Deutschland sucht den Superstar

Gewinnen, um zu verlieren

von | 30. November 2018

DSDS kündigt eine neue Staffel an: Bewerbungen gibt es viele – erfolgreiche Gewinner hingegen kaum.

Das einstige Flaggschiff der deutschen Castingshows hat für 2019 eine neue Staffel angekündigt. Bewerber, die durch das RTL-Format den Durchbruch erlangen wollen, gibt es wieder en masse – obwohl genau dieser in der Vergangenheit häufig ausblieb.

„Der Gewinner von 500.000 Euro, der Gewinner eines fantastischen Plattenvertrags, der Gewinner von ‚Deutschland sucht den Superstar‘ ist – Aneta!“, ruft Moderation Nazan Eckes durch ihr silbernes Mikrofon euphorisch rund eintausend Zuschauern im Kölner Coloneum zu. 3,8 Millionen Zuschauer verfolgen das Spektakel vor dem Fernsehbildschirm. Die gerade verkündete Siegerin bricht in Tränen aus, der Großteil der Menschen in der blau eingefärbten Fernsehkulisse zeitgleich in großen Jubel. Die zuvor ausgeschiedenen Finalisten der Live-Shows und die vierköpfige Jury um Dieter Bohlen erheben sich für einen langen Applaus, während auf der Bühne Feuerwerk und Konfetti geschossen werden. Kurz darauf singt Siegerin Aneta noch einmal ihren Siegersong “The One” und beendet damit die 11. Staffel der allseits bekannten Musikcastingshow. Der STERN titelt nur wenige Minuten später online: „Aneta ist Deutschlands neuer Superstar“.

Superstar – und dann?

Das war vor vier Jahren. Heute erinnert sich die deutsche Musik- und Medienwelt wohl kaum noch an Aneta Sablik. Dabei hatte die aus Polen stammende Sängerin doch eigentlich alles, was man nur brauchen kann, um den ganz großen Wurf in den Charts zu landen: Sie war jung und schön – und sie konnte überdurchschnittlich gut singen. Ihre Performance und ihre Ausstrahlung stand der der Madonnas, Ladys Gagas und Taylor Swifts dieser Welt in nichts nach. Zum Karrierestart erhielt sie einen Plattenvertrag bei Sony Music, einem der drei großen Major-Labels in Deutschland. Drei Wochen nach ihrem DSDS-Gewinn erschien dort ihr erstes Album, geschrieben von szenebekannten Songwritern und geformt von mit allen Marktwassern gewaschenen Produzenten. Landete der Siegersong noch auf Platz 1 der deutschen Singlecharts, schafften es die folgenden Auskopplungen nicht einmal mehr in die Top 100. Von einer groß angekündigten Deutschlandtour mit ursprünglich 20 geplanten Terminen wurden ganze 18 aufgrund mangelnder Nachfrage abgesagt. Die verbliebenen zwei Konzerte wurden in kleine Klubs verlegt, die am Auftrittsabend nicht einmal ansatzweise halbvoll gefüllt waren. Die Bilanz eines wirklichen „Superstars“ sieht gewiss anders aus.

Mag man die blonde Popsängerin verteidigend in Schutz nehmen, könnte man sagen, dass ihr Schicksal auch andere Castingshow-Gewinner ereilte – und hätte damit wohl nicht gänzlich unrecht. 16 Jahre lang hält sich DSDS mittlerweile wacker im TV-Programm, auch wenn die Quoten der ersten Staffel von 2002 (Spitzenwerte von bis zu 15,01 Millionen Zuschauer) längst nicht mehr erreicht werden (Durchschnittswert 2018: 3,65 Millionen). 15 Staffeln brachten folglich auch 15 Sieger hervor, deren Namen heute, bis auf bedeutend wenige Ausnahmen, nur den wenigsten noch ein Begriff sein dürften: Tobias Regner (Staffel 3/2006), Luca Hänni (Staffel 9/2012) und Alphonso Williams (Staffel 14/2017) sind dabei nur drei Beispiele. Sie alle erlangten durch die RTL-Castingshow eine enorme mediale Präsenz, hatten den großen Plattenvertrag in der Tasche und Fans auf der Haben-Seite, die ihnen wochenlang per kostspieligem Telefon-Voting zum Superstar-Titel verhalfen. Anhaltender Erfolg blieb dennoch Mangelware.

