Pro Chemnitz Demonstrationen

Wir sind der Widerstand

von | 21. Dezember 2018

Pro Chemnitz veranstaltet regelmäßig Demonstrationen. MedienMittweida war mitten im Geschehen.

Chemnitz. Seit dem Tod von Daniel H. und den darauffolgenden Ausschreitungen organisiert die rechtspopulistische Bürgerbewegung „Pro Chemnitz“ jeden Freitagabend Demonstrationen gegen die etablierte Politik. Ein medienMITTWEIDA-Reporter war mitten im Geschehen, um zu klären ob das Bild, das durch die Medien über die Demonstrationen gezeichnet wird, stimmt.

Proletarier aller Länder vereinigt euch?

Ich laufe die Straße der Nationen entlang und biege ein. Vorbei an den zahlreichen Polizisten, die in ihren warmen VW Vans Kaffee trinken. Ein Dutzend Deutschland- und Sachsenfahnen hängen an ihren Masten herunter. Es ist windstill, dennoch kühl an diesem Freitagabend um sieben. Die Kundgebung hat anscheinend noch nicht begonnen. Viele Menschen stehen in kleinen Grüppchen und unterhalten sich über ihre letzte Mahlzeit, die Schulaktivitäten ihrer Kinder oder den gewalttätigen „Asylanten“ von nebenan. Einige sind allein gekommen. Sie stehen da, schauen in alle Richtungen, essen Dürüm. Andere laufen durch die Menge, um Flyer zu verteilen. Ich bekomme auch einen. Darin steht mit weißer Schrift auf rot-schwarzen Hintergrund „Stopp mit dem Migrationspakt!“. Ein rückkoppelndes Mikrofon fiept in die kühle Dunkelheit. Der Mann, der es gerade einstellt, ist klein und stämmig gebaut. Er hat eine dicke Jacke an, auf der die Marke „Amstaff“ von seinem Ärmel prangt. Unter den starren Augen des steinernen Karl-Marx-Kopfes schallt es aus dem Mikrofon: „Ein Schwarzafrikaner hat versucht, ein Kind zu entführen!“. Entsetztes Raunen geht durch die Runde der 700 Menschen, die sich vor dem ehemaligen SED-Gebäude versammelt haben. An dessen Wand ist ein großes Plakat mit der Aufschrift „Chemnitz ist weder grau noch braun“ angebracht worden. Darunter steht auf verschiedenen Sprachen in Stein gemeißelt „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“

Ich frage mich: Sind die Menschen, die an den Pro Chemnitz Demonstrationen teilnehmen, die „Proletarier“? Ich möchte herausfinden, weshalb die Leute an den Demonstrationen teilnehmen und wie die Veranstaltungen von Pro Chemnitz ablaufen.

Der Mann, der das Mikrofon eingerichtet hat, ruft: „Gebt auf eure Kinder Acht, Merkel ist noch an der Macht!“. Immer mehr Leute stimmen seiner Parole mit an. Nun fragt der Mann in die Menge, wer alles die „Alternative für Deutschland” wählt. Bis auf ein paar wenige Ausnahmen haben alle Menschen hier die Hand Richtung Himmel gestreckt. Er verkündet daraufhin, dass die AfD letzte Woche Pro Chemnitz auf ihre „Unvereinbarkeitsliste” gesetzt habe. Diese verbietet es AfD-Mitgliedern sich auf einer Pro Chemnitz Demo blicken zu lassen. „Die AfD hat wohl Angst, dass sie hier weniger Prozente einholt als wir [Pro Chemnitz]”. „Jawohl!”-Rufe und Applaus ertönen aus der Menge. „Wir wollen aber nicht dasselbe wie die AfD machen”. Jeder sei auf der Demo hier willkommen, solange er für die „Sache“ (Anm. d. Red.: gemeint sind wohl die Ziele von Pro Chemnitz) stehe. Damit beendet er seinen Soundcheck und kündigt den ersten Redner an: Martin Kohlmann.

Die vertanen Chancen

Martin Kohlmann ist ein Mitbegründer von Pro Chemnitz. Er ist hauptberuflich Rechtsanwalt. Nach MDR Sachsen vertrat er in der Vergangenheit einige Mandate, die dem politisch rechten Spektrum (z.B. Terrorgruppe Freital) zuzuordnen sind. Er wird vom Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen beobachtet, so das ARD-Magazin Report Mainz.

