Nach der Corona-Pandemie kehrt auch im Studienalltag wieder Normalität ein. Doch trotz Präsenzveranstaltungen, Freizeitangeboten an den Hochschulen und der weiten Welt der sozialen Netzwerke vereinsamen Studierende zunehmend. Woran liegt das? medienMITTWEIDA hat sich an Sachsens Hochschulen und Unis umgehört.
Olga ist 26 Jahre alt und studiert seit 2017 an der Uni Leipzig. Einsamkeit beschreibt sie als das Gefühl, immer auf sich allein gestellt zu sein. Trotz der vielen Freizeitangebote an der Uni und in der Stadt fällt es ihr schwer, Kontakte zu knüpfen. „Viele Kommilitonen haben sich in den ersten Semestern zusammengeschlossen und können sich in Gruppen über Probleme austauschen. Ich habe leider keine solche Gruppe an Kommilitonen”, schildert sie gegenüber medienMITTWEIDA. Durch die große Anzahl an Studierenden, die beispielsweise die Grundlagenvorlesungen besuchen, sei es noch einmal schwieriger eine passende Gruppe zu finden, so Olga. „Am Anfang gibt es auch wenige Gruppenprojekte, wo man sich eventuell finden könnte. Ich vermute, die anderen haben sich entweder durch Fachschaftsrats-Veranstaltungen oder Lerngruppen, die gebildet wurden, kennengelernt.”
Laut einer Studie fühlen sich zehn bis 15 Prozent der Deutschen einsam. Betroffen sind dabei vor allem ältere Menschen. Aber auch immer mehr junge Menschen klagen über das Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein. Laut dem Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse 2023 gibt fast ein Drittel der befragten Studierenden an, unter Einsamkeit zu leiden. 44 Prozent melden sogar, dass die digitale Lehre während Corona bei ihnen die Vereinsamung verstärkte. Gerade die Folgen der Pandemie-Maßnahmen sind immer noch deutlich zu spüren. Laut dem Studentenwerk Dresden werden 40 Prozent mehr Anträge für eine Psychotherapie gestellt als noch vor Corona. Vielen Studierenden falle es nach Monaten der Isolation schwer, Kontakte zu knüpfen, vor allem wenn sie ihr Studium schon unter Pandemiebedingungen begonnen haben. Einsamkeit scheint sich also immer mehr zu einem gesellschaftlichen Problem zu entwickeln. Die langfristigen Folgen davon sind jedoch vielen bislang noch nicht bewusst.
„Ich habe mich irgendwie nicht angekommen gefühlt. Nicht zugehörig, als wenn ich keinen richtigen Anschluss finde.“
-Melissa*
So schädlich wie Kettenrauchen?
Einsamkeit – was ist das eigentlich? Ist es eher ein Gefühl oder doch schon ein Massenphänomen unserer heutigen Zeit? Vielleicht hat man schon einmal gehört, dass Einsamkeit für den Körper so schädlich ist wie der Konsum von etwa 15 Zigaretten am Tag. Daran könnte tatsächlich etwas dran sein: Wissenschaftler:innen haben rund 140 Studien zum Thema Einsamkeit ausgewertet und kamen zu einem eindeutigen Ergebnis. Durch die vermehrte Ausschüttung des Stresshormons Cortisol litten einsame Menschen häufiger unter Schlafstörungen und hätten ein erhöhtes Risiko für Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Demenz. Außerdem seien sie anfälliger für psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen. Großbritannien hat im Jahr 2018 sogar ein eigenes Ministerium gegründet, das sich mit dem Phänomen der Einsamkeit in der britischen Bevölkerung beschäftigt.
Einsamkeit ist allerdings keine medizinisch anerkannte Krankheit, sondern eher ein krankmachender Faktor wie beispielsweise Arbeitslosigkeit oder Armut. Dennoch sind die negativen Auswirkungen nicht von der Hand zu weisen. Bereits seit den 1940er-Jahren wird beobachtet, dass der Mangel an Nähe und sozialer Interaktion gerade bei Kindern die Lebenserwartung drastisch verkürzen kann.
Einsamkeit korreliert auch mit anderen ungesunden Lebensweisen. Wer einsam ist, bewegt sich seltener oder ernährt sich ungesünder. Außerdem sinkt durch den schlechten Schlaf zunehmend die Belastbarkeit. Doch fehlende Konzentration durch beispielsweise Schlafmangel oder psychische Belastungen bereitet Studierenden oft große Schwierigkeiten, ihren Lernalltag zu bewältigen.
