte. 95 Prozent der weiblichen Personen erlebten selbst verbale sexuelle Belästigung, zum Beispiel sexuell anzügliches Reden, Rufen oder Pfeifen. Doch auch Gesten wie Anhupen, Anstarren oder unangenehmes Gestikulieren werden als Catcall bezeichnet. Die Erfahrung von verbaler sexueller Belästigung kann bei Betroffenen zu Gefühlen von Hilflosigkeit, Schuld und Unsicherheit führen sowie Verhaltensänderungen bewirken. Was die Aktivist*innen Laura, Ellie und Laura M. von “Catcalls of Chemnitz” dagegen tun wollen, erzählen sie im Interview mit medienMITTWEIDA.

Die Betroffene schrieb dazu „Mir war das sehr unangenehm. Ich habe es erst gar nicht realisiert, ich habe mich umgedreht und der hat nur schelmisch geritzt.“
Foto: Catcalls of Chemnitz 

Wer seid ihr? 

Laura: Wir sind “Catcalls of Chemnitz”, uns gibt es jetzt seit etwa einem Jahr. Wir setzen uns gegen sexuelle Belästigung in verschiedenen Formen ein. Meistens läuft das über Instagram, aber wir haben auch eine Mail. Leute schreiben uns, was wo passiert ist und dann gehen wir dort in der nächsten Zeit hin und schreiben das mit Kreide. Kreiden das an. Das ist unsere Art, die Aufmerksamkeit darauf lenken zu wollen, weil das ja sonst häufig Sachen sind, die nicht weiter thematisiert werden. Über die man gut hinwegsehen kann. 

Laura M.: Die Organisation, die dahinter steht, ist Chalkback und die wurde eigentlich in New York gegründet, um verbale sexualisierte Gewalt oder Belästigung sichtbar zu machen. Das gibt es jetzt schon in ganz vielen Städten und in Deutschland auch. In Chemnitz gab es das noch nicht und wir waren echt erstaunt darüber, wie viel Zuspruch wir bekommen haben. 

Ellie: Wir machen auch ab und zu Workshops.

Wie viele Aktivist*innen seid ihr in der Gruppe? 

Laura M.: In der Gruppe sind zehn Leute.

Ihr seid seit einem Jahr aktiv. Wie kam es denn zur Gründung?

Ellie: Ich wurde von einer Männergruppe belästigt. Die haben mir hinterhergerufen “Bisexuell, bisexuell”. Ich fand es super unangenehm. Das habe ich einer Freundin von mir erzählt und dann sind wir drauf gekommen, dass sowas allen weiblich gelesenen Personen, die wir kennen, schon mal passiert ist. Das ist scheiße und wir hatten keinen Bock mehr uns das gefallen zu lassen. Dann hat sie erzählt, dass es Cat Call of … schon in voll vielen Städten gibt. Also haben wir gesagt “Lass das auch mal machen” und haben Chalksback geschrieben.

Ihr bietet an, die Erlebnisse der Betroffenen von Catcalling anzukreiden. Wie viele Personen melden sich bei euch? 

Ellie: Ich habe das Gefühl, dass es total davon abhängig ist, wie viel wir gepostet haben. Je mehr Sachen wir posten, desto mehr Nachrichten bekommt man auch. 

Laura M.: Letztens haben wir eine Belästigung im Bus geteilt und dann haben uns ganz viele Leute geschrieben, dass ihnen das auch passiert ist oder dass sie das beobachtet haben und dies schon seit Jahren der Fall ist. Mit dieser einen Person, die das macht. 

Ellie: Ein bis zwei pro Woche? 

Laura M.: Ja, vielleicht im Durchschnitt. 

Wie läuft das ab, wenn ihr ankreiden geht? 

Laura M.:Normalerweise schauen wir, welche Anfragen oder Berichte in letzter Zeit so reingekommen sind und wo die Orte sind, an denen das passiert ist und schauen dann, ob wir eine sinnvolle Laufroute finden. Dann nehmen wir Kreide mit und schauen, dass wir nicht alleine sind. Meistens machen wir es als Gruppe. So zwei bis drei oder auch mehr Leute. 