Schwarzer Hut. Schwarzer Mantel: Martin Kohlmann besteigt den Sockel des Karl Marx Monuments. „Die vertanen Chancen“ – das soll das Thema seiner heutigen Rede sein. Er fängt damit an, dass die deutsche Regierung es vertan hätte, die tiefen Gräben in der Gesellschaft zu schließen. Sie haben bewusst die Chance ausgeschlagen mit uns die Probleme zu lösen. Er spricht langsam, lässt viele Pausen zwischen seinen Zeilen. Die Demonstranten hören still zu. Erst als vom Besuch des Bundespräsidenten Steinmeier in Chemnitz die Rede ist, gibt es „Pfui“- und „Buh“-Rufe aus den Reihen. Dieser soll hinter verschlossenen Türen mit einem ausgewählten Gremium gesprochen haben, anstatt mit dem Chemnitzer „Volk“. „Angela Merkel hat es vertan, rechtzeitig zurückzutreten, um die Situation zu entschärfen“. Wieder „Buh“-Rufe. Vereinzelt rufen Leute „Abschieben“, begleitet von Gelächter. Dann stimmt jemand „Merkel muss weg“ an. Es skandieren viele Menschen mit.

Kohlmann kommt zum Thema AfD und der „Unvereinbarkeitsliste”, die er verurteilt. Es sei doch das Ziel gemeinsam die Kräfte zu bündeln, um für die „Sache“ einzustehen. „Wir distanzieren uns nicht von manchen Leuten”. Er sagt, dass jeder bei der Demo willkommen sei, solange er für die „Sache“ (Anm. d. Red.: damit sind offensichtlich die Ziele der AfD gemeint) stehe – er erntet Beifall von den Leuten. Dabei sei es egal, ob jemand „links, rechts, geradeaus oder sonst was“ ist. Als Beispiel nennt Kohlmann jemanden aus seinem Bekanntenkreis, der oft bei der Demo dabei ist. Dieser Person sei es anzusehen, dass sie ein „klassischer Linker“ sei. Sie soll sich auch „gerne mal einen Joint durchziehen“. Aber solange sie dieselben Anliegen wie Pro Chemnitz teile, sei sie willkommen.

Herr Kohlmann prangert nun einige Sicherheitsaspekte der Stadt Chemnitz an, begleitet von den Rufen: „Die Stadt gehört uns!“. Abschließend animiert er die Demoteilnehmer dazu, sich bei Pro Chemnitz zu melden, wenn ihnen Fehler bei der Demo aufgefallen seien. Denn nur wer aus seinen Fehlern lerne, könne sein Ziel erreichen, so Kohlmann. „Das Ziel von Pro Chemnitz ist es, unser Land wieder sicher und lebenswert für uns und unsere Kinder zu machen“. Unter tosenden Applaus bedankt er sich für das Zuhören.

„Das System ist am Ende. Wir sind die Wende!“

Die Fahnen wehen im kühlen Gegenwind. Marschmusik tönt aus portablen Lautsprechern, wir laufen. Ganz vorne ebnen Polizisten sich den Weg durch die Brückenstraße. Dicht dahinter läuft die erste Reihe der Bürgerbewegung inklusive Martin Kohlmann. Sie besteht aus elf Menschen, die einen Banner tragen. Darauf steht: „Wir sind das Volk“. Eine Frau mittleren Alters schreit in das Megafon hinein: „Das System ist am Ende. Wir sind die Wende!“. Der Demonstrationszug wiederholt es.

Angekommen in der Theaterstraße laufen wir an einem libanesischen Restaurant sowie einigen arabischen Friseursalons, Shisha-Bars und einem syrischen Bäcker vorbei. Aus den Fenstern der Wohnhäuser filmen viele Leute mit ihren Handykameras heraus. „Kriminelle Ausländer!“, stimmt die Frau mit dem Megafon an. Viele Demonstrationsteilnehmer antworten lautstark im Chor: „Raus, Raus, Raus!“.  

Ich dränge mich aus der Menge an einigen Menschen im Seniorenalter, Leute mittleren Alters und Familien mit ihren Kindern vorbei. Einige Kinder halten Plakate, die mit Lichterketten verziert sind. „Für unsere Zukunft“ ist zu lesen. Die Leute, die Fahnen und Plakate halten, sind größtenteils vorne anzutreffen. „Wer Deutschland nicht liebt, muss Deutschland verlassen“, schallt es aus dem Megafon. Ich sehe, dass viele Leute aus den hinteren Reihen die Parolen nicht mit rufen. Hinter den laufenden Demonstrationsteilnehmern stauen sich mittlerweile die Autos und Busse. Ich überhole den Demonstrationszug, um Nachhause zu gehen. Im Vorbeigehen höre ich die Menge noch rufen: „Es gibt kein Recht auf Merkelpropaganda!“ Zwei Wochen später werden sie die Chance haben, dies der Bundeskanzlerin direkt zu sagen.

