Corona-Demonstration

Wo sind die Vernünftigen?

von | 4. Dezember 2020

medienMITTWEIDA auf der Stuttgarter Corona-Demo. Was treibt die Menschen dort an?

„Verpiss dich, mit den scheiß Medien rede ich nicht.“ Es ist an diesem Sonntagnachmittag in Stuttgart nicht leicht, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Ständig liegt eine unbehagliche Distanz in der Luft. Das Ziel an diesem kalten Novembertag ist es aber, mit den Menschen statt über diese zu reden. Welche Motive haben sie, auf die Corona-Demo zu gehen und was wollen sie damit erreichen?

Die Demonstration an diesem Tag in Stuttgart läuft unter dem Motto: „Schweigemarsch – Wir müssen reden.“ Bereits im Vorfeld der Demonstration hatten die Veranstalter dazu aufgerufen, auf Flaggen, Schilder und das Tragen von politischen Symbolen zu verzichten. Zudem wurde eindringlich an die Maskenpflicht erinnert.  Zu groß war die Angst davor, dass, ähnlich wie bereits in anderen Städten, die Versammlung aufgelöst werden könnte. Als sich der Tross gegen 14 Uhr am Hauptbahnhof in Bewegung setzt, tragen die allerwenigsten Menschen eine Maske. Eine kleine, zierliche Frau vom Organisationsteam mit einer umso männlicheren Stimme brüllt in ihr Megafon: „Maske aufziehen, Abstand einhalten, immer nur in Viererreihen laufen.“ Je lauter und genervter die Frau ihren Lautsprecher traktiert, desto weniger scheint es die Leute zu kümmern. Im Vorfeld hatte die Polizei Stuttgart auf Nachfrage von medienMITTWEIDA schriftlich mitgeteilt: „Die Versammlung ist bei der Stadt Stuttgart angemeldet worden, die anmeldende Person rechnet mit 500 Teilnehmern.“ Bereits zu Beginn der Versammlung wird allerdings klar, dass diese Zahl weit untertrieben war. Im Laufe des Tages stellt sich im Gespräch mit einem Beamten heraus, dass sich zeitweise mehr als 2000 Menschen an dem Schweigemarsch beteiligt haben sollen. Wenn die Demonstranten einen Pressevertreter sehen, gehen sie oft auf Distanz. Häufig wird freundlich mitgeteilt, dass man kein Interesse an einem Gespräch habe, manchmal auch unfreundlich. Nach einigen Anläufen erklärt sich ein Mann mit seiner kleinen Tochter dazu bereit, Rede und Antwort zu stehen. Die etwa Fünfjährige steht schüchtern daneben, als ihr Vater anfängt: „Ich bin hier, weil unsere Grundgesetze aufgehoben wurden. Durch das neue Gesetz können die in meine Wohnung kommen, wann immer sie wollen. Das mit den Ausschreitungen in Berlin stimmt auch nicht, das waren keine Rechten. Da haben sich Journalisten als Rechte getarnt, um die schlecht darzustellen. Ich kenne eine Jüdin in Berlin, die sagt, dass es dort keine Nazis gab.“ Die Geschichte mit den verkappten Journalisten des WDR, die Reichsfahnen ausgepackt haben sollen, wurde bereits als Falschmeldung entlarvt. Überall angekommen scheint dies noch nicht zu sein. Menschen wie dieser Mann machen es schwierig, nicht alle über einen Kamm zu scheren. Das Ziel an dem heutigen Tag soll jedoch sein, all jene zu Wort kommen zu lassen, die vernünftige Anliegen vorzubringen haben.

Der Schweigemarsch wurde von der Initiative Querdenken 7171 Schwäbisch Gmünd“ organisiert. Bild: Niklas Niendorf

Viele Demonstranten sorgen sich um ihre Kinder

Die Besucher der Versammlung sind auf den ersten Blick bunt gemischt. Vom Öko-Wähler mit Schlabberhose und „Stuttgart bleibt oben“ Button über Jugendliche mit Adidas-Hose und Gucci-Cap bis hin zu älteren Herren mit Lesebrillen, die früher meine Mathelehrer hätten sein können, sind augenscheinlich alle vertreten. Während des Marsches komme ich mit Martin (Name geändert) ins Gespräch. Ihn könnte ich auf Anhieb keinem der drei Lager zuordnen. Ein Durchschnittsbürger. Er erzählt mir, dass er hier ist, weil er sich Sorgen um seine Kinder mache. Er könne nicht verstehen, dass es seinem Sohn verboten werde, sich draußen mit zwei Freunden zum Spielen zu verabreden, während Kontaktbeschränkungen in der Bundesliga niemanden interessierten. „Mein Sohn kommt von der Schule und weiß nicht, was er nachmittags machen soll. Es kann doch nicht gesund sein, dass unsere Kinder sich soweit einschränken müssen, dass sie sich nicht mal mit ein paar Freunden draußen treffen dürfen.“ Auch solche Leute sind hier zu finden: Jene, die tatsächlich sinnvolle Punkte anzusprechen haben und sich wünschen, gehört zu werden. Trotzdem ist nicht zu übersehen und überhören, dass auch einige Menschen mit verqueren Ansichten mitmischen. Eine Frau Mitte 50 mit schulterlangem, grauem Haar antwortet auf die Frage, warum sie heute hier sei: „Um mich zu solidarisieren. Rechtsradikale habe ich in Berlin keine gesehen. So rechts können sie gar nicht sein, wenn sie für das Grundgesetz sind. Und dann ist mir das ehrlich gesagt auch scheißegal.“ Eine sehr gefährliche Ansicht.  Und dann legt sie noch nach: Deutschland sei kein souveräner Staat, sondern eine eingetragene Firma.  Das ist erwiesenermaßen falsch und eine beliebte These bei den sogenannten Reichsbürgern. Während des Marsches vom Hauptbahnhof bis zum Schlossplatz ist ein Accessoire besonders oft zu sehen: Orangene Buttons, auf denen „umarmbar“ steht. Witzige Sache vor zwei Jahren auf Festivals, in der heutigen Zeit durchaus gefährlich und in jedem Fall leichtsinnig. Während des Schweigemarsches schweigen insgesamt die Wenigsten. Links und rechts schnappt man immer wieder interessante Gesprächsfetzen auf. Ein Auszug aus dem Dialog zweier Männer:

