Der Minimalismus – Design für die mediale Ewigkeit?

von | 6. Januar 2014

„Weniger ist mehr“, spricht der Volksmund seit dem Dichter und Übersetzer Christoph Martin Wieland. Google, Apple, eBay und viele andere Marken sehen das offenbar ähnlich: Sie entrümpeln ihre Oberflächen und […]

„Weniger ist mehr“, spricht der Volksmund seit dem Dichter und Übersetzer Christoph Martin Wieland. Google, Apple, eBay und viele andere Marken sehen das offenbar ähnlich: Sie entrümpeln ihre Oberflächen und Designs, um den Kunden das Handling zu erleichtern. Der Einzug der Design-Form „Minimalismus“ in den Medien?

Minimalistische Ausdrucksweisen finden sich vielmehr in Architektur, Musik, Film und als Lebensentwurf. Betrachtet man die Entwicklungen als einzelne, entsteht der Eindruck eines sehr zeitgemäßen, modernen Denkansatzes. Dieser Eindruck täuscht: „Minimalismus ist das Streben nach der Essenz der Dinge, nicht nach dem Aussehen. Minimalismus ist jenseits der Zeit. Er ist zeitlos“, so Massimo Vignelli, Designer aus Mailand. Doch wie äußert sich dieser Denkansatz in den Medien? Welche Bestandteile dessen, was wir täglich wahrnehmen, entstammen dem Minimalismus?

Wenn du Aufmerksamkeit willst, flüstere.

Als Kunstphänomen gab es erste Ansätze des Minimalismus schon Anfang des 20. Jahrhunderts, als der russische Künstler Kasimir Malewitsch das „Schwarze Quadrat“ malte. 1965 prägte der Kunstkritiker Richard Wollheim den noch heute verwendeten Begriff der „Minimal Art“. Doch wie die Vielfalt in der Anwendung zeigt, ist Minimalismus mehr als nur eine Formsprache oder eine Kunst-Strömung.

Minimalismus im Grafikdesign

Das prägnanteste Merkmal minimalistischen Grafikdesigns ist die geringe Menge der Gestaltungselemente. In der Typografie werden wenige, ausgewählte Schriften in wenigen Schriftschnitten genutzt. In der Farbgebung sind Weißräume wesentliche Elemente, die von vornherein in die Gestaltung mit einbezogen werden. Die gemeinsame Farbgebung beschränkt sich meist auf Weiß, Schwarz oder Grautöne, die mit einer Signalfarbe als Hinweisfarbe („Eye-Catcher“) kombiniert werden. Auf Fotos wird weitestgehend verzichtet. Das alles, sowie eine Anordnung der Elemente nach dem Rasterprinzip, ermöglicht eine leichte Wiedererkennung und Übersichtlichkeit. In der Gestaltung von Signets beschränkt man sich auf einen hohen Grad der Abstraktion. Auf Effekte wie Dreidimensionalität oder Farbverläufe wird verzichtet.

Führt man den Gedanken fort, stellt sich der Minimalismus als eine Denkschule dar, deren größter Reiz zugleich ihr bedeutendstes Manko ist: Die funktionale, schlichte Reproduzierbarkeit. Einerseits sind simple, monochrome Produkte zum Beispiel im Printbereich sehr zuverlässig und fehlerresistent in der Produktion. Andererseits lässt der Anspruch der Schlichtheit bloß ein begrenztes Repertoire an Formen zu, wodurch auf Dauer Ähnlichkeiten kaum vermeidbar sind. Der daraus entstehende Konflikt zeigte sich beispielsweise im Rechtsstreit von Apple und Samsung Ende 2012: In der Endkonsequenz gewann Apple den Prozess und konnte somit das Patent für abgerundete Ecken erstreiten. Zwischen Malewitschs „Schwarzem Quadrat“ und der Form eines Tablet-Computers besteht allerdings ein fundamentaler Unterschied: Während Patente ein technisches Schutzrecht darstellen, handle es sich bei Gemälden um Werke, die als solche vom Urheberrecht geschützt sind, erklärt Prof. Dr. Johannes Handschumacher. Rechtsanwalt und Medienrecht-Dozent an der Hochschule Mittweida ergänzt weiterhin, dass ein Patent angemeldet werden muss, während das Recht am eigenen Werk dem Schöpfer grundsätzlich eigen sei.