Ähnlich wie Olga erging es auch Melissa* in den ersten beiden Semestern ihres Studiums. Sie ist 21 Jahre alt und studiert seit 2021 an der Hochschule Mittweida. Als eher introvertierter Mensch waren ihr die Freizeitangebote an der Hochschule anfangs eher zu viel: „Klar wird einem die Möglichkeit gegeben, neue Menschen kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen. Aber genau das ist für mich eine große Herausforderung. Der Gedanke, niemanden zu kennen, macht mir Angst.”
Für Melissa hat Einsamkeit viele Facetten. Vor allem ist es aber ein trauriges, leeres und bedrückendes Gefühl. „Es fühlt sich erdrückend an. Für mich sind es die Momente, in denen ich eine Gruppe sehe, die fürs gemeinsame Treffen einkaufen geht und der Anblick macht mich traurig. Traurig und neidisch”, erzählt sie uns. Sie beschreibt, dass sie zwar in den Vorlesungen nie wirklich allein war, aber auch keinen richtigen Freundeskreis an der Hochschule hatte: „Ich habe mich irgendwie nicht angekommen gefühlt. Nicht zugehörig, als wenn ich keinen richtigen Anschluss finde.” Melissa hat im Laufe ihres Studiums die Einsamkeit überwunden und konnte sich einer Gruppe anschließen. „Damit hat sich auch meine allgemeine Kommunikationsfähigkeit bei uns im Studiengang verbessert. Man kennt sich jetzt schon eine Weile und kann so einfach besser auf die Leute zu gehen”, schildert sie. Auch Freizeitaktivitäten kann sie nun endlich mit ihren Freunden genießen.
Das Studierendenleben hat sich grundlegend verändert
„Die Studienzeit ist die schönste Zeit deines Lebens!” – diesen Satz haben sicher schon viele Studierende aus ihrem familiären Umfeld gehört. In der heutigen Zeit scheint es jedoch immer mehr jungen Menschen schwer zu fallen, ihre Studienzeit tatsächlich genießen zu können. Leistungsdruck und die Angst, etwas zu verpassen („Fear Of Missing Out“), setzt vielen Studierenden nochmals zu. Diplom-Psychologin Alexandra Tröger, Psychotherapeutin aus Mittweida, hat uns in einem Interview Einblicke in ihre Studienzeit vor rund 30 Jahren gegeben. Durch die rasante Entwicklung der digitalen Medien hätten Studierende zwar viel mehr Möglichkeiten, als beispielsweise ihre Eltern, Gleichgesinnte kennenzulernen, aber das Social-Media-Zeitalter bringe auch viele Probleme mit sich. Sie sehe einen möglichen Grund für die Vereinsamung von Studierenden heutzutage unter anderem in der Wohnsituation: „Damals gab es noch mehr Organisation im Studentenleben mit einem festen Stundenplan und stabilen Seminargruppen. Viele Studierende wohnten im Internat oder in WGs, nur wenige in einer Singlewohnung.” Kritisch sieht sie auch den Einfluss von Social Media auf das Selbstwertgefühl junger Menschen. „Dort werden heute oft falsche Ideale abgebildet. Der ständige Vergleich mit anderen, denen scheinbar alles gelingt, macht eher unzufrieden und verstärkt die Selbstzweifel”, erklärt sie. „Ein Teufelskreis, aus dem manche aus eigener Kraft keinen Ausweg finden.”
Doch auch wenn laut Alexandra Tröger viele Studierende in der Therapie Probleme wie Einsamkeit und fehlende Kontakte zu Kommiliton:innen ansprechen und das Thema psychische Gesundheit auch in den sozialen Medien immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist es für viele Menschen immer noch mit Scham verbunden, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und über ihre Gedanken zu sprechen. Auch der Weg zur Psychotherapie geht gerade in kleineren Städten oft mit vielen Hürden einher. Angekommen, wird man bei der Frage nach einem Termin von einer langen Warteliste begrüßt. Um Studierenden dennoch eine Anlaufstelle für persönliche Sorgen zu bieten, haben Studentenwerke und Hochschulen psychosoziale Beratungsstellen eingerichtet. Ziel dieser Einrichtungen ist es, Studierende in kritischen Lebensphasen zu unterstützen und zu verhindern, dass sich ihre Probleme zu ernsthaften psychischen Erkrankungen entwickeln. Je nach Größe nehmen an sächsischen Hochschulen pro Semester durchschnittlich zwischen 70 und etwa 500 Studierende die Psychosozialberatungen in Anspruch. Dabei fragen durchschnittlich mehr weibliche Studierende Hilfe bei solchen Beratungsstellen an als ihre männlichen Kommilitonen.
