Schmeißt das Popcorn in die Mikrowelle und wärmt die Käsesoße auf. Die Nacho-Time für den November hält einiges an Drama bereit. Nachdem die Kinos erneut geschlossen wurden, greifen die Menschen wieder auf die guten alten Streaming-Plattformen zurück. Netflix bringt uns den neuen Elyas M’Barek Film „Was wir wollten“ und den Drama-Thriller „Vorladung“. Außerdem stelle ich euch wie immer mit „Arrival“ auch meinen Hidden Gem des Monats vor, der in den letzten Jahren zu wenig Aufmerksamkeit genießen durfte.
Viel nackte Haut um nichts
Netflix setzt immer mehr auch auf europäische Produktionen. Nicht nur Serien wie „Haus des Geldes“ erfreuen sich internationaler Beliebtheit, auch die deutsche Serie „Dark“ oder die ORF Kooperation „Freud“ erzielten einige Erfolge über ihre Landesgrenzen hinweg. Doch Netflix investiert nicht nur in Serien. Mit „Was wir wollten“ erschien im November eine weitere österreichische Produktion, die zukünftig in 190 Ländern verfügbar gemacht werden soll. Das Drama dreht sich um das Ehepaar Alice (Lavinia Wilson) und Niklas (Elyas M’Barek), das schon lange vergeblich versucht, ein Kind zu bekommen. Als die Ärztin ihnen dann auch noch für ihren letzten Versuch alle Hoffnung nimmt, beschließen sie, Urlaub zu machen. Dieser soll ihnen helfen, sich von den psychischen Strapazen zu erholen. Doch direkt in das Haus neben ihnen zieht eine Familie ein, die alles zu haben scheint, was sich das Paar so sehnlichst wünscht.
„Was wir wollten“ kommt nur sehr langsam in die Gänge. Von der Fahrt in die Klinik bis hin zum Aufbruch in den Urlaub wird mit wenig Dialog versucht, die Beziehung von Alice und Niklas einzufangen, was jedoch kaum gelingt. Zu wenig wissen wir bisher über die Charaktere und ihre Vergangenheit und zu aufgesetzt ist die Darbietung der beiden Hauptdarsteller. Bereits hier wird man als Elyas M’Barek Fan wohl enttäuscht sein. Er macht sich nicht besonders gut als Drama-Schauspieler. Auch sein Pendant Lavinia Wilson kann den Mangel an Gefühl nicht kompensieren, den M’Barek in dieser Rolle an den Tag legt. Die beiden wirken zusammen unharmonisch, was es nicht leicht macht, an eine Zukunft für ihre Charaktere zu glauben. Doch an dieser hält die Geschichte mit eiserner Hand fest, egal durch wie viele Streitigkeiten das Paar geht oder wie zerrüttet ihr Verhältnis zu sein scheint. Eine Beendigung der Beziehung wird kaum thematisiert, auch wenn sich die beiden noch so viele Vorwürfe an den Kopf werfen. Dadurch wirken weder Alice noch Niklas besonders nahbar oder sympathisch und man verliert als Zuschauer schnell das Interesse an ihrer Geschichte.
Ein weiteres großes Problem stellt die Nachbarsfamilie dar. Trotz spannender Ansätze in ihren Persönlichkeiten sowie ihrem Familienverhältnis wird sie einzig und allein instrumentalisiert, um die Handlung unserer Protagonisten voranzutreiben. Man wird das Gefühl nicht los, dass der Film spannender gewesen wäre, wenn sie im Mittelpunkt der Geschichte gestanden hätten. Umso frustrierender ist es, wenn immer nur kurze Einblicke in ihr Leben gegeben werden, bevor die Handlung sich wieder ganz den Hauptdarstellern widmet.
Es fehlt dem Film zusätzlich auffallend an Esprit, sowohl in der technischen Umsetzung als auch im Drehbuch. Durch unnötige Nacktheit der weiblichen Darstellerinnen wird versucht, Aufmerksamkeit zu erregen und Konflikte zu inszenieren, was jedoch gezwungen, nicht gelungen, wirkt. Die Farben sind über den ganzen Film hinweg trist und die Landschaft des Urlaubsortes Sizilien wird nur in sehr leblosen Bildern abgelichtet. Man kann nur spekulieren, ob es an mangelndem Budget oder schlichter Einfallslosigkeit liegt . Doch so schafft es der Film sicher nicht, im Gedächtnis zu bleiben.
