Reportage

Endlich ohne Zigarette

von | 3. Juni 2022

Viele suchen ihn, doch nur wenige finden ihn. Den Weg aus der Abhängigkeit. Das ist mein Versuch.

21.900 Euro. In etwa so viel habe ich in den letzten zehn Jahren für Zigaretten ausgegeben. Dazu noch gesundheitliche Folgen und die unermesslichen Kosten an Nerven für jedes Mal, wenn mir ein wohlmeinender Nichtraucher von den Folgen des Rauchens erzählt hat. Eine teure Sucht. Doch als ich beschließe, aufzuhören, stoße ich schnell auf Probleme. Die Abhängigkeit ist nur eines davon.

Spät abends starre ich auf meinen Bildschirm. Die Zeilen meiner Belegarbeit verlieren mehr und mehr an Sinn. Die letzten könnten aus dem Tagebuch eines geistig Verwirrten stammen. Für einen Moment schließe ich meine Augen, bevor ich die Arbeit der letzten Stunde mit wenigen Tastendrücken lösche. Was ist mit meiner Konzentration los? Meine Hand wandert wie von allein zur rechten Seite meines Schreibtisches, vorbei an Geldbeutel und Schlüssel. Und dort findet sie nichts. Wo sind meine Zigaretten? Ach verdammt. Ich habe ja gestern damit aufgehört.

Für einen Moment hasse ich mein Vergangenheits-Ich für diese Entscheidung. Dann wiederhole ich in Gedanken all die Gründe für die Entscheidung. Das verbrannte Geld, die Gesundheit, der Geruch. Es hilft nicht wirklich. Also zurück an die Arbeit. Irgendwas tun, irgendwie vom Verlangen ablenken. Egal wie. Doch die wandernde Hand kommt bald wieder. Diesmal in Begleitung von kaltem Schweiß und einem Gefühl ähnlich wie Hunger. Eine nagende Leere etwas unterhalb der Brust.

Wieder bete ich die Gründe für ein Dasein als Nichtraucher herunter. Es bringt noch weniger als vorher. Und diesmal gesellt sich noch das Gefühl der Verzweiflung dazu. Wird es immer so schwer sein? Macht es dann überhaupt Sinn, aufzuhören? Wird das Leben nicht zum Alptraum, wenn jeder Tag so abläuft? Mit diesem Gedanken im Kopf brüte ich vor mich hin. Und letztendlich, gebe ich auf.

Ich werfe mir meine Jacke über und mache mich auf den Weg zur Tankstelle. Dass es gerade verdammt kalt ist, macht mir ausnahmsweise nichts aus. Kippen kaufen hat jetzt Priorität. Ich lege den Weg in Rekordzeit zurück. Jeder Soldat wäre stolz auf mein Marsch-Tempo. Die Vorfreude treibt mich an. Ich kann die Zigarette schon fast schmecken. Den Rauch schon fast in meiner Lunge spüren. Dann ist es endlich so weit. Die Zigarette im Mund nehme ich den ersten Zug. Und er ist so gut, wie ich es mir ausgemalt habe. Doch der zweite Zug kommt mit Scham und dem Gefühl des Versagens. Wieder schwach geworden. Wieder nicht durchgehalten. Wie soll ich das jemals schaffen?

Die doppelte Abhängigkeit

Dieses Versagen trifft fast alle, die mit dem Rauchen aufhören möchten. Gerade einmal drei bis sieben Prozent der Raucher schaffen den Absprung ohne Hilfsmittel oder therapeutische Unterstützung. Dabei weiß inzwischen auch wirklich jeder um die Folgen des Rauchens. Doch dieses Wissen scheint nahezu wertlos im Angesicht einer Droge, die laut mehreren Studien ähnlich oder stärker Sucht erregend sei als Heroin und Kokain. Trotzdem wird an vielen Stellen der Gesellschaft immer noch von einer „Gewohnheit“ gesprochen, wenn es um Tabakkonsum geht.

Das liegt vielleicht auch daran, dass die Tabakindustrie bis heute, das Suchtpotential ihrer Produkte herunterspielt. Sie vergleichen Nikotin mit Koffein oder Schokolade nicht mit anderen bekannten Drogen. Dieses Vorgehen ist nicht neu. Immer wieder wird über Verharmlosungen oder klare Lügen der Tabakindustrie berichtet. Wie die von einem U.S Gericht als Lüge deklarierte Behauptung, sogenannte „Light“- Zigaretten wären gesünder als reguläre Zigaretten.

