Eine Reise in die Vergangenheit
Draußen ist es kalt. Es nebelt bei jedem Atemzug aus meinem Mund. Ich stapfe durch hohe Schneeberge und über den glatten Lidl-Parkplatz. Vom ZMS nur schnell in die Mensa. Denn endlich ist die Vorlesung vorbei, in der mein Magen schon laut knurrte, während unsere Professorin über die Kulturdimensionen Hofstedes philosophierte.
Auf in die Zukunft: Über die (neue) Einrichtung
“Ausgezeichnet mit dem Architekturpreis des Rates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt 1984” – Respekt, denke ich mir!
Die Schiebetür schwenkt auf und ich stehe in der Mensa. Warm ist es und muffig. Doch immerhin hat sie damals in den 1980er Jahren den Architekturpreis der DDR verliehen bekommen – Respekt, denke ich mir. Für heutige Verhältnisse wirkt es allerdings recht altmodisch und verstaubt. Doch das Studentenwerk Freiberg gibt sich alle Mühe und ist um ihre Gäste bemüht: So wurde damit begonnen, die Säle neu herzurichten – mit mehr farbigen Akzenten und bequemeren Sitzen für mehr Gemütlichkeit und mehr Wohlfühlflair.
Noch herrscht dicke Luft
Ich gehe zu den Automaten, um meine Mensa-Card aufzuladen. Wie jedes Mal möchte er erst beim dritten Versuch – und nachdem ich den Schein angepustet habe – mein Geld entgegennehmen. Frohen Mutes erklimme ich dann die Treppenstufen nach oben. Mich erwartet eine scheinbar endlose Schlange hungriger Kommilitonen. Ich reihe mich ein; ungeduldig, hungrig. Hier oben ist die Luft fast zum Schneiden dick. Die Ausdünstungen der vielen Studenten sowie die warme Luft aus der Großküche ergeben eine stickige Mischung. Frischluft? Eher nicht.
Ort des heimlichen Voyeurs
Heute soll es den Campusteller für mich geben: Kasseler Saftbraten mit Sauerkraut und Semmelknödeln – und das Ganze für gerade einmal 2,15 Euro. Günstig und qualitativ hochwertig ist es hier, daran lässt sich nicht rütteln. Mit meinem Essen und einem leckeren Sauerkirsch-Smoothie auf einem weißen Tablett bezahle ich und suche mir einen Platz. Ziemlich voll heute. Doch in der dunklen Mittelpassage finde ich einen Platz für mich und mein Essen. Ein gemütlicher Zweisitzer lädt mit seiner roten Retrotischlampe zum Verweilen ein. Ich sitze am Rand direkt neben den Blumenrabatten, kann von hier aus auf die benachbarte Bibliothek blicken und dort die eifrigen Leseratten beim Ausleihen ihrer Bücher inspizieren.
Die Mensa wird Teil der Familie
Ich liebe es, an diesen Plätzen zu sitzen. Es ist recht dunkel, warm und irgendwie auch anonym. Hat man sich erst einmal an den Mief gewöhnt, ist man irgendwann sogar dankbar für die Wärme. Bald schon fühlt man sich geborgen, heimelig und sicher. Es erinnert einen an Früher, an Besuche bei Oma. Plötzlich wird die Mensa Teil der eigenen Familie – die Mensa als das liebevoll-fürsorgliche Großmütterchen. Der Student ist seiner Familie wieder ganz nah. All das nur durch die geschaffene Atmosphäre; durch das Verstaubte und Altmodische, was mit der Zeit Erinnerungen weckt, sich nach Vergangenem anfühlt und alte Gefühle in einem aufsteigen lässt.
Heute soll es den Campusteller geben, doch davor muss noch kurz die Mensa-Card aufgeladen werden. Tipp: Den Schein kurz anpusten.
Die Mensa möchte ich nicht missen. Während meines Studiums an der Hochschule Mittweida war ich nirgends lieber als in der Mensa – trotz aller beschriebenen Widrigkeiten, die manche abschrecken mag, die Mensa zu besuchen. Für mich liegt jedoch gerade darin ihr Charme, ihr Charakter, ihre Einzigartigkeit. Ich starre ins Nichts und schon weckt sie in mir Gefühle meiner Kindheit. In einer Welt, in der sich alles ändert, hat wenigstens eines noch Bestand und bleibt, wie es ist und immer schon war. Unsere Mensa ist eine Brücke – zwischen Heimat und neuen Horizonten. Morgen werde ich wieder über Mittag zu Besuch kommen; versprochen!
Text und Fotos von Kenny Langer