Chemnitz 2025

Der Weg zur Kulturhauptstadt

von | 10. Juni 2022

Im Jahr 2025 wird Chemnitz als europäische Kulturhauptstadt in die Fußstapfen Athens, Madrids und Lissabons, den ersten Kulturstädten, treten.

“C the Unseen”, das ist das Motto der Chemnitzer Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas – dieser Titel wird seit 1985 jährlich durch die Europäische Union verliehen. Zu den Zielen gehört es, die Vielfalt und den Reichtum der europäischen Kultur hervorzuheben und die Entwicklung der Stadt zu fördern. Die auserwählte Stadt erhält nicht nur Zuschüsse des Kulturförderprogramms, sondern üblicherweise auch ein hohes Maß an Aufmerksamkeit aus aller Welt. Das macht diese Auszeichnung so begehrt. Chemnitz setzte sich im Kampf um den Titel gegen Magdeburg, Hildesheim, Hannover und Nürnberg durch. Bei dem Bewerbungsverfahren geht es darum, ein Konzept auszuarbeiten, welche Entwicklung die Stadt langfristig gesehen durchmachen soll. Die Chemnitzer Bewerbungsmappe, das Bid Book II, kann jeder online virtuell durchblättern. 

Bild: Kai Winkler

Kai Winkler ist Vorsitzender des Hand in Hand e.V. und arbeitet somit mit vielen kulturellen Einrichtungen aus Chemnitz zusammen. Dadurch ist er nah am Geschehen des Kulturhauptstadt-Proejkts. Er steht in seiner Mittagspause vor dem Weltecho, dem Chemnitzer Kulturhaus, nahe des Stadtzentrums und spricht mit medienMITTWEIDA über die angehende, vierte deutsche Kulturhauptstadt.

Weltecho, Chemnitz – Foto: Max Eichler

Kai Winkler, inwiefern steht deine Arbeit im Zusammenhang zur Kulturhauptstadt?

Kai Winkler: In meinem ersten Leben habe ich einen Reifendienst für LKW und PKW und nebenbei noch eine kleine Fahrrad-Promotion-Firma. Wir veranstalten unter anderem die Friedensfahrt oder den European Peace-Ride , was ein Kulturhauptstadt-Projekt ist. In meinem zweiten Leben, in meiner Freizeit bin ich seit vielen Jahren im Alternativen Jugendzentrum Chemnitz (AJZ) als Booker tätig und für die Bar zuständig. Darüber hinaus bin ich auch Vorstandsmitglied des Hand in Hand e.V., der im Prinzip eine Lobby-Vereinigung vieler Vertreter:innen der freien Kulturszene der Stadt Chemnitz ist.

Wofür steht der Hand in Hand e.V.?

Kai Winkler: Ursprünglich haben wir uns 2018 gegründet, als Reaktion auf den Aufmarsch des dritten Weges am 1. Mai. Wir wollten als Kulturschaffende der Stadt Chemnitz etwas entgegensetzen, was auch eine Stimme hat. Aus diesem losen Zusammenschluss verschiedener Akteur:innen sind wir dann über die nächsten zwei Jahre verbunden geblieben und haben dann durch die Corona-Krise plötzlich neuen Bedarf gesehen, sich wieder zusammenzuschließen, um unsere eigenen Interessen durchzusetzen. Wir haben ein Selbstverständnis formuliert, in dem Faschismus, Sexismus, Homophobie und sowas verpönt wird und gesagt, dass jede Initiative Mitglied werden kann, die sich mit diesen Werten identifiziert. Viele unserer Mitglieder sind am Kulturhauptstadt-Prozess beteiligt. Es gibt natürlich Kritik: für die Einen sind wir zu wenig politisch, für die Anderen zu viel.

Im Bid Book Ⅱ finden sich die Projekte verschiedener Initiativen der Kulturhauptstadt wieder. Werden all diese Projekte schlussendlich auch wirklich umgesetzt?

