E-Sport

Level up oder Game over

von | 19. Januar 2024

E-Sport mit prekärer Arbeitsrealität. Rechtliche Tücken, zurückhaltende Gewerkschaften und ungewisse Zukunft.

Als E-Sport-Profi sein Geld zu verdienen, ist heute für viele junge Menschen ein Traum, wie Fußball-Profi oder Influencer zu werden. Doch auf dem Weg dahin gibt es viele Fallstricke, die junge Spielerinnen und Spieler in prekäre Arbeitsverhältnisse bringen können. Sind Gewerkschaften die Interessenvertreter, die den erwünschten Wandel erzielen können,  oder benötigt es andere Wege, den jungen Talenten zu helfen?

Was ist E-Sport?

Seinen Anfang nahm E-Sport in den 1970ern, als Menschen begannen, sich an Arcade-Automaten oder auf LAN-Partys miteinander zu messen. Heute beschreibt der Begriff E-Sport den professionellen Wettkampf in Computer- und Videospielen. Wie im klassischen Sport gibt es unterschiedliche „Disziplinen”, in denen Spielerinnen und Spieler aufeinander treffen. Gespielt wird in Einzeldisziplinen oder Teams. Die bekanntesten Titel sind Counter Strike: Global Offensive, League of Legends, Dota 2, Starcraft 2, Rainbow Six Siege, Overwatch und Fortnite. Die Wettkämpfe sind weltweit über die Plattformen Twitch oder YouTube zu verfolgen. Im deutschsprachigen Raum werden große Events auch auf ProSieben MAXX und dem Sender E-Sport1 übertragen. E-Sport hat sich aus dem Nischenmarkt gekämpft und erfreut sich heutzutage großer Bekanntheit. Laut einer YouGov-Umfrage, die für den Verband der deutschen Games-Branche e.V., im  Jahr 2021 durchgeführt wurde, wissen 71 Prozent, also 59 Millionen Menschen in Deutschland, was E-Sport ist oder haben bereits davon gehört. E-Sport hat sich, laut game e.V. über die vergangenen Jahre schnell entwickelt und professionalisiert. Neben Vereinen und Hochschulgruppen gibt es eine gut organisierte Amateur- und Profi-Szene auf der ganzen Welt. Arbeitsrechtlich läuft in dieser schnelllebigen Branche nicht alles einwandfrei ab.

Arbeitsrechtliche Probleme

Dazu erhielt medienMITTWEIDA einen Einblick von Herrn Leon Huchel. Er ist 25-jähriger Jurist und schreibt momentan an seiner Promotion. Er arbeitet nun schon seit über zehn Jahren als Coach, Manager und Berater in verschiedenen Organisationen und Ländern.

Zentral sei das häufige Problem der fehlenden Anerkennung des Vertragsverhältnisses als Arbeitsverhältnis. Viele E-Sportler seien als selbsständige Dienstleister angestellt, trotz Vorliegens eines Arbeitsvertrages. „Spielerverträge sind insbesondere auf semiprofessioneller Ebene häufig in Ermangelung finanzieller Möglichkeiten ohne oder nur mit eingeschränkter juristischer Expertise erstellt und sind daher häufig nicht geeignet, die Interessen der Parteien ordnungsgemäß zu repräsentieren.” bemängelt Huchel.

Als Arbeitsverhältnis sind Konstellationen zu definieren, in denen alle wesentlichen Elemente des § 611a BGB gegeben sind. Das bedeutet, die Spieler und Spielerinnen müssen weisungsgebunden handeln, sich in eine betriebliche Organisation eingliedern und persönlich abhängig sein. Bei denen, die zu den Profi-Gamerinnen und -Gamern zählen, ist das in den meisten Fällen eindeutig gegeben. Die größte Herausforderung dabei sei das enorme Machtgefälle zwischen E-Sportler und E-Sport-Organisation. Spielerinnen und Spieler seien häufig so jung und unerfahren, dass sie gänzlich ohne rechtliche Beratung in Verträge eintreten, die enorm einengend seien und ihre Interessen nahezu nicht berücksichtigen, erklärt Huchel. Die Einstufung von semiprofessionellen Spielerinnen und Spielern als selbstständige oder Arbeitnehmer gestalte sich da eher schwierig.  Bei ihnen muss je nach Einzelfall beurteilt werden, ob es sich unabhängig von der Vertragsgestaltung um ein Arbeitsverhältnis handelt oder nicht. Denn tritt die Arbeitnehmereigenschaft ein, greift das deutsche Arbeitnehmerschutzrecht.

