EU-Parlament als Online-Spiel

von | 12. November 2010

Eine Brüsseler Kommunikationsagentur versucht, den Bürgern die Europäische Union durch ein begehbares, virtuelles EU-Parlament näher zu bringen. Debattieren und Gesetze vorschlagen für jedermann.

Die Europäische Union lässt ihr eigenes soziales Netzwerk entwickeln und schon im nächsten Jahr soll „Citzalia“ veröffentlicht werden. Das 15-köpfige Entwicklerteam führt gerade die entscheidenden Beta-Tests durch. Im Mittelpunkt steht im Gegensatz zu privaten Konkurrenten aber die Politik. Ähnlich wie in „Second Life“ bewegt sich der Nutzer mittels eines Avatars durch die virtuelle Welt, die aber auf das Parlamentsgebäude in Straßburg begrenzt ist. Die Internetplattform soll den Bürgern die Arbeit des Abgeordnetenhauses näher bringen, eine internationale Diskussion aktueller Themen ermöglichen. Sogar Gesetzesvorschläge sollen online eingereicht werden können.

Abgeordnete „light“

Für die Projektausschreibung, die der Entwickler ESN (European Service Network) gewann, hat das Europäische Parlament Bedingungen an die Plattform gestellt. Die Abgeordneten suchten eine innovative Webpräsenz um Prozesse innerhalb der Volksvertretung verständlich zu erklären. Die Bedeutung des Parlaments und seine Mitwirkung im Entscheidungsprozess sollen den Europäern so näher gebracht werden. Der Schwerpunkt aber liegt darin, Interaktivität zwischen den Nutzern sicherzustellen und ihnen die Möglichkeit zur Diskussion über frühere, aktuelle oder zukünftige Themen zu ermöglichen. Der Spieler kann für seine Aktivitäten Erfahrungspunkte einsammeln, etwa wenn er an Diskussionen teilnimmt. Diese sind im Profil sichtbar, einen weiteren Nutzen haben sie aber nicht. Während Citzalia noch in einer früheren Beschreibung auf der offiziellen Website „Rollenspiel“ genannt wurde, beschreibt ESN die 3D-Umgebung nun nur noch als angenehme Art, durch komplexe Webseiten zu navigieren.

Sprachwirrwarr

Die Plattform will die EU in allen 23 Sprachen anbieten. Wie sich die einzelnen Nationen aber untereinander verständigen sollen, ist unklar. Nur ein Blogeintrag der Facebook-Mitarbeiterin Ranji Zuckerberg gibt einen Hinweis: Dort heißt es, dass sich das Unternehmen mit der automatischen Übersetzung von Nutzerinhalten beschäftige. Eine eigene Lösung scheint damit unwahrscheinlich. Ohne die Übersetzung von Beiträgen wird es aber schwierig, eine echte Europäische Community zu etablieren, die sich untereinander austauscht. Selbst die Verständigung auf eine Standardsprache wird immer jemanden ausschließen. Citzalias Erfolg wird wesentlich von seinen Nutzern abhängen. Ob sich die Investition von 275.000 Euro lohnt, bleibt abzuwarten: 75 Prozent trägt die EU selbst, den Rest finanziert die in Brüssel ansässige Kommunikationsagentur.

<h3>Jörg Lehmann</h3>

Jörg Lehmann