Mann 1: „Wenn meine Kinder und Enkel später fragen, kann ich sagen, ich war dabei beim Umsturz.“

Mann 2: „Ja man, das wird größer als 1989.” (Jahr des Mauerfalls, Anm. d. Red.)

Die Polizei ist während des Marsches ständig präsent

Das erinnert grundlegend an einen Fall vor einigen Tagen in Karlsruhe. Während einer Demonstration hatte sich dort ein elfjähriges Mädchen mit Anne Frank verglichen, da auch sie während einer Feier „mucksmäuschenstill sein musste, um nicht erwischt zu werden.” Gesungen oder skandiert wird während des Marsches nicht. Die Menschen laufen friedlich nebeneinander, die Abstände werden nur teilweise eingehalten. Die Polizei begleitet den Marsch mit mehreren Fahrzeugen, außerdem sind einige Einheiten zu Fuß unterwegs. Die Stimmung ist entspannt, manche Polizisten witzeln mit Ordnern und Demonstranten. Bei eisigen Temperaturen um den Nullpunkt erreicht die Menge gegen 15:30 Uhr den Hauptbahnhof. Der Abschlussort der Versammlung wurde kurzfristig verlegt, sodass der Marsch wieder an seinem Ausgangspunkt ankommt. Als man den Endpunkt der Demonstration erreicht, erklingt plötzlich monumentales Glockengeläut der Kirchenglocke. Passt irgendwie zu diesem düsteren Weltuntergangsbild, dass viele für die Zukunft Deutschlands zeichnen wollen.

Die Abschlusskundgebung fand auf einer Wiese in der Nähe des Hauptbahnhofs statt. Bild: Niklas Niendorf

2000 Menschen schweigen für das Grundgesetz

Die Menschen sammeln sich jetzt auf einer Wiese und warten auf den hinteren Teil des Demozuges. Ich nutze die Chance und gehe auf einen älteren Herren Mitte 50 mit Cordhose und braunem Hut zu. Ich will von ihm wissen, was ihn heute dazu bewegt hat, auf die Demo zu gehen. „Ich bin hier, weil Corona uns finanziell noch alle in den Ruin treibt. Normalerweise würde ich jetzt mit meinem Stand auf Volksfesten und Jahrmärkten ganz normal mein Geld verdienen. Wegen Corona wurden alle diese Veranstaltungen aber abgesagt.“ Ein paar von ihnen dürften ihren Stand irgendwo in der Stadt aufstellen, das sei aber von den Einnahmen her nicht mit einem normalen Volksfest zu vergleichen. Während er auf meine Fragen antwortet, wirkt er nicht wütend, sondern eher enttäuscht. „Jetzt werden wahrscheinlich noch die Weihnachtsmärkte abgesagt. Das geht doch so nicht, wir brauchen eine Perspektive.“ Während er von seinem Schicksal erzählt, nicken einige Menschen neben ihm energisch. Er scheint mit dieser Einschätzung nicht allein zu sein. Mittlerweile sind alle Demonstranten eingetroffen und verteilen sich auf der Wiese. Eine junge Frau mit blonden Haaren greift sich das Mikrofon und bedankt sich bei allen, die an dem Marsch teilgenommen haben. Energischer Applaus ertönt. Danach wird es mucksmäuschenstill. 15:53 Uhr. Es findet eine Schweigeminute für das Grundgesetz statt. In diesem Moment könnte man eine Stecknadel fallen hören. 60 Sekunden später ruft die blonde Anmelderin in ihr Megafon: FRIEDEN. Die Menschen antworten mit FREIHEIT. Etwa 30 Sekunden lang ist dieser Friede-Freiheit Wechselgesang zu hören. Würde man von oben herunterschauen, könnte man bei den frostigen Graden kollektiv etwa 2000 Nebelschwaden in Form von kaltem Atem sehen. Als letzten Programmpunkt werden die Menschen dazu aufgefordert, ihre Masken symbolisch zu entsorgen. Dazu stehen vorne schwarze Mülltüten bereit. Die Menschen strömen scharenweise nach vorne und werfen ihre Masken in die dafür vorgesehenen Beutel. Während sämtliche Medienvertreter diese Szene eifrig fotografieren, rotiert die Mimik der Demonstranten von triumphierend über provokant bis hin zu zufrieden.

Während des gesamten Marsches gab es keinerlei Ausschreitungen. Bild: Niklas Niendorf

Woran man übrigens merkt, dass die Versammlung im Schwabenland stattgefunden hat: Nach dem Entsorgen greift eine Frau in die Mülltüte und holt sich ihre Mund-Nasen Bedeckung zurück. Die Maske habe schließlich auch Geld gekostet.

Text und Bilder: Niklas Niendorf 
<h3>Niklas Niendorf</h3>

Niklas Niendorf

ist 21 Jahre alt, kommt aus Stuttgart und ist Chefredakteur von medienMITTWEIDA. Er begeistert sich für Sport und Politik und liebt es, zu reisen und neue Kulturen kennenzulernen.