Huchel ergänzt, dass die fehlende Rechtsprechung zum E-Sport problematisch sei, sodass mit Blick auf etwa Arbeitszeitregelungen nicht klar definiert sei, was im Rahmen der Tätigkeit des E-Sportlers als Arbeit anzusehen ist.

Nicht außergewöhnlich ist, dass ehrgeizige Gamerinnen und Gamer bis in die Nacht hinein, auch an Wochenenden und Feiertagen, weitaus über acht Stunden spielen. Wo die Grenze zwischen Training und Freizeit gezogen werden kann, ist unklar.  Dennoch seien die Verantwortlichen verpflichtet auf die Arbeitszeitgesetze zu achten. Werden alle Spielzeiten, die oft auch online nachvollziehbar sind, als Arbeitszeit gewertet, finden Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten und Pausen regelmäßig keine Beachtung.

Laut Richter Alexander Türk treten insbesondere Schwierigkeiten bei Arbeitsverhältnissen mit jugendlichen Pro-Gamern auf. Im Jugendarbeitsschutzgesetz vorgesehene Beschränkungen seien besonders an Wochenenden und Feiertagen genauer zu betrachten. Häufig finden Turniere an Wochenenden statt. Eine Ausnahme sei nur dann möglich, wenn man E-Sport als Sport im Sinne des JArbSchG versteht. Das sei beim Computerspielen zweifelhaft. Bejahen kann er dies jedoch im Pro-Gaming-Bereich.

„Mit Blick auf Kündigungsrechte stellen sich insbesondere zwei Probleme. Einerseits langfristige Verträge ohne die Möglichkeit eines Buyouts unter dem Begriff des sogenannten „contract jails”, andererseits die Einräumung einseitiger Kündigungsrechte zugunsten der E-Sport-Organisation trotz des Bestehens eines befristeten Arbeitsverhältnisses”, ergänzt Huchel.
Verträge dieser Art bringen E-Sportler in prekäre Arbeitsverhältnisse. Wie zum Beispiel im Falle des Spielers Martin „Rekkles” Larsson  und der Organisation „G2”. Nach einem titellosen Jahr in der „LEC” plante Teamgründer Carlos Rodríguez Santiago „Rekkles” auf die Bank zu setzen. Für ihn bedeutete das eine Gehaltseinbuße von 94 Prozent seines Jahresgehalts. Die festgelegte Ablösesumme von 1,5 Millionen Euro wollte kein erstklassiges Team aufbringen. Freigewordene Plätze auf dem Transfermarkt gingen an neue und daher günstigere Spielerinnen und Spieler. Hätte keine Organisation die Summe für „Rekkles” bezahlt, wäre er im sogenannten contract jail. Rekkles wurde schließlich vom französischen E-Sport-Team „Karmine Corp” gekauft, wodurch er aus der europäischen Liga in die französische Regionalliga „LFL” wechselte. Er hatte sehr viel Glück, andere E-Sportlerinnen und E-Sportler bleiben meist im „contract jail“ gefangen. Nicht jeder hat das „Glück”, durch einen Buyout das Team verlassen zu können.

Was ist die LEC?

LEC steht für League of Legends European Championship und  ist die höchste E-Sport-Liga für LoL in Europa.

