Mit fünfundzwanzig Jahren ist Sabrina Repp die jüngste deutsche Abgeordnete des im Juni neu gewählten EU-Parlaments. In der Nähe von Rostock geboren, wurde sie im „Osten Deutschlands” sozialisiert. Nun vertritt sie diesen in der europäischen Politik. Doch welche Auswirkungen hat diese Verantwortung auf ihr persönliches Leben? Im Gespräch mit medienMITTWEIDA erzählt sie, wie es ihr gelingt, mit Druck umzugehen, Fehler zu akzeptieren und eine Work-Life-Balance zu finden.
Sabrina Repp nimmt seit Juni 2024 ihr Mandat im EU-Parlament wahr. (Foto: SPD MV/ Photo by Selin Jasmin)
Du bist im Juni als jüngste deutsche Abgeordnete ins Europaparlament gezogen. Davor hast du deinen Master gemacht, warst bei den Jusos – der Jugendorganisation der SPD – aktiv und hast einen langen Wahlkampf hinter dir, der dir nur wenige freie Wochenenden ermöglichte. Heute arbeitest du oft zwölf Stunden am Tag. Wie findest du trotzdem eine Work-Life-Balance?
Für mich ist jeder Tag ein neuer Tag – und das auch, wenn es gestern sehr stressig war und ich vielleicht böse über irgendetwas war. Trotzdem starte ich heute wieder voller Energie und Motivation. Ganz viel davon ziehe ich aus dem, was ich hier machen kann: Politik voranzubringen und etwas Positives für die Menschen zu bewirken.
Gemeinsame Zeit mit meinem Partner und Ausflüge, zu Fuß oder mit dem Fahrrad, geben mir natürlich auch nochmal einen ganz anderen Schwung. Es gibt viele schöne Ecken, die man erkunden kann und man trifft immer wieder auf viele tolle Menschen, die sich engagieren. Solche Begegnungen geben mir jedes mal Kraft. Ich sehe, dass ich das Richtige tue und für den richtigen Zweck weitermache.
In einem Spiegel-Interview hast du gesagt: „Gerade mit der Rolle als junge Abgeordnete und als Frau kommen ja umso größere Erwartungen an mich, die ich erfüllen will“. Welche Erwartungen meinst du damit konkret?
Für mich ist es nicht selbstverständlich, dass ich als 25-jährige, junge Frau aus dem Osten im Europäischen Parlament sitzen darf. Damit erfülle ich Merkmale, die hier nicht allzu häufig vorkommen.
Dazu kommt, dass es bei der Europawahl keine Erst- und Zweitstimme gibt, welche eine direkte Wahl einzelner Personen ermöglicht. Das bedeutet: Es kommt auf den Listenplatz an, auf dem du stehst. Und dafür, dass ich auf Listenplatz elf stand, haben sich sehr viele Leute eingesetzt. Die haben jetzt natürlich Erwartungen an mich – dass ich im EU-Parlament meinen Job gut mache und mein Bestes gebe. Am Ende geht es darum, diesen Vertrauensvorschuss einzulösen.
Ebenso möchte ich erreichen, dass Menschen, wenn sie an Europa denken, auch wissen, wer für sie ansprechbar ist und wo sie sich melden können. Manchmal bin ich nur einen Anruf entfernt und das ist mir auch sehr wichtig. Diese Erwartungen habe ich zum Teil an mich selbst, zum Teil aber auch andere an mich.
Das alles ist mit viel Druck verbunden. Wie gehst du mit diesem um?
Ich glaube, es ist immer wichtig zu schauen, was eigentlich meine eigenen Erwartungen sind. Was möchte ich tatsächlich leisten? Welche einzelnen Schritte bringen mich zu meinem Ziel? Mit einer guten Organisation und Struktur kann man sich einiges an Druck nehmen. Und wenn man dann auch noch ein tolles Team hat, das mitzieht und eigene Motivation hat, fällt schon einmal viel Druck ab.
Zudem hilft es mir zu akzeptieren, dass auch Fehler passieren können. Aus diesen lernt man! Ich glaube, es ist wichtig, sich auch dabei etwas Druck zu nehmen.
Während des Wahlkampfes habe ich mir immer gesagt: „Ich möchte Samstagabend vor dem Wahltag ins Bett fallen und mir sagen können, dass ich nicht mehr hätte geben können.“ Wenn das der Fall ist, ist man auch fein mit der Situation. Deswegen habe ich mich in dem Wahlkampf auch so sehr engagiert. Das heißt aber nicht, dass man ausbrennen und gar keine Energie mehr haben soll. Es ist wichtig, sagen zu können: „Ich gebe wirklich alles und mehr geht nicht. Manche Dinge liegen einfach nicht in meiner Hand.“
Was hat dir dabei geholfen, einen Umgang mit Fehlern zu finden?
Allein im Wahlkampf habe ich gemerkt, dass ich nicht immer alles zu 100 Prozent perfekt erledigen kann. Es gibt auch äußere Bedingungen: Manchmal fällt das Navi aus, oder das Auto hat einen Schaden und ich komme dadurch zu spät zu einem Termin. Ich habe damit angefangen, manche Dinge ein bisschen gelassener zu sehen und mich nicht zu sehr in Erwartungen hineinzusteigern.
