Couchkritik

Einblicke in das wahre Leben?

von | 12. Mai 2023

Zwischen Informationen und Emotionen – Diese drei Dokumentationsserien gehen unter die Haut!

Ob atemberaubende Naturwelten, unglaubliche Katastrophen oder hautnahe Einblicke in das alltägliche Geschehen. Dokumentationen sind wieder im Trend und nehmen jetzt das Serienformat an. Hunderte von ihnen tauchen auf, wenn man bei dem Streaming-Anbieter Netflix nach Dokureihen sucht. Doch bei so viel Angebot stellt sich die Frage, ob wirklich Information und Kritik geboten wird oder nur romantisierte Darstellungen gezeigt werden?

Stadt der Pinguine 

Zwischen Sandstrand und einer urbanen Metropole watscheln kleine Füße über Sandburgen, Parkplätze oder durch Wohnzimmer. Willkommen in Simon’s Town oder auch in der Stadt der Pinguine. Was für manche ein Wunsch wäre, ist für die Bewohner und Touristen hier Alltag. 

Das Netflix-Original erschien im Jahr 2021 und ist der Underdog der drei Serien, die hier vorgestellt werden. Die einzige Staffel ist aufgeteilt in acht Folgen, jeweils 30 Minuten lang und als FSK 6 gekennzeichnet. Über einen Zeitraum von sechs Monaten verfolgt der Zuschauer das Leben der wilden Kolonie und lernt dabei verschiedene Brillenpinguine näher kennen.

 

„Sechs heiße Monate, eine wilde Kolonie und alles ist erlaubt”

Neugierig und furchtlos sind die circa 60 cm großen Bewohner, die sich zu hundertfach am weißen Sandstrand der südafrikanischen Stadt Simon’s Town tummeln. Gekürt mit mehreren Spitznamen werden sie wegen ihrer unverwechselbaren Rufe auch „Eselspinguine” und wegen ihres niedlichen Aussehens „Eulen des Meeres” genannt.

Sechs Monate lang wurden die Tiere durch unterschiedlichste Lebenssituationen begleitet. Ob sie Vorgärten unsicher machen oder eine Grillparty sprengen – einmalige und verborgene Einblicke in das Leben zwischen Brillenpinguin und Mensch sind garantiert.

Geschickt liefert die Serie Informationen verpackt mit Witz und Emotion, sodass oft gar nicht auffällt, wenn Wissen vermittelt wird. Durch wechselnde Personen, eine einfache und leicht verständliche Sprache und einen fetzigen Moderator, kann sie sehr einfach und schnell konsumiert werden. Ob das der Glaubwürdigkeit guttut, ist fragwürdig und liegt hier sehr im Auge des Betrachters. Denn wer Tiere in so einer Art und Weise inszeniert, läuft immer Gefahr, ins Lächerliche abzurutschen oder als Hintergrundgeräusch zu enden.

Eine weitere Ebene wird mit „Junior“ eröffnet – der Artenschutz. Denn der junge Brillenpinguin steckt in der Mauser fest und wird letztendlich durch eine Schutzorganisation aufgenommen. Hierbei kommen zwar emotionale Bilder zusammen, neben einem kurzen Ansprechen von Problemen und dem sehr positiven Einblick auf die Auffangstationen, wird auf das Thema Tierschutz allerdings nicht weiter eingegangen. Obwohl es genug gäbe, worüber man reden könnte – von der Reduzierung der Futterbestände durch Überfischung über die Habitatzerstörung bis hin zu Umweltverschmutzung. Der größte Feind bleibt immer noch der Mensch, doch davon wird erstaunlich wenig erwähnt. 

Die niedliche Dokureihe verleitet mit ihrem locker flockigen Charme zu einem angenehmen Schauerlebnis. Obwohl „Stadt der Pinguine” eine Möglichkeit geboten hätte, auf mehr Missstände aufmerksam zu machen, ergibt es für Simon’s Town durchaus Sinn, die Serie als eine weitere PR-Quelle zu nutzen. Trotzdem werden Informationen einfach und unkompliziert vermittelt. Sowohl Pinguine-Fans als auch solche, die es noch werden wollen, kommen bei dieser Serie voll auf ihre Kosten. 

Emergency NYC 

New York City – Menschen, Wolkenkratzer und der Times Square. Doch unter die vielen bunten Lichter der Billboards mischen sich die rot-blauen Leuchten und lauten Sirenen der Rettungs- und Krankenwagen. 

Staffel eins erschien im April 2023. Damit ist das NetflixOriginal der Newcomer, unter den hier besprochenen Serien. In acht Folgen, jeweils rund 40 Minuten lang, wird ein Einblick in den Alltag von Ärzten, Krankenpflegern und Rettungssanitätern gegeben. Begleitet von emotionalen und wahren Geschichten, gibt die FSK 16 Kennzeichnung, schon eine leichte Vorahnung, was die Serie alles zeigt.