Nach Angaben der psychosozialen Kontaktstelle des Studentenwerkes Freiberg haben seit Corona mehr Studierende ausgesagt, unter Einsamkeit und sozialer Isolation zu leiden. Auffällig ist hierbei jedoch, dass einige gerade sozial unsichere Personen erleichtert über die Kontakteinschränkungen waren. Als Beratungsgrund geben die meisten Studierenden Grübeleien und Sorgen an, die jedoch oft mit dem Gefühl der Einsamkeit einhergehen, erklärt das Studentenwerk Freiberg auf Anfrage von medienMITTWEIDA.
Die Psychosozialberatung des Studentenwerks Dresden wurde im Jahr 2022 von 34 Studierenden explizit wegen Kontaktschwierigkeiten aufgesucht. Damit liegt dieser Beratungsanlass im Ranking aller genannten Themen auf Platz acht und ist im Vergleich zum Vorjahr um fünf Plätze nach oben gerückt. Die psychosoziale Beratung des Studentenwerks der Uni Leipzig verzeichnete im Jahr 2022 ebenfalls einen deutlich gestiegenen Beratungsbedarf aufgrund der vergangenen Corona-Semester. Die Anzahl der psychosozialen Beratungen stieg im Vergleich zu 2020 von rund 2200 auf rund 4900 Kontakte an und hat sich damit mehr als verdoppelt. Dabei geben rund 28 Prozent der Studierenden „Probleme wegen Corona” als Beratungsgrund an, worunter auch soziale Isolation fällt.
„Ein Teufelskreis, aus dem manche aus eigener Kraft keinen Ausweg finden.“
-Dipl.-Psych. Alexandra Tröger
Wie geht es den Studierenden?
Die Probleme, die bereits Olga und Melissa beschrieben haben, kennt auch Lukas aus seiner Studienzeit. Der 26-Jährige hat von 2016 bis Juni 2023 an der TU Chemnitz studiert. „Ich bin eine generell introvertierte Person und wusste oft nicht, wie ich auf meine Kommiliton:innen zugehen soll. Schließlich wollte ich auch keinen schlechten Eindruck vermitteln”, erklärt er im schriftlichen Interview mit medienMITTWEIDA. Einsamkeit sei für ihn ein Gefühl der Leere: „Man möchte seine Gedanken mit jemandem teilen oder etwas unternehmen und hat aber niemanden. Das zieht einen schon ganz schön runter.” Den bereits von Alexandra Tröger beschriebenen „Teufelskreis” kann auch Lukas nachvollziehen: „Vor allem verliert man dann auch die Lust, an manchen Events beziehungsweise Veranstaltungen teilzunehmen, weil man sich irgendwie ein bisschen verloren fühlt.”
Kontaktschwierigkeiten und Einsamkeit scheinen ein generelles Problem an Hochschulen und Unis zu sein. Man kann sich sowohl in einer größeren Stadt mit vielen Freizeitangeboten als auch in einer Kleinstadt mit eher begrenzten Freizeitmöglichkeiten einsam fühlen.
Was also tun gegen triste Zeiten im Studium?
Viele Studierenden- oder Fachschaftsräte bieten Exkursionen, Filmabende oder gemeinsame Grillabende an. Solche Events sind eine gute Gelegenheit, um mit Kommiliton:innen ins Gespräch zu kommen und Kontakte zu knüpfen.
Alternativ können sich Betroffene auch an Online-Angebote wie beispielsweise „Krisenchat” wenden. Hier bekommen alle jungen Menschen unter 25 Jahren, die sich gerade in einer Lebenskrise befinden, sofort kostenlose Hilfe von ausgebildeten Berater:innen. Auch an die Telefonseelsorge kann man sich in schwierigen Lebenssituationen wenden. Wenn das alles nicht mehr hilft, kann der Hausarzt oder die Hausärztin an eine:n Psycholog:in oder Psychiater:in überweisen. Die Kosten für eine Psychotherapie werden in der Regel von der Krankenkasse übernommen. Das gilt auch für Online-Therapieprogramme wie „Selfapy”. Hier kann Betroffenen sogar sofort und ohne lange Wartezeiten geholfen werden.
* Name geändert
Telefonseelsorge
Die Telefonseelsorge ist ein Angebot der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland. Jede Person, egal ob christlich oder konfessionslos, kann sich an die Beratung wenden. Sie ist jederzeit kostenlos unter 0800 1110111 erreichbar.