Wenn eine Sache schiefgeht, oder auch mal vergessen wird, schaue ich, wie ich das noch retten kann. Ich probiere also, nicht wie gelähmt zu sein, sondern zu sagen: „Okay, jetzt ist ein Fehler passiert, aber wir schauen, dass wir das gemeinsam bewältigen.“
Manchmal hilft es auch einfach, dass man jung ist. Ich bemerke bei mir selbst so ein Reflexionsvermögen. Das kann natürlich auch daran liegen, dass mir beigebracht wurde, dass Fehler nicht immer etwas Schlechtes sein müssen, sondern man aus ihnen viel lernen kann. Am Ende lernt man aus ihnen oft so viel mehr, als wenn immer alles richtig läuft.
Ich würde gerne noch mal einen Blick auf deinen Wahlkampf werfen. Als junge Frau bist du in diesem aufgefallen. Wie haben Ältere auf dich reagiert?
Ich weiß selbst, dass es viele Vorurteile gibt, wenn eine so junge Person, wie ich, im politischen Betrieb aktiv wird. Überrascht hat mich deshalb, dass ich im Wahlkampf tatsächlich von vielen, auch älteren Menschen, sehr viel Zuspruch erfahren habe. Viele haben mir gesagt: „Ich bin extra Ihretwegen hierher gekommen, um Ihnen zu sagen, dass ich Ihr Auftreten im Nordmagazin toll fand und Ihnen das mit auf den Weg geben wollte.“ Da habe ich super viel Unterstützung erfahren, die ich vorher gar nicht in dieser Form erwartet hätte.
Das hat mir gezeigt, dass ältere Menschen durchaus ein Verständnis dafür haben, dass es auch junge Menschen in der Politik braucht. Im Wahlkampf haben mir auch viele Ältere gesagt: „Junge Menschen sollen sich einmischen.“
Mir hat das auch wieder einmal gezeigt, dass es nicht so ein Gegeneinander zwischen Jung und Alt ist – sondern vielmehr ein Miteinander. Man lernt voneinander und ist sich bewusst, dass unterschiedliche Perspektiven in der Demokratie zählen und von Bedeutung sind. Und es ist nun einmal so, dass vor allem viele junge Perspektiven in der Demokratie gar nicht gehört werden – auch, weil sie zu wenig vertreten sind.
Du hast jetzt die ersten Monate im Europaparlament erlebt. Wie fällt dein persönliches Fazit aus?
Eine Sache, die mich überrascht hat, war bei unserer ersten Plenarsitzung. In dieser hat sich Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin vorgestellt. Das Verhalten der rechten Fraktionen war für mich doch sehr unerwartet. Einige Abgeordnete haben tatsächlich angefangen, herumzuschreien, aufzustehen und sich einen Maulkorb anzulegen. Ursula von der Leyen wurde auch auf das Übelste beschimpft und beleidigt. Jetzt kann man natürlich sagen: „Das war nicht anders zu erwarten.“ Ich dachte aber nicht, dass es so eine Freakshow ist.
Und worauf ich stolz bin? Sehr aufregend war für mich, meine erste Rede im Ausschuss zu halten. Dass ich dafür die Gelegenheit bekomme, habe ich auch erst zwei Stunden davor erfahren. Das war also alles super spontan. Danach war ich schon stolz auf mich, dass ich mir das zugetraut habe.
In der Anfangszeit wächst man aber, glaube ich, ohnehin jeden Tag über sich hinaus. Es sind so viele kleine Dinge – das ständige Reisen, die neuen Aufgaben – die man sich trauen muss.
Aber ich muss auch sagen, dass ich schon während des Wahlkampfs gemerkt habe, wie sehr ich über mich hinausgewachsen bin. Am Anfang war es für mich undenkbar, zehn Minuten am Stück eine Rede zu halten. Kurz vor der Wahl stand ich dann plötzlich neben Manuela Schwesig und habe genau das einfach getan und dafür auch noch positives Feedback bekommen. Daran sieht man, dass man sehr viel kann, wenn man an sich glaubt und einfach macht. Natürlich geht auch mal etwas schief, oder man denkt sich: „Das hätte ich vielleicht besser oder sensibler sagen können“. Aber daraus lernt man auch wieder.
Kannst du drei Tipps für junge Menschen geben, die gerade eine Ausbildung oder ein Studium machen und sich gern daneben politisch engagieren?
Der erste Tipp ist, sich nicht entmutigen zu lassen. Es gibt immer Situationen, in denen auch ältere Menschen einen nicht ernst nehmen und etwas sagen, wie: „Deine Perspektive ist nicht so wichtig.“ Davon sollte man sich nicht abbringen lassen und immer weiter machen – auch, wenn es verdammt hart ist, nicht aufzugeben.
Um das zu schaffen, braucht man Bündnispartner*innen. Also es braucht Leute, die das mit dir gemeinsam anpacken und mit denen man sich austauschen kann. Auch mal zu sagen: „Das war jetzt blöd, oder?“, sich vor allem aber gegenseitig zu bestärken. Es braucht Menschen, mit denen man gemeinsam anpacken kann – egal, ob in einer Partei, in einem Verein oder in einer Organisation. Das ist der zweite Tipp.
Und der Dritte: Auch mal einen Blick über den Tellerrand hinaus wagen. Also sich am Ende nicht nur auf sich selbst und sein Anliegen zu fokussieren, sondern auch zu schauen: Wie sieht es eigentlich links und rechts neben mir aus? Wie kann ich vielleicht unterstützen, dass sich andere Menschen mit einbringen können? Beteiligung sollte man also nicht als etwas rein Egoistisches betrachten, sondern immer als Teil eines Gemeinschaftsprojektes. Letztendlich möchte man nicht nur für sich selbst etwas Positives bewirken, sondern auch für andere. Ich glaube, dann zieht man auch noch mal mehr Motivation und Kraft aus dem Engagement, als wenn man das nur für sich selbst tut.