Wenn wir einmal in uns gehen, hat wahrscheinlich jeder seine ganz eigene Vorstellung von Gut und Böse und denen, die sie verkörpern. Held- und Schurk*innenfiguren gibt es reichlich in der Fiktion und ein Teil von ihnen ist weit verbreitet. Nicht zuletzt durch das Medium Film. Aus Subkultur wird Popkultur. Das ist nichts Neues. Heldenmut und Schurkentum haben so ihren Weg vom Blatt auf die Leinwand geschafft. – Und das fortlaufend. Jedes Land hat seine Helden und jeder Held seine Zeit.
Einmal ein Held sein
Zeitgenössisch sollen sie sein, gern auch visionär – nicht nur ein Held für einen Tag. Um zu verstehen, was man vermisst, muss man wissen, was man sucht. Was ist also ein Held?
Fest steht, Held ist nicht gleich Superheld. In der Regel war der klassische Held männlich und stand im Mittelpunkt seiner eigenen Reise. Er hob sich von der Allgemeinheit beispielsweise durch besondere Kraft oder Charakterstärke ab. Er stach hervor und war vom Gewöhnlichen entrückt, aber dennoch nicht übermenschlich. Es galt, in seiner mythischen Welt über sich hinauszuwachsen, sich Antagonisten zu stellen und glorreich zu siegen. Genau darauf baut das Narrativ des Superhelden auf. Für den Gründer des Institute for Comics Studies, Peter Coogan etwa, verkörpere das Superheldengenre vor allem eines: Heroisch selbstlose Figuren auf universeller Mission, die übernatürliche Fähigkeiten besitzen und deren Identitäten durch einen Codenamen und ein ikonisches Kostüm symbolisiert werden. Die Ära der Superhelden knüpft dabei an den antiken Heldenmythos an.
Und heute? Die Heldenreise als Stilmittel ist geblieben, der Archetyp Held hingegen hat sich seitdem stetig verändert. Ob Held, Anti- oder Superheld. Fiktive Heldenfiguren sind nicht länger an ein Geschlecht gebunden, finden sich in den unterschiedlichsten Genres wieder und werden durch die Medien unserer Zeit rezipiert.
Alte Gesichter für eine neue Zeit
Kunst bedient sich an Kunst. Genauso haben Heldenfiguren aus der Literatur ihren Weg ins Kino gefunden und tun es noch immer. Wiederaufgelegt, neu interpretiert und selten neu erfunden. Die Verfilmungen von Stoffen aus dem Hause DC und Marvel waren prägend für die Popkultur. Ihre Figuren sind nach wie vor die Heldenassoziation der Neuzeit schlechthin. Unglaublich beliebt und unglaublich erfolgreich erreichte Avengers Endgame mit 2,79 Milliarden US-Dollar, eines der höchsten Einspielergebnisse eines Films jemals. Abgesehen vom Erfolg sind die Geschichten dieser Figuren inzwischen Teil des Kollektivbewusstseins und zu Ikonen avanciert und das nicht nur in ihrem Entstehungsland.
Besonders Literaturklassiker erlangten durch ihre filmischen Adaptionen der letzten Jahrzehnte so neue Beliebt- und vor allem Bekanntheit. Und damit auch die Gesichter neuer alter Helden. So ist zum Beispiel der Londoner Meisterdetektiv Sherlock Holmes, für die meisten untrennbar mit der englischen Lebenskultur verbunden. Die von 2010 bis 2016 realisierte BBC-Serie Sherlock ging dabei erstmals neue Wege und rückte die gesamte Handlung in die Jetztzeit.
Ebenfalls im Genre Kriminaliteratur verortet, ist die Netflix-Serie um den französischen Gentlemen-Gauner Lupin, die eindeutig von dem Buch von Maurice Leblanc inspiriert wurde. Kurz nach der Veröffentlichung der erste Staffel im Januar 2021 gelang dem Insel Verlag mit „Arsène Lupin und der Schatz der Könige von Frankreich“ ein überraschender Bestseller-Erfolg. Die filmische Adaption mit Omar Sy in der Hauptrolle war lukrativ, aber noch viel wichtiger: Sie brachte Aufmerksamkeit, vor allem international und kehrte so, gegenwartsnah inszeniert, zurück ins Gedächtnis der Massen.