Bei der Frage, ob ein minimalistisches Werk schützenswert ist, stellt sich außerdem die Frage nach der Schöpfungshöhe. Im Falle eines besonders simplen, stark abstrahierten Werks ist zu klären, ob es sich um eine „kleine Münze“ handelt, also eine Schöpfung, die gerade eben die mindesten Ansprüche des Werksbegriffs erfüllt und somit den Schutz des Urheberrechts genießt. „Bei Werken des Minimalismus stößt das Urheberrecht an seine Grenzen. Hier kann letztendlich nur jeder Einzelfall für sich entschieden werden. Es gibt unzählige Beispiele aus der Rechtsprechung, wo solchen oder ähnlichen Werken Urheberrechtsfähigkeit zugesprochen wurde. Hier ist aber vieles sehr umstritten“, so Prof. Dr. Handschumacher. „Es ist zum Beispiel auch hoch umstritten, ob bloße Präsentationen eines alltäglichen oder bekannten Gegenstandes, also sogenannte ‚ready-mades‘ Urheberrechtsschutz genießen.“

Minimale Komplexität, maximale Übersicht: Minimalistische Interfaces

Besonders gesund erscheint Minimalismus dort, wo er unübersichtliche, komplizierte Strukturen vereinfacht. Daher eignet sich minimalistisches Design als Begleiterscheinung für neuartige Benutzeroberflächen, neben dem klassischen Webdesign so zum Beispiel auch auf Smartphones oder Tablets. Noch bis vor wenigen Jahren wurde bei der Gestaltung von Benutzeroberflächen und im Webdesign viel ausprobiert: Blinkende Buttons, bunte Animationen und plastische Darstellungen von Oberflächen. Mittlerweile hat sich diese Form des Designs komplett gewandelt. Benutzeroberflächen werden komplexer, die Bildschirme kleiner, die Möglichkeiten mehren sich. Um User nicht durch zu hohe Komplexität zu verschrecken, müssen Oberflächen ein Höchstmaß an Benutzerfreundlichkeit (Usability) und Einfachheit (Simplicity) vermitteln. Minimalistische Designs der Schnittstellen können hier Orientierung und Übersichtlichkeit gewährleisten. Leitgedanke ist dabei die Orientierung an den Bedürfnissen der Nutzer bei möglichst sparsamem Umgang mit den Materialien und Design-Werkzeugen.

Isabell Richter, „freie Kreative“ aus Chemnitz, schränkt ein: „Minimalistisches Design ist inzwischen so populär, dass viele Benutzeroberflächen, Icons und Bedienelemente zu einer homogenen Masse verschmelzen. Das tut der gestalterischen Vielfalt Abbruch und ist somit langfristig auch nicht zum Besten der Nutzer.“ Müssen sich User also wieder auf detailreichere, verschnörkelte Interfaces vorbereiten? Nein: „Gerade bei Applikationen oder Online-Shops wird die Übersichtlichkeit des Minimalismus weiter eine tragende Rolle spielen. Aber bei Produkten wie Blogs, die per se eine gute Orientierung ermöglichen, gibt es keinen Grund, sich gestalterisch einzuschränken.“

Weniger wird nicht für immer mehr bleiben!

Aus diesen Beobachtungen lassen sich vier „Behauptungen“ zu Fortbestand und Weiterentwicklung des Minimalismus ableiten. Behauptung eins zeigt:

Die Vereinfachung der Bedienoberflächen zum Beispiel bei mobilen Endgeräten ist noch nicht am Ende angekommen. Mit der Komplexität und dem Facettenreichtum möglicher Anwendungen muss schließlich auch die Reduktion der Menüs einhergehen. Auf diese Weise könnte der Überfunktionalität etwas entgegengesetzt werden.