Neben der körperlichen Abhängigkeit von Nikotin kommt aber noch eine zweite Schwierigkeit. Wer lange Zeit geraucht hat, verbindet oft positive Momente im Alltag mit einer Zigarette. Ein gutes Essen, der Kaffee am Morgen oder auch Sex. Diese wären zwar auch ohne die Zigarette da. Doch allein die Gefahr, diese Momente könnten weniger schön werden, hält viele Raucher bei der Zigarette.

Was hilft denn nun?

Zwei Wochen nach meinem ernüchternden Versuch sitze ich wieder vor dem Bildschirm. Diesmal zur Recherche. Alleine hat es nicht geklappt, also suche ich mir jetzt Hilfsmittel. Doch schnell stoße ich auf die ersten Probleme. Widersprüche überall. Erst finde ich haufenweise Webseiten, die mir von der grandiosen Wirkung von Nikotinpflastern, Sprays und Kaugummis berichten. Darunter die Internetauftritte von Krankenkassen, aber auch den Pharma-Unternehmen, welche die Produkte vertreiben. Ich freue mich. Vielleicht kann ich so den Ausstieg schaffen. Doch als ich noch mehr herausfinden will, wird aus Freude schnell Verwirrung. Auf einmal finde ich Aussagen, die das genaue Gegenteil behaupten: Nikotinersatzmittel hätten nahezu keine Wirkung. Ohne für mich brauchbare Hilfe gefunden zu haben, gebe ich meine Recherche vorerst auf.

Im Laufe der nächsten Woche spreche ich mit einigen Freunden und Bekannten. Die Ergebnisse? Nicht besonders hilfreich. Eine etwas seltsame Tante erzählt mir von ihrer Bekannten, die mir sicher mit ihrem Schamanismus helfen könne. Ein Arbeitskollege meint, er habe einfach aufgehört. Sei auch gar nicht so schwer. Meine Oma rät mir zur Hypnose, über die sie in irgendeinem ihrer Klatsch-Magazine gelesen hat. Eine Freundin dagegen empfiehlt mir das Selbsthilfebuch eines angeblichen Nichtraucher-Gurus. Nichts davon erscheint mir wirklich überzeugend.

Genauso uneins wie der Bekanntenkreis scheint die Wissenschaft. Institute wie das Deutsche Krebsforschungszentrum berichten über 50 bis 60 Prozent höhere Chancen beim Ausstieg durch Ersatzmittel. Auch Ärzte und Krankenkassen loben die Wirksamkeit von Nikotinpflaster und Co.

In der Minderheit sind die Stimmen, die Nikotinersatz für wenig oder gar nicht hilfreich halten. Während einer Studie der Harvard University konnten so zwar einige Raucher kurzfristig dank Ersatzmitteln aufhören, jedoch sind sie nach wenigen Wochen oder Monaten wieder rückfällig geworden. Einige Menschen berichten sogar von einer neuen Abhängigkeit von Nikotinkaugummis. Sie rauchen nicht mehr, sind aber immer noch nikotinabhängig.

Und zwischen all diesen Informationen meldet sich auch noch die Tabakindustrie zu Wort. Mit der Website was-raucher-wissen-sollten.de betreibt die Philip Morris GmbH, einer der größten Tabakkonzerne, eine Informationsseite. Auch mit Tipps zum Nichtrauchen. Zwischen Informationen und Links werden aber vor allem die eigenen Produkte wie E-Zigaretten beworben.

 

Der Preis des Entzugs

Inzwischen gesellt sich auch noch Frustration zu meinem eher unschönen Emotions-Eintopf. Aber da vor mich hin jammern auch nichts verbessert, beschließe ich einfach die Methoden auszuprobieren, die mir am vielversprechendsten erscheinen. Also direkt wieder zur Recherche. Diesmal will ich herausfinden, ob ich mir die Hilfe überhaupt leisten kann. Das Preisschild von Nikotinpflastern lässt mich daran erst einmal zweifeln. Immerhin, das Nikotinspray scheint halbwegs bezahlbar.

