Drogenmissbrauch

„Ohne Ritalin würde ich nicht mehr studieren”

von | 24. November 2023

Paul missbraucht das Medikament, um seine Leistung in Prüfungen zu steigern.

Der Druck, mit einer akademischen Laufbahn erfolgreich zu sein, ist hoch, insbesondere in der Betriebswirtschaftslehre. Dabei fällt vielen Studierenden die Prüfungsphase besonders schwer. Dass aus Leistungsdruck zu verschreibungspflichtigen Medikamenten gegriffen wird, ist deshalb kein neues Phänomen. Immer wieder tauchen Artikel und Selbstexperimente auf. Einer von ihnen ist Paul* ein 21-jähriger Student der BWL. Im Interview mit medienMITTWEIDA erzählt er von seiner gefährlichen Bewältigungsstrategie, die unter Studierenden an Popularität gewonnen hat. Paul nimmt Ritalin, ein Medikament, das normalerweise zur Behandlung von ADHS verschrieben wird.

Dabei ist mit Ritalin nicht zu spaßen, denn der Hauptinhaltsstoff ist das amphetaminartige Methylphenidat, welcher dem Betäubungsmittelgesetz (Anlage III) unterstellt ist. Das macht den Besitz ebenso wie den Handel des Medikaments strafbar. Paul hat sich darüber noch keine Gedanken gemacht, denn er ist sich sicher, nicht erwischt zu werden. Normalerweise wird das Medikament verschrieben, um die Symptome des Aufmerksamkeitshyperaktivitätssyndroms (ADHS) zu behandeln.

Das ist ADHS

Bei ADHS-Patienten liegt ein Mangel an Dopamin im Hirn vor, wodurch es zu Komplikationen bei der Informationsübertragung zwischen Nervenzellen kommt. Im Umkehrschluss führt das zu Konzentrationsproblemen und Unruhe. Mithilfe des Medikaments werden die dopaminhaltigen Nervenverbindungen stimuliert und die Betroffenen können sich besser konzentrieren.

Auch Paul erzählt gegenüber medienMITTWEIDA, dass er Probleme mit seiner Konzentration hat und er deshalb sogar schon beim Psychiater war. Trotz der Tatsache, dass diese Probleme nicht auf ADHS zurückzuführen sind, hat er damit im Alltag zu kämpfen. 

Prüfungen, Probleme, Pillen

Wie bei vielen anderen, spricht auch er das erste Mal mit einer Kommilitonin über Ritalin. Er erzählt ihr von seinen Problemen an der Uni und wie schwer ihm das Lernen für die Prüfungen aufgrund seiner Konzentrationsprobleme fällt. Seine Kommilitonin kennt die Probleme, denn sie arbeitet nebenbei und habe daher nur wenig Zeit zu lernen. Ritalin helfe ihr, in kurzer Zeit konzentriert für die Prüfungen zu lernen. Für Paul scheint das der Problemlöser zu sein: „Natürlich habe ich sie sofort gefragt, ob ich eine Tablette zum Probieren haben könnte.“ Die ersten Tabletten bekommt er von ihr, inzwischen bestellt er sie einfach im Internet. Dort hat er einen Dealer gefunden, der das Medikament selbst verschrieben bekommt. Anstatt seine eigenen Probleme mit Ritalin zu lösen, verkauft dieser die Tabletten illegal weiter.

Studienstress und Leistungsdruck

Gründe für die Einnahme von leistungssteigernden Mitteln sind vielfältig. Das hat auch eine Umfrage unter Studierenden 2012 ergeben. Die Hauptgründe sind die Bekämpfung von Nervosität, allgemeine geistige Leistungsfähigkeit, Schmerzlinderung, und Leistungs- und Konkurrenzdruck. Die meisten Menschen verwenden diese Mittel während der Prüfungsvorbereitung. 

Zu den Risikogruppen gehören Menschen, die kognitiv stark beansprucht und leistungsbereit sind, sich aber gleichzeitig überfordert fühlen. Frauen greifen häufiger zu leistungssteigernden Mitteln als Männer, und das erhöhte Risiko ist besonders bei den 18- bis 29-Jährigen erkennbar.