 

Nichts für schwache Nerven

Bei rund 8 Millionen Einwohnern auf einer kleineren Fläche als Berlin, kommen täglich Hunderte von Notrufen zusammen. Von „Lenox Hill” über „Cohen’s Children Medical Center“ bis hin zu „Skyhealth“ – in New York City kämpfen fünf Institute jeden Tag um Leben. 

Alteingesessenen Netflix Doku-Fans fällt eins gleich auf – ein paar Gesichter kennt man doch? Schon in der 2020 herausgekommenen Dokureihe „Lenox Hill” lernt man einige der Protagonisten kennen. Eine zweite Staffel ist es allerdings nicht, sondern eine eigenständige Serie. Bei genauem Hinsehen fällt auf, dass alle der gezeigten Institute dem Unternehmen „Northwell Health“ angehören. Ist die Serie also nur eine gut angelegte PR-Aktion, in den USA? Doch neben den schon aus „Lenox Hill” bekannten Ärzten, kommen diesmal auch Krankenschwestern, Krankenpfleger sowie Notfallpersonal zu Wort.

Die Serie strotzt nur so vor Emotionen und dennoch wird dies immer wieder durch klare Einblicke in Operationen, Behandlungen und den Krankenhausalltag unterbrochen. Es empfiehlt sich aber nicht, die Serie beim Mittagessen anzufangen. Obwohl mit FSK 16 gekennzeichnet, ist man doch schwer überrascht, wenn die Kamera direkt auf offene Körperteile schwenkt. Kann man sich bei einer Dokureihe über Krankenhäuser zwar denken, eine Triggerwarnung wäre dennoch gut gewesen. Denn zwischen der Ahnung, was passiert und dem Zeigen einer Operation liegt ein deutlicher Unterschied.

Um diese Bilder überhaupt zeigen zu können, braucht es natürlich Patienten, und zwar welche, die damit einverstanden sind. Auch wenn gleich am Anfang der Serie ein großer Disclaimer steht, dass alle Beteiligten der Verwendung ihrer Daten zugestimmt haben, ist es doch fragwürdig. Denn neben Patienten, die durch ihre Verletzungen nicht ansprechbar sind, werden auch Menschen gezeigt, die eindeutig mit mentalen Beschwerden zu kämpfen haben. 

Die Dokureihe will damit zeigen, dass sich wirklich um alle Patienten gekümmert wird, egal welchen Hintergrund sie haben. Was moralisch auf einzelne Ärzte und Krankenpfleger zutrifft, ist im Gesamtbild lachhaft. Denn wenn schon eine normale Fahrt mit dem Krankenwagen mittlerweile bei über 1,300 Dollar liegt, fragt man sich, wie viele Patienten dies überhaupt in Anspruch nehmen können. Und genau hier liegt auch das große Problem der Serie, denn die Wahrheit ist nicht immer Netflix würdig.

Wirklich kritisch ist die Serie nicht, im Gegenteil – sie schafft es, sich schleichend Brennpunkten zu entziehen. So bleibt fraglich, ob es tatsächlich die Entscheidung der Mutter ist, ihre Schwangerschaft auszutragen oder, ob es eher der momentanen Gesetzeslage geschuldet ist. Im grotesken Gegensatz dazu wird an anderer Stelle eine Schwangere promotet, die bis an ihre Belastungsgrenze arbeitet.

Die Serie weist Lücken auf und zieht sich immer wieder aus der Affäre. Überrascht hat mich das nicht, denn die Dokureihe hat zum Ziel, sich den Heldentaten dieser Berufsgruppe zu widmen. Die Arbeit, die im Alltag viel zu oft in den Hintergrund gerät, wird hier in den Vordergrund gestellt. Doch was genau die Serie aussagen möchte, bleibt dem Zuschauer eher unklar. Denn durch die nicht angesprochenen Probleme und Kritik fehlt teilweise schon der Zusammenhang. Am Schluss hat der Zuschauer zwar Patienten und Personal begleitet, trotzdem bleibt irgendwo ein inhaltliches Loch.

Diese Dokumentationsserie ist definitiv nichts für schwache Mägen oder Nerven. Wer sich für einen allgemeinen Einblick in das amerikanische Gesundheitssystem interessiert, wird diesen zwar bekommen, muss sich allerdings gleichzeitig seine eigene Meinung bilden.

Cheerleading

Drama, Teamgeist, Leistungssport – „Cheerleading” oder kurz „Cheer!” bietet genau das. Die Serie ist zurück, mit einer zweiten Staffel.

Das, mit FSK 12 gekennzeichnete, Netflix-Original ist schon fast ein Klassiker unter den Netflix Dokumentationen. In neun Folgen, jeweils 50 Minuten lang, wird erneut über die NCA College Nationals, liebevoll auch „Daytona“, berichtet. Neben Navarro College rückt diesmal Trinity Valley Community College (TVCC), das eigentlich gegnerische Team, immer mehr in den Fokus. Doch soll dies schon Vorahnungen auf das Ende anklingen lassen, oder einfach nur den Skandal von Navarro College überspielen?

