„Durch und durch Soap”

von | 20. September 2012

Drehbuchautor Michael Meisheit lässt bei der Arbeit an seinem neuen Roman „Soap“ Blog-Lesern das letzte Wort. Im Gespräch erklärt er seine Gedanken zum Crowdsourcing-Projekt. Michael Meisheit gehört seit 15 Jahren […]

Drehbuchautor Michael Meisheit lässt bei der Arbeit an seinem neuen Roman „Soap“ Blog-Lesern das letzte Wort. Im Gespräch erklärt er seine Gedanken zum Crowdsourcing-Projekt.

Michael Meisheit gehört seit 15 Jahren zu den Autoren der Seifenoper „Lindenstraße”. Nebenbei investiert der Autor seine wenige Zeit in einen Blog und arbeitet nach seinem Roman „Vanessa X.” nun an einem weiteren Buch. Sein neues Werk „Soap” schreibt Meisheit praktisch mit Hilfe des Web 2.0: In seinem Blog können Leser und Fremde ihre Meinung zu Textpassagen und Kapiteln beisteuern, noch während diese entstehen. Der 40-Jährige wird beim 16. Medienforum Mittweida auch als Referent an der Podiumsdiskussion „Von Halbgöttern in Weiß und anderen Helden – falsche Berufsbilder in den Medien“ teilnehmen. Im Interview mit Julia Schwalbe spricht er schon jetzt über seine ungewöhnliche Form des Bücherschreibens. Und er beantwortet, woher die Ideen für die „Lindenstraße“ kommen – und was die Frage danach mit seiner Romanfigur zu tun hat.

Warum schreiben gerade Sie als Seifenoper-Autor ein Buch mit dem Namen „Soap”?

Eine „Soap“ ist eine Fernsehgattung, die bestimmten Regeln unterworfen ist. Nur hier gibt es Figuren, die sich innerhalb kürzester Zeit unsterblich und natürlich verboten verlieben, knapp dem Tod entkommen, der Drogensucht verfallen und sie überstehen, Opfer einer Intrige werden und für kurze Zeit das Gedächtnis verlieren. Mit dieser Wucht an Drama spiele ich in meinem Roman, ich durchleuchte den Mechanismus dahinter, während die Hauptfigur selbst immer tiefer in solche Dramen verstrickt wird. Das Buch ist also durch und durch „Soap“.

Sie schreiben Ihr Buch zusammen mit Ihren Lesern. Welche Möglichkeiten sehen Sie darin?

Erst einmal würde ich sagen, dass ich zusammen mit den Lesern an dem Roman arbeite, denn geschrieben habe ich das Manuskript ja bereits. Es ist allerdings nur ein erster Entwurf, der sicher noch Fehler, Unlogik oder auch langweilige Passagen enthält. Man wird selbst oft betriebsblind und auch bei Lesern im Freundeskreis bekommt man nur ein gefiltertes Feedback. Deswegen sehe ich in der Zusammenarbeit mit fremden Leuten eine einmalige Chance.

Wie viel Mitspracherecht lassen Sie Ihren Usern?

Wenn mich eine Kritik überzeugt, ist theoretisch alles möglich. Bisher beschränkte es sich eher auf kleine Passagen, die unlogisch waren, auf sprachliche Ungenauigkeiten oder schlicht Rechtschreibfehler. Aber nun werden einige Testleser das ganze Manuskript lesen und dabei könnten dann auch einmal größere Handlungsideen über den Haufen geworfen werden.

Abgesehen davon gibt es bei praktischen Fragen tatsächliche Einflussmöglichkeiten: So wurde nun der Name der Hauptfigur durch die Blogleser gewählt, sie können Feedback zum möglichen Cover geben und so weiter.

Ihre Blogleser erhalten tiefe Einblicke in den Buch-Inhalt. Haben Sie keine Angst, dass dabei Spannung und Interesse verloren gehen könnten?

Im Gegenteil: Bisher sind die Leute sehr neugierig auf das Buch. Es wird aber auch nur eine kleine Gruppe von Testlesern geben, die wirklich alles vorab lesen dürfen – unter strenger Geheimhaltung.

In wie weit spiegeln Sie sich als Person in der Story wider?

Natürlich ist viel von mir selbst in die Hauptfigur geflossen und noch in mindestens eine andere Figur. Es ist aber schon so, dass die Begebenheiten komplett fiktiv sind. Gott sei Dank. Denn die Hauptfigur erlebt schon eine ganze Menge abstruses Zeug. Das musste ich bei meiner Arbeit als Autor so nicht.

Wie viel bleibt von Ihnen überhaupt noch übrig, wenn so viele Fremde mitschreiben?

Da ich stets das Heft in der Hand behalte, wird das letztendliche Ergebnis immer noch zu 100 Prozent mein Roman sein. Es ist aus meiner Sicht auch so, dass dieser Prozess nur im Literaturbereich ungewöhnlich ist. Als Drehbuchautor ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, dass ich viele Anmerkungen und Änderungswünsche zu meiner Arbeit bekomme. Und dass letztlich am fertigen Werk viele Menschen mitgewirkt haben. Der Autor im Elfenbeinturm entspricht nicht meiner Philosophie. Das Arbeiten im Blog ist nur der nächste logische Schritt.

Gibt es schon erste Erkenntnisse, die Sie aus diesem Experiment ziehen können?

Es macht mir großen Spaß mit so vielen Leuten zu arbeiten. Es gibt viel positives Feedback, eine – fürs Internet – erstaunlich konstruktive Diskussionskultur und viele interessante Sichtweisen. Das motiviert ungemein für ein Projekt, an dem ich ja neben der offiziellen Arbeit als Drehbuchautor arbeite.

Sehen Sie in Blog und Buch eine Abwechslung zum Drehbuchschreiben?

Unbedingt. Es tut einfach gut, mal etwas komplett in Eigenregie schreiben zu können. Direktes Feedback zu der eigenen Arbeit zu bekommen. Im Austausch mit dem Publikum zu sein. Das sind Möglichkeiten, die durch das Internet entstanden sind und die ich nun vermehrt testen will. Es ist also Abwechslung und Forschung für die Zukunft zugleich.

Woher nehmen Sie nach all den Jahren die Ideen für die Geschichten der „Lindenstraße“?

Ein Running Gag in meinem Roman „Soap“ ist, dass meine Hauptfigur als Drehbuchautor permanent gefragt wird, woher er denn die Ideen nimmt. Daher musste ich bei dieser Frage erst einmal sehr lachen. Ähnlich wie meine Hauptfigur versteht man sie nämlich als Autor nicht so ganz. Die Ideen sind doch einfach da. Sie liegen buchstäblich auf der Straße. Man muss nur mit offenen Augen durch die Welt gehen. Die Ideen zu haben ist auch wirklich nicht das Problem. Sie auszuarbeiten – das ist kniffelig!

Auf was können sich die User noch freuen?

Es werden nach und nach noch ein paar Kapitel online gestellt. Gleichzeitig geht es dann auf die Frage zu, wie genau das Buch veröffentlicht werden soll. Dabei wird es Detailfragen geben zum Preis, zum Druckbild oder zum Cover. Und wenn alles gut geht, können dann alle miterleben, wie Ende November das Buch erscheint. Natürlich mit einer Party im Blog!

Das Interview führte Julia Schwalbe. Bild: Lindenstraße, Fotograf: Mara Lukaschek, Bearbeitung: Nicole Schaum

<h3>Julia Schwalbe</h3>

Julia Schwalbe