„Merkels Abschiedstour“

Tagestemperatur: Minus ein Grad Celsius. Polizeikolonnen aus Sachsen, Baden-Württemberg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen sowie die Bundespolizei zieren die Straßen der Stadt Chemnitz.

„Gehen sie bitte in die andere Richtung“, sagt mir ein Beamter, nachdem ich den gewohnten Weg zu meiner Wohnung gehen wollte. „Ich wohne direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite“, sage ich. „Das ist mir egal. Gehen sie bitte einen anderen Weg“, sagt der Polizist. Also laufe ich einen 20-minütigen  Umweg an der weitläufigen Absperrung vorbei, um von hinten in mein Wohnhaus zu gelangen.

Angela Merkel kommt am 16. November um 12.30 Uhr in Chemnitz an. Nach einem Trainingsbesuch der Junioren Basketballmannschaft des BV Chemnitz 99 geht es zu einem nicht-öffentlichen Hintergrundgespräch mit einigen ausgewählten Vertretern der Stadt. Um 16 Uhr findet dann der öffentliche Dialog mit Lesern der Freien Presse in der Hartmannfabrik statt. Eine Straße weiter versammeln sich schon einige Anti-Merkel-Demonstranten. Offiziell ist der Beginn auf 17 Uhr angesetzt.

„Wir sind das Volk, Wir sind das Volk, Wir sind das Volk“. Ich folge den Rufen. Mein Ziel ist es, nochmal auf die Pro Chemnitz-Demonstration zu gehen. Diesmal möchte ich mit den Demonstrationsteilnehmern sprechen. Ich lande auf dem Seeberplatz und sehe circa 15 schwarz angezogene Menschen vor mir, die um einen roten Pavillon stehen. Ein Mann mit Rastas sitzt auf dem Boden und spielt Gitarre. Auf dem Banner vor dem Pavillon steht: „Bündnis Chemnitz Nazifrei“. Die Rufe kommen aus Lautsprechern, die vor einer Leinwandinstallation stehen, auf der man Szenen von den großen Demonstrationen im August in Chemnitz sieht. Ich gehe weiter.

Etwa 200 Meter nördlicher auf der Kreuzung Hartmannstraße/Fabrikstraße sehe ich dann mehr Menschen, unter anderem schwarz gekleidete Polizisten mit Helm und Schlagstock. Hinter weitläufigen Gitterabsperrungen bereiten ein paar Leute gerade ihre Banner vor. „Merkel muss weg!“, steht da weiß auf rot geschrieben. Hier bin ich richtig.

Menschen bereiten sich auf die Demonstration vor.  Foto: Christian Tung Anh Nopper

„Das liest man überall

Rotorengeräusche. Über uns dreht ein schwarzer Helikopter seine Runden. Weit mehr als zwei Dutzend Deutschlandfahnen hängen diesmal an den Masten. Trotz der Kälte sind viel mehr Menschen anwesend als bei der letzten Pro-Chemnitz-Demonstration, obwohl die Kundgebung noch nicht begonnen hat. Der Platz an der Kreuzung Hartmannstraße/Fabrikstraße ist gefüllt mit Polizisten, Kameramännern, Schaulustigen und den Demonstrationsteilnehmern. 100 Meter davon entfernt in der Hartmannfabrik soll Angela Merkel gerade mit Lesern der Freien Presse einen Bürgerdialog halten. Viele Menschen mittleren Alters sowie Senioren kann ich ausmachen. Anders als bei der letzten Demonstration, sind auch viele junge Leute im Alter von ungefähr 16 bis 20 Jahren anzutreffen.

„Ich bin dagegen, dass hier viele Ausländer straffällig werden. Das gab es die Jahre davor nicht in diesem Ausmaß“, sagt Tom. Er ist 18 Jahre alt und kommt aus Chemnitz. Er steht mit seinem Kumpel Julian hier, um gegen die Flüchtlingspolitik zu protestieren. Die Redner der Kundgebung haben noch nicht angefangen. „Man liest jeden Tag von Vergewaltigungen und Stechereien“, sagt Tom. Ich frage daraufhin, ob es ihm selbst schon einmal widerfahren sei. Er sagt: „Nö, aber man liest es halt. Ich meine, dort drüben wurde jemand abgestochen von Ausländern, die hierher kamen.”  Auf die Frage, ob er sich öfters politisch engagiere, antwortet Tom: „Ja, wenn es zeitlich passt.”