Und tatsächlich: Beobachtet man beispielsweise die Entwicklung der Google-Startseite, fällt auf, dass immer mehr Elemente von der Oberfläche verschwinden. Inzwischen ist nur noch das Logo oberhalb der zentralen Suchfunktion sichtbar, alle anderen Elemente sind in Form von Piktogrammen dargestellt. Tatsächlich trägt das minimalistische Design zum Erfolg bei. Die Bounce-Rate der Suchmaschinen-Startseite sank allein in den letzten drei Monaten um fünf Prozent. Im Ranking der Suchmaschinen nach Google folgt Bing mit fast 90-prozentigem Abstand und einer deutlich detailreicheren Startseite:

Für einen Überblick über die Evolution der Google-Startseite lohnt sich übrigens ein Blick in das Internet-Archiv „Wayback Machine“. Dort sind auch die Oberflächen vieler anderer Domains über die letzten Jahre einsehbar.

Auch im Bereich der Interfaces gibt es einen prominenten Beweis für minimalistische Gestaltung. Sieht man sich die Unterschiede zwischen Apples iOS 6 und dem aktuelleren iOS 7 an, fallen umfangreiche optische Neuerungen auf. So wurde die Plastizität der Icons deutlich reduziert, indem die Piktogramme weniger Details enthalten und Farbverläufe seltener werden. Dieses Konzept setzt sich in den Applikationen des Herstellers fort, wie zum Beispiel beim Taschenrechner: Apple fördert damit die intuitive, einfache Handhabung seiner Geräte.

„These“ zwei hingegen bezieht sich auf den Bereich „Brand Design“ − also die strategische Konzeptionierung und Positionierung eines Marken-Charakters auf dem Markt:

Es ist anzunehmen, dass Unternehmen und Marken nicht auf den zeitlosen Faktor des Minimalismus verzichten werden: Er sei in der Lage, Marken und Produkte am Leben zu halten.

Bestes Beispiel dafür ist der amerikanische Elektronik-Konzern Apple, der innerhalb seiner Signet-Entwicklung und Markenbotschaft für dauerhaft exklusiven Standard eigener Technologien und Design wirbt.

Grenzenlos minimal?

Behauptung drei hinterfragt die Wiederholbarkeit der Abstraktion:

Wie oft kann man Produkte und Marken mittels eines Relaunches minimalisieren?

Anwendungsbeispiele zeigen, dass der Abstraktion Grenzen gesetzt sind. Spätestens, wenn sie selbst die Nutzung erschwert. Andernfalls lassen sich manche Konzepte nicht bis in die Unendlichkeit abstrahieren. Das Apple-Logo zum Beispiel wurde mehrfach minimalisiert. Nun ist weder die Form noch die Farbgebung weiter reduzierbar, ohne den Kern des Signets zu verändern.

Die letzte der vier Mutmaßungen über den Fortbestand und Weiterentwicklung des Minimalismus greift…

…die parallele Entwicklung verschiedener Designströmungen auf, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts im Gange ist.

In der Realität verhält es sich so, dass viele Gestaltungs-Trends miteinander konvergieren. Manche aktuellen Tendenzen widersprechen sich gar. Als Beispiel sei hier der „Skeuomorphismus“ genannt: Eine realistisch orientierte Gegenbewegung zum minimalistisch-abstrakten Design. Bedingt durch das begrenzte, gestalterische Vokabular ist nicht anzunehmen, dass Minimalismus zu einem General-Trend taugt. Doch was Schnittstellen und Informationen übersichtlich strukturiert, wirkt in ästhetischen Zusammenhängen schnell anonym und leer. Fakt ist: Minimalismus eignet sich für die Herstellung von Funktionalität, aber nur begrenzt zur Individualisierung.

 Text und Grafik: Clemens Arnold, Fotos: Sebastian Wirsching

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Redakteur