Auch in Deutschland leben viele verschiedene ethnische Gruppen miteinander. Dabei hat der kulturelle Hintergrund eines Konsumenten großen Einfluss darauf, wie er eine Werbebotschaft versteht. Das schafft gleichermaßen Herausforderungen und Möglichkeiten für Werbestrategen.
Deutschland lebt im Wandel: Während die deutsche Bevölkerung immer mehr schrumpft, wächst „der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland weiter“, erklärt die Auslandsbeauftragte der Stadt Chemnitz, Etelka Kobuß. 2011 lebten hierzulande fast 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Den Großteil bilden Deutsch-Türken und Russland-Deutsche. Hinter diesem Anteil steckt eine hohe Kaufkraft. Die Zielgruppe der Menschen mit ausländischen Wurzeln sollten Unternehmen also durchaus nicht unbeachtet lassen und vor allem richtig bewerben.
Zielgruppengerechte Werbung
Dass eine deutsche Werbebotschaft nicht immer bei anderen ethnischen Gruppen ankommt, dürfte keine Überraschung sein. Eine türkische Hausfrau empfindet eine Werbung von „saubilligem“ Waschmittel weit weniger ansprechend als eine deutsche Hausfrau. Schweine gelten bei Moslems schließlich als unrein. Die Botschaft würde somit bei der türkischen Zielgruppe missverstanden werden und den Käufer abschrecken. Bereits ein einzelnes falsch gewähltes Wort kann zu Kommunikationsschwierigkeiten führen. Abhilfe schafft sogenanntes Ethno-Marketing.
Sprache und Kultur beeinflussen das Kaufverhalten
Hinter dem Begriff Ethno-Marketing verbirgt sich Marketing für die Zielgruppe „Menschen mit Migrationshintergrund“. Durch Sprache und kulturellen Hintergrund unterscheiden sich ethnische Gruppen voneinander. Auch die teilweise zum Deutschen unterschiedliche Einstellung, Motive, Bedürfnisse, Sitten und Gewohnheiten einer ethnischen Zielgruppe sind charakteristisch und führen letztendlich zu einem bestimmten Kaufverhalten. „Im Grunde bedeutet Ethno-Marketing nichts anderes, als die Bedürfnisse der Zielgruppe sorgfältig zu analysieren und im Zusammenhang mit den eigenen Produkten zu betrachten“, erklärt Burhan Gözüakca von „BEYS Marketing & Media“, einer Agentur mit Schwerpunkt auf interkulturelle Kompetenz.
Unternehmen sehen diese Zielgruppe zu Recht als attraktiven Wachstumsmarkt und versuchen durch gezieltes Ethno-Marketing ihren Absatzerfolg zu erhöhen, indem sie neue Märkte erschließen. Volkswagen praktiziert erfolgreich und beispielhaft ethnisches Marketing: Der Automobilhersteller beschäftigt unter anderem vermehrt deutschtürkische Verkaufsberater und spricht mit der Kampagne „Volkswagen spricht türkisch“ gezielt die deutschtürkische Zielgruppe an. Telekommunikationsgesellschaften wie „E-Plus“ bieten unter anderem Telefon-Flatrates in die Türkei und verschiedene Banken locken mit Beratungsgesprächen in türkischer Sprache.
Erfolg durch differenziertes Marketing
„Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung wird es für Marken in Deutschland mit jedem Tag wichtiger, sich mit Migranten und deren Bedürfnissen zu beschäftigen“, erklärt Marketer Gözüakca. Leider habe das bisher nur ein Bruchteil der deutschen Unternehmen erkannt und sei dementsprechend nachlässig. Hinter einem besonderen Marketing steht immer die Gefahr, dass sich die Zielgruppe selbst diskriminiert fühlt. Eine solche Strategie bedeutet, dass die betreffende Zielgruppe differenziert zur Mehrheit wahrgenommen und anerkannt wird. Allerdings haben sich besondere Vermarktungsformen, wie etwa das „Seniorenmarketing“, in Deutschland längst bewährt.
Auch Etelka Kobuß fordert, dass sich der Umgang mit Migranten grundlegend verändern müsse. „Wenn sich nicht die deutschen Unternehmer um diese Zielgruppe bemühen, werden die Migranten die Deckung ihrer partikularischen Sonderinteressen selbst in die Hand nehmen“. Das könne dann zur einer Abtrennung führen, meint Kobuß.
„Die Marken haben nichts zu verlieren“
Ein Unternehmen ist auf dem internationalen Markt dann erfolgreich, wenn es seine Marketingstrategie differenziert ausrichtet. Schließlich wird in Italien für ein Produkt nicht derselbe Werbespot ausgestrahlt wie in Deutschland. Das internationale Marketing begründet somit das Ethno-Marketing. Jedoch besteht bei Letzterem die Herausforderung darin, unterschiedliche ethnische Gruppen innerhalb eines Landes anzusprechen.
Das Ethno-Marketing erfährt aber auch Kritik – vor allem im Internet. Die besondere Marketingstrategie ist umstritten, denn viele Deutsche halten Ethno-Marketing selbst als Förderung der Distanz zwischen den in Deutschland lebenden ethnischen Gruppen. Wenn deutschtürkische oder russische Mitbürger Werbung in ihrer Muttersprache erreicht, vermindere dies deren Ambitionen, sich zu integrieren. Laut Etelka Kobuß wollen jedoch die meisten Migranten Integration. „Als Migrantin selbst kann ich nur sagen, dass ich selbstverständlich alle gängige Medien so nutze, wie die deutsche Bevölkerung auch.“ Der Konsum von muttersprachigen Medien sei eher eine Ergänzung.
Unterschiedliche Mediennutzung ethnischer Gruppen
Burhan Gözüakca schätzt das Mediennutzungsverhalten der Zielgruppe jedoch anders ein: „70 Prozent der Deutschtürken schauen fast nur türkisches Fernsehen. Genau deswegen erreichen die deutschen Werbebotschaften diese Zielgruppe auch nicht.“ Darin erkennt Gözüakca die Notwendigkeit einer gezielten Marketingstrategie für Migranten: „Ethno-Marketing schließt diese Informationslücke, indem es den Migranten Zugang zu Produkten und Dienstleistungen in Deutschland ermöglicht. Allein deswegen wird den Migranten schon suggeriert, dass sie ein Teil dieser Gesellschaft sind und ernst genommen werden.“ Die Ausländerbeauftragte Etelka Kobuß betrachtet den Gesamtzusammenhang: „Meines Erachtens zielt Ethno-Marketing nicht auf Distanz oder Nähe. Eher erfasst es besondere Zielgruppen mit ihren besonderen Bedürfnissen für sich, als neuer Markt für eigene Produkte“.
Text: Michelle Mucha. Bild: pixabay. Bearbeitung: Nancy Matschke.