Ich treffe ein altes Paar. Sie sind zunächst misstrauisch, als ich sage, dass ich ihnen für medienMITTWEIDA einige Fragen stellen möchte. Als ich ihnen versichere, dass ich keine Namen nennen würde, sind sie einverstanden. Ich frage, warum sie hier sind. Die Frau antwortet: „Ich habe mittlerweile Angst, Abends durch die Innenstadt zu laufen”. Sie hat Angst, angegriffen zu werden. Sie hat Angst, dass ihre Enkelin angegriffen wird. „Von wem?”, frage ich. „Von den ganzen jungen Männern, die hierher kommen“, sagt sie. Man lese überall von Vergewaltigungen und Raub. Ich frage, ob es ihr schon selbst widerfahren sei. Sie verneint und wiederholt: „Aber das liest man ja überall.“ Ihr Mann fügt hinzu: „Früher war ich abends immer im Stadtpark spazieren. Heute wäre ich doch verrückt, wenn ich das machen würde“.

Die Kundgebung scheint jetzt zu beginnen: Ein Mann tritt auf das Podest und stimmt die Leute mit den Worten „Merkel muss weg, Merkel muss weg, Merkel muss weg” ein. Mein nächster Gesprächspartner ist ein Mann mittleren Alters. Er hat seine Kapuze über den Kopf gestülpt und trägt einen Fahnenmast mit Deutschlandfahne über seinen Schultern. Auf die Frage, ob ich ihn für medienMITTWEIDA befragen könne, antwortet er freundlich: „Ja klar.“

„Warum sind Sie hier auf der Demonstration?“, frage ich. 

Er antwortet: „Ich bin nicht zufrieden mit der Bundesregierung” Sie würden über „unsere Köpfe“ hinweg regieren. Die komplette Bundesregierung sei auszutauschen, meint er.

Ich frage: „Wer soll dann an die Macht kommen?“

Er sagt: „Jemand mit Sinnesverstand“.

„Jemand wie die AfD?“, frage ich.

Er meint: „Nein, die AfD ist auch scheiße“.  Laut ihm würde sich nichts ändern, wenn die AfD an die Macht käme.

Ein anderer Mann mit Mast und Fahne kommt hinzu und sagt: „Das komplette System muss umgekrempelt werden, alle Altparteien müssen weg.“ Er fügt an: „Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber wer hierher kommt und Scheiße baut, der muss halt einfach weg“. Der andere Mann mit der Kapuze fühlt sich in die Ecke gedrängt von den Medien. Er meint, dass die „Linken“ in den Medien immer besser bei Ihren Demonstrationen wegkämen als sie. Er fordert: „Ich möchte einfach nur eine absolute Gleichbehandlung. Ob links oder rechts“.

„Ich habe Angst um das Land

Mittlerweile ist es dunkel geworden und die Reden auf dem Podest haben angefangen. Die Redner sprechen meist von der Schuld Merkels an der Flüchtlingspolitik, der schlechten Bildungssituation oder der Sicherheitssituation in Chemnitz. Dieser Überzeugung ist auch der 18-jährige Paul aus Mittweida. Berufstätig ist er im Krankenhaus. Mit dabei ist sein 16-jähriger Freund Justin aus Chemnitz.

„Warum seid ihr hier auf der Demonstration?“

„Weil ich Angst um das Land habe“, sagt Paul.

„Aus welchen Gründen hast du Angst?“

„Ich sage mal so. Wegen meiner späteren Familie. Wenn ich mal eine Familie habe, möchte in Ruhe leben. Ich will nicht Angst haben müssen, dass mein Kind auf dem Schulweg abgestochen wird. Das will ich nicht“, so Paul.

Die Demonstrationsteilnehmer um mich rufen immer lauter „Merkel muss weg“. Ich trete näher an Paul, um ihn verstehen zu können.

„Das heißt, du hast Angst vor dem, was in der Stadt passieren könnte, oder wie kann ich das verstehen?“, frage ich.

„Überhaupt. Im ganzen Land ist es doch so. Es passiert ja nicht nur in Chemnitz, überall ist das. Der Grund dafür ist einfach die Flüchtlingspolitik. Es kommen zu viele Menschen hierher“, so Paul.

„Siehst du es auch so?“, frage ich Justin

„Ja. Ich bin auch hier, weil die Medien uns angelogen haben. Ich finde es scheiße, was in Chemnitz passiert. Deshalb stehe ich hier, um Pro Chemnitz damit zu unterstützen“

„Wie erlebst du die Innenstadt von Chemnitz?“, frage ich.