Als Nächstes erkundige ich mich, was denn so eine Hypnose-Sitzung kostet. Das Interesse vergeht mir dann aber doch recht schnell, da ich leider keine Monatsmiete einfach so in der Schublade liegen habe. Auch die Preislisten von Akupunkteuren und Therapeuten lösen nicht gerade Glücksgefühle aus. Vor allem wenn ich die Zahlen mit meinem Kontostand vergleiche. Der rationale Teil meines Gehirns weiß auch, dass alle Methoden trotzdem auf lange Sicht billiger wären als mein Tabakkonsum. Aber was, wenn ich wieder scheitere? Dann hätte ich ja teure Ersatzmittel und teure Kippen gekauft. Quasi doppelt Geld verschwendet.

Während ich immer tiefer in Frust und Selbstzweifeln versinke, keimt eine letzte kleine Hoffnung in mir auf. Vielleicht übernimmt ja die Krankenkasse einige Kosten? Möglicherweise kann ich doch die ein oder andere Therapie ausprobieren? Lange hält jedoch auch diese Hoffnung nicht an. Denn die Angebote sind spärlich.

Erst seit 11. Juni.2021 wurde das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung erlassen, welches Krankenkassen ermöglicht, „Evidenzbasierte“-Methoden zur Rauchentwöhnung ganz oder teilweise zu übernehmen. Doch dies gilt nur bei einer „schweren Tabakabhängigkeit“. Was damit genau gemeint ist, bleibt aber eher unklar. Und vor Einführung dieses Gesetzes wurden Medikamente zur Rauchentwöhnung als „Lifestyle“-Medikamente deklariert und daher gar nicht übernommen.

Jedoch bleiben die Angebote der Krankenkassen trotz dieses Gesetzes überschaubar. Wer auf deren Webseiten sucht, findet Angebote für Nichtraucher-Kurse, die helfen sollen, Angewohnheiten und Tagesabläufe zu ändern. Dank Pandemie in manchen Fällen auch nur online. Weitere Angebote fehlen oder werden ausgeschlossen. Und das, obwohl jährlich 127.000 Menschen an den Folgen von Tabakkonsum sterben.

 

Endlich Frei

Trotz aller Rückschläge beginne ich einen neuen Versuch. Einen nach dem anderen.  Gefühlt lese ich alles, was es zum Thema Rauchen zu finden gibt. Vom Selbsthilfebuch über Artikel in Online-Zeitungen bis hin zu Studien. Ich probiere alles aus. Ich klatsche mir Nikotinpflaster auf den Arm. Sprühe mir eine Flüssigkeit auf die Zunge, die angeblich nach „Fruit & Mint“ schmecken soll, aber in Wirklichkeit nur alle Geschmacksnerven verätzt. Ich sitze in einer verhunzten Form des Schneidersitzes auf dem Boden und versuche zu meditieren. Doch nichts scheint zu wirken. Ich rauche immer noch 20 Zigaretten am Tag und ärgere mich über jede einzelne. Bis es auf einmal anders ist. Eines Morgens wache ich auf und gehe nicht, wie sonst üblich, vor allen anderen Aktivitäten, auf meine Terrasse, um mir frischen Rauch in die Lunge zu knallen. Und ich habe keinen Schimmer, warum ich es nicht mehr tue. Ich habe nichts anders gemacht als bei den vorherigen Versuchen. Hat einer der Therapie-Ansätze nur Zeit gebraucht? Hat sich irgendetwas in meinem Körper verändert? Denke ich nur anders?

Was genau mir zu meinem Durchbruch verholfen hat, bleibt unklar. Ähnlich wie  die Informationslage im Netz. Klar ist mir nur, dass ich anders über die Zigarette denke. Sie ist nicht mehr mein kleiner Genuss am Abend oder der Helfer in stressigen Momenten. Und während ich früher die Augen verdreht habe, wenn meine Oma mich halb scherzend einen Nikotin-Sklaven nannte, sehe ich nun die Wahrheit darin.

Und obwohl ich und viele andere Raucher über umwege den Weg aus der Sucht gefunden haben, könnten mehr Klarheit in Medizin und Politik, den Millionen deutschen Rauchern helfen, von denen viele auch nur eines wollen: Endlich ein Leben ohne Zigarette

 

 

 

Text und Titelbild: Stefan Schlosser

<h3>Stefan Schlosser</h3>

Stefan Schlosser

ist 29 Jahre alt und studiert derzeit im 6. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert er sich seit dem Sommersemester 2022 als Ressortleiter Medien.