„Was wir wollten“ bleibt also ein sehr unbefriedigendes Filmerlebnis, in dem man ständig darauf wartet, dass etwas Spannendes passiert – nur um immer wieder aufs Neue enttäuscht zu werden. Für mich also definitiv keine Empfehlung für den nächsten Filmabend.
Gegen das Establishment
Streaming-Portale wie Netflix zeichnet besonders eines aus: Sie liefern Filme aus aller Welt – auch die, die es bei uns nicht auf die große Leinwand geschafft hätten. Doch kann man sich nie sicher sein, ob man für solche Möglichkeiten wirklich dankbar sein sollte oder hier und da auch auf die neue Erfahrung hätte verzichten können.
Ein Film, der definitiv letztere Kategorie erfüllt, ist „Vorladung“, eine nigerianische Produktion aus der Feder von Kunle Afolayan. Er basiert auf einer wahren Geschichte und erzählt von der versuchten Vergewaltigung der jungen Studentin Moremi (Temi Otedola). Als ihr Professor (Jimmy Jean-Louis) behauptet, sie habe sich an ihn herangemacht, muss sie in einem Prozess vor dem Universitäts-Ausschuss ihre Ehre verteidigen und die Wahrheit ans Licht bringen.
Regisseur Kunle Afolayan
Der Nigerianer Kunle Afolayan ist ein vielseitig begabter Mensch. Im Laufe seiner Karriere arbeitete er bereits als Schauspieler, Producer sowie Regisseur in der Filmindustrie und gründete 2005 seine eigene Produktionsfirma Golden Effects Pictures. Im selben Jahr erst hatte er seinen Job als Banker gekündigt, um in der Filmlandschaft sein Glück zu versuchen.
Seitdem ist er zu einem der erfolgreichsten Regisseure des Landes aufgestiegen. Mit seinem Film „Oktober 1“ aus dem Jahre 2014 erzielte er das zweithöchste Einspielergebnis an den Kinokassen, das Nigeria je hatte. Auch auf internationalen Filmfestspielen konnte er in den letzten Jahren immer mehr Erfolge für sich verbuchen. So gewann er unter anderem den Preis für den besten Nigerianischen Film des Jahres bei den AMAAs 2015 oder auch den „Best Film Award“ beim Durban International Film Festival 2019.
Fun Fact: Afolayan ist außerdem großer Fan antiker Ausstellungsstücke. Er besitzt unter anderem drei Vintage-Autos: Einen Thunderbird Ford 1965, einen Jaguar XJ6 aus dem Jahre 1982 sowie einen Benz, Baujahr 1969.
Der Anfang des Films widmet sich zunächst einer anderen Studentin, deren Professor sie in ein Hotel bestellt, als Gegenleistung für eine bessere Note. Daraufhin stürmt ihr Freund mit ein paar weiteren jungen Männern in das Hotelzimmer und gemeinsam jagen sie den Professor hinaus auf die Straße, wo er von einem Auto überfahren wird. Ein ereignisreicher Anfang, der rein gar nichts mit der folgenden Handlung zu tun hat. Warum diese Szenen etabliert wurden, muss uns ein genauso großes Rätsel bleiben wie viele weitere Teile der Handlung, die uns oftmals in gegensätzliche Richtungen ziehen. Erzählt wird die Geschichte grundsätzlich in zwei verschiedenen Zeitebenen, sodass wir neben den Aussagen in der Anhörung sehen können, was tatsächlich passiert ist. Doch hierbei werden widersprüchliche Signale gesendet. Moremi wird von ihrem Professor offensichtlich sexuell belästigt und in der nächsten Szene hat sie ihm bereits vergeben und scheint ihn wieder zu bewundern. Erst fühlt sie sich unwohl bei ihm, dann verteidigt sie ihn vor ihrem Freund. Natürlich wissen wir, dass das Verhalten des Professors Lucien unangebracht und falsch ist. Auf der anderen Seite sind viele Handlungen der Protagonistin aber ebenso schwer nachvollziehbar. Besonders in einer Umgebung, in der sie immer wieder vor Lucien gewarnt wird.
