Mittwoch, 18.40 Uhr. Ich schreibe Paco die Nachricht „Ich bin da“. Ein paar Sekunden später öffnet sich die Tür zum Studio von PARADOX. Die Decke und Wände sind mit schwarzen Schallabsorbern abgehangen. Teppiche, braune Holzbalken und Pflanzen sorgen für eine gemütliche Atmosphäre. Mit einem kalten Bierchen in der Hand setzen wir uns auf das Sofa und quatschen über PARADOX und die Rap-Szene in Chemnitz.
Paul (links) und Paco (rechts) aka PARADOX, Foto: Tillmann Wegner
PARADOX ist ein aufstrebendes Rap-Duo aus Chemnitz. Paco und Paul, beide 26 Jahre alt, machen seit 2017 gemeinsam Musik und haben 2020 begonnen, ihre ersten Songs zu veröffentlichen. Entstanden ist PARADOX durch wöchentliche Treffen bei Paul zu Hause, wo sie gemeinsam Musik hörten und die ersten kreativen Ideen entsprangen. Mit den von Paul gebauten Beats fingen die beiden an zu rappen und aus einer einfachen Idee wurde schnell ein konkretes Projekt. Mit viel Leidenschaft arbeiten die beiden daran, mit ihrer Musik durchzustarten und ihre eigene Stimme in der Rap-Szene zu etablieren, mit dem Traum, ihr Hobby zum Beruf zu machen.
Welche Themen greift ihr in euren Songs auf und worauf legt ihr dabei besonders Wert?
Wir greifen schon eher deepere Themen auf – also das, was in unseren Köpfen abgeht und unsere innersten Gedanken. Das wandeln wir dann eben in Musik um. Für uns ist das wie eine Art Selbsttherapie, weil wir dabei viele Dinge verarbeiten können, und das tut dann am Ende auch irgendwie gut. Es werden also schon oft mentale und emotionale Themen angesprochen. Klar, hin und wieder machen wir auch mal so „in die Fresse”-Rap, aber das kommt bei uns eher selten vor. Am Ende soll die Musik ehrlich sein und das widerspiegeln, was uns ausmacht.
Wie kann man sich euren Prozess beim Produzieren von Songs vorstellen?
Unser Prozess sieht eigentlich jedes Mal anders aus. Wir haben also keinen festen Ablauf oder kein Konzept, dem wir folgen. Meistens fängt es mit einer Idee an, die uns packt und die setzen wir dann um. Das kann zum Beispiel damit beginnen, dass Paul einen Beat baut und ich darauf aufbauend einen Text schreibe. Das kann aber auch damit anfangen, dass ich einen Text geschrieben habe oder einen Text im Studio schreibe und Paul parallel dazu einen Beat baut. Sobald der Track steht, geht es an die Aufnahme und danach kommen die Feinarbeiten wie Mixing und Mastering. Auch das Cover vorzubereiten gehört da mit dazu. Wenn das dann alles passt, wird der Track released.
Was ist eure größte Herausforderung?
Ich würde sagen, die größte Herausforderung beim Bekanntwerden ist es, erstmal überhaupt aus dieser ganzen Masse herauszustechen. Es gibt momentan unheimlich viele Leute, die Musik machen und veröffentlichen, einfach weil es so leicht geworden ist. Da schlussendlich den Weg zu finden, sich von der Menge abzuheben, ist schon das Schwierigste. Social Media ist dabei für uns auch ein großer Punkt. Das ist fast eine eigene Rubrik für sich alleine. Heutzutage kann man nicht einfach nur Künstler sein, sondern muss auch Experte auf dem Gebiet Social Media sein. Darüber wird extrem viel ausgetragen. Man muss sich selbst also irgendwie präsentieren und herüberbringen können, was uns manchmal ganz schön schwerfällt. Allein schon das Thema Reels auf Instagram – wann postet man die, wie macht man die ansprechend oder welche Reels funktionieren überhaupt? Dann schneidet man das auch noch selbst, also muss man sich nebenbei auch in Schnittprogrammen auskennen. Da kommt ganz schön viel dazu, was eigentlich nichts mit Musik machen an sich zu tun hat. Es ist also nicht mehr nur die Musik, sondern das ganze Drumherum, das mit dazu beiträgt, ob man Erfolg hat oder nicht. Ich glaube, deswegen ist Social Media so ein Punkt, der für uns schwierig ist.