Was interessiert mich mein Favorit von gestern?

Deutschland sucht den Superstar ist kein simpler Talentwettbewerb, sondern eine Fernsehshow – mit Betonung des Wortes „Show“. Die Gesangseinlagen sind daher nur ein Teil des Konzeptes: Das Leben der Teilnehmer wird in allen Folgen und auch in weiteren RTL-Magazinen bewusst inszeniert, die Geschichten der handelnden Personen äußerst dramatisch und emotional erzählt. Nicht immer gefällt den Kandidaten das Bild, was dabei von ihnen gezeichnet wird. Ein Mitbestimmungsrecht an ihrer Darstellung treten sie aber in einem schriftlichen Vertrag mit dem ersten Casting ab. Das Image, was der jeweiligen Person auferlegt wird, erzeugt beim Zuschauer im besten Falle Empathie. Fühlt man sich emotional verbunden, steigt das Interesse für die jeweilige Person und damit auch das Bedürfnis, deren großen Traum vom Superstar durch interaktive Mithilfe zu verwirklichen. Ist die Staffel vorbei, existiert damit auch der wöchentlich wiederkehrende Rahmen nicht mehr, um den Künstler und seine Fans zueinander zu bringen. Und spätestens mit Beginn der Folgestaffel gibt es neue Kandidaten, neue Geschichten und neue Inszenierungen, die die Aufmerksamkeit der Zuschauer weg vom „alten“ Gewinner, hin zum neuen potentiellen Superstar bewegt.

Nicht selten versuchen ehemalige Castingshow-Teilnehmer ihre mediale Präsenz aufrecht zu erhalten, indem sie Protagonisten anderer TV-Shows werden: Dschungelcamp, Big Brother, Promi Dinner – die Liste ist lang. Aneta Sablik verschlug es 2016 in die Tanzshow Dance, Dance, Dance von RTL, in der sie mit Tanzpartner Menderes Bağcı (Rekordteilnehmer von DSDS) das Finale erreichte. Zuvor machte sie Schlagzeilen, als ihre Ehe nur zwei Wochen nach der Trauung ein vorzeitiges Ende fand und später geschieden wurde. Folglich fand man ihren Namen wieder häufiger in bunten Boulevardblättern, die sich mit möglichen neuen Partnern der Sängerin auseinandersetzten. Ein musikalisches Comeback in den deutschen Charts resultierte daraus aber nicht.

Erfolg ist Netzwerk

DSDS sucht vor allem eines: schillernde Persönlichkeiten und gute Stimmen. Für den musikalischen Durchbruch braucht es aber seit jeher vor allem gute Songs. Instrumentale Fähigkeiten oder Songwriter-Künste sind aber bislang noch nie Gegenstand der RTL-Betrachtung gewesen. Folglich brauchen die Gewinner Lieder, die ihnen fremde Komponisten und Texter auf den Leib schneidern. Das gestaltet sich vor allem dann schwierig, wenn die Verkaufszahlen und die mediale Präsenz der jeweiligen Künstler zurückgehen. Songwriter sind am Erfolg eines Songs beteiligt und wollen für ihre möglichen Hits die erfolgreichsten Künstler gewinnen, da diese den meisten Umsatz versprechen. Zu dieser Kategorie gehören DSDS-Gewinner meist wenige Wochen nach ihrer Finalteilnahme schon nicht mehr. Der in der Castingshow gewonnene Plattenvertrag ist zudem stets auf ein Album und etwaige Singleauskopplungen begrenzt. Mit schwachen Absatzzahlen weiß der Künstler so auch kein Majorlabel mehr hinter sich, welches Promotion und Marketing mit großen finanziellen Mitteln vorantreiben könnte. Erfolgreiche Musikvermarktung braucht ein breites Netzwerk, was sich Künstler oder Plattenfirmen meist über Jahre und Jahrzehnte aufbauen. Jenes Netzwerk besteht zum Beispiel aus Kontakten zu erfolgreichen Produzenten, Marketingexperten oder Programmverantwortlichen von Radio und TV. Ein DSDS-Gewinner erlangt seine Bekanntheit meist in weniger als fünf Monaten, nämlich im Zeitraum vom ersten Castingauftritt bis zum Finale. Zwischen Proben, Interviewterminen und Livesendungen bleibt keine Zeit für den Aufbau eines solchen Netzwerkes. Und so folgt in aller Regelmäßigkeit der tiefe Fall in kürzester Zeit. Aneta Sabliks Netzwerk war überschaubar, aber durchaus prominent. Hinter den Kulissen der Castingshow lernte sie Carmen Geiss (bekannt aus Die Geissens – Eine schrecklich glamouröse Familie) kennen. Nach Sabliks Ehe-Aus besuchte sie die TV-Familie in deren Wahlheimat Mykonos in Griechenland, wo die Idee eines gemeinsamen Songs entstanden sein soll. 2017 erschien der Titel „Christmas Fever“ auf dem offiziellen Youtube-Kanal der Geissens. Trotz der zusätzlichen Prominenz zählt das Video bis heute nur knapp 53.000 Aufrufe. Die gemeinsame Folgesingle „Er gehört uns beiden nicht mehr“ konnte trotz eines musikalischen Ausflugs in den deutschsprachigen Schlager keinerlei kommerzielle Erfolge erzielen.