„Es ist absolut nicht mehr gemütlich da. Man hat ständig Angst, abends in die Innenstadt zu gehen wegen kriminellen Übergriffen und das muss eigentlich nicht sein“, sagt Justin.

„Habt Ihr schon persönliche Erfahrungen mit solchen Überfällen gemacht?“

„Zum Beispiel sexuelle Übergriffe, wenn man abends mit einer Freundin läuft. Das sollte man eigentlich unterlassen, weil es sich nicht gehört. Einer Freundin von mir ist es mal passiert“, meint Justin.

„Wie ist die Situation in Mittweida?“, frage ich Paul.

„Noch geht’s. War schon mal schlimmer.“

Die Lügenpresse

Es wird verkündet, dass die „Merkeljugend“ eingetroffen ist. Die Menge reagiert mit tosendem Applaus. Sie halten rote Fahnen, in dessen Mitte ein weißer Kreis mit einem Eurozeichen zu sehen ist. Die Gruppe wird angeführt von Sven Liebich. Dieser tritt nun zum Podest und erzählt, dass er von einem Polizisten an der Absperrung aufgehalten wurde. Er soll den Polizisten daraufhin gefragt haben: „Wo waren sie, als vor drei Tagen die behinderte Frau in Chemnitz im Hausflur von Flüchtlingen vergewaltigt wurde?“

Mir fällt eine junge Reporterin auf. Sie ist Korrespondentin einer amerikanischen Zeitung. Es kommt eine Frau mittleren Alters auf die Korrespondentin zu. Sie haben sich wohl zu einer Befragung verabredet. Ich frage die Frau, ob auch ich sie mit befragen kann. Sie stimmt zu.

Ich frage die Frau, warum sie auf der Demo sei. Sie sagt, dass sie sich von den Medien ungerecht behandelt und auf dieser Demonstration verstanden fühlt. Ich frage, was die Medien Ungerechtes machen. Sie sagt, sie sei enttäuscht, wie die Medien die Demonstranten von Pro Chemnitz darstellen. Zu schnell würden die Menschen als „Nazis abgestempelt“. Es sei ungerecht, dass nie über die linken Demonstranten berichtet wird, wenn diese „Krawalle“ machen. Sie meint außerdem, dass es in Chemnitz nie Hetzjagden auf Ausländer gegeben habe. Das sei alles eine „große Lüge“ der Medien. Die Korrespondentin fragt, warum die Medien so etwas machen sollten. Die Frau entgegnet: „Die wollen damit andere Sachen verschleiern und ablenken.”

Sie fordert zudem eine „große Entschuldigung“ von den etablierten Medien an die Chemnitzer Bürger wegen der „verfälschten“ Berichterstattung über ihre Stadt. „Was verschleiern uns die Medien?“, frage ich. „Wollen sie es wirklich hören?“ Ich sage: „Ja“. „An dem Tag als Daniel H. abgestochen wurde, sind noch zwei weitere Personen lebensgefährlich verletzt wurden. Davon hat eine überlebt und der Andere ist wohl gestorben.“ „Sie wollen also sagen, dass zwei Menschen da gestorben sind?“, fragt die Korrespondentin. „Ja, ich denke schon“, sagt die Frau. „Woher wissen sie das?“, frage ich. Sie meint daraufhin, dass sie einen Freund hätte, der früher in der Schule der Banknachbar von der Freundin des verstorbenen Daniel H. war. Die Frau wechselt das Thema und erzählt, dass ihr Sohn letztens im Park von „Südländern“ ausgeraubt worden sei. „Das kann so nicht weitergehen.”

Die Redner vom Podest sind zum Ende gekommen. Es soll nun in Richtung Karl-Marx-Monument gehen. Die Demonstrationsteilnehmer haben Angela Merkel nicht zu Gesicht bekommen. Dennoch rufen sie „Merkel muss weg“ lautstark im Chor. Es ist mittlerweile so kalt geworden, dass ich meine Füße nicht mehr spüre. Ich entscheide mich, wie viele andere auch, nach Hause zu gehen. Auf dem Weg höre ich wie jemand anstimmt: „Widerstand! Widerstand! Widerstand!”

Text und Fotos: Christian Tung Anh Nopper
<h3>Christian Tung Anh Nopper</h3>

Christian Tung Anh Nopper

Christian Nopper ist 21 Jahre alt und studiert Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Er ist im 3. Semester und hat die Vertiefung Production gewählt. Erste journalistische Erfahrungen wurden schon ein Mal bei der Freien Presse gesammelt.