Auf welche bisherigen Erfolge oder Meilensteine seid ihr besonders stolz?
Eigentlich sind wir auf jedes Album, jedes Tape und jede Single, die wir herausgebracht haben, stolz. Jeder Song ist für uns ein Erfolg, weil wir da immer alles hineinstecken. Vor allem auch auf die Live-Konzerte sind wir richtig stolz. 2020 hatten wir unser erstes Konzert mit unserem ersten Album – das war damals quasi eine Release-Show. Das war schon ein krasser Moment, das erste Mal live aufzutreten und zu sehen, wie das Publikum zu der eigenen Musik abgeht. Auch die letzten Auftritte, wie auf dem Fuego-Festival oder im Club Atomino, waren ein echter Push und Erfolg. Das ist genau das, was einen antreibt, wenn man die Energie der Leute spürt und merkt, dass die Songs wirklich ankommen. Dazu kommt noch das Gefühl, eigene Sachen wie T-Shirts, Plakate, Sticker oder CDs in der Hand zu halten. Das macht schon Bock und motiviert einen extrem.
Welche langfristigen Ziele habt ihr als Künstler, beziehungsweise was wollt ihr noch erreichen?
Das Schönste wäre wirklich, komplett unabhängig zu sein und allein mit der eigenen Musik genug zu verdienen. Dabei geht es auch gar nicht darum, riesige Summen zu machen, sondern einfach so über die Runden zu kommen, dass man nicht nebenbei noch irgendwas anderes machen muss – also echt unser Hobby zum Beruf machen. So ein eigenes Ding aufzubauen war schon immer ein Traum von uns. Das dann einfach durchzuziehen und immer weiter daran zu arbeiten, ist total geil und macht echt Spaß.
Wie würdet ihr die Chemnitzer Rap-Szene anhand eurer Erfahrungen beschreiben?
Da kann ich gar nicht so viel zu sagen, weil wir an sich gar nicht so viele Rapper persönlich kennen. Die, die wir kennen, wirken aber oft sehr distanziert, sehr eigen und irgendwie sehr auf sich selbst bezogen. In Chemnitz haben wir bisher jedenfalls noch keinen krassen Zusammenhalt erlebt. Es gibt natürlich auch ein paar wenige, die echt hinter einem stehen und da mitmachen, wie unser Freund Gonshi. Er zum Beispiel ist einer, der uns sehr supportet. Aber solche Leute sind hier eher die Ausnahme. Zumindest haben wir bisher diese Erfahrung gemacht. Ich glaube, Chemnitz ist zu klein, um freundschaftlich zu denken. Hier ist es dann eher ein Gegeneinander als ein Miteinander. Ich habe das Gefühl, es herrscht eher ein Konkurrenzdenken und viele sehen nur sich selbst. Es geht dann bloß darum, sich selbst irgendwie hochziehen und pushen zu wollen, weshalb wahrscheinlich andere, die etwas Ähnliches machen, nicht so supportet werden. Ich persönlich finde das sehr schade, weil dadurch auch die ganze Szene geschwächt wird. Genau deswegen ist es beispielsweise auch so schwer, bei Konzerten genügend Leute anzuziehen. Oder um auf das Thema Social Media zurückzukommen, dass da die Posts geteilt werden, ist dadurch in Chemnitz auch schwierig, weil jeder irgendwie lieber sein eigenes Ding macht. Das könnte alles viel einfacher sein, wenn man sich gegenseitig mehr unterstützen würde.