Sowohl Holmes als auch Lupin sind nicht nur die Helden oder Antihelden ihrer eigenen Geschichten, sondern stehen stellvertretend für ein ganzes Genre.
Dass Helden fast in Vergessenheit geraten können, zeigt das Schicksal des skrupellosen Superverbrechers Fantomas. In Anlehnung an sein literarisches Vorbild von 1911 wurde er bis in die 1960er-Jahre filmisch immerfort neu ausgelegt. Ein Rechtsstreit in den Folgejahren zwischen Schöpfer und Produktion führte jedoch zur Einstellung der damaligen Filmreihe mit Louis de Funès und trug laut Experten erheblich zum Verschwinden des Filmschurken Fantomas aus der Popkultur bei. Ein gesundes Maß an Anpassung und Weiterentwicklung ist für das Bestehen eines Helden also existenziell. Wie das funktionieren kann, lässt sich an der Entwicklung des „Whoniverse“ um die britische Serie Doctor Who wortwörtlich anschaulich verfolgen.
Und bei uns?
Mit Blick auf unseren europäischen Nachbar schweifen die Gedanken ganz unweigerlich zum eigenen Heldenrepertoire. Wo sind sie, die Helden und Superhelden aus Deutschland, oder noch viel wichtiger: gibt es sie überhaupt? Der West-Berliner Superheld Captain Berlin bekam seinen ersten Auftritt in einem Kurzfilm seines Erfinders. Im Jahr 1982 inszenierte der Hörspiel- und Filmregisseur Jörg Buttgereit einen trashigen Zehnminüter, in dem Captain Berlin auf seinen ersten Gegenspieler Mister Synth trifft. Bis zu seinem nächsten und bisher letzten Filmauftritt sollten 25 Jahre vergehen. Stattdessen ist der Superheld seit 2013 im gleichnamigen Comic zu bestaunen.
Wesentlich bekannter, aber dafür ohne konventionelle Superkraft, sind hingegen die Karl-May-Schöpfungen Winnetou und Old Shatterhand. Der Stoff der Romanreihe wurde filmisch besonders durch die Harald Reinl Verfilmungen der 60er-Jahre berühmt. Seitdem scheinen sie für viele vornehmlich die Rolle der Kindheitshelden anzunehmen. Und dieses Image wird fortgeführt, die neueste Adaption startete im Sommer dieses Jahres in den deutschen Kinos unter dem Titel „Der junge Häuptling Winnetou“ – ein Kinderfilm.
Noch einen beachtlichen Schritt weiter in die Vergangenheit geht die deutsche Serie „Barbaren“. Angelehnt an tatsächliche Geschichtsschreibung, präsentiert die Netflix- Produktion den über 2000 Jahre alten Nationalhelden Arminius der Cherusker samt Varusschlacht. Ist dies also schlicht keine Zeit für neue Helden?
Perspektiven
„Helden sind erst einmal die, die von den Verehrern dieser Helden als solche bezeichnet werden.“, so der Soziologe Ulrich Bröckling im Interview mit Deutschlandfunk. Die Größe dieser Gruppe ist immerhin ein Faktor, der die Bekanntheit eines Helden beeinflusst. Ein weiterer ist seine mediale Präsenz. Die Macht und Beliebtheit des Mediums Film ist dabei ungebrochen. Filmhelden sind häufig von anderen Genres, insbesondere von denen der Literatur, inspiriert und werden ständig neu interpretiert.
Dennoch sind wir nicht an die ständige Wiederholung des schon Bekannten gebunden. Stoffe für eine neue, noch unbekannte Ära von Helden existieren. Sei es der von der Bildfläche verschwundene französische Superschurke Fantomas oder der deutsche Superheld Captain Berlin. Wir können fiktive Helden demnach in der Vergangenheit suchen oder neu erfinden, vielleicht sogar neu definieren. Wissenschaftler sprechen dabei von einem postheroischen Zeitalter, in dem wir uns befinden. Kein Ende des Heldenzeitalters, aber die Ansprüche an Heldentum, besonders in westlichen Gesellschaften, haben sich stark verändert. Wer für wen, wann und wie zum Helden wird, liegt schlussendlich im Wandel der Zeit.