Gelsenkirchen, Essen und Herne gelten im innerdeutschen Vergleich nicht unbedingt als die Schlossalleen unter den Städten. Betoniert, schmutzig, unter Tage und grobschlächtig böte der Ruhrpott allenfalls genügend Glanz für die „Badstraße“ des deutschen Städtemonopolys – so das ernüchternde Ergebnis des Städte-Rankings 2009. Bis jetzt, denn im Jahr 2010 wird der Ballungsraum rund um die Stadt Essen zur Kulturhauptstadt Europas ernannt. Keine leichte Aufgabe für die Region, denn mit Deutschlands mittleren Westen verbinden wir seit Jahrhunderten Eisen- und Stahlhütten, Zechen und Steinkohleförderung.
Bereits drei Jahre arbeitet die RUHR.2010 GmbH, die Gesellschaft zur Vorbereitung und Durchführung des Kulturhauptstadtjahres, an der Marke „RUHR.2010″ und somit am nationalen und internationalen Image des Gebiets. Bürger und Vereine der 53 Städte und Gemeinden des Ruhrgebiets beteiligten sich an der Entwicklung verschiedener kultureller Projektideen und orientierten sich dabei an den Leitthemen: „Urbanität, Identität und Integration“. Entstanden sind daraus 300 Projekte mit rund 2.500 Veranstaltungen für das kommende Jahr. Im Interview mit medien-mittweida.de sprach Marc Oliver Hänig – Pressesprecher der RUHR.2010 GmbH – über den Titel, das Motto „Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel“ und die kulturelle Zukunft im „Pott“.
Kam die Ernennung zur „Kulturhauptstadt Europas“ durch die EU überraschend für Sie?
Überraschend? Der Titel ist ein Wunder. Das Ruhrgebiet als Kulturgebiet und Touristenmagnet – das klingt doch etwa so wahrhaftig wie Schnee in der Sahara. Nein, im Ernst: Hier gibt es in der Tat mehr Kultur pro Quadratmeter als anderswo. Und Natur übrigens auch. Der Himmel über der Ruhr ist wieder blau und auf der Autobahn sind sogar die Lärmschutzwände grün – leider hat das alte Klischee vom rußigen Kohlenpott noch in vielen Köpfen überlebt. Der Titel „Kulturhauptstadt Europas“ ist eine Chance, die angemessene Aufmerksamkeit auf eine spannende Region zu fokussieren, die einen „Wandel durch Kultur“ erfährt, um sich für die Zukunft gewinnbringend zu positionieren. Nach Kohle und Stahl wird jetzt Kultur als neue Energiequelle gefördert.
Ihr Motto lautet „Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel“. Welche Bedeutung hat das Kulturhauptstadtjahr für Essen und insbesondere für die Region?
Klare Ansage: Das Ruhrgebiet ist verdammt zum Erfolg. Wir haben gezeigt, dass wir es unten können, jetzt werden wir zeigen, dass wir es auch oben können. Der „Stern“ nannte die Weltstadt Ruhr einen „Weltmeister im Wandel“. Aber so viele Freispiele für Runderneuerungen gibt es nicht mehr, zumal jede Strukturkrise mit zahlreichen Opfern einhergeht. Dass die Finanzkrise den Vorbereitungen für Aschenputtels Hauptrolle einen unerwarteten Tiefschlag verpasst hat, mutet da schon beinahe wie Ironie der Geschichte an. Der Mentalität des „Ruhries“ aber kann das nichts anhaben: aufstehen, schütteln, weitermachen! So ist das hier: Mit dem zurechtkommen, was man hat – und daraus das Beste machen.
Wie nimmt die Bevölkerung der beteiligten Städte und Gemeinden den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ wahr?
Mit Vorfreude. Schon 73 Prozent der Bürgerinnen und Bürger wissen, was nächstes Jahr passiert. Und freuen sich, dass was passiert. Denn Sie glauben, oder zumindest ahnen Sie es, wie wichtig dieser Kulturknall für die Region ist. Die Zeitungen sind voll: lokal, überregional und auch international. Das führt zwangsläufig zu einem Bewusstseinswandel. Aber auch die große Anzahl von Ehrenamtlichen für 2010 lässt uns annehmen: Die Menschen freuen sich auf die Kulturhauptstadt und sind gerne ein Teil des großen Ganzen.
Wird sich das Kulturangebot in Europas größter Industrieregion auch nach 2010 wandeln?
Das Wort Nachhaltigkeit ist leider längst zur Floskel verkommen, deswegen wird es aber nicht weniger wichtig. Da es sogar eines der wichtigsten Kriterien der Europäischen Union ist, freuen wir uns, dass wir schon jetzt wichtige Fundamente gelegt haben. Mit der Umnutzung des „Dortmunder U“ beispielsweise vom ehemaligen Bierbrauhaus zu einem Zentrum für Kreativwirtschaft, mit Neubauten wie Folkwang oder auf dem Museum Küppersmühle und auf Biennale angelegten Kulturprojekten wie der Emscherkunst ist zumindest architektonisch und künstlerisch ein Nachleben gesichert. Der angesprochene und angestrebte Mentalitätsschub wird sich ebenfalls mit dem Gelingen einstellen.