Beatrice Egli war Siegerin der zehnten Staffel. Sie blieb auch nach der Castingshow erfolgreich. Foto: Michael Kremer / SnapArt Erfurt

Ausnahmen bestätigen die Castingshows

Am Genre Schlager kann der ausbleibende Erfolg von Aneta Sabliks Single mit Carmen Geiss grundlegend aber nicht gelegen haben. Denn im selben musikalischen Metier bewegt sich auch jene Künstlerin, die einst ebenfalls Deutschland sucht den Superstar gewann und bis heute dauerhafte Erfolge nachweisen kann: Beatrice Egli gewann 2013 die zehnte Staffel der Castingshow und konnte sich bis heute mit jedem ihrer fünf Studio-Alben nach dem DSDS-Sieg auf einstellige Chartplatzierungen in Deutschland, Österreich und ihrem Heimatland Schweiz katapultieren. Sie erhielt zehn Platin- und vier Gold-Schallplatten und zählt neben Helene Fischer, Andrea Berg und Vanessa Mai zu den kommerziell erfolgreichsten Schlagerinterpreten des Landes. Damit bildet Egli eine absolute Ausnahme in der Historie der DSDS-Erstplatzierten.

Möglicherweise ermutigt genau dieser Sonderfall immer wieder neue Gesangstalente, sich beim einstigen Quoten-Garanten des Privatfernsehens zu bewerben. Aktuell zeichnet RTL die ersten Folgen der neuen 16. Staffel auf.

„Keiner weiß, wie viel ich weine, weil das war mein Traum. Nach einem wirklich großen Step war das ein big Step down“, sagte Aneta Sablik dem österreichischen Nachrichtenportal oe24.at. Sie gehört zweifelsfrei nicht zu den erfolgreichen Ausnahmen aus 16 Jahren Deutschland sucht den Superstar. „Ich werde nicht aufgeben (…), ich mach meinen Weg“, gibt sich die mittlerweile 29-Jährige aber kämpferisch. Im Sommer war sie im Tonstudio, um neue deutschsprachige Pop-Songs aufzunehmen, auch privat steht sie wieder mit beiden Beinen im Liebesleben.

Es gibt übrigens noch ein weiteres Positivbeispiel aus einer deutschen Musik-Castingshow: Max Giesinger nahm einst am DSDS-Konkurrenzformat The Voice of Germany teil, belegte 2012 den vierten Platz und verschwand vorübergehend von der Bildfläche. Exakt vier Jahre später landete er mit „80 Millionen“ den erfolgreichsten deutschsprachigen Song des Jahres und zählt heute zu den absoluten Stars der deutschen Popmusik. Aneta Sabliks DSDS-Gewinn ist ebenfalls vier Jahre her. Ein gutes Omen also für einen Neuanfang – ohne Castingshow.

Text: Toni Kraus, Bilder: Michael Kremer / SnapArt Erfurt
<h3>Toni Kraus</h3>

Toni Kraus

studiert Medienmanagement im 6. Semester an der Hochschule Mittweida in der Vertiefungsrichtung Journalismus. Als Chefredakteur organisiert und koordiniert er die Redaktion und die publizierten Inhalte von medienMITTWEIDA. Als freiberuflicher Musiker ist er selbst oft Protagonist journalistischer Berichterstattung, betrachtet diese nun aber als Redakteur zusätzlich aus der Perspektive des Gegenüber.