Wir lesen dann nochmal durch, was genau vorgefallen ist und versuchen, dann halt so zu zusammenzufassen, dass es verständlich ist, um was es geht und den Inhalt widerspiegelt. Dabei achten wir darauf, dass es den sexualisierten Inhalt hat, aber Leute nicht triggert, die darüber stolpern.  

Dann schreiben wir es ganz groß und bunt dahin. Machen Fotos und das Bild mit dem Bericht des Vorfalls stellen wir dann auf Instagram. 

Die Person schrieb dazu „Bin gerade mal 20 Minuten in Chemnitz und mich hält ein Typ an „Hey, sorry, ich wollte dir nur mal ein Kompliment machen. Hast einen richtig geilen Arsch.“ WTF ey.“

 Foto: Catcalls of Chemnitz

Gibt es eine Situation, die euch besonders in Erinnerung geblieben sind? 

Laura: Mir ist das im Rathaus in Erinnerung geblieben. Also wir waren am Rathaus und haben da angekreidet, dass  eine Person von zwei Politikern belästigt wurde. Als wir angekreidet haben, war schon Weihnachtsmarkt. Es waren so zwei Meter Abstand zwischen dem Weihnachtsmarkt und den Eingangsstufen. In diesen zwei Metern waren wir und die Menschen sind aus dem Rathaus zum Weihnachtsmarkt gegangen und waren dermaßen verständnislos. Sie sagten: “Ne also bei uns kann keine sexuelle Belästigung passiert sein, wir hatten da neulich erst einen Workshop”. 

Das fand ich wirklich deprimierend, weil ich das Gefühl hatte, da war wirklich gar kein Bewusstsein für eine strukturelle Komponente. Also schön, wenn es einen Workshop gab, aber das geht nicht mit einem Mal alles weg. Es sind mehr als die Einzelfälle, die wir dann schaffen irgendwo hinzuschreiben. Das ist dann nur die Spitze des Eisberges . Das ist mir im Gedächtnis geblieben.

Foto: Catcalls of Chemnitz

Wie reagiert ihr auf Menschen, die eure Aktionen nicht nachvollziehen können oder es ablehnen?  

Ellie: Manchmal erklären wir es denen und manchmal finden wir es emotional zu anstrengend, es denen zu erklären und die Diskussion jetzt anzufangen. 

Laura M.: Es kommt sehr drauf an. Es gibt manchmal Leute, die interessiert sind. Und es gibt andere Leute.  Manchmal kommt zum Beispiel die Polizei und dann muss man halt erklären, dass die Farbe wieder abgeht. Im Prinzip können die auch nichts dagegen machen, denn wenn es reversibel ist, darf man das eigentlich, aber ich glaube, die waren vom Inhalt nicht besonders begeistert. Also, es war eine Polizistin, die von dem Inhalt nicht begeistert war, und ein Polizist, der fand es ganz in Ordnung.

Woran habt ihr bemerkt, dass die Polizistin nicht begeistert war?

Laura M.: Sie hätte uns sonst, glaube ich, weggeschickt. 

Ellie: Ja, sie meinte so “Sie haben wirklich Glück, dass das weggeht, sonst hätten sie jetzt eine Anzeige am Hals” und er war so: “Komm, wir gehen weiter.” Und dann zu uns: “Ja, das ist super. Machen Sie weiter.” Und ein SItuation ist mir noch besonders im Gedächtnis geblieben, bei der Security vorm Tietz (ein Kulturzentrum in Chemnitz Anm. der Redaktion).

Auf Instagram habt ihr den Verlauf der Aktion beschrieben. Ihr wurdet immer wieder weggeschickt, was war da los?  

Laura: Ja das war auch bisschen surreal, weil der Security Mann meinte: “Ja ich finde es ja inhaltlich gut, aber ihr dürft auf keinen Fall hier weiter mit der Kreide was auf den Boden schreiben.”



„Auch beim 2. Versuch konnten wir den Schriftzug nicht beenden. Danke für nichts, Chemnitz!“ Schrieben sie auf Instagram zum missglückten Versuch. 