Streben nach Veränderung

Natürlich wollen viele aus der Branche diese Zustände nicht einfach so hinnehmen. Einige trauen sich, öffentlich über Missstände zu berichten. So zum Beispiel die SpielerLuka „Perkz” Perković, Martin Nordahl „Wunder” Hansen und Mihael „Mikyx“ Mehle, welche in den sozialen Medien Schwierigkeiten aufdeckten, die ihnen ihre Organisationen durch deren Vertragspraktiken verursachten. 2018 gründete sich die „Counter-Strike Professional Players‘ Association” kurz „CSPPA“ welche sich als Interessenvertretung für Counter Strike Spieler sah. Den Vorstand bildeten bei der Gründung sieben E-Sports-Profis. Zunächst stiegen die Mitgliederzahlen. Nach fünf Jahren wurde es immer stiller um die Spielergewerkschaft und laut Berichten verließen immer mehr wichtige Spieler die CSPPA. Sie selbst hätten nicht das Gefühl, dass der Verband viel erreicht hätte. Das ehemalige Vorstandsmitglied „STYKO” äußert sich wie folgt: „Ich hatte das Gefühl, dass nicht viel getan wurde. Die Verantwortlichen haben kaum mit uns kommuniziert, die Treffen wurden unregelmäßig… Ich hatte das Gefühl, dass ich über CSPPA nicht zum Wohlergehen der Szene beitrage und deshalb wollte ich mich vorerst nicht mit dem Projekt in Verbindung bringen.” Ein paar Vorstandsmitglieder blieben übrig, die versucht haben, neue Mitglieder zu gewinnen. Wie es scheint,  jedoch erfolglos. Gerüchte über einen Neustart und einen neuen Manager kursierten, dessen Ernennung nie öffentlich kommuniziert wurde. Die Website ging offline und etwas später stand die Domain sogar für 1800 Dollar zum Verkauf.

Leon Huchel berichtet: In der LCS in Nordamerika gäbe es einen mittelmäßig erfolgreichen Versuch der Spieler, gemeinsam gegen das Handeln der Liga vorzugehen. Vereinigungen, die sich für die Spieler einsetzen, hätten selten unmittelbaren Einfluss auf die Spielersituation nehmen können, sondern die Bemühungen fänden regelmäßig erst auf Umwegen Eingang in die Situation der Spieler. „Der enorme Internationalisierungsfaktor macht dies schlichtweg enorm schwierig. Derartige Vereinigungen sind in der Zukunft von enormer Wichtigkeit”.  Zum derzeitigen Zeitpunkt sei die finanzielle Lage des E-Sports noch zu unsicher, die Szene generell sei gesellschaftlich zu wenig anerkannt, sodass Vereinigungen selten langfristige Erfolge einfahren können.

Gewerkschaftliche Ansätze

In einem Bericht aus dem Jahr 2022 der UNI Global Union, dem weltweiten Gewerkschaftsverband für die Dienstleistungsbranchen, wird deutlich gemacht, dass eine Nachfrage nach gewerkschaftlichen Organisationen besteht. In dem Report werden jedoch alle Menschen aus dem Arbeitsbereich „Gaming” einbezogen, nicht nur E-Sportlerinnen und E-Sportler, auch die gesamte Industrie wird in den Fokus gerückt. Laut dem Report befürworten 79 Prozent der Befragten aus 29 Ländern ein stärkeres gewerkschaftliches Engagement. Daraufhin hat der Gewerkschaftsbund beschlossen, „Gaming“ als neuen Bereich in den ICTS-Sektor aufzunehmen.

Was ist die LEC?

Definition ICTS-Sektor:
Ist ein Beschäftigungsfeld der UNI Global Union mit den Bereichen,
Information, Communication, Technology and Services.
Im Deutschen auch IKT für Informations- und Kommunikationstechnologien genannt.

Auch die deutsche Gewerkschaft ver.di scheint die Games- und Tech-Branche als relevanten Bereich wahrzunehmen. Christiane Muhr aus dem ver.di-IT- und Telekommunikationsbereich, die gleichzeitig stellvertretende Vorsitzende des UNI-ICTS-Sektors ist, setzt sich für die Auseinandersetzung mit den Themen der Arbeitnehmer ein. Durch ihr Engagement organisierte die UNI Global Union gemeinsam mit ver.di ein Treffen zur Förderung und Bildung kollektiver Interessenvertretungen in Berlin. Eingeladen waren Games- und Tech-Worker aus der ganzen Welt. Es besteht außerdem seit Juni 2020 eine Kooperation zwischen der Forschungsstelle für E-Sport und Recht (FeSR) und der ver.di München & Region. Sie verfolgen damit das Ziel, Informationen aus Praxis und Wissenschaft miteinander auszutauschen sowie gemeinsam Veranstaltungen zu organisieren und durchzuführen.