 

Drama Baby Drama – zwischen Glitzerschleifen und lebensgefährlichen Stunts

Staffel zwei beginnt mit der Storyline im Januar 2020. Nachdem Staffel eins viral gegangen war, sind die Cheerleader und Protagonisten von Navarro College auf einmal im Spotlight sämtlicher US-amerikanischen Nachrichten, TV-Shows und vor allem der Fans. Doch der plötzliche Ruhm bringt auch Schattenseiten mit sich, denn neben den neuen Verpflichtungen als Influencer darf man nicht vergessen, dass es immer noch Leistungssportler sind. 

Frisch, fröhlich, motiviert und wie immer mit viel Energie beginnt das Training für Daytona. Doch was ist das? TVCC rückt auf einmal erstaunlich in den Vordergrund, was neben Charakteren und Sichtweisen auch den benötigten neuen Input bringt. Gleichzeitig stellt sich dadurch aber schon ab der ersten Folge die Frage: Gewinnt dann diesmal TVCC die NCA College Nationals

Bis März 2020 werden die beiden Teams begleitet. Mit viel Rückblick und Evaluation des vergangenen Wettkampfes wird an neuen Choreografien gebastelt. Denn wie überall auf der Welt bringt Corona erstmal alles zum Stillstand. Daytona wird abgesagt und schließlich muss auch der Dreh unterbrochen werden. In der darauffolgenden Drehpause passieren zwei einschneidende Ereignisse. Einige der altbekannten Protagonisten verlassen die Colleges und damit auch die Mannschaft. Zudem wird Jerry Harris im September 2020 festgenommen wegen des Verdachts auf Darstellung von Kindesmissbrauch und sexueller Ausbeutung. Beides sind entscheidende Ereignisse, die den Fans als auch den Teams zu schaffen machen, doch genau hier liegen Möglichkeiten für Neues.

Den Vorwürfen gegenüber Harris, der mittlerweile zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde, widmet sich die Serie in Folge fünf ganz ausführlich. Neben den sehr emotionalen Schilderungen der Teammitglieder und Trainerin kommen auch zwei Betroffene sowie deren Mutter im Interview zu Wort. Allerdings lässt sich ein unguter Beigeschmack trotzdem nicht ganz vermeiden. Denn sich eine Stunde lang die Schilderungen zweier minderjähriger Jungen anzuschauen, die zusammengekauert auf einem Sofa sitzen und die Situation sichtlich unangenehm finden, ist nicht leicht zu verdauen. Was durch das Einblenden der emotionalisierten Mutter nicht besser wird. 

Inwieweit dies der Serie zugutekommt, ist allerdings fragwürdig, da dieser Part durch die Tiefe und die Sensibilität des Themas leider zum Vorspulen verleitet. Trotzdem ist es gut, dass sie sich damit so eingehend auseinandersetzen, da hierdurch wieder Sympathie zu den restlichen Navarro-Mitgliedern aufgebaut wird. 

Nachdem mit der fünften Folge ein emotionales Tief sowohl bei dem Zuschauer als auch in der Story hinterlassen wird, müssen die nächsten vier Folgen liefern. Doch anstelle gleich wieder zurück ins locker leichte zu wechseln, geht es ziemlich emotional weiter. Langsam klettert man wieder zurück und bekommt den Zuschauer in Wettkampfstimmung. Hierbei wird einiges richtig gemacht. Emotionen wirken real und nachvollziehbar, was es unglaublich erleichtert, mitzufühlen. Mindestens in der vorletzten Folge ist der Zuschauer wieder zurück im Hype um Daytona, denn jetzt geht es los. 

Gelernt aus Staffel eins, teilt sich das Finale diesmal auf zwei, anstelle von einer Folge auf. Was zwar langweilig klingt, ist hier die bessere Lösung, denn nachdem man sieben Stunden lang den beiden Teams in Vorbereitung, Niederschlägen und Glücksmomenten gefolgt ist, wird dem Finale genug Zeit gewidmet. Erstaunlicherweise wird durch gute Schnitte und Cliffhanger, tatsächlich auch noch mehr Spannung aufgebaut.

„Cheer!” fesselt und begeistert. Die Mischung aus Drama, Leistungssport und Teamgeist macht es und nimmt den Zuschauer mit auf eine emotionale Achterbahn. Obwohl die zweite Staffel nicht ganz so viel Leichtigkeit hat, macht sie vieles richtig. Der Zuschauer bekommt einen Einblick in ein komplett anderes Leben, eins das sich  nicht nur um den Sport dreht, sondern auch um Teamgeist und eine Mannschaft, die zu deiner Familie wird. Die Serie bietet somit einen guten Einstieg in die Welt des Cheerleading. 

Text, Titelbild: Kira Lange

<h3>Kira Lange</h3>

Kira Lange

Kira Lange ist 20 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich als Chef vom Dienst (CvD) seit dem Wintersemester 2022.