Sachbeschädigungen, Drohungen, körperliche Angriffe, Betitelung der Lügenpresse. Dies sind nur einige der Vergehen, mit denen die Journalisten dieser Zeit konfrontiert werden. Negative Tendenz steigend. Laut einer Langzeitstudie von 2015 bis 2020 des Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) ist Sachsen ein Kernland für derartige Vorfälle. 92 von 119 Angriffen sind dem rechten Spektrum zuzuordnen. Doch woher kommt diese Gewaltbereitschaft gegen Journalisten und der Begriff der Lügenpresse?
Europäisches Zentrum für Medien und Pressefreiheit
Das ECPMF ist eine Non-Profit-Organisation mit Sitz in Leipzig, die sich europaweit für die Pressefreiheit einsetzt.
An der Wurzel gepackt – Lügenpresse
Im 19. Jahrhundert wurde der Begriff „Lügenpresse“ erstmalig in den Sprachgebrauch aufgenommen, da konservative Katholiken die im Zuge der Märzrevolution aufkommende Presse öffentlich kritisieren wollten. Schon damals hatte dies einen negativen antisemitischen Unterton, der im Zweiten Weltkrieg noch deutlicher hervortrat. Nach 1945 verschwand der Begriff zunächst in der Bundesrepublik, wurde in den 2000er Jahren aber in neonazistischen Kreisen wiederbelebt. Beispiel: Oktober 2014. Während einer gewalttätigen Demonstration fielen immer wieder die Worte: „Lügenpresse auf die Fresse“. Im üblichen Sprachgebrauch kaum Verwendung findend, verzeichnete Google einen rapiden Anstieg der Suchanfragen, die sich um jenen Begriff drehen. Auch die Pegida-Proteste haben ihren Anfang in dieser Zeit. „Lügenpresse“ prangt auf Plakaten und Flyern. Pegida-Chef Lutz Bachmann war es, der 2014 den Begriff in Dresden gebrauchte. Pressehass wurde seit 2015 zur gefährlichen Normalität und gehört zum Leitbild gewaltbereiter und rechtsoffener Personen.
Das bröckelnde Fundament
Pressefreiheit in Deutschland wird zunehmend ein heikles Thema. „Für Journalisten bedeuten die körperlichen Angriffe, aber auch die permanente Drohkulisse, eine Einschränkung ihrer Arbeit. Wenn sie Dreharbeiten abbrechen müssen und sich nicht mehr frei bewegen können, ist auch die Pressefreiheit in Deutschland gefährdet“, berichtet Lutz Kinkel, Geschäftsführer des ECPMF, in einem Interview gegenüber der TAZ. Die Lage der Pressefreiheit wird in Deutschland nur noch als „zufriedenstellend“ eingestuft. Zu diesem Befund kommen Reporter ohne Grenzen.
Journalisten seien keine Gatekeeper mehr, sagt Kinkel. Jeder könne heutzutage Informationen im Netz verbreiten. Fake News, also die bewusst fälschlich gestreuten Informationen, tragen zur Meinungsbildung bei. Verschwörungstheorien oder Hetze im World Wide Web sind Folgen der digitalen Transformation. Die Anfeindungen bleiben jedoch keineswegs online. „Ein Witz“, nennt die Journalistin Andrea Röpke die offiziellen Zahlen der Bundesregierung zu Angriffen gegen Journalisten. Sie und viele weitere Journalisten schätzen, dass die Dunkelziffer für Angriffe gegen Journalisten mindestens doppelt so hoch sein muss. Alleine bei Recherchen gebe es viel mehr Angriffe. Zur Anzeige bringen, würden diese jedoch die wenigsten. „Es gibt Regionen, da fährt schon jetzt keiner mehr hin, weil dort nicht für den Schutz gesorgt werden kann“, meint Röpke weiterhin, und bezieht sich dabei auf ländliche Städte in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thüringen und eben auch Sachsen. So entstehen blinde Flecken, die die journalistische Aufmerksamkeit jedoch gerade nötig hätten. Die Angriffe auf Journalisten sind Angriffe auf die Pressefreiheit und damit bedrohen sie auch das Fundament des demokratischen Rechtssystems.