Eine Notwendigkeit für eine Interessenvertretung wurde seitens der Gewerkschaften erkannt. Nächste Handlungsschritte, wie man E-Sportlerinnen und E-Sportler unterstützen könnte, sind jedoch nicht erkennbar. Warum ist das so und: wird sich das bald ändern? „Nicht in näherer Zukunft. Dafür ist die E-Sport-Szene zu stark sektorisiert. E-Sport sei derart rapidem Wandel unterworfen, dass Gewerkschaften mit der Geschwindigkeit der Veränderung nicht mithalten können. Gewerkschaftsbildung funktioniere in einem derartigen Umfeld massiven Leistungsdrucks und enormen Wettbewerbs nicht, erklärt Huchel.

Zukunftsaussichten

Wenn alle bisherigen Bemühungen seitens der Spielerinnen und Spieler erfolglos waren und sich die etablierten Gewerkschaften noch fortbilden, wer oder was könnte den erhofften Wandel in die richtige Richtung treiben? Huchel meint: „Ich denke nicht, dass es einer weiteren Instanz bedarf. Für solch eine müssten entsprechende Kompetenzen vorhanden sein, gerade daran fehlt es jedoch noch.” Spielergewerkschaften seien also nicht die Lösung des Problems. Er sieht: „Neben dem offensichtlichsten Punkt – kompetenter rechtlicher Beratung – würden Musterverträge einen gewissen Standard setzen und damit die E-Sport-Vertragsgestaltung vereinheitlichen und den Spielern so mehr Sicherheit verschaffen. Darüber hinaus, „bräuchte es wohl ein höchstrichterliches Urteil, das den durchschnittlichen professionellen E-Sportler als Arbeitnehmer definiert.” Außerdem müsse „E-Sport als Begrifflichkeit im Gesetz definiert werden und dem Sport entsprechend mit Ausnahmeregelungen versehen werden.” Dafür sei ein erhebliches politisches Umdenken erforderlich, so Huchel. 

Kurzkommentar des Autors

Fortschritt braucht Sicherheit

Die Situation, in der sich viele E-Sportlerinnen und E-Sportler befinden, ist meiner Meinung nach unhaltbar. Es müssen Regelungen getroffen werden, die spiel-, disziplin- ja sogar länderübergreifend Anwendung finden können. Ein festes Regelwerk, an das sich alle im E-Sport beteiligten Akteure halten müssen. Damit die Spielerinnen und Spieler wieder eine Planungssicherheit über ihr eigenes Leben und Karriere erhalten. Gewerkschaften wie ver.di werden nach in ihrer Organisationsstruktur nicht den benötigten Wandel erzielen können. Dennoch können sie durch Förderung der Forschung und den Einfluss, den sie auf die Politik nehmen können, einen wichtigen Baustein auf dem Weg dorthin bilden.  Auch dem Wettbewerb wird es helfen, denn verborgene Talente, die sich aufgrund der Unsicherheiten nicht trauten, aufs Ganze zu gehen, um eine Profi-Karriere einzuschlagen, würden zukünftig dazugewonnen werden. Die E-Sport-Branche hat inzwischen einen Professionalisierungsgrad erreicht, dem es zusteht, dass sich die Politik mit Gesetzen und Regelungen beschäftigen sollte. Meiner Meinung nach gibt es inzwischen so viele Menschen, die in der Branche tätig sind, sich wissenschaftlich mit ihr auseinandersetzen oder an ihr interessiert sind, dass ihnen die Würdigung zusteht, diesen Schritt in die richtige Richtung machen zu dürfen. Dazu müssen aber schlussendlich alle an einem Strang ziehen.

Text & Titelbild: Cedric Nastelski
Titelbild/Grafiken: www.freepik.com

<h3>Cedric Nastelski</h3>

Cedric Nastelski

ist 22 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert er sich seit dem Wintersemester 2022/23.