Foto: Catcalls of Chemnitz

Laura: Was ich auch immer ganz “nett” finde, wenn man das so sagen kann, ist, wenn Kinder darauf aufmerksam werden. Also Kreide und Katzen auf dem Boden oder halt so gemalte Sachen, das zieht ja die Aufmerksamkeit. Ich habe das Gefühl, wenn Kinder schauen oder dann irgendwie so nachfragen und wir erklären, dass sich jemand falsch verhalten hat, dann ist da Verständnis da. Die sind Kinder meistens so “Ja, verstehe ich.

Ein Kritikpunkt, an der Sichtbarkeit, die ihr schafft ist, dass auch traumatisierte Personen das sehen können und sie davon getriggert werden. Wie steht ihr dazu?

Laura: Ich glaube man unterschätzt verbale sexuelle Belästigung. Viele sind damit  sowieso im Alltag konfrontiert, sodass es aufgeschrieben auf der Straße nichts Neues ist. 

Ellie: Also ich weiß nicht, wie oft ich gecatcallt wurde. Also es ist jetzt nicht, dass man plötzlich daran erinnert wird, wenn es auf der Straße steht. 

Laura M.: Wir achten schon darauf, dass man nicht darüber stolpert und retraumatisiert wird. Man weiß natürlich nicht, was für Leute triggernd sein kann, aber ich glaube der Sinn davon ist ja, zum einen darauf aufmerksam zu machen und zum anderen finde ich, dass dies auch empowernd für Leute sein kann, die sowas Ähnliches schonmal erlebt haben. 

Ellie: Ja, ich glaube auch, dass sich Leute oft komplett hilflos oder allein gelassen fühlen mit dem, was passiert ist, weil es halt auch nicht so richtig strafbar ist. Aber es ist schon so, dass es einen belastet. Dann ist es aber cool zu sehen, dass es auch Leuten wichtig ist und sie auch etwas machen. Deshalb ist es, glaube ich, schon eher nice. Wenn wirklich was möglicherweise Traumatisierendes passiert ist, haben wir auch schon Sachen geschrieben wie: “Hier ist ein Übergriff passiert.” oder so. Wir haben also nicht genau die Situation beschrieben. 

Was denkt ihr, wird durch das Ankreiden erreicht?

Ellie: Viele Leute fühlen sich gehört und gesehen und fühlen sich nicht so alleingelassen damit. Ich hoffe eigentlich auch, dass wir erreichen, dass manche Leute, die Catcalling machen, sehen, dass es nicht okay ist.

Laura M.: Meine Wunschvorstellung wäre, dass sich auch Typen gegenseitig darauf aufmerksam machen, dass so ein Verhalten nicht cool ist, weil ich glaube, das ist so tief verankert. Dass es nicht in Ordnung ist, in irgendeiner Weise Bemerkungen über andere Leute zu machen, ohne darüber nachzudenken, was das vielleicht bei der anderen Person macht. Und dass sie auch checken, dass es nicht die Verantwortung von weiblich gelesenen Personen ist, sie darüber aufzuklären, sondern dass sie auch ihre Kumpels darauf aufmerksam machen können. 

Was wünscht ihr euch in der Zukunft?

Laura: Eine strukturelle Veränderung. 

Laura M.: Und zwar auf ganz vielen Ebenen. Es gibt diesen Aktivismus vor allem deshalb, weil es überhaupt keine rechtliche Erfassung gibt. Es ist in Deutschland nicht strafbar, man hat einfach nichts dagegen in der Hand und das führt zu einer noch größeren Machtlosigkeit in solchen Situationen und es wäre natürlich mega, wenn sich das ändern würde, so auf der juristischen Ebene. Und wenn Männer so erzogen werden, dass es früher losgeht, dass sie verstehen, dass es nicht in Ordnung ist, Macht, die einem durch das Geschlecht gegeben ist, einfach gegenüber anderen Menschen auszuspielen. 

Laura: Und dass auch in Männergruppen das gegenseitige Schützen und das nicht aufmerksam machen auf Scheißverhalten aufhört.

Text: Klara Behner und Annika Junghänel, Bilder: Catcallsofchemnitz 

<h3>Klara Behner</h3>

Klara Behner

ist 21 Jahre alt und studiert im dritten Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagierte sie sich als Assistentin der Bereichsleitung Campus und leitete das Ressort Gesellschaft. Seit Sommersemester 2022 ist sie als Chefredakteurin tätig.