Seht ihr die Musikszene in Chemnitz eher als ein Sprungbrett oder als Hürde auf eurem Weg?
Ich würde die Rap-Szene schon eher als Hürde betrachten. Aber in anderen Szenen, gerade in der Indie-Szene, mehr als Sprungbrett. Da haben uns tatsächlich schon viele Leute unterstützt, ganz unabhängig vom Rap. Zum Beispiel wurde uns vor unserem Konzert im Atomino angeboten, uns bei einigen Songs mit dem Schlagzeug zu begleiten oder das Angebot, das Atomino als Raum für unser Konzert zu nutzen. Diese Art von Unterstützung kam komplett aus der Indie-Szene und hat uns enorm weitergeholfen. Das zeigt auch, dass so eine Art von Offenheit einem viel ermöglicht und dass man mit gegenseitigem Support viel weiter kommt. Wie gesagt, im Rap dagegen haben wir leider oft das Gefühl, dass es mehr ein Gegeneinander als ein Miteinander ist. Zumindest bisher.
PARADOX live im Atomino, Foto: Tillmann Wegner, Felix Richter
Wie nehmt ihr das Interesse der Chemnitzer an lokalem Rap wahr und gibt es genug Raum für Auftritte und Events?
Es ist schon Interesse da, aber irgendwie sind die Leute da immer ein bisschen vorsichtig und zögern sehr, wenn es um Rap geht. Man könnte es bei uns so aufteilen, dass die Leute, die uns persönlich kennen und wissen, wie wir drauf sind, uns unterstützen und hinter uns stehen. Aber die, die uns nicht persönlich kennen, sondern nur über Instagram, sind überhaupt nicht am Start. Ich habe das Gefühl, Chemnitz ist anfangs einfach sehr distanziert. Aber sobald die Leute sich unsere Musik irgendwann mal richtig anhören oder uns live sehen, sind die meisten dann doch dabei und finden es gut. Chemnitz ist da ein bisschen speziell. Als ob die Leute Zeit bräuchten, sich auf Neues aus der Stadt einzulassen. Und ja, ich würde definitiv meinen, dass es genug Raum für Auftritte und Events gibt. Aber die Frage ist, wie man da rankommt, weil ohne die richtigen Kontakte kommst du oft gar nicht erst rein. Und das ist dann wieder das Ding in Chemnitz, weil es hier viel darum geht, was andere von einem denken.
Was würdet ihr euch von der Chemnitzer Rap-Szene für die Zukunft wünschen, um sie weiter voranzubringen?
Wir würden uns definitiv mehr Zusammenhalt wünschen. Es wäre schön, wenn man in Chemnitz gemeinsam mehr angehen könnte, zum Beispiel Projekte zusammen zu planen und Dinge wirklich durchzuziehen, ohne dass sich alle gegenseitig im Weg stehen. Es geht einfach darum, sich gegenseitig zu supporten, gerade in einer kleineren Stadt wie Chemnitz ist das wichtig. Wenn wir uns alle etwas mehr unterstützen würden, könnte hier so viel mehr passieren.
Was würdet ihr aufstrebenden Künstlern aus Chemnitz und Umgebung raten, die ebenfalls Fuß fassen wollen?
Man muss einfach das machen, worauf man Bock hat und sich nicht von anderen beeinflussen oder vom eigenen Weg abbringen lassen. Auch wenn das am Anfang schwer sein kann und viele vielleicht andere Ansichten haben – einfach an sich selbst glauben und weitermachen. Irgendwann kommt man dann vielleicht nicht an genau „das“ Ziel, aber an irgendein Ziel kommt man definitiv – sei es eine Erfahrung, Erkenntnis oder irgendein persönlicher Erfolg. Einfach dran bleiben und nicht entmutigen lassen.
PARADOX live im Atomino, Foto: Felix Richter
Text: Gerda Müller, Titelbild: Tillmann Wegner, Fotos: Tillmann Wegner und Felix Richter