Gefährlichster Arbeitsplatz
Laut der Webseite des ECPMF ereigneten sich im letzten Jahr 69 tätliche Angriffe gegen Journalisten. Die Zahl der Vorfälle nahm damit – im Vergleich zum Vorjahr – um das Fünffache zu. Gerade die seit der Corona-Pandemie aufkommenden Querdenker-Demonstrationen verzeichnen Übergriffe auf Journalisten. 71 Prozent aller Angriffe im vergangenen Jahr erfolgten auf Pandemie bezogenen Versammlungen. Damit wurden Demonstrationen zum gefährlichsten Arbeitsplatz für Journalisten. In Leipzig geriet am 7. November 2020 eine „Querdenken“-Demonstration besonders in mediale Öffentlichkeit. Reporter ohne Grenzen dokumentierten an diesem Tag die meisten Übergriffe. Dabei vermischten sich die Milieus unterschiedlichster Bürgergruppen. Selbst Familien mit Kindern waren an diesem Tag unter den gewaltbereiten Teilnehmenden. Problem dabei: Statistiken zählen die verbalen Angriffe nicht mit. „Der DJV bekommt nur die Spitze des Eisberges mit”, berichtet Lars Radau, der Geschäftsführer des Deutschen Journalisten-Verband in Sachsen, gegenüber medienMITTWEIDA. Auch die gezogene Grenze zwischen verbalen und körperlichen Angriffen verstärkt die prekäre Situation. Anpöbeln, anmotzen, oder auch verfolgt werden, liegen noch unterhalb der Schwelle, nach welcher Zahlen in die Statistik aufgenommen werden. Körperliche Angriffe und Sachbeschädigungen werden hingegen erfasst. „Journalisten, vor allem jene, die auf Demos Bericht erstatten, gewöhnen sich aufgrund der gehäuften Anschuldigungen und Beleidigungen an solche Situationen. Sie melden diese nicht der Polizei”, berichtet Lars Radau. Auch die Angst, dass Privatadressen durch polizeilich erfasste Dokumente in falsche Hände geraten ist groß. Drohungen, die an die Privatadressen gesendet werden, sind längst keine Seltenheit mehr. Nichtsdestotrotz ermutigt der DJV die Journalisten bei Vorfällen, die die Schwelle des Üblichen überschreiten, Anzeige zu erstatten. Nur so könne Handlungsdruck ausgeübt werden. Sonst verlaufe es sich, so Radau.
Zusammenarbeit statt Anschuldigungen
Laut des DJV wäre eine Zusammenarbeit zwischen Polizei und Journalisten durchaus wünschenswert, dennoch ist die Umsetzung bisher eine Herausforderung. Das Feindbild Journalist und die Spannungsbeziehungen, die zwischen den beiden Berufsgruppen existieren, sind tendenziell miteinander verflochten. Zwei Differenzen als Symbolbilder, die den Medienumgang unserer Gesellschaft widerspiegeln. Um dieses Verhältnis zwischen Journalisten und der Polizei zu verbessern, hat das ECPMF im September 2020 den Press Freedom Police Codex veröffentlicht. Dieser soll den Spannungen beider Parteien entgegenwirken. Er beinhaltet acht Richtlinien, die das gemeinsame Arbeiten fördern sollen.
Press Freedom Police Codex
Übersetzt aus dem Englischen:
- Jegliche Gewaltakte von Polizeibeamten gegen Journalisten sind inakzeptabel.
- Journalisten haben das Recht, Informationen zu sammeln und die Polizei sollte sie vor rechtswidrigen Eingriffen schützen, insbesondere bei Demonstrationen.
- Journalisten sollten das Recht haben einzelne Polizeibeamte zu identifizieren, die Arbeit der Polizeikräfte zu dokumentieren und darüber zu berichten.
- Der Polizei ist es nicht gestattet Filmmaterial zu löschen oder die Ausrüstung von Journalisten ohne entsprechenden Haftbefehl zu beschlagnahmen.
- Journalisten sollten nicht wegen ihrer vermeintlichen politischen Haltung kriminalisiert, diskriminiert oder auf die schwarze Liste gesetzt werden.
- Journalisten sollten nicht von der Polizei überwacht werden.
- Wenn die Polizei Journalisten schadet, bedroht oder schikaniert, müssen diese Handlungen von unabhängigen Ermittlern verurteilt, untersucht und öffentlich gemacht werden.
- Die Polizei sollte über die Rechte von Journalisten geschult und regelmäßig auf dem Laufenden gehalten werden.
Welchen Aspekt man auch betrachtet bei diesem vielschichtigen Thema – Anfeindungen und körperliche Angriffe sind unlängst Normalität geworden. Den Gedanken, dass es bei jedem weiteren medialen Auftritt erneut zu solchen Situationen kommen kann, halten die Journalisten alltäglich im Hinterkopf. „Das dient als Selbstschutz”, sagt Radau. Es stellt sich ein Gewöhnungseffekt ein, aber „die Grenzen sind noch nicht erreicht.”