Es gibt jedoch kaum wissenschaftliche Belege für die tatsächliche Verbesserung der kognitiven Leistung durch diese Mittel. Die Datenlage zu den Wirkungen und Nebenwirkungen ist widersprüchlich, und es gibt Unsicherheiten in Bezug auf die tatsächlichen Effekte.

„Es studieren einfach zu viele den Studiengang. Um später an gute Jobs zu kommen, braucht man einen 1,5er-Schnitt“, erzählt Paul im Interview. Während des Semesters habe er nur wenig Zeit, um neben der Uni noch zu lernen, da er noch 20 Stunden pro Woche arbeitet. Ritalin hilft ihm, konzentriert zu bleiben und schnell zu lernen.

„Ich fühle mich wie in einem leeren Raum, indem es nur das Blatt und mich gibt.“  

Paul

Konsumenten berichten oft, dass sie sich wie in einem Tunnel fühlen. Es liege der komplette Fokus auf den zu bewältigenden Aufgaben.

Paul erzählt, dass er mit Ritalin bis zu fünf Stunden ohne Pause lernen kann, aber das hat auch seinen Preis. Denn er hat Nebenwirkungen wie Appetitlosigkeit, Schweißausbrüche oder Herzrasen.

Zwischen Leistungsschub und Nebenwirkungen

Nach der Einnahme ist für ihn allerdings der Umgang mit anderen Menschen das Schlimmste. Er fühlt sich sozial inkompetent und weiß nicht mehr, worüber er sich unterhalten könnte. Unter dem Einfluss von Ritalin möchte er lieber für sich alleine sein und lernen. Die Nebenwirkungen halten ihn davon ab, das Medikament auch im Alltag zu nehmen, weshalb er Ritalin nur zum Lernen nimmt.

Auf dem Beipackzettel wird auch vor anderen drastischen Nebenwirkungen wie Schlafstörungen, Depressionen oder Halluzinationen gewarnt. Trotzdem konsumiert Paul das Medikament missbräuchlich, denn er ist davon überzeugt, ohne Ritalin nicht die von ihm geforderte Leistung abrufen zu können. Obwohl es zu gravierenden Nebenwirkungen kommen kann, haben sich die Verschreibungen von Methylphenidat in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt.

Viele Konsumenten berichten, dass Ritalin nicht körperlich abhängig macht. Das bestätigt auch Paul, er hat keine Entzugserscheinungen oder sonstige körperliche Probleme, wenn er Ritalin längere Zeit nicht einnimmt. Es ist die psychische Abhängigkeit, die ihm zu schaffen macht. Dazu gehören Versagensängste, Aufgaben nicht ohne Ritalin bewältigen zu können.

„Oft fühlt es sich so an, als ob mein Herz doppelt so schnell schlägt.“

-Paul

Effektives Lernen

Es gibt aber auch andere Hilfestellungen, wie die Konzentration ohne den Medikamentenmissbrauch gefördert werden kann. Dafür ist besonders die Lernumgebung wichtig. Wer fokussiert arbeiten möchte, sollte sich an seinem aufgeräumten Arbeitsplatz wohl fühlen. Auch eine gute Planung unterstützt den Weg zum effektiven Lernen. Hierbei ist es wichtig sich alle ToDo’s in seinen Kalender mit festen Zeitfenstern, in denen die Aufgaben erledigt werden müssen, einzutragen. Außerdem haben Forscher herausgefunden, dass Handys beim Lernen am besten in einem anderen Raum liegen sollten. Auch wenn das Handy im Flugmodus ist und neben einem liegt, sendet das Gehirn unterbewusst Signale, jetzt wichtige Nachrichten verpasst werden könnten. 

Paul möchte nur noch während der Zeit seines Studiums Ritalin nutzen, er ist sich sicher, in der Berufswelt ohne Prüfungen sein Gehirn nicht mehr dopen zu müssen.

*Name geändert

Text, Titelbild: Theo Himmelsbach via Adobe Firefly

<h3>Theo Himmelsbach</h3>

Theo Himmelsbach

Theo Himmelsbach ist 20 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Seit dem Wintersemester 2023 engagiert er sich als Mitarbeiter des Resorts Campus bei medienMITTWEIDA.