Dieses Verhalten distanziert uns als Zuschauer von Moremi, auch unterstützt durch die amateurhafte Schauspielleistung, welche die Darstellerin in der Rolle hinlegt. Kein einziges Mal kann sie sich zu einer Träne durchringen und weder Freud noch Leid kann man ihr wirklich abkaufen. Sie wirkt wie eine Puppe, die brav ihren Text aufsagt. Schlimmer wird es noch dadurch, dass auch niemand sonst Empathie für ihre Situation zeigt, nicht einmal, als sie am Ende den Prozess gewinnt – aufgrund der Vorhersehbarkeit kann man diesen Fakt meiner Meinung nach guten Gewissens vorwegnehmen. Sie tun alle so, als habe sie einen Wettbewerb gewonnen und nicht eine traumatische Erfahrung durchgemacht. Ihre beste Freundin hat sie verraten und es wird nicht einmal mehr in einer Konfrontation thematisiert. Dadurch, dass Konflikte wie diese komplett außen vor gelassen werden, bleibt der Plot eindimensional und zieht sich dann auch noch über schleppende 150 Minuten.
Diese Zeitverschwendung sollte man sich wirklich sparen, was schade ist, da die Botschaft von „Vorladung“ eigentlich sowohl aktuell als auch mutmachend für andere Opfer ist. Doch dieses Potential wird hier leider verschenkt.
Hidden Gem: Aliens mit Gefühl
In der Vergangenheit sind Alien-Filme vor allem für das Horror Genre bekannt gewesen, wenn sie nicht gerade zum Cartoon wurden. Düstere, dystopische Bilder und die Angst vor dem Unbekannten bilden den perfekten Stoff für Albträume, können aber auch als Vorlage für ein tiefgehendes, gefühlvolles Filmerlebnis dienen. Dies bewies im Jahr 2016 das Sci-Fi-Drama „Arrival“, das derzeit auf Amazon Prime und Sky verfügbar ist.
Nachdem mysteriöse UFO Sichtungen die Welt in Aufruhr versetzen, wird die junge Linguistin Louise Banks (Amy Adams) nach Montana bestellt, um für das Militär eine Kommunikation mit den unbekannten Kreaturen zu ermöglichen. Zusammen mit dem Physiker Ian Donelly (Jeremy Renner) taucht sie immer tiefer in die mysteriöse Sprache der Wesen ein und versucht dadurch, nicht nur den Grund für ihr Auftauchen auf der Erde herauszufinden, sondern auch einen Krieg mit der Menschheit zu verhindern.
Im Verlauf der Handlung verschwimmt die Wahrnehmung des Zuschauers mit jener der Protagonistin. Wir nehmen ihre Umgebung wahr, so wie Louise sie wahrnimmt. Wir fühlen, was sie fühlt. Ihr Lernprozess wird auch zu unserem und das macht es schwer, auch nur eine Szene in die Zukunft zu blicken. Der Film bleibt undurchschaubar, düster und vernebelt. Doch zu keiner Sekunde hat man wirklich Angst vor der fremdartigen Situation, da auch das Vertrauen in die Wesen von Louise auf einen selbst übergeht. Es ist ein ganz besonderer Blickwinkel, der uns auf ein etabliertes Konzept wie Außerirdische gegeben wird. Es war ein gewagter Schritt, Linguistik in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen, aber durch die packende Darbietung der mehrfach Oscar nominierten Amy Adams wird man sofort mitgerissen. Es entflammt sogar Neugier für das Fach, was so viel emotionaler wirkt, unterlegt mit den tiefen Klängen des Soundtracks von Johann Johannsson.
Wie bereits bei „Was wir wollten“ sowie „Vorladung“ wird auch hier immer wieder mit Zeitsprüngen gearbeitet. Doch in „Arrival“ fügen sie sich so stimmig in die Szenen mit ein, dass sie nur die tieferen Ebenen der Handlung unterstreichen und Spannung erzeugen, statt zu verwirren. An diesen Stellen stechen besonders stark die Drama-Elemente heraus, die zum Schluss hin tief berühren, ohne dabei kitschig zu wirken.
„Arrival“ ist ein Film, den ich immer und immer wieder sehen kann und der mich stets noch stundenlang beschäftigt. Er ist so atmosphärisch, dass man in ihm zu versinken scheint und bringt Realismus in ein sonst so fernes Thema. Nicht nur Sci-Fi Fans sollten diesem Film also eine Chance geben und sich mitreißen lassen.
Filmweisheit des Monats
„Obwohl ich weiß, wohin die Reise führt, nehme ich sie an. Und ich genieße jeden einzelnen Moment.“
(Louise – „Arrival“)
Text: Clara S. Eckhardt, Titelbild: Copyright Netflix, Videos: YouTube/Netflix Deutschland, Österreich, Schweiz, YouTube/KinoCheck, YouTube/AfricaOnNetlfix