Kai Winkler: Der Kulturhauptstadt-Prozess ist ein Ergebnis von vielen Jahren harter Arbeit und vielen Akteur:innen, die sich von Anfang an mit Herzblut beteiligt haben. Das gilt es einfach zu würdigen. Natürlich wird es immer Menschen geben, die sich nicht abgeholt fühlen. Aber Fakt ist, wir haben das Ding damit gewonnen. Es ist wie ein Vertrag: Im BidBook sind Projekte definiert und 80 % dieser Projekte müssen einfach umgesetzt werden, das wird von der Europäischen Union betreut und kontrolliert, insofern bin ich erstmal guter Dinge. Von daher ermutige ich auch alle Initiativen, sich nicht nur als Bedarf anzumelden, sondern auch die Umsetzung einzufordern, wenn ihr Projekt darin steht.

Was könnte der Umsetzung noch im Weg stehen?

Kai Winkler: Die Kulturhauptstadt GmbH ist für mich derzeit noch unterbesetzt. Es müssen Strukturen geschaffen werden, die man bereits hätte vorplanen können, von Hausmeister:in bis hin zur Geschäftsführung. Das ist eine Bremse im Prozess. Wenn wir in die Situation geraten, dass wir zum Beispiel im Dezember 2023 erst aufwachen und dann auf die Schnelle irgendetwas hinschustern und uns für viel Geld Menschen von außerhalb einkaufen, wäre das sehr schade. Ich spüre einen Hufen scharren, ich spüre, der Wille ist da, aber wird durch die fehlenden Strukturen zur Zeit noch ausgebremst.

Welche Chancen könnte die Auszeichnung zur Kulturhauptstadt für Chemnitz haben?

Kai Winkler: Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir machen es gut oder wir machen es schlecht. Wir sind an einem spannenden Punkt. Ich glaube, wenn wir es gut machen, ist das eine riesige Chance für Chemnitz. Die könnten wir nutzen, um zum Beispiel unser Problem mit Rechtsextremismus offensiv anzugehen, indem man es benennt, indem man sich klar positioniert. Nicht um zu beweisen, dass „wir Chemnitzer keine Nazis sind“, denn ich habe schon den Eindruck, dass wir tief in der Stadtgesellschaft schon sehr rechts-konservativ sind, das merken wir als Kulturschaffende ständig wieder. Natürlich sind es nicht alle, aber es sind doch sehr viele. Das könnte man in diesem Atemzug aufgreifen und Haltung zeigen, das würde ich mir wünschen.

Werden gewisse Bereiche bei der Förderung nicht beachtet?

Kai Winkler: Kulturhauptstadt ist nicht das Heilmittel aller Dinge, die vorher schon nicht funktioniert haben. Für mich ist das Projekt eine eigenständige, klar definierte Geschichte: Es geht darum, das Bid Book umzusetzen. Ich fände es unfair dem Projekt gegenüber, wenn davon Sachen bezahlt werden, die nichts mit dem Kulturkonzept zu tun haben. Für uns als Hand in Hand geht es darum, dass es für unsere Clubs das Beste wäre, wenn sich die Infrastruktur unserer Stadt generell verändert. Dass wir es schaffen, Nachtbusanbindungen auszubauen, das Verkehrsproblem, vor allem nachts, zu lösen. Als Beispiel: im AJZ gibt es keine Aftershowpartys mehr aus dem Grund, dass die Leute danach nicht wissen, wie sie da wieder wegkommen. Dadurch fällt eine Einnahmequelle weg. Wenn wir es schaffen, die Anbindungen besser auszubauen, wäre uns allen geholfen. Es fände ein reger Austausch zwischen Gastronomie, Clubbetreiber:innen und ehrenamtlich geführten Initiativen statt.

Was siehst du kritisch an der Auszeichnung?

Kai Winkler: Der Blick der Politik auf das Projekt. Im Stadtrat oder Rathaus hat man manchmal das Gefühl, dass denen gar nicht so genau bewusst ist, was für eine Chance das ist. Wir müssen noch viel mehr Chemnitzer:innen für den Prozess begeistern. Für mich gibt es bislang zu wenig Multiplikatoren dafür. Für viele ist das einfach noch nicht greifbar.

Text und Titelbild: Max Eichler

<h3>Max Eichler</h3>

Max Eichler

studiert derzeit im vierten Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert er sich seit dem Sommersemester 2022.